Zusammenfassung
- Definition:Bei einer erythropoetischen Protoporphyrie (EPP) ist die Aktivität des 8. und letzten Enzyms der Hämsynthese herabgesetzt.
- Häufigkeit:Prävalenz 1:75.000 bis 1:200.000.
- Symptome:Akute Photosensitivität der Haut, Leberschädigung möglich.
- Befunde:Bereits nach kurzer Sonnenexposition starke Schmerzen, Brennen, Erytheme und Ödeme der exponierten Haut.
- Diagnostik:Zusatzuntersuchungen von Urin, Blut und Stuhl.
- Therapie:Vermeidung von Sonnenlicht. Afamelanotid.
Allgemeine Informationen
- Der Artikel basiert, sofern nicht anders gekennzeichnet, auf dieser Referenz.1
Definition
- Porphyrien sind eine heterogene Gruppe metabolischer Erkrankungen, deren gemeinsames Merkmal darin besteht, dass eines der Enzyme der Hämsynthese eine veränderte Aktivität aufweist.2-4
- Bei einer erythropoetischen Protoporphyrie (EPP) ist die Aktivität des 8. und letzten Enzyms der Hämsynthese herabgesetzt.5
- Eine X-chromosomale Protoporphyrie wird durch eine erhöhte Aktivität des 1. Enzyms der Hämsynthese verursacht und manifestiert sich klinisch wie die EPP.
- Eine Anhäufung von Metaboliten führt zu phototoxischen Hautmanifestationen.
- Ein Leberversagen ist eine seltene, aber gefürchtete Komplikation.
Häufigkeit
- Prävalenz weltweit zwischen 1:75.000 und 1:200.0002-3
Ätiologie und Pathogenese
- Die EPP wird bei den meisten Patient*innen autosomal dominant vererbt und resultiert aus Mutationen im Ferrochelatase (FECH)-Gen auf Chromosom 18q21.3, die eine katalytische Defizienz des gleichnamigen 8. Enzyms der Häm-Biosynthese zur Folge haben.4
- Die klinische Ausprägung wird durch Anwesenheit des hypomorphen FECH-Allels IVS3-48C in trans modifiziert.2
- Es wurden auch rezessive Vererbungen mit zwei mutierten FECH-Allelen berichtet.2
- Bei 2 % der Patient*innen mit voll ausgeprägtem Krankheitsbild wurden als Ursache Gain-of-Function-Mutationen im Gen der erythrozytenspezifischen Aminolävulinsäure-Synthetase 2 (ALAS2; Xp11.21) gefunden. Diese Form wird X-chromosomal-dominante Protoporphyrie genannt.2
- Die verringerte Aktivität der FECH, die Eisen in Protoporphyrin einbaut, führt zu einer Akkumulation von Protoporphyrin in den Erythrozyten.
- Protoporphyrin wird in den Erythrozyten in der Folge an Plasmaproteine gebunden und in andere Organe im Körper, wie Haut und Leber, transportiert.
- Es kommt zu einer Anlagerung an lipidhaltige Strukturen, die geschädigt werden, wenn Licht mit einer Wellenlänge von rund 400 nm oder mehr auf das Protoporphyrin trifft.
- Die gefürchtetste Komplikation ist eine Leberschädigung bis hin zum Leberversagen.
Prädisponierende Faktoren
- Vererbung
ICPC-2
- T99 Endo./metab./ernäh. Erkrank., andere
ICD-10
- E80 Störungen des Porphyrin- und Bilirubinstoffwechsels
- E80.2 Sonstige Porphyrie
Differenzialdiagnosen
- Phototoxische Arzneimittelreaktionen
- Hydroa vacciniforme
- Sonnenurtikaria
- Kontaktdermatitis
- Angioödem
- Andere Porphyrie-Typen
Diagnostik
Diagnostische Kriterien
- Die Diagnostik stützt sich auf vier Säulen:4
- Inspektion (Hautveränderungen, neuroviszerale Symptome) sowie Eigen- und Familienanamnese
- biochemische Untersuchungen in Urin, Stuhl, Erythrozyten und Plasma
- enzymatische Untersuchungen
- molekulargenetische Untersuchungen
Anamnese
- Akute Photosensitivität, häufig von Frühlingsbeginn bis Spätsommer
- Brennendes oder stechendes Gefühl auf der Haut, das sich kurz nach Sonnenexposition einstellt und viele Stunden anhalten kann.
