Systemische Mykose

Zusammenfassung

  • Definition:Pilzinfektion, die sich über Blutbahn auf gesamten Organismus ausbreiten kann.
  • Häufigkeit:Inzidenz etwa 6:100.000 Personen, vor allem immunsupprimierte und Intensivpatient*innen betroffen.
  • Symptome:Abhängig von betroffenen Organen und Erkrankungsbild. 
  • Befunde:Schwer kranke, in der Regel immunsupprimierte Patient*innen. Oft Antibiotika-resistentes Fieber.
  • Diagnostik:Mikrobiologischer oder mikroskopischer Erregernachweis. Schnittbildgebung zur Lokalisierung des Infektfokus.
  • Therapie:Antimykotika über mehrere Wochen. Ggf. chirurgische Sanierung des Infektfokus.

Allgemeine Informationen

Definition

  • Synonym: invasive Mykose
  • Pilzinfektion, die sich über Blutbahn auf gesamten Organismus ausbreiten kann.
  • Wichtige Ursache von Morbidität und Letalität abwehrgeschwächter und hospitalisierter Patient*innen1
  • Siehe auch separate Artikel zu Aspergillose, Aktinomykose, Pneumocystis-Pneumonie, Kryptokokkose.

Einteilung

  • Relevante invasive Mykosen wird fast immer durch Erreger aus den folgenden Gruppen ausgelöst.2
  • Fadenpilze
    • Aspergillus
    • Mucororales
    • Fusarium
  • Hefepilze
    • Candida
    • Kryptokokkus

Häufigkeit

  • Häufigste invasive Mykosen in Deutschland: Candida-Infektionen, Aspergillosen, Mucormykosen und Fusariosen3
  • Inzidenz invasiver Mykosen in Frankreich etwa 6:100.000 Einw.4
  • Daraus für Deutschland abgeleitete Inzidenzen der beiden häufigsten Erreger:3
    • Anzahl invasiver Candida-Infektionen: 2.000–12.000 pro Jahr
    • Anzahl invasiver Aspergillosen: 1.000–5.000 pro Jahr.
  • In Deutschland bis zu 6,5 % aller Blutstrominfektionen auf Intensivstationen auf Candida zurückzuführen.5
    • Candida albicans häufigster Subtyp, gefolgt von Candida glabrata.1
  • Invasive Pilzinfektionen nur in 50 % der Fälle zu Lebzeiten der Patient*innen diagnostiziert.
    • eine der häufigsten übersehenen Todesursachen bei Intensivpatient*innen3
  • Anzahl und Heterogenität der Risikopatient*innen für invasive Pilzinfektionen stetig zunehmend3
    • In Europa wurde z. B. die Zahl der Stammzelltransplantationen zwischen 2000 und 2016 nahezu verdoppelt.

Ätiologie und Pathogenese

  • Insbesondere Hefepilze der Gattung Candida kommen regelhaft als Kommensale auf Haut und Schleimhäuten vor.1
  • Invasive Infektionen entstehen überwiegend als endogene Infektion bei bestehender Kolonisation von Haut bzw. Schleimhäuten.1
  • Besonders gefährdet sind Patient*innen mit supprimiertem Immunsystem (siehe Abschnitt Prädisponierende Faktoren).

Prädisponierende Faktoren

  • Generelle Risikofaktoren für systemische Mykosen:3
    • angeborene oder erworbene Immundefekte 
    • lang dauernde (> 10 Tage) tiefe Granulozytopenie (< 0,5 x 109/L)
    • allogene Stammzelltransplantation
    • medikamentöse Immunsuppression oder Prednisontherapie
    • Diabetes mellitus.
  • Spezielle Risikofaktoren für Fadenpilz-Infektionen, u. a.:2
    • Exposition gegenüber Schimmelpilzen (Bautätigkeit, Pflanzenerde, Nahrungsmittel)
    • chronische Lungenerkrankungen.
  • Spezielle Risikofaktoren für Hefepilz-Infektionen, u. a.:1
    • Anlage zentralvenöser Katheter
    • parenterale Ernährung
    • langdauernder Einsatz von Breitspektrum-Antibiotika
    • akutes Nierenversagen oder chronische Dialyse
    • komplizierte abdominalchirurgische Eingriffe (in der Regel nach Hohlorganperforation)
    • Kolonisation von mehr als einer Schleimhautregion.

