Rotatorenmanschettenläsion

Zusammenfassung

  • Definition:Teilweise (partielle) oder komplette Kontinuitätsunterbrechung von Sehnenfasern einer oder mehrerer Sehnen der Rotatorenmanschette.
  • Häufigkeit:Hohe Prävalenz, insbesondere von degenerativen Läsionen im Alter.
  • Symptome:Schmerzen und Bewegungseinschränkungen der Schulter.
  • Klinische Befunde:Verminderte Kraft und Beweglichkeit bei gezielter Untersuchung der einzelnen Sehnen der Rotatorenmanschetten.
  • Diagnostik:Anamnese und klinische Untersuchung. Röntgen als Basisdiagnostik, ergänzt durch Sonografie zur Darstellung der Sehnen. Bei therapeutischer Konsequenz (Evaluation Sehnenqualität und Defektgröße für mögliche OP-Indikation) MRT.
  • Therapie:In der Regel konservative Therapie mit Physiotherapie. Bei Patient*innen mit hohem Funktionsanspruch und guter Sehnenqualität (klassisch: junge Sportler*innen) operative Rekonstruktion des Defekts.

Allgemeine Informationen

Definition

  • Teilweise (partielle) oder komplette Kontinuitätsunterbrechung von Sehnenfasern einer oder mehrerer Sehnen der Rotatorenmanschette1

Häufigkeit

  • Häufige Ursache für Schmerzen in der Schulter2
  • Die Prävalenz symptomatischer Rupturen ist abhängig vom Alter:1
    • 3. Lebensjahrzehnt: 2,5 %
    • 4. Lebensjahrzehnt: 6 %
    • 5. Lebensjahrzehnt: 13 %
    • 6. Lebensjahrzehnt: 26 %
    • 7. Lebensjahrzehnt: 46 %
    • 8. Lebensjahrzehnt: 50 %.
  • Viele (vor allem degenerative) Rupturen bleiben jedoch auch asymptomatisch.
  • Die Sehne des M. supraspinatus ist die am häufigsten verletzte Sehne der Rotatorenmanschette.3

Klinische Anatomie

  • Siehe auch den Artikel Klinische Anatomie der Schulter.
  • Die Rotatorenmanschette besteht aus den vier Muskeln Supraspinatus, Infraspinatus, Teres minor und Subscapularis.
  • Die Rotatorenmanschette ist ein dynamischer Stabilisator für das Schultergelenk und sorgt für die Zentrierung des Humeruskopfs in der Gelenkpfanne.
  • Die einzelnen Muskeln der Manschette unterstützen jeweils verschiedene Bewegungen im Schultergelenk:
    • M. subscapularis: Innenrotation
    • M. supraspinatus: Abduktion
    • M. infraspinatus und M. teres minor: Außenrotation.

Ätiologie und Pathogenese

  • Verschiedene Faktoren können eine Rotatorenmanschettenläsion verursachen, meist besteht eine multifaktorielle Genese.
  • Häufigste Ursachen gemäß der deutschen Leitlinie1
    • extrinsische Tendopathie: z. B. bei Outlet-Impingement durch pathologischen Kontakt zwischen Akromion und Supraspinatus-Sehne
    • intrinsische Tendopathie: biologische Faktoren im Sinne der Sehnendegeneration
    • repetitive Mikrotraumen: häufig bei jungen Überkopfsportler*innen
    • Trauma: z. B. bei Schulterluxation
    • medikamentös/toxisch: Kortisoninjektion in Sehne
    • Infektionen: bakterielle Arthritis
    • Bestrahlung
    • Rauchen
    • Genetik

Prädisponierende Faktoren

  • Hohes Alter
  • Überkopf-Sportarten
  • Steroid-Injektionen in Sehnennähe
  • Kontaktsportarten
  • Berufe, die mit einer starken Beanspruchung der Schultern einhergehen.
  • Infektion
  • Bestrahlung
  • Rauchen
  • Genetische Disposition

ICPC-2

  • L08 Schultersymptomatik/-beschwerden
  • L81 Verletzung muskuloskelettär  

ICD-10

  • M75.1 Läsionen der Rotatorenmanschette

Diagnostik

Diagnostische Kriterien

  • Verdachtsdiagnose durch Anamnese und klinischen Befund
  • Röntgenuntersuchung als Basisdiagnostik (knöcherne Begleitverletzungen; Humeruskopfhochstand als Zeichen für Rotatorenmanschettenmassenruptur)
  • Ultraschall zur dynamischen Beurteilung der Sehnen
  • MRT nur bei therapeutischer Konsequenz (OP-Indikation ja/nein?)