- Es gibt häufig bei der ärztlichen Vorstellung keinen auffälligen klinischen Befund, da Ödeme und Erytheme im Intervall auftreten können.
- Eine starke Sonnenexposition kann zu Wunden und Verkrustungen führen.
- Am stärksten betroffen sind meist Nase, Handrücken und Finger.
- Auch Sonneneinstrahlung durch Fenster oder Windschutzscheiben kann Symptome auslösen.
- Die Symptome manifestieren sich typischerweise in der frühen Kindheit, können aber auch erst später auftreten.
- Die Überempfindlichkeit gegenüber Licht kann unterschiedlich stark ausgeprägt sein.
Klinische Untersuchung
- Erytheme, Ödeme oder Urtikaria können auftreten.
- Nach starker Sonnenexposition kann es zu Wunden und Verkrustungen kommen.
- Bei Erwachsenen sind chronische Veränderungen in Form von Hautverdickungen und furchenartigen Narben speziell auf der Nase, um den Mund und auf den Fingerknöcheln möglich.
Ergänzende Untersuchungen in der Hausarztpraxis
- Bei Verdacht auf eine Porphyrie-Erkrankung sollte Kontakt zu einem Speziallabor für Porphyrie-Erkrankungen aufgenommen werden oder eine Überweisung zur Hämatolog*in erfolgen.
- Typischerweise wird häufig folgendes Probenmaterial lichtgeschützt (in Alufolie verpackt) eingesandt:
- 20 ml Morgenurin
- 10 ml EDTA-Blut
- 10 ml Heparin-Blut
- 5 g Fäzes
- Das Labor führt anhand der angegebenen Daten die relevanten Analysen durch und legt eine zusammenfassende Auswertung vor.
Indikationen zur Überweisung
- Die meisten Patient*innen werden hausärztlich betreut.
- Niedrige Schwelle für Überweisung an Hepatolog*in bei Anzeichen einer Progression einer evtl. Leberschädigung, da sich rasch ein fulminantes, lebensbedrohliches Leberversagen entwickeln kann.
Therapie
Therapieziele
- Beschwerden lindern.
- Lichtexposition vermeiden sowie vor sichtbarem Licht mit hohem UVA-Index und kritischer Wellenlänge (> 400 nm) schützen.
- Schweren Komplikationen (Leberversagen) vorbeugen.
Empfehlungen für Patient*innen
- Sonnenlicht meiden.
- Geeignete Schutzkleidung (Kopfbedeckung, Kleidung mit langen Ärmeln etc.) tragen.
- Akute Schmerzen nach Sonnenexposition können oft durch kalte Umschläge oder kalte Bäder gelindert werden.
- Sonnencremes, die entweder Titanoxid, Zinkoxid oder Eisenoxid enthalten, können lindern.
- Vorsicht bei der Einnahme von Alkohol und anderen potenziell leberschädigenden Substanzen oder Medikamenten.
Therapieoptionen
- Afamelanotid zur Stimulation von Eumelanin (Orphan Drug = Arzneimittel zur Prävention, Diagnose und Behandlung von seltenen Erkrankungen)6
- Fördert die Bildung von Melanin und verstärkt so die Hautpigmentierung ohne UV-Exposition.
- Wird in Form eines subkutanen Implantats verabreicht und wirkt etwa 2 Monate lang.
- Die früher empfohlene Therapie mit Beta-Carotin hat sich als nicht wirksam erwiesen.7-8
- Möglicherweise könnte eine Reduktion der Erythropoese mittels Transfusion oder durch gallebindende Agentien wie Cholestyramin einen positiven Effekt haben.8
Sonstige Behandlung
- Nur ein Teil des Lichtspektrums (violette/blauviolette Farbe und Wellenlänge von rund 400 nm) verursacht Symptome.
- Diese können durch eine Spezialfolie, die an Fenstern, Windschutzscheiben, Gesichtsvisieren etc. angebracht werden, herausgefiltert werden.
- Eine Schmalspektrum-UVB-Behandlung kann bei manchen Patient*innen wirkungsvoll sein.
- Als Ultima Ratio kann die Knochenmarktransplantation erwogen werden.2
- Einen evtl. Vitamin-D-Mangel durch Vermeidung der UV-Licht-Exposition erkennen und behandeln.
Prävention
- Impfung gegen Hepatitis A und B
- Alle Betroffenen sollten unmittelbar nach der Diagnose geimpft werden, um einer zusätzlichen Belastung der Leber vorzubeugen und dadurch das Gesamtrisiko eines schweren Leberversagens zu reduzieren.
