Erbliche Muskelerkrankungen

Allgemeine Informationen

Definition

  • Seltene Erbkrankheiten, die direkt die quergestreifte Muskulatur betreffen, mit zumeist Muskelschwäche als führendem Symptom.

Hintergrund

  • Die Zahl der identifizierten Gendefekte, die zu Myopathien führen, ist in den letzten Jahren auf über 300 gestiegen.1
  • Die Diagnosestellung ist allerdings häufig schwierig, die Patient*innen sollten nach Stellung der Verdachtsdiagnose in einem der 27 zertifizierten neuromuskulären Zentren abgeklärt werden.1
  • Neue molekulargenetische Verfahren ermöglichen bei Bedarf eine rasche und effiziente genetische Untersuchung.1

ICPC-2

  • L82 Angeb. Anomalie muskuloskelet.

ICD-10

  • G71 primäre Myopathien
    • G71.0 Muskeldystrophie
      • z. B. Duchenne- oder Becker-ähnlich, fazio-skapulo-humerale Form, Becken- oder Schultergürtelform, okulopharyngeal, okulär, skapuloperonäal
    • G71.1 Myotone Syndrome
      • z. B. Dystrophia myotonica [Curschmann-Batten-Steinert-Syndrom]
    • G71.2 Angeborene Myopathien
    • G71.3 Mitochondriale Myopathie, anderenorts nicht klassifiziert
    • G71.8 Sonstige primäre Myopathien
    • G71.9 Primäre Myopathie, nicht näher bezeichnet

Diagnostik

  • Die folgenden diagnostischen Grundsätze basieren auf den AWMF-Leitlinen der Deutschen Gesellschaft für Neurologie.1-2

Anamnese

  • Muskelschwäche, Muskelschmerz, Muskelsteifigkeit
    • Lokalisation (hilfreich kann das Einzeichnen durch die Patient*innen in ein Körperschema sein)
      • Bei Myopathien sind proximale Extremitätenabschnitte meist stärker betroffen als distale.
    • Ausmaß
    • zeitlicher Verlauf (intermittierende Attacken, langsam progredient, dauerhaft, belastungsabhängig)
    • ggf. Schmerzcharakter: muskelkaterähnlich, krampfartig, brennend
    • verstärkende Faktoren: z. B. Muskelarbeit
  • Faszikulationen, Muskelkrämpfe
  • Dysphagie
  • Palpitationen
  • Sehstörung
  • Schwerhörigkeit
  • Endokrine Störungen
  • Familienanamnese

Klinische Untersuchung

  • Inspektion
    • Atrophie, (Pseudo-) Hypertrophie (evtl. Umfangmessung)
    • Faszikulationen
    • reduzierte Mimik
    • Ptosis
    • Hypoventilation
    • sekundäre Skelettveränderungen (z. B. Lordose, Skoliose)
  • Palpation
    • Druckschmerz des Muskelbauchs
  • Funktionelle Untersuchungen
    • Prüfung des Kraftgrads
    • Kniebeuge
    • Hacken-/Zehengang
    • myotone Phänomene (z. B. Greifmyotonie, Augenschlussmyotonie, Perkussionsmyotonie)
  • Dysarthrie
    • bei oropharyngealer Beteiligung

Ergänzende Untersuchungen in der hausärztlichen Praxis

Labor

  • CK
    • einfacher Überblick über das Ausmaß eines Zelluntergangs
    • Faustregel: Mehr als 10-fache Erhöhung weist auf primär myogene Ursache hin (auch bei neurogener Ursache häufig leichte CK-Erhöhungen).
    • Ausmaß der CK-Erhöhung bei verschiedenen Myopathien sehr unterschiedlich, kann bei einigen kongenitalen Myopathien auch normal oder nur gering erhöht sein.
      • Auch innerhalb einer definierten Myopathie ist die CK-Erhöhung sehr variabel.