Differenzialdiagnosen

Anamnese

Allgemein

  • Dominante Seite (Rechts-/Linkshänder*in)
  • Patientenalter
  • Sportliche Aktivität
  • Berufliche Tätigkeit
    • Aus diesen Angaben ergibt sich in der Regel der funktionelle Anspruch an die Schulter und damit auch das Therapieziel.

Spezifisch1

  • Trauma: ja/nein?
  • Unfallmechanismus/Stellung des Armes
  • Unfallzeitpunkt
  • Symptome
    • typisch: Schmerzen und Funktionseinschränkungen der Schulter
      • bei traumatischen Rupturen plötzlicher Beginn, bei degenerativen Rupturen schleichender Beginn
    • Die Ausprägung der Symptome lässt keinen Rückschluss auf die Größe der Ruptur zu.2
  • Bewegungseinschränkung?
  • Neurologische Symptome/Kraftminderung?
  • Vorschäden?
  • Prädisponierende Faktoren (s. o.)?

Klinische Untersuchungen

Inspektion

  • Atrophie in der Fossa supraspinata
    • Spricht für chronischen, schwer reparablen Riss der Supraspinatussehne (Atrophie in Fossa infraspinata entsprechend M. infraspinatus).
  • Atrophie des Deltamuskels
    • seltene Differenzialdiagnose

Palpation

  • Druckschmerzen am Tuberculum majus (in Retroversion des Armes, um Tuberculum majus vor dem Akromion besser palpieren zu können)
    • Anhalt für ansatznahe Läsion von Supraspinatus, Teres minor und/oder Infraspinatus (DD subakromiale Bursitis)
  • Druckschmerz am Tuberculum minus
    • bei Subscapularisläsionen
  • Druckschmerzen im Sulcus bicipitalis
    • Sprechen für eine Mitbeteiligung des langen Kopfes der Bizepssehne. 
  • Druckschmerzen am AC-Gelenk
    • Hinweis für ACG-Arthrose

Bewegungsprüfung

  • Wichtig ist die Unterscheidung der aktiven und passiven Beweglichkeit.
  • Passive Bewegungseinschränkung
    • Eingeschränkte passive Beweglichkeit, v. a. der Außenrotation, spricht für Reduktion des Kapselvolumens, d. h. Schultersteife.
    • Vermehrte passive Außenrotation spricht für eine Subscapularisläsion.
  • Aktive Bewegungseinschränkung
    • Kann schmerzbedingt oder durch Kraftverlust infolge Rotatorenmanschettenläsion verursacht sein.
    • Durch subakromiale Injektion mit einem Betäubungsmittel kann eine schmerzbedingte Bewegungseinschränkung ausgeschlossen werden.
  • Globale Prüfung des Bewegungsausmaßes
    • Schürzen-(Innenrotation) und Nackengriff (Außenrotation und Abduktion)
    • differenzierter nach Neutral-Null-Methode

Kraftbeurteilung

  • Spezifische Tests zur Kraftmessung der einzelnen Sehnen (Auswahl)
    • M. supraspinatus: Jobe-Test
      • Patientenarm in 90-Grad-Abduktion und 30-Grad-Horizontalflexion
      • Daumen Richtung Boden (Innenrotation im Schultergelenk)
      • Positiv: Patient*in kann leichten Druck durch Untersucher*in von kranial gegen Unterarm nicht halten oder empfindet Schmerzen.
    • M. infraspinatus: Hornblower-Zeichen
      • Patient*in soll Armbewegung bei Trinken aus Glas simulieren: Hand führt imaginäres Glas zum Mund.
      • Positiv: wegen fehlender Außenrotation hebt Patient*in Ellenbogengelenk höher als Hand an (Ausweichen in Innenrotation).
    • M. subscapularis: Lift-off-Test
      • Patient*in legt Handrücken auf lumbalem Rücken ab.
      • Untersucher*in gibt leichten Widerstand gegen die Handfläche.
      • Positiv: Patient*in kann Untersucher*in nicht wegdrücken (fehlende Kraft der Innenrotation).

Allgemeine klinische Untersuchung zur Differenzialdiagnostik

  • Periphere Durchblutung, Motorik und Sensibilität
  • Beurteilung der Halswirbelsäule

Ergänzende Untersuchungen in der Hausarztpraxis

  • Bei V. a. entzündliche (bakterielle oder rheumatische) Ursache: BB, CRP1

Diagnostik bei Spezialist*innen

Röntgen

  • Nativradiologische Basisdiagnostik in 3 Ebenen 
    • anteroposteriore Projektion, axiale Aufnahme und Outlet-Aufnahme1
    • Ausschluss knöcherner Begleitpathologien, Omarthrose 
    • bei Rotatorenmanschettenmassenruptur Humeruskopfhochstand

Ultraschall

  • Ist eine gute Untersuchungsmethode zur Beurteilung der Sehnenbeteiligung und ggf. Retraktion der Sehne.1

