Vulvovaginaler Lichen planus

Zusammenfassung

  • Definition:Es handelt sich um eine entzündliche Autoimmunerkrankung in keratinisierter Haut und in den Schleimhäuten der Vulva.
  • Häufigkeit:Eine seltene Krankheit, die die höchste Prävalenz in der Altersgruppe von 50–60 Jahren zeigt.
  • Symptome:Die Symptome sind Juckreiz, Brennen, postkoitale Blutungen, Dyspareunie und Schmerzen.
  • Befunde:Blau-violette Erosionen, spiegelartig glatt, retikuläre, weiße oder blau-violette Papeln und Plaques.
  • Diagnostik:Als Zusatzuntersuchung kann eine Biopsie gemacht werden.
  • Therapie:Die Behandlung kann mit lokalen Kortisonpräparaten, Mitteln zur örtlichen Betäubung, topischen Calcineurinhibitoren oder Retinoiden erfolgen.

Allgemeine Informationen

Definition

  • Entzündliche Autoimmunerkrankung keratinisierter Haut und von Schleimhäuten von Mund, Ohren, Augen, Nase, Genital- und Gastrointestinaltrakt1
  • Unterteilung in 3 Subtypen:2
    1. erosiver Lichen planus (häufigste Variante)
    2. papulosquamöser Lichen planus
    3. hypertrophischer Lichen planus.

Häufigkeit

  • Höchste Inzidenz in der Altersgruppe zwischen 50 und 60 Jahren2
  • 2 % der Bevölkerung sind von der plaqueförmigen Form betroffen, die erosive Form tritt seltener auf.3
  • Der vulvovaginale Lichen planus ist rund 10-mal seltener als der Lichen sclerosus.2

Ätiologie und Pathogenese

  • Ursache unbekannt
  • Theorie: Der autoimmune Mechanismus führt zu aktivierten T-Zellen, die basale Keratinozyten angreifen.2,4
  • Bei genitalem Befall Assoziation zur Autoimmunthyreoiditis und Vitiligo

Disponierende Faktoren

  • Arzneimittel2
    • NSAID
    • Thiaziddiuretika
    • Betablocker

ICPC-2

  • X84 Vaginitis/Vulvitis

ICD-10

  • L43 Lichen ruber planus
    • L43.0 Lichen ruber hypertrophicus
    • L43.1 Lichen ruber pemphigoides
    • L43.2 Lichenoide Arzneimittelreaktion. 
    • L43.3 Subakuter Lichen ruber planus (aktiv) Lichen planus tropicus
    • L43.8 Sonstiger Lichen ruber planus
    • L43.9 Lichen ruber planus, nicht näher bezeichnet
  • L44 Sonstige papulosquamöse Hautkrankheiten

Diagnostik

Diagnostische Kriterien

  • Anamnese und klinischer Befund 
  • Diagnosesicherung durch Histologie 

Differenzialdiagnosen

  • Lichen sclerosus
  • Lichen simplex chronicus
    • Beschreibt die Lichenisierung der Vulva, die durch anhaltenden Juckreiz und Kratzen verursacht wird.
    • Die Haut zeigt sich lederartig verdickt.
    • Der Zustand wird als eine atopische Störung aufgefasst, die infolge von psychologischem Stress und Umweltfaktoren an normaler Haut auftreten kann.5
    • Bei der Untersuchung finden sich ein Erythem, lichenisierte Plaques und Exkoriationen. Auch Hypo- oder Hyperpigmentierung kann vorkommen. In den Hautfalten können sich lineare Fissuren befinden.
  • Schleimhautpemphigoid
  • Pemphigus vulgaris
  • Morbus Behçet
  • Entzündliche Vaginitis desquamativa
  • Lichenoide Arzneimittelreaktionen

Anamnese

  • Vulvovaginaler Juckreiz, Brennen, postkoitale Blutungen, Dyspareunie und Schmerzen4
  • Beim erosiven Lichen planus treten oft sehr schmerzhafte Schleimhautläsionen auf, die hauptsächlich im Mund und Vulvovaginalbereich vorkommen.

Klinische Untersuchung

Erosiver Lichen planus

  • Blau-violette Erosionen, spiegelartig glatt, retikuläre, weiße Papeln und Plaques
  • Bei fortschreitender Erkrankung Erosionen und Ulzerationen mit Zerstörung der Vulvaarchitektur
  • In bis zu 70 % der Fälle ist die Vagina betroffen, dort kann es zu Hämorrhagien, Adhäsionen, Desquamation und gelblichem Ausfluss kommen.4
  • Untersuchung mit Spekula ist schmerzhaft oder nicht möglich.
  • Superinfektionen mit Bakterien oder Pilzen können vorliegen.6

Papulosquamöser Lichen planus

  • Kleine, blau-violette, juckende Papeln mit weißlichen streifenartigen Veränderungen (Wickham-Streifung) auf keratinisierter Haut
  • Häufiger sind die Papeln schlecht demarkiert, rosa und nicht transparent.4

Hypertrophischer Lichen planus

Ergänzende Untersuchungen in der Hausarztpraxis

  • Orientierende Autoimmuntests bei Verdacht auf zugrunde liegende Autoimmunerkrankung
    • z. B. ANA und Anti-DNA sowie Schilddrüsenuntersuchungen (MAKTAKTRAK)
  • Hepatitis-C-Screening (umstritten)7

Diagnostik bei Spezialist*innen

  • Dermatologische Vorstellung mit Untersuchung des Integuments insbesondere auch der Kopfhaut2
  • Biopsie
    • Stanzbiopsie mit direkter Immunfluoreszenz vom Rand erodierten Gewebes4,8
    • Biopsie nicht im inflammatorischen Stadium2,9

Indikationen zur Überweisung

  • Überweisung zu Gynäkolog*in und Dermatolog*in

Therapie

Therapieziele

  • Progression verhindern (z. B. vaginale Adhäsionen) und Symptome lindern.