EKG, LZ-EKG

Diagnostik bei Spezialist*innen

Molekulargenetische Untersuchung

  • Wesentlicher Bestandteil der Diagnostik, die bei Verdacht auf Myopathie relativ früh eingesetzt wird.
  • Bei klinisch charakteristischem Bild ist evtl. eine Einzelgenuntersuchung ausreichend.
  • Bei phänotypisch unklaren Myopathien rasche und kosteneffektive Untersuchung zahlreicher Gene durch Hochdurchsatzverfahren (Next Generation Sequencing, NGS)
  • Geringe Menge an EDTA-Blut für die Analyse ausreichend
  • Muskelbiopsie nach molekulargenetischer Untersuchung häufig nicht mehr notwendig

EMG (Elektromyografie)

  • Bei allen Patient*innen mit V. a. Myopathie sollte eine EMG durchgeführt werden.
    • Unterscheidung neurogener von myopathischen Prozessen
    • Identifizierung einer Myotonie

MRT

  • Wichtigstes bildgebendes Verfahren bei Muskelerkrankungen
  • Erfassung struktureller Veränderungen
  • Erfassung des Befallsmusters
  • Lokalisation einer geeigneten Stelle zur Muskelbiopsie
  • Auch zur Diagnostik einer Kardiomyopathie

CT

  • Alternative bei Kontraindikationen gegen MRT

Myosonografie

  • Erfassung struktureller Veränderungen, z. B. Muskelatrophien bzw. -hypertrophien
  • Spezielle Untersuchungsexpertise erforderlich

Muskelbiopsie

  • Bei hereditären Myopathien vielfach verzichtbar, da Diagnosestellung durch moelkulargenetische Untersuchung
  • Indikation bei nicht wegweisender Molekulargenetik
  • Entnahme an spezialisiertem Zentrum

Echokardiografie

  • Echokardiografie zur Erfassung der ventrikulären Funktion bei Kardiomyopathie

Spirometrie

  • Hinweise für Schwäche der Atemmuskulatur
  • Wichtig ist vor allem die Bestimmung der forcierten Vitalkapazität (FVC).

Versorgungskoordination

  • Erstdiagnostik durch Hausärzt*in1
    • Anamnese
    • körperliche Untersuchung
    • CK-Bestimmung
  • Weitere Diagnostik durch Neurolog*in1
  • Abklärung diagnostisch schwieriger Fälle durch neurologische Kliniken (einschließlich evtl. erforderlicher Muskelbiopsie)1
  • Genetische Beratung bei Humangenetiker*innen oder Ärzt*innen mit Qualifikation zur fachgebundenen genetischen Beratung1

Differenzialdiagnose

Muskeldystrophien

  • Familiäre Formen von Muskelerkrankungen, die pathologisch-anatomisch geprägt sind von Degeneration des Muskelgewebes und Umbau der Muskelzellen zu Fett und Bindegewebe.
  • Klinisch kommt es zu einer progredienten Muskelschwäche.

Muskeldystrophie Duchenne

  • Häufigste hereditäre Myopathie
  • X-chromosomal rezessiv vererbt
    • Daher ist das männliche Geschlecht betroffen.
  • Bei 2/3 von der Mutter vererbt, 1/3 Neumutationen3
  • In Deutschland leben 1.500–2.000 Betroffene.4
    • Inzidenz ca. 1 pro 3.500 neugeborenen Jungen
  • Erkrankungsbeginn mit Schwäche der Beckenmuskulatur im Alter zwischen 2 und 4 Jahren
    • Probleme beim Aufrichten, Treppensteigen
  • Im weiteren Verlauf Schwäche der Schulter- und Oberarmmuskulatur und schließlich der distalen Muskulatur3
  • Fortschreitender Kraftverlust
    • im Alter von 9 Jahren häufig schon auf Rollstuhl angewiesen5
  • Tod häufig im 3. Lebensjahrzehnt

