Rhesus-Isoimmunisierung

Zusammenfassung

  • Definition:Risiko bei schwangeren Rhesus-negativen Frauen, die einen Rhesus-positiven Fetus austragen.
  • Häufigkeit:In Deutschland sind 14 % aller Schwangeren Rhesus-negativ. Bei etwa 10 % aller Schwangerschaften besteht die Konstellation Rhesus-negative Schwangere und Rhesus-positiver Fetus. Eine Immunisierung geschieht bei bis zu 1,5 % bei Geburten; die Zahl liegt höher bei Fehlgeburten oder Schwangerschaftsabbrüchen. Eine Immunisierungsreaktion ist bei ca. 1 von 1.000 Lebendgeburten zu beobachten. 50 % dieser Kinder entwickeln Anämie.
  • Symptome:Keine sicheren intrauterinen Symptome. Nach der Entbindung kann das Kind Anämie und u. U. auch Ikterus (aufgrund von Hämolyse) entwickeln.
  • Befunde:Mithilfe von Ultraschall lässt sich die Erkrankung intrauterin durch den Nachweis von Hydrops fetalis feststellen, evtl. auch durch einen verstärkten Blutfluss in der fetalen Arteria cerebri media.
  • Diagnostik: Festellung des Rhesus-Faktors von Mutter und Kind, Antikörper-Suchtest.
  • Therapie:Anti-D-Immunglobulin wird Rhesus-negativen Frauen während der Schwangerschaft sowie nach der Geburt bzw. nach Fehlgeburt und Schwangerschaftsabbruch verabreicht, um die Entwicklung einer Immunisierung zu verhindern. Eine Anämie des Fetus kann mit intrauteriner Transfusion behandelt werden.

Allgemeine Informationen

Definition

  • Eine immunologische Erkrankung, die bei Rhesus-negativen Schwangeren (Rh–) mit einem Rhesus-positiven Fetus (Rh+) eintreten kann.
  • Das Immunsystem der Mutter bildet Antikörper gegen das Rh-Antigen des Fetus. Die Antikörper passieren bei einer folgenden Schwangerschaft die Plazenta, zerstören die fetalen Erythrozyten und rufen damit eine fetale Anämie hervor.1

Häufigkeit

  • In Deutschland sind etwa 14 % der Schwangeren Rhesus-negativ, davon tragen ca. 60 % einen Fetus mit der Blutgruppe RhD+ aus.2-3
  • Risiko für eine Immunisierung
    • Eine RhD-Immunisierung in Verbindung mit Schwangerschaft und Geburt tritt bei ca. 0,3–1,5 % auf.4
    • Ca. 30 % davon sind schwere Fälle, bei denen u. U. auch eine intrauterine Transfusion des Fetus notwendig wird.4
      • Bei den meisten dieser Fälle ist die Ursache vermutlich eine Immunisierung in der zweiten Hälfte der ansonsten unkomplizierten Schwangerschaft.
      • In anderen Fällen kann eine fehlende RhD-Prophylaxe bei unterschiedlichen Komplikationen oder Eingriffen der Auslöser sein.
  • Risiko für Immunisierung nach Eingriffen oder Ereignissen
    • Liegt bei 3,5 % nach Fehlgeburten und bei 5,5 % nach Schwangerschaftsabbrüchen.
    • Bei einer Amniozentese liegt das Risiko für eine Immunisierung bei < 1 %.
    • Bei einer ektopischen Schwangerschaft liegt das Risiko bei < 1 %.
  • Die universelle Einführung des Rhesus-Screenings von Schwangeren und die Entwicklung der Anti-D-Prophylaxe hat die Inzidenz einer schwerwiegenden Isoimmunisierung und der daraus resultierenden gesundheitlichen Schäden drastisch gesenkt.3-4
    • In Regionen mit unzureichender medizinischer Versorgung ist von deutlich höheren Zahlen auszugehen.3,5

