Untersuchung des Kniegelenks

Prüfungsrelevant für die Facharztprüfung Allgemeinmedizin1

Anamnese

Wesentliche anamnestische Informationen

  • Schmerzcharakter und -lokalisation
  • Instabilitätsgefühl
  • Verlauf der Beschwerden
  • Schmerzprovozierende Bewegungen
  • Vorausgegangene Traumen, ggf. Unfallmechanismus
  • Vorerkrankungen/Vor-OP des Kniegelenks
  • Schwellung, Rötung, Überwärmung?
  • Ruheschmerz? Anlaufschmerzen? Nächtliche Schmerzen? Ausstrahlung?
  • Sozial- und Berufsanamnese
    • sportliche Aktivitäten
    • körperliche Belastung im Beruf
  • Bisher durchgeführte Therapie

Funktionelle Anatomie

  • Der Abschnitt basiert auf dieser Referenz.2
  • Das Kniegelenk besteht aus:
    • dem Femoropatellargelenk
    • dem Femorotibialgelenk
    • dem Tibiofibulargelenk und
    • umliegenden Weichteilen wie Muskeln, Bändern und Schleimbeuteln.
  • Die Hauptfunktion des Kniegelenks besteht darin, Beweglichkeit und Stabilität zu gewährleisten.
  • Zu den möglichen Bewegungen des Kniegelenks zählen:
    • Flexion
    • Extension und
    • Rotation in Flexionsstellung.
  • Die Stabilität des Kniegelenks wird gewährleistet durch:
    • Menisken
    • Gelenkkapsel
    • Kreuzband
    • Kollateralbänder
    • die umliegenden Muskeln und das neuromuskuläre System.

Inspektion

Fehlstellungen

  • Lassen Sie die Patientin/den Patienten Hose und Socken ausziehen.
  • Achten Sie auf eine mögliche Varus- (O-Bein) oder Valgusstellung (X-Bein).
  • Varusstellung
    • Als Messgröße dient der Abstand, der zwischen den Knien vorhanden ist, wenn die Patienten mit geschlossenen Füßen aufrecht stehen.
  • Valgusstellung
    • Als Messgröße dient der Abstand, der zwischen den Knöcheln vorhanden ist, wenn die Patient*innen mit geschlossenen Knien aufrecht stehen.
  • Überstreckbares Knie (Genu recurvatum)
    • Die maximale Streckung der Kniegelenke wird beurteilt.
  • Ganganalyse
  • Stellung der Patella 3
    • Anomale Medialisierung oder Lateralisierung?

Schwellung

  • Flüssigkeitsansammlung in der Gelenkhöhle (Gelenkerguss), evtl. auch den Bursae oder Weichteilstrukturen
  • Flüssigkeitsansammlung in der Gelenkhöhle
    • Flüssigkeitsansammlungen sind sowohl über der Patella im Recessus suprapatellaris als auch entlang der Patella und der Patellasehne zu beobachten.
    • Flüssigkeitsansammlungen im Kniegelenk können auch den Recessus subpopliteus ausfüllen (Baker-Zyste) und eine Ausbuchtung in der Kniekehle hervorrufen oder sich mitunter auch bis nach unten zwischen die Unterschenkelmuskeln erstrecken.
  • Bursitis praepatellaris und infrapatellaris als Schwellung vor bzw. unter der Patella sichtbar

Haut

  • Rötung der Haut über dem Knie als Zeichen einer akuten Entzündung, z. B. bei einer Bursitis, purulenten Arthritis oder Kristall-Synovitis
  • Psoriasis, Tophi und Rheumaknoten als Zeichen einer Psoriasis-Arthritis, Arthritis urica bzw. rheumatoiden Arthritis
  • Verstrichene Hautfalten, glänzende Haut 3
    • Sprechen für starke Schwellung.

Muskelatrophie

  • Vergleich von Umfang und Tonus des M. quadriceps und des M. soleus auf beiden Seiten
  • Musculus quadriceps
    • Untersuchung bei Rückenlage der Patient*innen, Untersuchung des M. soleus in Bauchlage
    • Ermittlung einer Atrophie des M. quadriceps anhand des Oberschenkelumfangs 10–15 cm über dem oberen Patellapol, Ermittlung einer Atrophie des M. soleus anhand des Unterschenkelumfangs 10–15 cm unterhalb des unteren Patellapols
  • Vastus medialis des M. quadriceps
    • von besonderer Bedeutung für die Kniestabilität, bei Gonarthrose in der Regel am ehesten von Atrophie betroffen
  • Tonus
    • Die Patient*innen werden aufgefordert, den Muskel anzuspannen, ggf. mit Stimulation durch einen Druck mit dem Daumen.