Muskeldystrophie Becker

  • Deutlich seltener als die Muskeldystrophie Duchenne
    • Inzidenz ca. 1:27.000 männliche Geburten
  • Ebenfalls x-chromosomal rezessiv vererbt
  • Milderer Krankheitsverlauf
  • Klinisch größere Variationsbreite als Muskeldystrophie Duchenne 
  • Erkrankungsbeginn 5.–20. Lebensjahr3
  • Muskuläres Verteilungsmuster ähnlich wie bei Muskeldystrophie Duchenne
    • Patient*innen können höheres Lebensalter erreichen.
    • Tod meistens im 5.–6. Lebensjahrzehnt3
  • Kardiomyopathie wird im Verlauf häufig führend und prognosebestimmend.4
Genetik und Diagnostik von Duchenne und Becker
  • Die Muskeldystrophien Duchenne und Becker werden durch Defekte im Dystrophin-Gen verursacht.
  • Dystrophin ist Bestandteil des muskulären Zytoskeletts.
  • Erkrankungen durch x-chromosomalen Erbgang fast ausschließlich beim männlichen Geschlecht
    • Frauen sind Konduktorinnen.
    • Konduktorinnen in seltenen Fällen mit leichter Myopathie
  • Defekte des Dystrophin-Gens3
    • 60–70 % Deletionen
    • 5–10 % Duplikationen
    • 30 % Punktmutationen
  • Muskeldystrophie Duchenne durch Defekte (in der Regel Deletionen) mit vollständigem oder fast vollständigem Verlust des Proteins 
  • Muskeldystrophie Becker durch Defekte mit fehlerhafter Bildung von Dystrophin
  • Molekulargenetische Diagnostik meist veranlasst durch eine der folgenden Fragestellungen:6
    • zur Differenzialdiagnostik von betroffenen Patient*innen
    • zur Heterozygotendiagnostik weiblicher Angehöriger von Patient*innen
    • zur Pränataldiagnostik bei Frauen mit hohem Überträgerrisiko
  • In etwa 70 % der Fälle Diagnosestellung durch Identifizierung des Gendefekts
  • Falls keine Veränderung nachweisbar, Muskelbiopsie zur weiteren Abklärung

Fazioskapulohumerale Muskeldystrophie

  • Häufigkeit
    • zweithäufigste Muskeldystrophie bei Erwachsenen und dritthäufigste in der Gesamtbevölkerung7
  • Beginn meist im 2.–3. Lebensjahrzehnt3
  • Symptome und Beschwerdebilder
    • Beginn im Bereich der Gesichtsmuskulatur, außerdem Muskelschwäche im Bereich des Schultergürtels und der Oberarme
    • im weiteren Verlauf Ausdehnung auf Becken-, Bein- und Rumpfmuskulatur möglich
    • Ausprägung nicht selten asymmetrisch
    • häufig mit Schmerzen verbunden
    • Innenohrschwerhörigkeit und Kardiomyopathie sind weitere mögliche Befunde.
    • asymptomatische retinale Mikroangiopathie
    • In seltenen Fällen ist das zentrale Nervensystem betroffen (mentale Retardierung, Epilepsie).8
Genetik und Diagnostik
  • Entstehung der fazioskapulohumeralen Muskeldystrophie durch Deletion im distalen Teil von Chromosom 4 (4q35)
  • Deletion im Bereich von DNS-Wiederholungseinheiten (D4Z4- oder Kpn1-Fragmente)
    • Gesunde Personen weisen mehr als 10 dieser Einheiten auf.
    • fazioskapulohumerale Muskeldystrophie bei 10 oder weniger Einheiten
    • Es gibt eine Korrelation zwischen der Größe der Deletion und der Schwere der Erkrankung.
  • Bei negativer Genanalyse Muskelbiopsie3

Gliedergürteldystrophie (Becken- und Schultergürtel)