Ätiologie und Pathogenese

  • Besteht bei einer Rhesus-negativen Frau eine Schwangerschaft mit einem Rhesus-positiven Fetus werden im Körper der Schwangeren IgG-Antikörper (Anti-D) gegen das Rhesus-Antigen gebildet.3
  • Bei einer späteren Schwangerschaft können diese Antikörper die Plazenta passieren und bei einem Rhesus-positiven Fetus eine fetale intrauterine Hämolyse unterschiedlichen Ausmaßes auslösen.6
    • Bei einer schwach ausgeprägten Hämolyse kann der Fetus die Erythropoese erhöhen und damit kompensieren. Eine stark ausgeprägte Hämolyse kann eine relevante Anämie verursachen, die zu Hydrops fetalis mit generellen Ödemen, Herzinsuffizienz und intrauterinem Tod des Fetus führen kann.
    • Das bei der Hämolyse freiwerdende unkonjugierte Bilirubin wird während der Schwangerschaft durch mütterliche Enzyme konjugiert und ausgeschieden, daher tritt eine Hyperbilirubinämie erst nach der Geburt auf.3
    • Bei ausgeprägter Hyperbilirubinämie kommt es zu einem sog. Kernikterus mit schweren Hirnschäden.3
  • Eine Isoimmunisierung findet erst statt, wenn es zum Kontakt zwischen mütterlichem und fetalen Blut kommt. Dies kann bei der Entbindung, aber auch bei ektopen Schwangerschaften oder Aborten der Fall sein.3
  • Neben der Immunisierung gegen das erythrozyten-gebundenen Rhesus-Antigen kann es ebenfalls zu Immunisierung gegen andere fetale Blutzellen (Thrombozyten, Leukozyten) kommen, was allerdings in der hausärztlichen Praxis wenig Relevanz hat.

Prädisponierende Faktoren

  • Geburt eines RhD-positiven Kindes bei einer Rhesus-negativen Mutter
  • Folgende Ereignisse bei einer Rhesus-negativen Frau:4
  • Selten kann auch eine vorangegangene Rhesus-inkompatible Bluttransfusion zur Ausbildung von Anti-D-Antikörpern führen.3

ICPC-2

  • A94 Perinatale Erkrankung, andere
  • W84 Hochrisikoschwangerschaft

ICD-10

  • O36.0 Betreuung der Mutter wegen Rhesus-Isoimmunisierung

Diagnostik

Diagnostische Kriterien

  • Blutgruppenmerkmale inkl. Rhesus-Faktor von Mutter und Kind
  • Nachgewiesene Antikörper im Blut der Mutter (Antikörpertiter)
  • Verdacht auf Anämie mithilfe von Messungen des Blutflusses in den zerebralen Gefäßen des Fetus mit Doppler-Ultraschall oder durch ultraschallgeführte Blutproben aus der Nabelschnur

Differenzialdiagnosen

  • Die Hämolyse des Kindes kann auch durch eine AB0-Isoimmunisierung hervorgerufen sein, evtl. durch eine Immunisierung gegen Thrombozyten oder gegen neutrophile Granulozyten.

Anamnese

  • Bisheriger Schwangerschaftsverlauf inkl. Wahrnehmung gynäkologischer Vorsorgeuntersuchungen
  • Gab es Bluttransfusionen in der Vergangenheit?
  • Gab es bereits Fehlgeburten oder Schwangerschaftsabbrüche?
  • Gab es Komplikationen bei vorangegangenen Schwangerschaften?

Ergänzende Untersuchungen

Vorgehen laut Mutterschaftsrichtlinien2

 Untersuchung des Rh-Merkmals D
  • Feststellung der mütterlichen Blutgruppe inkl. Rhesus-Faktor
    • Bei einer Rhesus-positiven Schwangeren sind keine weiteren Untersuchungen notwendig.3
  • Es stehen inzwischen auch Methoden zur nichtinvasiven pränatalen Bestimmung des fetalen Rhesus-Faktors mit guter Spezifität und Sensitivität zur Verfügung.6
    • Diese sollten laut Mutterschaftsrichtlinien jeder Rhesus-negativen Schwangeren angeboten werden.
Antikörper-Suchtest (AK)
  • Durchführung von insgesamt zwei Antikörpersuchtests in der Schwangerschaft: bei Feststellung der Schwangerschaft und in der 24.–27. Schwangerschaftswoche (SSW)
  • Wenn Anti-D-Antikörper nachweisbar sind:
    • genaue Diagnostik und engmaschige Überwachung des Schwangerschaftsverlaufs
    • Dies umfasst eine Untersuchung des Rh-Status des Fetus mithilfe einer Blutprobe der Mutter und wiederholte Ultraschalluntersuchungen mit Dopplermessungen.

Therapie

Therapieziele

  • Immunisierung und Entwicklung von Antikörpern verhindern.
  • Schädliche Wirkungen von möglichen Antikörpern reduzieren.

Allgemeines zur Therapie

  • Prophylaxe und pränatale Überwachung/Behandlung
    • sorgfältiges Monitoring der Schwangeren und des Fetus in der gesamten Schwangerschaft: Blutproben von der Mutter und wiederholte Ultraschalluntersuchungen mit Dopplermessungen
  • Postnatale Krankenhausbehandlung
    • Umfasst die Behandlungsmöglichkeiten: Lichtbehandlung, Immunmodulation mit hochdosiertem intravenösem Gammaglobulin und Austauschtransfusion.