MRT

  • Wichtig zur OP-Planung: Beurteilbarkeit der fettigen Degeneration und Atrophie des Muskels1
    • wegen hoher Kosten bei fehlender therapeutischer Konsequenz nicht obligat

Indikationen zur Überweisung/Klinikeinweisung

  • Überweisung an Spezialist*innen
    • bei nicht ausreichender Wirkung einer konservativen Therapie
    • bei akutem Trauma zur Abwägung konservativer gegen operative Therapie, v. a. bei jüngeren Patient*innen, Sportler*innen oder sonstigen Personen mit hohem Funktionsanspruch an Schulter

Therapie

Therapieziele

  • Symptome lindern.
  • Funktion wiederherstellen.

Allgemeines zur Therapie

  • Insbesondere bei degenerativen Rotatorenenmanschettenläsionen ergibt die konservative Therapie gleich gute Ergebnisse wie die operative Therapie.4-7
  • Akute Rupturen, v. a. der Subscapularissehne, und Rupturen ohne Anzeichen von Humeruskopfkranialisierung und fortgeschrittener Atrophie sollten zeitnah operativ versorgt werden.1
    • Betrifft jedoch nur 5–10 % aller Fälle.
  • Wichtig: Asymptomatische Rotatorenmanschettenläsionen sollten nicht operativ versorgt werden.1

Konservative Therapie

  • In der Akutphase Schonung, Kühlen und ggf. Analgesie mit NSAR
    • z. B. Ibuprofen 600 mg 1–0–1
  • Anschließende Physiotherapie ist ein Grundpfeiler der konservativen Therapie.
    • Verbessert Funktion, Bewegungsausmaß und Kraft.1
    • Umfasst Bewegungstherapie (Dehnung, Krafttraining und skapuläre Stabilisationsübungen), manuelle Therapie und Eigenübungsprogramm.1
  • Subakromiale Infiltration von Kortison
    • Kann in Kombination mit Physiotherapie eingesetzt werden.1
    • Insbesondere begleitende Bursitiden lassen sich hiermit günstig beeinflussen.
    • Cave: Infiltration in Sehne sollte unbedingt vermieden werden!

Operative Therapie

  • Indikationen für eine operative Therapie1
    • akute Rupturen, v. a. der Subscapularissehne, und Rupturen ohne Anzeichen von Humeruskopfkranialisierung und fortgeschrittener Atrophie
  • Indikationen individuell abhängig von:1
    • der klinischen Symptomatik – Schmerz, Bewegungsausmaß, Funktion, Kraft
    • der Rupturmorphologie – Retraktionsgrad, fettiger Infiltration, Atrophie
    • dem funktionellen Anspruch
    • der perioperativen Compliance.
  • OP-Techniken
    • meist arthroskopische oder minimal-offene Rekonstruktion mit Naht der Rotatorenmanschette und ggf. zusätzlich subakromialer Dekompression (Abtragen von knöchernem Unterrand des Akromions)1
    • Minimal-offene oder arthroskopische Eingriffe scheinen von den Ergebnissen her gleichwertig zu sein.8
    • Cave: Ein Cochrane-Review von 2019 fand keinen Vorteil einer subakromialen Dekompression bei Patient*innen mit Erkrankungen der Rotatorenmanschette im Vergleich mit Sham-Operationen.9
  • OP-Zeitpunkt1
    • Die Chance, gesünderes Gewebe mit besserem Heilungspotenzial vorzufinden, liegt bei einer frühen Rekonstruktion.
    • Eine verzögerte Rekonstruktion von akuten Rotatorenmanschettenläsionen kann zu Sehnenretraktion, fettiger Degeneration und Atrophie der Muskulatur führen.
    • Eine operative Versorgung innerhalb von 3 Wochen nach dem Trauma führt zu besseren Ergebnissen.
  • Bei einer Massenruptur der Rotatorenmanschette kann eine inverse Schulterendoprothese zum Einsatz kommen.1

Postoperative Nachbehandlung

  • Postoperativ Anlage einer Orthese zur Immobilisation 
    • Die Dauer der Immobilisation beträgt in Abhängigkeit der Läsionsgröße (Partialruptur, komplette Ruptur, Massenruptur) und des durchgeführten Eingriffs 3–6 Wochen.1
  • Frühe passive Mobilisation; aktive Bewegungstherapie ab etwa der 3. postoperativen Woche1

Verlauf, Komplikationen und Prognose

Verlauf

  • Rotatorenmanschettenläsionen haben einen sehr individuellen Verlauf.
    • Zunahme der Rupturgröße in über 50 % der Patient*innen über einen Zeitraum von 2–3 Jahren1
    • Bei vielen Patient*innen, vor allem bei degenerativen Rupturen, bleiben die Läsionen jedoch asymptomatisch und sollten dann auch nicht behandelt werden.