  • Gruppe von Krankheiten mit ähnlichen klinischen Merkmalen
    • Schwäche der Beckengürtelmuskulatur
    • Schwäche der Schultergürtelmuskulatur
Genetik und Diagnostik
  • Sowohl autosomal-rezessive als auch autosomal-dominante Erbgänge
  • Ähnliche Phänotypen können durch unterschiedliche Gen- und Proteindefekte verursacht werden.
  • Bestimmung des Gendefekts durch molekulargenetische Untersuchung
  • Bei V. a. Gliedergürteldystrophie routinemäßige Durchführung einer Muskelbiopsie1

Myotone Dystrophien

  • Autosomal-dominant vererbte multisystemische Erkrankungen, deren Hauptsymptome eine distal betonte Muskelschwäche (Typ I) bzw. eine proximal betonte Muskelschwäche (Typ II), Myotonie und Katarakt sind.9
  • Eine myotone Muskelerkrankung ist charakterisiert durch eine gestörte Muskelrelaxation.9

Myotone Dystrophie Typ I und II

  • Klinische Manifestation der myotonen Dystrophien durch Kombination aus muskulärer Schwäche aufgrund von Muskeldystrophie und Myotonie aufgrund veränderter Membranstabilität
  • Darüber hinaus häufige extramuskuläre, multisystemische Veränderungen3
    • Katarakt
      • jährliche augenärztliche Untersuchungen auf die Entwicklung einer Katarakt9
    • endokrine Störungen (Diabetes mellitus, Hypothyreose)
    • Hypogonadismus
    • Kardiomyopathie, Reizleitungsstörungen
      • halbjährliche kardiologische Kontrollen zur rechtzeitigen Erfassung von Herzrhythmusstörungen bzw. (seltener) Kardiomyopathien und ggf. Prüfung der Indikation für eine prophylaktische Schrittmacherversorgung9
    • Befall des zentralen Nervensystems
      • kognitive Beeinträchtigung
      • Tagesschläfrigkeit
    • periphere Polyneuropathie
  • Es wird unterschieden zwischen:
    • myotoner Dystrophie Typ I (Curschmann-Steinert)
    • myotoner Dystrophie Typ II (proximale myotone Myopathie/PROMM).
  • Zusammengefasst sind myotone Dystrophie Typ I und II die häufigsten Muskelerkrankungen des Erwachsenenalters in Europa.9
    • Prävalenz ca. 5.5/100.000
  • Verlauf der myotonen Dystrophie Typ II milder als bei Typ I
  • Erkrankungsbeginn der myotonen Dystrophie Typ I3
    • kongenitale Form
    • infantile Form (1–10 Jahre)
    • Form des frühen Erwachsenenalters (11–20 Jahre)
    • Erwachsenenform (21–40 Jahre)
  • Erkrankungsbeginn der myotonen Dystrophie Typ II3
    • zwischen dem 20. und 50. Lebensjahr
Genetik und Diagnostik der myotonen Dystrophie I
  • Autosomal-dominanter Erbgang
  • Lokalisation des Gens für myotone Dystrophie auf Chromosom 19
    • Genprodukt Myotonin-Proteinkinase (DMPK) 
  • Grundlage der myotonen Dystrophie Typ I ist die instabile Expansion eines CTG-Triplets (C = Cytosin, T = Thymin, G = Guanin) im Bereich des Dystrophia-myotonica-Proteinkinase-Gens (DMPK-Gen) auf Chromosom 19q1310
    • Auch andere neurodegenerative Erkrankungen entstehen durch entsprechende Trinukleotid-Expansionen.11
  • Gesunde Individuen mit zwischen 5 und 37 CTG-Kopien10
  • Bei > 50 Wiederholungen Entwicklung einer myotonen Dystrophie10 
  • Korrelation zwischen der Anzahl der CTG-Wiederholungen und der Schwere der Erkrankung12
    • bei 50–150 Wiederholungen milde Form
    • bei 100–1.000 klassische myotone Dystrophie
    • bei > 1.000 Wiederholungen schwere angeborene Krankheit (kongenitale myotone Dystrophie)
  • Prinzip der genetischen Antizipation10
    • die jeweils nächste Generation weist schwerere klinische Verläufe bei höherer Trinukleotidzahl auf
  • Diagnose beruht auf klinischem Bild, EMG-Befund (myotone und myopathische Zeichen) und Gendiagnostik.3
Genetik und Diagnostik der myotonen Dystrophie II (PROMM)
  • Autosomal-dominanter Erbgang
  • Defekt lokalisiert auf Chromosom 3
  • Auch bei mytoner Dystrophie II Expansion von Basensequenzwiederholungen
    • Expansion von Vierbasen-Wiederholungen (CCTG)
  • Bei Normalindividuen weniger als 30 Wiederholungen13
  • Bei mytoner Dystrophie 55–11.000 Wiederholungen13
  • Bislang kein eindeutiger Nachweis von Antizipation oder einer kongenitalen Form13
  • Diagnose beruht auf klinischem Bild, EMG und Gendiagnostik.