ICPC-2

  • A78 Infektionskrankheit IKA

ICD-10

  • B37 Candidose
    • B37.1 Candidose der Lunge
    • B37.5 Candida-Meningitis
    • B37.6 Candida-Endokarditis
    • B37.7 Candida-Sepsis
  • B44 Aspergillose
    • B44.0 Invasive Aspergillose der Lunge
    • B44.7 Disseminierte Aspergillose
  • B48 Sonstige Mykosen, anderenorts nicht klassifiziert
    • B48.7 Mykosen durch opportunistisch-pathogene Pilze

Diagnostik

Diagnostische Kriterien

  • Die sichere und frühzeitige Diagnose invasiver Pilzinfektionen stellt eine zentrale Herausforderung im klinischen Alltag dar und ist die Grundlage für eine gezielte Therapie.3
  • Kriterien für Diagnose6
    • Patient*innen-individuelle Risikofaktoren (host factors)
    • klinische Zeichen und Symptome
    • mikrobiologische Befunde und Gewebediagnostik
  • Zusätzlich Bildgebung (besonders Schnittbildgebung)3

Differenzialdiagnosen

  • Bakterielle und virale Infektionen
  • Opportunistische Erreger bei Patient*innen mit geschwächtem Immunsystem (z. B. Parasiten)

Anamnese

  • Erfassen von Risikofaktoren, u. a.:
    • Immunsuppressive Therapie?
    • Diabetes mellitus?
    • Vorangegangene Pilzinfektion?
    • Vorangegangene Behandlung mit Breitspektrum-Antibiotika?
      • meist ohne Effekt; persistierendes Fieber unter Antibiose
    • Chronische Lungenerkrankung?
    • Z. n. Stammzelltransplantation?
    • Bekannte Immundefekte?
    • HIV-Erkrankung?
    • Bekannte Kolonisation?
    • Exposition gegenüber Schimmelpilzen, z. B. Pflanzenerde?

Klinische Untersuchung

  • Abhängig von der zugrunde liegenden Erkrankung und vom aktuellen Krankheitsbild
  • Suche nach apparenten oberflächlichen Mykosen
    • Nägel und Füße
    • Mundraum (weißliche Beläge bei oraler Kandidose)

Diagnostik bei Spezialist*innen

  • Im Krankenhaus gezielte Kombination diagnostischer Maßnahmen zum Nachweis invasiver Pilzinfektionen6
    • Mikroskopie
      • Gewebeproben nicht nur kulturell, sondern auch mikroskopisch untersuchen.
    • Pilzkulturen
      • von allen entnommenen Proben (Blut, Urin, Sputum, BAL, Gewebe)
    • Antigen- und Antikörper-Nachweis
      • keine routinemäßige Untersuchung auf Antikörper von Candida oder Aspergillus empfohlen
      • Nachweis von zirkulierendem (1,3-)Beta-D-Glucan aus Zellwand von Candida mit geringem positiv-prädiktiven, aber hohem negativ-prädiktiven Wert (für Ausschluss Pilzinfektion)1
    • molekulare Diagnostik
      • Einsatz von PCR zum Nachweis von Aspergillus-DNA bei Hochrisiko-Patient*innen empfohlen
    • Bildgebung3
      • Infektionen des Respirationstrakts: CT
      • Infektionen des ZNS: MRT
      • abdominelle Infektionen: CT, MRT oder ggf. Sonografie
    • Endoskopie
      • Bronchoskopie mit bronchoalveolärer Lavage zur Abklärung bronchopulmonaler Infiltrate
      • Ösophagogastroduodenoskopie (vorzugsweise mit Biopsie) bei Patient*innen mit V. a. Soorösophagitis, die nicht auf empirische antimykotische Therapie ansprechen.
    • Biopsie
      • Wenn klinisch vertretbar, Entnahme von Biopsien von verdächtigen Läsionen (Haut, Organbefunden)

Indikation zur Krankenhauseinweisung

  • Bei V. a. systemische Mykose Einweisung ins Krankhaus

Therapie

Therapieziel

  • Sanierung der Pilzinfektion

Allgemeines zur Therapie

  • Vor Einleitung einer antimykotischen Therapie höchstmögliche Evidenz zum Nachweis invasiver Pilzinfektion anstreben, ohne den Therapiebeginn zu verzögern.6
  • Klinisch etabliert: empirische antimykotische Therapie bei Hochrisikopatient*innen mit persistierendem Fieber über ≥ 72–96 Stunden2
  • Zur Verfügung stehen 4 Substanzklassen systemisch wirksamer Antimykotika1
    • Polyene
      • u. a. Amphotericin B
    • Azole
      • u. a. Fluconazol, Voriconazol
    • Echinocandine
      • u. a. Caspofungin
    • Nucleosidanaloga
      • Pyrimidin-Derivat 5-Flucytosin
      • Verwendung nur in Kombination mit anderen Antimykotika, da schnelle Resistenzentwicklung droht.
  • Substanzwahl und Applikationsart (oral, intravenös) abhängig von Patient*in (Alter, Vorerkrankungen, Unverträglichkeiten, etc.), Erreger (Resistenzen), Organbeteiligung und Schweregrad der Erkrankung (Sepsis?).
  • Im Folgenden werden empirischen Therapieempfehlungen für die beiden häufigsten systemischen Mykosen genannt.