Allgemeines zur Therapie

  • Informieren ist ein wichtiger Teil der Behandlung.9
    • Ansprechrate auf die Therapie ca. 75 %
    • Erreichen einer Symptomfreiheit ca. 50 %2

Medikamentöse Therapie

  • Kortikosteroide (Klasse III–IV)
    • lokale Kortisonsalbe (bevorzugt) oder -creme
      • Anfangs täglich für 2–4 Wochen, danach 1- bis 2-mal pro Woche (z. B. Clobetasol propionat 0,05 % oder Mometason fuorat 0,1 % mit einer Dosierung von max. 30 g über 3 Monate)2
      • Bei Zunahme der Beschwerden Anzahl der wöchentlichen Anwendungen erhöhen.10-11
    • Die Behandlung schrittweise reduzieren.
    • vaginaler Befall: Vaginalzäpfchen mit Hydrokortison, Prednisolon-Suppositorien rektal oder Hydrokortison-Schaum2,9,12
  • Örtliche Betäubung
    • Lidocain
  • Topische Calcineurinhibitoren
    • Tacrolimus und Pimecrolimus2,9
  • Bei fehlendem Ansprechen lokaler Steroide Versuch einer systemischen Therapie (z. B. Prednison 40‒60 mg tgl. über 2‒4 Wochen)6 oder mit Retinoiden (Actitretin)2
  • Eine Erhaltungstherapie ist häufig notwendig.2

Weitere Therapien

  • Operative Therapie bei fortgeschrittenen Vernarbungen9

Verlauf, Komplikationen und Prognose

Verlauf

  • Die genitale Manifestation ist meist chronisch.
  • Ein Übergang in Lichen sclerosus ist möglich.
  • Die extragenitale Form kann nach wenigen Jahren ausheilen.

Komplikationen

  • Atrophie der Vulva, Verdrängung des Introitus und Stenosierung der Vagina
  • Lichen planus erosivus und Lichen hypertrophicus: 3 % Risiko hinsichtlich eines Plattenepithelkarzinoms
  • Lichen planus papulosquamosos ist kein Entartungsrisiko.2

Prognose 

  • Meist chronisch rezidivierende Erkrankung

Verlaufskontrolle

  • Regelmäßiges Follow-up bei Entartungsrisiko (je nach Subtyp)2,4,9,13

Patienteninformationen

Patienteninformationen in Deximed

Illustrationen

Quellen

Literatur

  1. O'Conell TX, Nathan LS, Satmary WA, Goldstein AT. Non-neoplastic epithelial disorders of the vulva. Am Fam Physician 2008; 77: 321-6. American Family Physician
  2. Dedes, Ioannis. Lichenoide Vulvaerkrankungen - Lichen sclerosus und Lichen planus: Differenzialdiagnostik und Behandlung. Gynäkologie 2019; 1: 11-16. www.rosenfluh.ch
  3. Aschoff R, Wozel G. Topical tacrolimus for the treatment of lichen simplex chronicus. J Dermatolog Treat 2007; 18(2): 115-7. pmid:17520470 PubMed
  4. Goldstein AT, Metz A. Vulvar lichen planus. Clin Obstet Gynecol 2005; 48: 818-23. PubMed
  5. Lynch PJ. Lichen simplex chronicus (atopic/neurodermatitis) of the anogential region. Dermatol Ther 2004; 17: 8-19. PubMed
  6. Moyal-Barracco M, Edwards L. Diagnosis and therapy of anogenital lichen planus. Dermatol Ther 2004; 17: 38-46. PubMed
  7. Lichen planus, Kuwer W, UpToDate, 2021 www.uptodate.com
  8. McPherson T, Cooper S. Vulval lichen sclerosus and lichen planus.. DermatolTher. 2010; 23(5): 523-532. doi:10.1111/j.1529-8019.2010.01355.x DOI
  9. Meijden et al. 2016 Euroopean guidelie for the management of vulval conditions. JEADV 2017; 31: 925-941. doi:10.1111/jdv.14096 DOI
  10. Cooper SM, Wojnarowska F. Influence of treatment of erosive lichen planus of the vulva on its prognosis. Arch Dermatol 2006; 142: 289-94. PubMed
  11. Goldstein AT, Parneix-Spake A, McCormick CL, Burrows LJ. Pimecrolimus cream 1% for treatment of vulvar lichen simplex chronicus: an open-label, preliminary trial. Gynecol Obstet Invest 2007; 64: 180-6. PubMed
  12. Anderson M, Kutzner S, Kaufman RH. Treatment of vulvovaginal lichen planus with vaginal hydrocortisone suppositories. Obstet Gynecol. 2002; 100: 359-62. PubMed
  13. Derrick EK, Ridley CM, Kobza-Black A, McKee PH, Neill SM. A clinical study of 23 cases of female anogenital carcinoma. Br J Dermatol 2000; 143: 1217-23. PubMed

Autor*innen

  • Claudia Wengert, Dr. med., Fachärztin für Innere Medizin, Geriatrie und Palliativmedizin, Hamburg
  • Die ursprüngliche Version dieses Artikels basiert auf einem entsprechenden Artikel im norwegischen hausärztlichen Online-Handbuch Norsk Elektronisk Legehåndbok (NEL, https://legehandboka.no/).

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