Nichtdystrophe Myotonien

  • Definition9
    • Hereditäre Erkrankungen des muskulären Chlorid- oder Natriumkanals, die mit einer Über- oder Untererregbarkeit der muskulären Zellmembranen einhergehen.
  • Klassifikation
    • Chloridkanalmyotonien
      • Myotonia congenita Thomsen
      • Myotonie congenita Becker
    • Natriumkanalmyotonien
      • Paramyotonia congenita (Eulenburg)
      • kaliumsensitive Myotonien

Myotonia congenita Thomsen/Myotonia congenita Becker

  • Zwei Formen der Myotonia congenita
    1. autosomal-dominante Form (Typ Thomsen)
    2. autosomal-rezessive Form (Typ Becker)
  • Erkrankungsbeginn3
    • beim Typ Thomsen im frühen Kindesalter
    • beim Typ Becker zwischen 10 und 14 (bis 30) Jahren
  • Klinisches Bild
    • ausgeprägte myotone Reaktion nach Willkürinnervation und bei Beklopfen des Muskels3
      • bei Myotonia congenita Becker auch passagere Störung der Muskelkontraktion mit transienter Schwäche9
    • charakteristisches Warm-up-Phänomen9
      • Besserung der Myotonie durch wiederholte Bewegungen
    • athletischer Körperbau, kaum Muskelatrophien im Gegensatz zur myotonen Dystrophie3
    • Die Muskelkraft ist in der Regel normal.
      • Bei der Myotonia congenita Typ Becker können distale Paresen auftreten.
Genetik und Diagnostik
  • Gendefekt auf Chromosom 7
  • Punktmutationen oder Deletionen im muskulären Chloridkanal-1-Gen (CICN1)9
  • Beide Varianten der Myotonia congenita sind durch Veränderungen in demselben Gen verursacht.
  • Eine Störung des Chloridtransports durch die Zellmembran führt zu einer verlängerten Depolarisation der Membran und Myotonie.
  • Diagnostik3
    • Beruht primär auf typischem klinischem Bild und EMG-Befund.
    • Obligat genetische Diagnostik, falls differenzialdiagnostisch auch eine Natriumkanalerkrankung infrage kommt.

Periodische Lähmungen

  • Definition
    • Periodische Paralysen sind charakterisiert durch Lähmungsattacken, die auf einer transienten Unerregbarkeit der Skelettmuskelmembran beruhen.9
  • Klassifikation der dyskaliämischen periodischen Lähmungen9
    • hyperkaliämische periodische Paralyse mit oder ohne Myotonie
    • hypokaliämische periodische Lähmungen
      • familiäre hypokaliämische periodische Paralyse
      • familiäre normokaliämische periodische Paralyse
    • Andersen-Tawil-Syndrom
  • Es handelt sich um hereditäre Ionenkanalerkrankungen.3
  • Pathophysiologisch Muskelschwäche durch anhaltende Depolarisation der Muskelfasermembranen9 
  • Evtl. Herzrhythmusstörungen bei Lähmungsattacke durch ausgeprägte Hyper- oder Hypokaliämie9
  • Am häufigsten sind:
    • periodische hyperkaliämische Lähmung 
    • periodische hypokaliämische Lähmung.
Genetik und Diagnostik
  • Autosomal-dominanter Erbgang
    • Mutationen im Gen des Natriumkanals (Chromosom 17)3
    • Mutationen im Gen des Kaliumkanals3
  • Diagnostik9
    • Bestimmung von Serumkalium (zwischen und während Lähmungsattacken) und CK (häufig erhöht)
    • Ruhe- und Langzeit-EKG zum Ausschluss eines Long-QT-Syndroms
    • EMG
    • molekulargenetische Diagnostik