Komplikationen

  • Schmerzhafte Bewegungseinschränkungen der Schulter bis hin zu vollständigem Funktionsverlust
  • Defektarthropathie (sekundäre Omarthrose) durch Humeruskopfhochstand
  • OP-Risiken, wie z. B. Blutungen, Infektionen, Wundheilungsstörungen
  • Re-Ruptur nach operativer Naht der Sehne
    • erhöhtes Risiko bei fortgeschrittenem Patientenalter und fettiger Degeneration der Sehnen
    • 17–28 % nach arthroskopischer Rekonstruktion1
  • Adhäsive Kapsulitis (Frozen Shoulder)
    • postoperative Inzidenz von 1,5–11 %1

Prognose

  • Eine sichere Prognose kann im Einzelfall nicht gegeben werden.
  • Größere Rupturen werden eher symptomatisch und zeigen häufiger eine Defektzunahme im Verlauf der Zeit.1
  • Konservative Therapie10
    • zufriedenstellendes Ergebnis bei 33–90 % der Patient*innen 
    • Die Zeit bis zu einem guten Ergebnis ist im fortgeschrittenen Alter höher.
  • Operative Therapie
    • in der Regel bessere Funktion als bei konservativer Therapie, unabhängig vom Alter10
    • langfristig jedoch hohes Risiko von Re-Rupturen, vor allem bei schlechter (fettiger) Sehnenqualität im höheren Alter1

Patienteninformationen

Patienteninformationen in Deximed

Quellen

Leitlinie

  • Deutsche Gesellschaft für Orthopädie und Orthopädische Chirurgie. Rotatorenmanschette. AWMF-Leitlinie Nr. 033-041. S2e, Stand 2017 (abgelaufen). www.awmf.org

Literatur

  1. Deutsche Gesellschaft für Orthopädie und Orthopädische Chirurgie. Rotatorenmanschette. AWMF-Leitlinie Nr. 033-041. S2e, Stand 2017 (abgelaufen). www.awmf.org
  2. Joneleit M, König U. Konservative Therapiemöglichkeiten der irreparablen Rotatorenmanschettenmassenruptur Arthroskopie (2014-02-01) 27: 21-25 , February 01, 2014. link.springer.com
  3. Bischoff H-P, Heisel J, Locher H. Praxis der konservativen Orthopädie Thieme- Verlag Stuttgart. 1. Auflage: 2007. S. 369ff
  4. Kukkonen J, Joukainen A, Lehtinen J, et al. Treatment of Nontraumatic Rotator Cuff Tears: A Randomized Controlled Trial with Two Years of Clinical and Imaging Follow-up. J Bone Joint Surg Am. 2015 Nov 4;97(21):1729-37. PubMed
  5. Moosmayer S, Lund G, Seljom U, et al. Comparison between surgery and physiotherapy in the treatment of small and medium-sized tears of the rotator cuff. J Bone Joint Surg Br 2010; 92: 83-91. PubMed
  6. Moosmayer S, Lund G, Seljom US, et al. Tendon repair compared with physiotherapy in the treatment of rotator cuff tears: a randomized controlled study in 103 cases with a five-year follow-up. J Bone Joint Surg Am. 2014 Sep 17;96(18):1504-14. PubMed
  7. Kukkonen J, Joukainen A, Lehtinen J, et al. Treatment of non-traumatic rotator cuff tears: A randomised controlled trial with one-year clinical results. Bone Joint J. 2014 Jan;96-B(1):75-81. pubmed.ncbi.nlm.nih.gov
  8. Morse K, Davis AD, Afra R, Kaye EK, Schepsis A, Voloshin I. Arthroscopic versus mini-open rotator cuff repair: a comprehensive review and meta-analysis. Am J Sports Med 2008; 36; 1824-8. pubmed.ncbi.nlm.nih.gov
  9. Karjalainen TV, Jain NB, Page CM, et al. Subacromial decompression surgery for rotator cuff disease. Cochrane Database Syst Rev. 2019 Jan 17;1:CD005619. doi:10.1002/14651858.CD005619.pub3. www.cochranelibrary.com
  10. Quintana EC. Rotator cuff injuries. Medscape, last updated Aug 02, 2021. emedicine.medscape.com

Autor*innen

  • Lino Witte, Dr. med., Arzt in Weiterbildung Allgemeinmedizin, Frankfurt a. M.
  • Die ursprüngliche Version dieses Artikels basiert auf einem entsprechenden Artikel im norwegischen hausärztlichen Online-Handbuch Norsk Elektronisk Legehåndbok (NEL, https://legehandboka.no/).

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