- Kinder sollten geimpft werden, bevor sie in den Kindergarten oder in die Schule kommen.
Verlauf, Komplikationen und Prognose
Verlauf
- Die individuelle Sonnenlichttoleranz der Patient*innen kann variieren.
Komplikationen
- Leichte mikrozytäre Anämie
- Anzeichen einer verminderten Erythropoese
- Manche Patient*innen werden bei Eisengabe noch lichtempfindlicher, sodass dies generell nicht empfohlen wird.
- Vitamin-D-Mangel
- Bei rund einem Viertel der Patient*innen ist die Leber zu einem gewissen Grad betroffen.
- Einige Patient*innen leiden unter Gallensteinen.
- Ein Leberversagen ist eine gefürchtete, aber seltene Komplikation.
Prognose
- Lebenslange Erkrankung.
- Gut, wenn kein Leberversagen eintritt.
- Photosensitivität kann signifikante Auswirkungen auf die Lebensqualität der Patient*innen haben.
Verlaufskontrolle
- Jährliche Kontrollen (GOT, GPT, GGT, INR, Blutbild, Transferrin-Rezeptor und Ferritin bei Verdacht auf Eisenmangel, Vitamin D [25-OH-Vit D]).
- Bei steigenden Mengen an Protoporphyrin in den Erythrozyten oder bei biochemischen Anzeichen einer Leberschädigung werden häufigere Kontrollen empfohlen (alle 4 bis 8 Monate).
Patienteninformationen
Worüber sollten Sie die Patient*innen informieren?
- Maßnahmen zum Schutz vor Sonnenlicht
- Vorsicht bei Alkohol und anderen leberbelastenden Faktoren
- Ärztliche Vorstellung bei deutlich erhöhter Lichtempfindlichkeit im Vergleich zu sonst, bei unerklärlichen Magenschmerzen, Ikterus oder ungewöhnlicher Müdigkeit
Patientenorganisationen
- Selbsthilfe EPP e. V.
- Selbsthilfegruppe akute Porphyrie e. V.
- RareConnect: Porphyrie Gemeinschaft
- Porphyria Network
Kompetenzzentren
- Homepage der europäischen Porphyrie Initiative EPI mit Adressen der nationalen Porphyrie-Zentren
Illustrationen
Quellen
Literatur
- Mittal S, Anderson KE. Erythropoietic protoporphyria and X-linked protoporphyria. Uptodate. Nov 2022. uptodate.com. www.uptodate.com
- Orphanet. Erythropoietic protoporphyria. Paris, Orphanet 2013 www.orpha.net
- Wahlin S, Floderus Y, Stal P, Harper P. Erythropoietic protoporphyria in Sweden: demographic, clinical, biochemical and genetic characteristics. J Intern Med 2011; 269: 278-88. PubMed
- Gutiérrez PP, Wiederholt T, Bolsen K, Gardlo K, Schnabel C, Steinau G, Lammert F, Bartz C, Kunitz O, Frank J. Diagnostik und Therapie der Porphyrien: Eine interdisziplinäre Herausforderung. Dtsch Arztebl ; 101: A1250-1255. www.aerzteblatt.de
- Puy H, Gouya L, Deybach JC. Porphyrias. Lancet 2010; 375: 924-37. PubMed
- European Medicines Agency. Zusammenfassung des Europäischen Öffentlichen Beurteilungsberichts (EPAR) für Scenesse (Afamelanotid). London, EMA 2014 www.ema.europa.eu
- EPP-Deutschland. Therapie bei EPP. Metastudie zur Nicht-Wirksamkeit von Beta-Caroten. 2009 www.epp-deutschland.de
- Heerfordt IM, Lerche CM, Philipsen PA, Wulf HC. Experimental and approved treatments for skin photosensitivity in individuals with erythropoietic protoporphyria or X-linked protoporphyria: A systematic review. Biomed Pharmacother. 2023 Feb;158:114132. doi: 10.1016/j.biopha.2022.114132. Epub 2022 Dec 14. PMID: 36525819. sciencedirect.com. www.sciencedirect.com
Autor*innen
- Moritz Paar, Dr. med., Facharzt für Allgemeinmedizin, Münster
- Die ursprüngliche Version dieses Artikels basiert auf einem entsprechenden Artikel im norwegischen hausärztlichen Online-Handbuch Norsk Elektronisk Legehåndbok (NEL, https://legehandboka.no/).