Palpation

Wärme

  • Eine übermäßige Wärmeproduktion über dem Knie ist ebenso wie Hautrötungen ein Zeichen einer akuten Entzündung.

Schwellung

  • Zur Palpation von Gelenkschwellungen liegen die Patient*innen auf dem Rücken, die Quadrizepsmuskulatur ist entspannt.
  • Es wird zwischen diffusen Schwellungen, wucherndem Synovialgewebe, Flüssigkeitsansammlungen im Gelenk und einer Bursitis unterschieden.
  • Normalerweise lässt sich die Synovialis nicht palpieren, bei Synovialiswucherungen kann sie sich jedoch elastisch oder weich und schwammig anfühlen.
  • Gelenkerguss
    • Ausstreichen des Recessus suprapatellaris mit der einen Hand und Fixierung des Kniegelenks mit der anderen Hand am kaudalen Patellapol
      • Möglicher Gelenkerguss sammelt sich in Gelenkhöhle.
      • „Tanzende Patella“: federnde Patella bei Druck in Richtung Femur
      • „Welle“: Impuls mit Finger von medial löst tastbare Fluktuation des Gelenkergusses nach lateral aus, ähnlich wie bei Aszites.
  • Baker-Zyste
    • Eine Baker-Zyste lässt sich in der Kniekehle palpieren. Am besten liegen die Patient*innen dazu auf dem Rücken, das Knie ist gestreckt.

Schmerzen

Anteriore Seite

  • Zohlen-Zeichen
    • Fixierung der Patella durch Untersucher*in, Druck Richtung Femur
    • Patient*in spannt M. quadriceps an.
    • Schmerzen oder Krepitationen sprechen für Retropatellararthrose.
  • Palpation des Ligamentum patellae sowie dessen Ansatz an der Tibia

Mediale Seite

  • Der mediale Gelenkspalt, die Ansätze des Innenbandes und der Pes anserinus werden palpiert.

Laterale Seite

  • Der laterale Gelenkspalt, das Fibulaköpfchen, das laterale Kollateralband und die Bizepssehne werden palpiert.

Posteriore Seite

  • Die Kniekehle wird auf eine etwaige Baker-Zyste untersucht und der Puls in der Arteria poplitea beurteilt.

Beweglichkeit

  • Zur Untersuchung der Beweglichkeit liegen die Patient*innen auf dem Rücken.
  • Die aktive und die passive Beweglichkeit werden untersucht.
  • Angabe des Bewegungsausmaßes für Extension und Flexion nach Neutral-Null-Methode
    • Ausgangsstellung für das Knie bei 0 Grad
    • ungefähre Normwerte Extension/Flexion 5–0–130 Grad2
  • Es wird untersucht, ob die Bewegungen ungehindert oder nur schwer oder unter Schmerzen möglich sind.
  • Gelenksperre?
    • Eine Gelenksperre liegt vor, wenn das Knie nicht gebeugt und gestreckt oder nur um wenige Grad bewegt werden kann.
  • Streckhemmung?
    • Zur Untersuchung auf eine Streckhemmung liegen die Patient*innen auf dem Rücken, die Hüfte liegt flach auf, und das Knie ist maximal gestreckt.
    • beispielhafte Angabe für Streckhemmung bei 30 Grad nach Neutral-Null
      • Extension/Flexion 0–30–130 Grad (Ausgangstellung sind 30 Grad, von dort sind 0 Grad zusätzlich Extension möglich)
  • Beugehemmung?
    • Zur Untersuchung auf eine Beugehemmung liegen die Patient*innen auf dem Rücken, die Hüfte ist um etwa 90 Grad und das Knie maximal gebeugt.
    • beispielhafte Angabe für Beugehemmung bei 90 Grad nach Neutral-Null
      • Extension/Flexion 5–0–90 Grad

