Oxyurasis (Madenwürmer)

Zusammenfassung

  • Definition:Befall des Darmes mit Madenwürmern.
  • Häufigkeit:Kommt häufig vor, v. a. bei Kindern in Gemeinschaftseinrichtungen.
  • Symptome:Das typische Symptom ist nächtlicher perianaler Juckreiz.
  • Befunde:Der Wurm ist rund um den Anus zu finden, die Eier befinden sich auf der perianalen Haut.
  • Diagnostik:Mikroskopie eines Abklatsch-Klebestreifen.
  • Therapie:Anthelminthikum.

Allgemeine Informationen

Definition

  • Der Madenwurm (Enterobius vermicularis, Oxyuris vermicularis) ist ein humanpathogener intestinaler Parasit.1
  • Der symptomatische Befall wird als Enterobiose (Enterobiasis, Oxyuriasis) bezeichnet.1
  • Das typische Symptom ist nächtlicher perianaler Juckreiz ohne Bauchschmerzen oder Auswirkungen auf den Allgemeinzustand.
  • Der Mensch ist der einzige natürliche Wirt für diesen Parasiten.

Häufigkeit

  • Weltweit sind schätzungsweise 1 Mrd. Menschen mit Enterobius vermicularis infiziert.1
  • In einer Studie im Großraum Berlin wurde eine Verdoppelung der Fälle im Zeitraum 2007–2017 nachgewiesen: von 12,7 % auf 23,6 %.1
  • Alter
    • Tritt am häufigsten bei Schulkindern im Alter von 4–11 Jahren auf und ist verhältnismäßig ungewöhnlich bei Kindern unter 2 Jahren.1
  • Er wird leicht übertragen und verbreitet sich meist schnell innerhalb von Familien und in Gemeinschaftseinrichtungen (Kindergarten, Schule, Hort).

Ätiologie und Pathogenese

  • Enterobius vermicularis (Oxyuris): humanpathogener Parasit, gehört zum Stamm der Fadenwürmer (Nematoden).1
  • Weibchen: 9–12 mm x 0,5 mm, Männchen 3–5 mm (mit bloßem Auge noch zu erkennen)1
    • rundliche Gestalt, wurmförmig kriechende Fortbewegung, weiß-beige Färbung
    • Kopf abgerundet, muskulärer Ösophagus mit Bulbus
    • Die Eier sind 50–60 µm groß.
  • Die Parasiteneier können außerhalb des Körpers mehrere Tage überleben, vor allem bei hoher Feuchtigkeit. Sie sind so klein, dass sie nur mit dem Mikroskop zu sehen sind.
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    Enterobius vermicularis
  • Der Mensch ist der einzige Wirt, in ihm können Populationen von einigen wenigen bis zu mehreren 100 Würmern leben.
  • Die Eier werden auf der perianalen Haut abgelegt und führen dort zu Juckreiz. Wenn das Kind sich kratzt, werden die Eier auf die Finger übertragen und so weiter verbreitet.2

Lebenszyklus des Wurms

  • Der Abschnitt basiert auf dieser Referenz.1
  • Der erwachsene Wurm lässt sich im Blinddarm und den angrenzenden Darmregionen nieder und saugt sich an der Schleimhautoberfläche fest.
  • Die Weibchen wandern aktiv bis zum Anus und legen die befruchteten Eier auf der perianalen Haut ab, normalerweise nachts.
  • Durch Kratzen im Analbereich und Finger-Mund-Kontakte erfolgt die orale Autoinokulation der infektionsfähigen Eier.
    • Auch eine Retroinfektion ist möglich, wenn die Larven in der perianalen Haut schlüpfen und über den Anus in den Dickdarm migrieren.
  • Innerhalb weniger Stunden reifen die Eier zu Larven, die im Duodenum schlüpfen, dann innerhalb von 2–6 Wochen zu adulten Würmern reifen und weiter bis zum Zäkum wandern.
  • Außerhalb eines Wirts können die Eier 2–3 Wochen lang überleben.
  • Erwachsene Weibchen überleben etwa 3 Monate.