Andere erbliche Muskeldystrophien

Distale Muskeldystrophien – vorwiegend geprägt durch distale Paresen14

  • Hereditäre Einschlusskörpermyopathie
    • muskelbioptische Darstellung von Einschlüssen in Muskelfasern („Rimmed Vacuoles“)
    • Ansammlung im Kern oder im Zytoplasma
  • Muskeldystrophie Typ Welander
    • Beginnt distal in den Händen und Unterarmen
    • langsame Ausbreitung
    • Gendefekt auf Chromosom 2p13 lokalisiert
  • Finnische Tibialis-Myopathie
    • Akkumulation in Finnland, tritt aber auch außerhalb Nordeuropas auf.
    • Beginn in den Unterschenkeln
    • Gendefekt auf Chromosom 2q31 lokalisiert

Okulopharyngeale Muskeldystrophie

  • Krankheit beginnt meist mit Ptosis, später Ophthalmoplegie.
  • Dysphagie und spätere Paresen der Extremitäten sind möglich.
  • Wird durch GCG-Expansion verursacht.
    • Kann autosomal-dominant und autosomal-rezessiv vererbt werden.15
  • Diagnostik: molekulargenetische Untersuchung, Muskelbiopsie nur zur Differenzialdiagnose1

Leitlinie: Diagnostik der myotonen Dystrophien9

  • Obligat
    • klinische Untersuchung
    • Labor: CK, Transaminasen (GOT, GPT), GGT, Blutzucker, HBA1c, Schilddrüsenparameter (TSH)
    • EMG-Untersuchung: myotone Entladungsserien, myopathietypische EMG-Veränderungen
    • augenärztliche Untersuchung auf (myotone) Katarakt
    • molekulargenetische Untersuchung (CTG-Repeat-Expansion auf Chromosom 19q13.3 für DM1, oder CCTG Repeat-Expansionen auf Chromosom 3q21.3 für DM2)
    • genetische Beratung
    • EKG-Ableitung mit Langzeit-EKG
    • Lungenfunktionsprüfung
  • Fakultativ
    • Echokardiografie zum Ausschluss einer Kardiomyopathie (selten, 1–2 %)
    • Beurteilung der Blasenfunktion (Restharnsonografie)
    • Short- und Long-Exercise-Test
    • bei klinisch manifestem Hypogonadismus Bestimmung der Hormonwerte als Grundlage für eine mögliche Substitution
    • Kernspintomogramm der Muskulatur zur Statuserhebung
    • Durchführung einer neuropsychologischen Leistungstestung und eines Kernspintomogramms des Gehirns mit der Frage nach einer zerebralen Beteiligung
    • Bestimmung der Immunglobuline im Serum als ergänzender serologischer Parameter (bei ca. 50 % der Patient*innen Erniedrigung von IgG und/oder IgM)
    • Muskelbiopsie in unklaren Fällen

Leitlinie: Diagnostik der Chloridkanalmyotonien und Natriumkanalmyotonien9

Chloridkanalmyotonien

  • Obligat
    • klinische Untersuchung (Warm-up-Phänomen)
    • Labor: CK und Transaminasen. Die CK ist in der Regel um nicht mehr als das 5-Fache erhöht.
    • EMG-Untersuchung zum Nachweis myotoner Entladungsserien
    • Short- und Long-Excercise-Test
    • molekulargenetische Diagnostik bei Differenzialdiagnose Natriumkanalmyotonie und anschließende genetische Beratung
  • Fakultativ
    • in unklaren Fällen molekulargenetischer Ausschluss von DM1 und DM2 und evtl. Muskelbiopsie