Meniskusläsion

  • Ziel bei der Untersuchung ist es, durch Scherkräfte einen typisch stechenden Meniskusschmerz auszulösen.3
    • Es gibt verschiedene Tests, die nach Möglichkeit zur Sicherung der Diagnose in Kombination durchgeführt werden sollten.
  • McMurray-Test
    • Test für Innenmeniskus
      • Patient*in in Rückenlage, Kniegelenk ca. 90 Grad gebeugt
      • Palpation des medialen Gelenkspalts
      • Außenrotation des Fußes und simultane Streckung des Kniegelenks
      • Schmerzen oder Schnappen sprechen für Meniskusläsion.
    • Test für Außenmeniskus
      • Patient*in in Rückenlage, Kniegelenk ca. 90 Grad gebeugt
      • Palpation des lateralen Gelenkspalts
      • Innenrotation des Fußes und simultane Streckung des Kniegelenks
      • Schmerzen oder Schnappen sprechen für Meniskusläsion.
  • Apley-Grinding-Test
    • Test für Innenmeniskus
      • Patient*in in Bauchlage, Kniegelenk 90 Grad gebeugt
      • Untersucher*in übt axialen Druck auf Kniegelenk aus.
      • Außenrotation des Fußes unter axialem Druck
      • Schmerzen oder Schnappen sprechen für Meniskusläsion.
    • Test für Außenmeniskus
      • Patient*in in Bauchlage, Kniegelenk 90 Grad gebeugt
      • Untersucher*in übt axialen Druck auf Kniegelenk aus.
      • Innenrotation des Fußes unter axialem Druck
      • Schmerzen oder Schnappen sprechen für Meniskusläsion.
  • Steinmann-Test
    • Steinmann-I
      • Innenmeniskus: Beugung des Knies bei gleichzeitiger Außenrotation des Kniegelenks
      • Außenmeniskus: Beugung des Knies bei gleichzeitiger Innenrotation des Kniegelenks
      • Schmerzen oder Schnappen sprechen für Meniskusläsion.
    • Steinmann-II
      • passive Beugung und Streckung des Kniegelenks unter Palpation des medialen (Innenmeniskus) bzw. lateralen (Außenmeniskus) Gelenkspalts
      • Wandernde Schmerzen bei Flexion von ventral nach dorsal bzw. bei Extension von dorsal nach ventral sprechen für Meniskusläsion.

Stabilität

  • Für die suffiziente ligamentäre Untersuchung des Kniegelenks sollten die Patient*innen vollständig entspannt liegen.3

Seitliche Aufklappbarkeit zur Überprüfung der Kollateralbänder

  • Zur Untersuchung der seitlichen Aufklappbarkeit liegen die Patient*innen auf dem Rücken.
  • Das Knie wird um 15 Grad gebeugt (mitunter werden auch 30 Grad empfohlen).
  • Mit der einen Hand wird der Oberschenkel knapp proximal des Kniegelenks fixiert. Mit der anderen Hand übt die untersuchende Person Druck auf den Unterschenkel aus.
  • Um die laterale Aufklappbarkeit zu beurteilen, wird Varusstress ausgeübt, zur Beurteilung der medialen Aufklappbarkeit wird Valgusstress ausgeübt.
  • Schweregrade4
    • Grad 1: kaum spürbares Aufklappen
    • Grad 2: eindeutig spürbares Aufklappen
    • Grad 3: erhebliches Aufklappen bei gebeugtem und bei gestrecktem Knie

Vordere/hintere Instabilität zur Überprüfung der Kreuzbänder

Schubladentest

  • Bei dieser Untersuchung liegen die Patient*innen auf dem Rücken.
  • Die Untersuchung wird zum Vergleich auch am anderen Knie durchgeführt.
  • Das Knie wird um 90 Grad gebeugt und der Fuß aufgestellt
  • Die untersuchende Person setzt sich auf den Fuß von Patient*in, um den Unterschenkel zu fixieren.
  • Das Schienbein wird mit beiden Händen so umfasst, dass die Daumen auf der Tuberositas tibiae liegen.
  • Es wird zunehmender Druck nach hinten ausgeübt und dabei die dorsale Verschiebung des Tibiaplateaus gegenüber dem Femur beurteilt.
  • Anschließend wird zunehmender Zug ausgeübt und dabei die entsprechende ventrale Verschiebung des Tibiaplateaus gegenüber dem Femur beurteilt.
    • Cave: In 90-Grad-Flexion bewirkt die ischiokrurale Muskulatur bei Aktivierung eine posteriore tibiale Translation.3
      • hochgradige Beeinflussung durch diese Muskeln
      • Lachman-Test präferieren.
  • In beiden Richtungen wird untersucht, ob ein fester Anschlag spürbar ist oder ob die Verschiebung ohne festen Endpunkt fortgesetzt werden kann.