Ansteckung

  • Durch Kratzen im Analbereich und Finger-Mund-Kontakte
  • Die Eier haften besonders gut unter den Fingernägeln und können so auf andere Gegenstände oder Kleidung übertragen werden und mit den Händen anderer Familienmitglieder in Kontakt kommen.1
    • Auch ein Luftübertragung ist möglich, aber selten.
  • Eine Autoinfektion über kontaminierte Finger kommt häufig vor. Auch ist eine Ansteckung über Kleidung und Bettwäsche auf Finger, Mund und den Darm möglich.1
  • Eine Ausbreitung innerhalb von Familien kommt häufig vor.1
  • Experimentell sind Eier bei Raumtemperatur nach 5 Tagen nicht mehr infektiös.1

Prädisponierende Faktoren

  • Der Abschnitt basiert auf dieser Referenz.1
  • Enge soziale Kontakte
  • In-den-Mundnehmen von Spielzeug und Schreibutensilien
  • Fingernägelkauen
  • Anus-Finger-Mund-Kontakte
  • Kratzen im Analbereich
  • Selbständige unbeaufsichtigte Körperpflege bei Kindern
  • Niedrige Compliance beim Händewaschen vor dem Essen

ICPC-2

  • Würmer / andere Parasiten

ICD-10

  • B80 Enterobiasis

Diagnostik

Diagnostische Kriterien

  • Typische Anamnese und typischer klinischer Befund

Differenzialdiagnosen

Anamnese

  • 40 % der Betroffenen sind oligo- oder asymptomatisch.1
  • Wenn es nicht zur Autoinfektion kommt, ist der Wurmbefall aufgrund der begrenzten Lebensdauer der adulten Würmer selbstlimitierend.1
  • Leitsymptom: Abendlicher und nächtlicher analer Juckreiz, z.T. mit der Folge von:
    • Schlafstörungen
    • kindlicher Enuresis (in bis zu 53 % der Fälle)
    • Konzentrationsstörungen am Tage1
    • Rastlosigkeit und Reizbarkeit bei Kindern.4
  • Beobachtung des Wurms auf dem Stuhl oder rund um den Anus durch die Betroffenen oder deren Eltern
  • Ggf. in Folge des Kratzens Ulzerationen mit bakterieller Superinfektion oder Ekzem1
  • Bei Mädchen/Frauen selten Migration bis in die Scheide mit konsekutiver Vulvovaginitis
  • Erwachsene Madenwürmer werden mitunter in Appendektomiepräparaten gefunden, ein kausaler Zusammenhang zwischen der Infektion mit Enterobius vermicularis und der Blinddarmentzündung konnte bisher nicht hergestellt werden.5

Klinische Untersuchung

  • Ggf. Erythem, Exzem oder Exkoriation im Bereich der Perianalregion
  • Irritation der Vulva bei Mitbeteiligung
  • Ggf. sind aus dem Anus migrierende Würmer sichtbar, meist jedoch nur nachts.2
    • Auch an Bett- oder Unterwäsche werden mitunter die adulten Würmer entdeckt.1

Ergänzende Untersuchungen

  • Der Abschnitt basiert auf dieser Referenz.1
  • Der Mikroskopische Nachweis von Eiern ist diagnosesichernd.
    • Weitere Untersuchungen haben keine Bedeutung.

Probeentnahme

  • Patient*innen drücken morgens nach dem Aufstehen einen Klebestreifen mit der Klebeseite auf die perianale Haut. Dieser wird auf einen Objektträger gelegt und mit 100-mal Vergrößerung mikroskopiert.
  • Unter dem Mikroskop ist üblicherweise eine große Menge der charakteristischen Eier zu sehen.
  • Die Eier sind 50 x 25 µm groß und auf der einen Seite asymmetrisch abgeflacht. Das verleiht ihnen ihr charakteristisches bohnenförmiges Aussehen.
  • Die diagnostische „Ausbeute“ ist am größten, wenn die Probe nachts oder morgens direkt vor dem Toilettenbesuch, Waschen oder Baden gewonnen wird.
  • Um die Sensitivität zu erhöhen, können wiederholte Tests notwendig sein, da eine einzelne Probe nur in etwa 50 % der Fälle Eier nachweist. Drei Proben erhöhen die Sensitivität auf 90 %.
  • Eine Stuhluntersuchung ist wenig sinnvoll, da die Eier nicht innerhalb des Darms abgelegt werden.