Prävention

Prophylaktisches Anti-D-Immunoglobulin

  • Empfehlung laut Mutterschaftsrichtlinien2
    • Die Antikörperuntersuchung wird bei der ersten Schwangerschaftskontrolle und in der 24.–27. Schwangerschaftswoche durchgeführt.
    • Sind bei Rh-negativen Schwangeren keine Anti-D-Antikörper nachweisbar:
      • Injektion von einer Standarddosis (um 300 µg) Anti-D-Immunglobulin in der 28.–30. Schwangerschaftswoche
      • Ziel: Möglichst eine Sensibilisierung der Schwangeren bis zur Geburt vermeiden.
      • Datum der präpartalen Anti-D-Prophylaxe im Mutterpass vermerken.
      • bei Rhesus-negativem Fetus nicht nötig.
  • Bei Rh-positivem Kind bei Rh-negativer Mutter: Applikation einer weiteren Standarddosis Anti-D-Immunglobulin (um 300 µg) innerhalb von 72 Stunden post partum.
  • Eine Anti-D-Prophylaxe bei Rhesus-negativen Frauen sollte ebenfalls erfolgen bei:
    • chirurgischem Schwangerschaftsabbruch nach einer Schwangerschaftsdauer von > 8 Wochen (Ia)
    • ektoper Schwangerschaft (bei Operation oder Schwangerschaftsdauer > 8 Wochen)
    • Amniozentese und Chorionzottenbiopsie
    • Verdacht auf fetomaternale Blutung
    • Verdacht auf Plazentalösung bzw. Verifizierung
    • Wendungsversuch bei Steißlage (Plazenta an der Vorderwand).

Verlauf, Komplikationen und Prognose

Komplikationen

Prognose

  • Die Prognose für eine neue Schwangerschaft muss auf der Grundlage einer geburtshilflichen Anamnese gestellt werden.
  • Durch die Möglichkeit intrauteriner Transfusionen konnte die Mortalität deutlich gesenkt werden
    • Bei früher Anämie und Hydrops sind die Prognosen schlechter.3
  • Mit einer modernen Behandlung ist bei mehr als 90 % aller Kinder mit RhD-Immunisierung mit einer gesunden neurologischen Entwicklung zu rechnen.

Patienteninformationen

Patienteninformationen in Deximed

Quellen

Literatur

  1. Kumar S, Regan F. Management of pregnancies with RhD alloimmunisation. BMJ 2005; 330: 1255-8. PubMed
  2. Gemeinsamer Bundesausschuss. Richtlinien des Gemeinsamen Bundesausschusses über die ärztliche Betreuung während der Schwangerschaft und nach der Entbindung ("Mutterschafts-Richtlinien"). Berlin. 2021. www.g-ba.de
  3. Sarwar A, Citla Sridhar D. Rh-Hemolytic Disease. 2022 May 1. In: StatPearls [Internet]. Treasure Island (FL): StatPearls Publishing; 2022 Jan www.ncbi.nlm.nih.gov
  4. Slootweg YM, Zwiers C, Koelewijn JM, van der Schoot E, Oepkes D, van Kamp IL, de Haas M. Risk factors for RhD immunisation in a high coverage prevention programme of antenatal and postnatal RhIg: a nationwide cohort study. BJOG. 2022 Sep;129(10):1721-1730. pubmed.ncbi.nlm.nih.gov
  5. Pegoraro V, Urbinati D, Visser G, et al. Hemolytic disease of the fetus and newborn due to Rh(D) incompatibility: A preventable disease that still produces significant morbidity and mortality in children. PLoS One. 2020 Jul 20;15(7). pubmed.ncbi.nlm.nih.gov
  6. Institut für Qualität und Wirtschaftlichkeit im Gesund heitswesen. Nichtinvasive Bestimmung des fetalen Rhesusfaktors zur Vermeidung einer mütterlichen Rhesussensibilisierung: Abschlussbericht; Auftrag D16-01. 20. März 2018. (IQWiG-Berichte; Band 607) www.iqwig.de

Autor*innen

  • Bonnie Stahn, Dr. med., Fachärztin für Allgemeinmedizin, Hamburg
  • Die ursprüngliche Version dieses Artikels basiert auf einem entsprechenden Artikel im norwegischen hausärztlichen Online-Handbuch Norsk Elektronisk Legehåndbok (NEL, https://legehandboka.no/).

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