Lachman-Test3

  • Bei dieser Untersuchung liegen die Patient*innen auf dem Rücken.
  • Das Kniegelenk der betroffenen Person ruht auf dem Oberschenkel von Untersucher*in und ist dadurch um etwa 30 Grad gebeugt.
  • Die eine Hand fixiert den Oberschenkel und die andere umfasst das obere Ende des Unterschenkels.
  • Nun wird die Tibia nach ventral gezogen.
  • Das Ausmaß der Verschiebung zwischen Tibia und Femur wird beurteilt.
  • Physiologisch: harter Anschlag des vorderen Kreuzbands
  • Pathologisch: fehlender Anschlag bzw. vermehrte Translation im Seitenvergleich
    • Cave: Die vermehrte anteriore tibiale Translation kann erst als vordere Instabilität gedeutet werden, wenn eine hintere Instabilität sicher ausgeschlossen worden ist!

Pivot-Shift-Test

  • Häufig schmerzhaft für die Patient*innen, suffiziente muskuläre Entspannung häufig nur in Narkose möglich.
  • Bei dieser Untersuchung liegen die Patient*innen auf dem Rücken.
  • Anteriore Subluxation des lateralen Tibiaplateaus durch tibiale Innenrotation und simultanen Valgusstress3
  • Durch langsame Flexion kommt es über den Zug des Tractus iliotibialis bei ca. 30–40 Grad zur Reposition.3

Dynamische Instabilität

  • Der Verdacht auf eine dynamische Instabilität ergibt sich vorrangig aus den anamnestischen Informationen: Die Patienten beschreiben ein Gefühl der Instabilität beim Gehen oder Stehen.
  • Häufig posttraumatisch durch gestörte Propriozeption, z. B. bei Gelenkerguss.
  • Eine etwaige Atrophie des M. quadriceps kann die Beurteilung stützen.
  • Zur Untersuchung einer dynamischen Instabilität sollen die Patient*innen einbeinige Kniebeugen durchführen.3
    • Funktionelles Einknicken in den Valgus?
      • Spricht für Schwäche der Hüftaußenrotatoren.

Gelenkpunktion

  • Bei einer akuten Flüssigkeitsansammlung im Gelenk ohne vorausgegangenes Trauma oder bei Verdacht auf eine Gelenkinfektion ist stets eine Gelenkpunktion indiziert. Dabei wird Gelenkflüssigkeit aspiriert, kultiviert und mikroskopisch untersucht, um so Bakterien oder Harnsäure- und Pyrophosphatkristalle nachzuweisen.
  • Bei einer akuten Flüssigkeitsansammlung im Gelenk mit vorausgegangenem Trauma ist die Ursache meist ein Hämarthros.
    • Eine Kniepunktion ist hier nur bei starken Schmerzen zur Entlastung und Schmerzlinderung indiziert.

Ultraschalluntersuchung

  • Ultraschalluntersuchungen werden zunehmend als klinische „Bedside“-Untersuchungen durchgeführt.
  • Die Untersuchung dient in erster Linie dem Nachweis von Flüssigkeitsansammlungen, Muskelverletzungen und Tendinopathien.

Video und Illustrationen

Quellen

Literatur

  1. Lohnstein M, Eras J, Hammerbacher C. Der Prüfungsguide Allgemeinmedizin - Aktualisierte und erweiterte 3. Auflage. Augsburg: Wißner-Verlag, 2018.
  2. Schünke M, Schulte E, Schumacher U. PROMETHEUS Allgemeine Anatomie und Bewegungssystem. 5. überarbeitete Auflage. Berlin: Thieme, 2018.
  3. Herbort M, Kittl C, Domnick C et al. Klinische Untersuchung des Knies. Der Unfallchirurg 2019; 122: 977-91. link.springer.com
  4. Malanga GA, Andrus S, Nadler SF et al. Physical examination of the knee. Arch Phys Med Rehabil 2003; 84: 592-603. PubMed

Autor*innen

  • Lino Witte, Dr. med., Arzt in Weiterbildung Allgemeinmedizin, Frankfurt a. M.
  • Die ursprüngliche Version dieses Artikels basiert auf einem entsprechenden Artikel im norwegischen hausärztlichen Online-Handbuch Norsk Elektronisk Legehåndbok (NEL, https://legehandboka.no/).

Links

Autoren

Ehemalige Autoren

Updates

Gallery

Snomed

Click to edit