Indikation zur Überweisung

  • Bei Kindern unter 2 Jahren sollte die Therapie mit pädiatrischen Infektiolog*innen abgestimmt werden.2
  • Bei extraintestinalem Befall Überweisung an ein infektiologisches Zentrum zur systemischen Therapie1

Therapie

Therapieziel

  • Ausrottung des Wurmbefalls

Allgemeines zur Therapie

  • Medikamentöse Behandlung
  • Größere kontrollierte Studien zu den einzelnen Therapeutika und Therapiedurchführungen fehlen.1
  • Reinfektion
    • Auch wenn die Behandlung wirksam war, ist eine Reinfektion wahrscheinlich.
    • Die gleichzeitige Behandlung aller Familienmitglieder reduziert das Risiko einer erneuten Infektion.
  • Sorgfältige Hygiene, um eine Verbreitung zu verhindern.

Empfehlungen für Patient*innen

  • Zur Vermeidung von Reinfektionen oder Autoinfektionen sollte Folgendes empfohlen werden:
    • Die Fingernägel kurz schneiden und täglich reinigen.
    • Vor jeder Mahlzeit und nach jedem Toilettengang die Hände gründlich waschen.
    • Täglich baden/duschen und das Gesäß waschen.
    • Handtücher, Bettwäsche und Unterwäsche bei 60–95 °C und Kleidung und Kuscheltiere bei 60 °C waschen.
    • Betten dürfen nicht aufgeschüttelt werden (Gefahr der Inhalation von Wurmeiern).
    • Schlafräume staubsaugen, Toiletten und Türklinken reinigen.
    • Kratzen im Anogenitalbereich vermeiden.1
    • Intimbereich täglich waschen („von vorne nach hinten“).1
    • Regelmäßig Unterwäsche und Schlafanzüge wechseln.1
    • Handtücher und Waschlappen nicht gemeinsam benutzen.1
    • Nicht Nägel kauen.1

Medikamentöse Therapie

Anthelminthikum

  • Mebendazol
    • Ist sowohl adultizid als auch ovizid, deswegen als am effektivsten angesehen.1
    • Wird bei oraler Gabe nur zu 7 % resorbiert, das Risiko systemischer Nebenwirkungen entsprechend gering und bei rein intestinalem Befall vorteilhaft.
  • Mebendazol ist auch bei Schwangeren (bei sorgfältiger pränataler Überwachung) und Stillenden die 1. Wahl.1
    • Laut www.embroytox.de darf Mebendazol während der gesamten Schwangerschaft angewendet werden.6
  • Mebendazol Tbl./Suspension
    • Kinder ab 2 Jahren und Erwachsene: 1 Tbl. (100 mg) oder 5 ml Mixtur (in Deutschland nicht erhältlich) als Einmaldosis, laut internationalen Empfehlungen1,7
      • Die Fachinformation in Deutschland empfiehlt 1 Tbl. (100 mg) über 3 Tage für Kinder ab 2 Jahren.8
      • Vergleichsstudien über die Therapieregime liegen nicht vor.
    • Die Behandlung wird nach 2 Wochen und dann noch einmal nach 4 Wochen nach Erstgabe wiederholt.1
    • Nach 2 Dosen innerhalb von 2 Wochen werden Heilungsraten von > 90 % erreicht.2
  • Pyrantel (Tbl./Suspension)
    • ab einem Alter von 6 Monaten
    • 10 mg pro kg KG einmalig (laut deutscher Fachinformation)9
    • Internationalen Empfehlungen zufolge nach 2 Wochen zu wiederholen.7
  • Pyrvinium (Dragees oder Suspension, 50 mg)
    • Kinder ab 1 Jahr und Erwachsene: 1 Tbl. pro 10 kg Körpergewicht als Einmaldosis (max. Dosierung 8 Tbl. bzw. 400 mg)10
    • Wird nach 2 Wochen wiederholt.
    • Lässt sich auch in der Schwangerschaft sicher anwenden (www.embroytox.de, laut Fachinformation nur bei dringlicher Indikation und Kontraindikationen für besser dokumentierte Alternativen).10
    • Pyrvinium färbt den Stuhl rot.
  • Bei therapierefraktären Fällen: wiederholte Behandlungen für alle Haushaltsmitglieder über 16 Wochen alle 14 Tage als Einmalgabe mit Mebendazol1