Medikamentöse Therapie

Candidämie

  • Häufigste Form der invasiven Candida-Mykose1

S1-Leitlinie: Therapie der Candidämie1

  • Substanzen der 1. Wahl
    • Anidulafungin (200 mg Loading-Dose, dann weiter mit 100 mg/d i. v.)
    • Caspofungin (70 mg Loading-Dose, dann weiter mit 50 mg/d i. v.)
    • Micafungin (100 mg/d i. v. ohne Loading-Dose)
  • Alternativ bei Kontraindikationen, Unverträglichkeit oder Resistenzen
    • Liposomales Amphotericin B (3–5 mg/kg KG 1 x tgl. i. v.)
    • Voriconazol (2 x 6 mg/kg/d als Loading-Dose am Tag 1, dann weiter mit 2 x 4 mg/kg/d i. v.)
  • Fluconazol als Initialtherapie bei kritisch kranken Patient*innen nicht empfohlen
  • Dauer
    • Mindesttherapiedauer von 14 Tagen nach letzter positiver oder erster negativer Blutkultur
    • längere Therapie bei disseminierter Candidose mit Organbeteiligung
  • Abschlussuntersuchung
    • vor Therapieende Fundoskopie bevorzugt durch Ophthalmolog*in zum Ausschluss von Chorioretinitis oder Endophthalmitis

Invasive Aspergillose

  • Therapie der Wahl3
    • Voriconazol oder Isavuconazol
    • Dauer im Regelfall 6–12 Wochen
  • Zusätzlich zur operativen Therapie chirurgische Sanierung erwägen.
  • Mögliche supportive Maßnahmen3
    • Gabe von Granulozyten-Kolonie-stimulierendem Faktor (G-CSF)
    • bei langanhaltender Granulozytopenie Granulozytentransfusionen

Prävention

  • Antimykotische Prophylaxe bei Hochrisikopatient*innen
    • insbesondere bei (allogener) Stammzelltransplantation und Induktionstherapie bei MDS oder AML7

Verlauf, Komplikationen und Prognose

Verlauf

  • Systemische Mykosen erfordern eine lange intravenöse antimykotische Therapie.
  • Patient*innen regelhaft schwer vorerkrankt und somit stark gefährdet für letalen Verlauf

Komplikationen

  • Disseminierung der Infektion mit multiplem Organbefall

Prognose

  • Sterblichkeit von Patient*innen mit invasiver Mykose 27,6 %4
  • Die Prognose ist abhängig von:1
    • dem frühen und adäquaten Therapiebeginn
    • rascher Fokussanierung
    • der Schwere des Krankheitsbildes
    • der Grunderkrankung
    • dem Grad der Immunsuppression
    • dem Alter der Patient*innen
    • der Nierenfunktion.

Patienteninformationen

Patienteninformationen in Deximed

Quellen

Leitlinie

  • Paul-Ehrlich-Gesellschaft für Chemotherapie e. V. (PEG) und Deutschsprachige Mykologische Gesellschaft e. V. (DMykG). Diagnostik und Therapien von Candida-Infektionen. AWMF-Leitlinie Nr. 082-005. S1, Stand 2020. www.awmf.org

Literatur

  1. Paul-Ehrlich-Gesellschaft für Chemotherapie e.V. (PEG) und Deutschsprachige Mykologische Gesellschaft e.V. (DMykG). Diagnostik und Therapien von Candida-Infektionen. S1, AWMF-Leitlinie Nr. 082-005. Stand 2020. www.awmf.org
  2. Onkopedia: Ruhnke M, Cornely OA, Schmidt-Hieber M, et al. Invasive Pilzinfektionen - Therapie. Stand 2020. www.onkopedia.com
  3. Lilienfeld-Toal M, Wagener J, Einsele H, et al. Invasive Pilzinfektionen. Dtsch Arztebl Int 2019; 116: 271-8. www.aerzteblatt.de
  4. Bitar D, Lortholary O, Le Strat Y, et al. Population-Based Analysis of Invasive Fungal Infections, France, 2001–2010. Emerg Infect Dis 2014; 20(7): 1149-55. www.ncbi.nlm.nih.gov
  5. Meyer E, Geffers C, Gastmeier P, et al. No increase in primary nosocomial candidemia in 682 German intensive care units during 2006 to 2011. Euro Surveill 2013; 18(24): 20505. pubmed.ncbi.nlm.nih.gov
  6. Onkopedia: Ruhnke M, Behre G, Buchheidt D, et al. Invasive Pilzinfektionen - Diagnostik. Stand 2019. www.onkopedia.com
  7. Onkopedia: Mellinghoff S, Alakel N, Behre G et al. Antimykotische Primärprophylaxe bei Patienten mit hämatologischen Neoplasien. Stand 2018. www.onkopedia.com

Autor*innen

  • Lino Witte, Dr. med., Arzt in Weiterbildung, Innere Medizin, Frankfurt
  • Dirk Nonhoff, Dr. med., Arzt für Allgemeinmedizin, Köln
  • Die ursprüngliche Version dieses Artikels basiert auf einem entsprechenden Artikel im norwegischen hausärztlichen Online-Handbuch Norsk Elektronisk Legehåndbok (NEL, https://legehandboka.no/).

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