Natriumkanalmyotonien – Paramyotonie

  • Obligat
    • klinische Untersuchung (paradoxe Myotonie, d. h. zunehmende Myotonie bei repetitiven Bewegungen)
    • EMG-Untersuchung mit Kühlung der Extremität
    • Short- und Long-Excercise-Test
    • Labor: CK und Transaminasen. Die CK ist häufig um mehr als das 2-Fache erhöht.
    • molekulargenetische Diagnostik wegen mutationsabhängiger Therapieempfehlung
    • genetische Beratung
  • Fakultativ
    • Muskelbiopsie in unklaren Fällen

Kaliumsensitive Natriumkanalmyotonien

  • Obligat
    • klinische Untersuchung
    • EMG-Untersuchung während muskulärer Steifigkeit, z. B. bei Myotonia fluctuans 20 min nach Beendigung körperlicher Tätigkeit mit Nachweis myotoner Entladungsserien bei normaler Temperatur
    • Short- und Long-Excercise-Test
    • Labor: CK und Transaminasen
    • molekulargenetische Diagnostik und genetische Beratung
  • Fakultativ
    • Muskelbiopsie bei unklarem molekulargenetischem Befund
    • Durchführung des sog. Kaliumbelastungstests bei geringer Ausprägung der Myotonie bei Myotonia fluctuans (Gabe von 1 Tbl. Kalinor Brause) unter intensivmedizinischer Überwachung, keinesfalls bei Myotonia permanens (die Kaliumbelastungstests werden im Zeitalter der genetischen Diagnostik kaum noch empfohlen)

Leitlinie: Diagnostik der dyskaliämischen periodischen Paralysen9

  • Obligat
    • Bestimmung des Serumkaliums (mehrfach interiktal und wenn möglich während einer Lähmungsattacke)
    • Ruhe-EKG zum Ausschluss eines Long-QT-Syndroms und ventrikulärer Arrhythmien
    • EMG-Untersuchung (Nachweis myotoner Aktivität spricht für hyper- und gegen hypokaliämische Form der Lähmung)
    • Short- und Long-Excercise-Test
    • Labor: Bestimmung der CK und der Transaminasen. Die CK ist häufig um mehr als das 2-Fache erhöht.
    • molekulargenetische Diagnostik in SCN4A und KCNJ2 (DD: hyperkaliämische periodische Paralyse bei Andersen-Syndrom, s. u.). Zur Erklärung des molekulargenetischen Befundes sollte eine genetische Beratung erfolgen.
  • Fakultativ
    • Langzeit- und Belastungs-EKG zum Ausschluss gehäufter ventrikulärer Arrhythmien
    • Muskelbiopsie bei unklarem molekulargenetischem Befund

Patienteninformationen

Patienteninformationen in Deximed

Selbsthilfeorganisation

Weitere Informationen

Quellen

Leitlinien

  • Deutsche Gesellschaft für Neurologie. Diagnostik von Myopathien. AWMF-Leitlinie Nr. 030-115. S1, Stand 2021. www.awmf.org
  • Deutsche Gesellschaft für Neurologie. Diagnostik und Differenzialdiagnose bei Myalgien. AWMF-Leitlinie Nr. 030-051. S1, Stand 2020. www.awmf.org
  • Deutsche Gesellschaft für Neurologie. Myotone Dystrophien, nicht dystrophe Myotonien und periodische Paralysen. AWMF-Leitlinie Nr. 030-055. S1, Stand 2017. www.awmf.org
  • Leitlinien zur molekulargenetischen Diagnostik der Muskeldystrophien Duchenne und Becker - Berufsverband Medizinische Genetik e. V. – Qualitätssicherung, Stand Oktober 2001. www.md-net.org