Komplikationen

  • In Einzelfällen wurden extraintestinale Befallsmuster im Bereich von Vagina, Harnblase, Peritoneum, Niere, Leber und Auge berichtet.1

Prävention

  • Besonders bei chronisch rezidivierendem Befall empfiehlt es sich, alle (auch asymptomatische) Haushaltsmitglieder und Sexualpartner*innen simultan zu behandeln.1
  • Besuch von Gemeinschaftseinrichtungen
    • Nach Beginn der Behandlung kann das Kind in die Gemeinschaftseinrichtung zurückkehren. Es ist nicht notwendig, bei einem nachgewiesenen Einzelfall bei einem Kind alle Kinder in einer Kita zu behandeln.

Patienteninformationen

Patienteninformationen in Deximed

Illustrationen

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Oxyuriasis (mit freundlicher Genehmigung von endoskopiebilder.de, Immanuel Albertinen Diakonie gGmbH, Hamburg)
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Enterobius vermicularis

Quellen

Leitlinien

  • Deutsche Dermatologische Gesellschaft (DDG). Analer Pruritus. AWMF-Leitlinie Nr. 013-063. S1, Stand 2020. www.awmf.org

Literatur

  1. Wendt S, Trawinski H, Schubert S et al. The Diagnosis and Treatment of Pinworm Infection. Dtsch Arztebl Int 2019; 116: 213-19. pmid:31064642. www.ncbi.nlm.nih.gov
  2. Smith MJ. Pinworm infection. BMJ Best Practice, last updated July 08, 2021. bestpractice.bmj.com
  3. Deutsche Dermatologische Gesellschaft (DDG). Analer Pruritus. AWMF-Leitlinie Nr. 013-063. S1, Stand 2020. www.awmf.org
  4. Huh S. Pinworm. emedicine.medscape, 2022 emedicine.medscape.com
  5. Sousa J, Hawkins R, Shenoy A, Petroze R, Mustafa M, Taylor J, Larson S, Islam S. Enterobius vermicularis-associated appendicitis: A 22-year case series and comprehensive review of the literature. J Pediatr Surg. 2022 Aug;57(8):1494-1498. pubmed.ncbi.nlm.nih.gov
  6. www.Embryotox.de. Mebendazol www.embryotox.de
  7. CDC Centers for Disease and Control and Prevention. Parasites - Enterobiasis. Page last reviewed: August 30, 2016. www.cdc.gov
  8. Janssen Fachinformation Vermox, Stand Juli 2020. s3.eu-central-1.amazonaws.com
  9. Infectopharm Fachinformation Helmex. Stand Mai 2020. s3.eu-central-1.amazonaws.com
  10. Infectopharm Fachinformation Pyrcon Suspension, Stand 12/2015. s3.eu-central-1.amazonaws.com

Autor*innen

  • Franziska Jorda, Dr. med., Fachärztin für Viszeralchirurgie, Ärztin in Weiterbildung Allgemeinmedizin, Kaufbeuren
  • Marlies Karsch-Völk, Dr. med., Fachärztin für Allgemeinmedizin, München
  • Die ursprüngliche Version dieses Artikels basiert auf einem entsprechenden Artikel im norwegischen hausärztlichen Online-Handbuch Norsk Elektronisk Legehåndbok (NEL, https://legehandboka.no/).

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