Literatur

  1. Deutsche Gesellschaft für Neurologie. Diagnostik von Myopathien. AWMF-Leitlinie Nr. 030-115. S1, Stand 2021. www.awmf.org
  2. Deutsche Gesellschaft für Neurologie. Diagnostik und Differenzialdiagnose bei Myalgien. AWMF-Nr. 030-051. Stand 2020. www.awmf.org
  3. Kottlors M, Glocker FX. Myopathien und neuromuskuläre Erkrankungen. In: Hufschmidt A, Lücking CH, Rauer S (Hrsg.): Neurologie compact; S. 547-563. Stuttgart - New York: Georg Thieme Verlag, 2013.
  4. Deutsche Gesellschaft für Muskelkranke. Muskeldystrophie Duchenne und Becker. Letzter Zugriff: 06.05.2021 www.dgm.org
  5. Trieloff I. Muskeldystrophie vom Typ Duchenne. Dtsch Arztebl 1990; 87: A 2818. www.aerzteblatt.de
  6. Müller CR, Grimm T, Bettecken T, et al. Leitlinien zur molekulargenetischen Diagnostik der Muskeldystrophien Duchenne und Becker - Berufsverband Medizinische Genetik e.V. – Qualitätssicherung. 7. Aufl. Okt. 2001. www.md-net.org
  7. Tawil R, Figlewicz DA, Griggs RC, Weiffenbach B. Facioscapulohumeral dystrophy: a novel distinct regional myopathy with a novel molecular pathogenesis. Ann Neurol 1998; 43: 279-82. pubmed.ncbi.nlm.nih.gov
  8. Funakoshi M, Goto K, Arahata K. Epilepsy and mental retardation in a subset of early onset 4q35-facioscapulohumeral muscular dystrophy. Neurology 1998; 50: 1791 - 4. PubMed
  9. Deutsche Gesellschaft für Neurologie. Myotone Dystrophien, nicht dystrophe Myotonien und periodische Paralysen. AWMF-Nr. 030-055, Stand 2017. www.awmf.org
  10. Schara U, Lutz S. Myotone Dystrophie Typ 1 (DM1) bei Kindern und Jugendlichen. eMedpadia, Zugriff 24.10.21. www.springermedizin.de
  11. Cummings CJ, Zoghbi HY. Trinucleotide repeats: mechanisms and pathophysiology. Annu Rev Genomics Hum Genet 2000; 1: 281 - 328. PubMed
  12. Gennarelli M, Novelli G, Bassi FA, Martorell L, Cornet M, Menegazzo E et al. Prediction of myotonic dystrophy clinical severity based on the number of intragenic CTGn trinucleotide repeats. Am J Med Genet 1996; 65: 342-7. pubmed.ncbi.nlm.nih.gov
  13. Meola G, Cardani R. Myotonic Dystrophy Type 2: An Update on Clinical Aspects, Genetic and Pathomolecular Mechanism. J Neuromuscul Dis 2015; 2: S59-S71. doi:10.3233/JND-150088 DOI
  14. Udd B, Griggs R. Distal myopathies. Curr Opin Neurol 2001; 14: 561 - 6. PubMed
  15. Brais B, Bouchard JP, Xie YG, Rochefort DL, Chretien N, Tome FM et al. Short GCG expansions in the PABP2 gene cause oculopharyngeal muscular dystrophy. Nat Genet 1998; 18: 164-7. pubmed.ncbi.nlm.nih.gov

Autor*innen

  • Michael Handke, Prof. Dr. med., Facharzt für Innere Medizin, Kardiologie und Intensivmedizin, Freiburg i. Br.
  • Die ursprüngliche Version dieses Artikels basiert auf einem entsprechenden Artikel im norwegischen hausärztlichen Online-Handbuch Norsk Elektronisk Legehåndbok (NEL, https://legehandboka.no/).

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