Fieberkrampf

Zusammenfassung

  • Definition:Krampfanfälle bei Kindern zwischen 6 Monaten und 5 Jahren bei Fieber und ohne Anzeichen einer intrakraniellen Infektion.
  • Häufigkeit:Etwa 2–5 % aller Kinder erleiden einen Fieberkrampf.
  • Symptome:Der Krampfanfall ist oft tonisch-klonisch und geht häufig mit postiktaler Müdigkeit einher. 
  • Befunde:Fieber, nach dem Anfall keine neurologischen Symptome mehr.
  • Diagnostik:Nur bei komplizierten Fieberkrämpfen notwendig.
  • Therapie:Länger anhaltende Anfälle werden medikamentös mit z. B. Diazepam oder Midazolam behandelt.

Allgemeine Informationen

Definition

  • Der Abschnitt basiert auf diesen Referenzen.1-4
  • Fieberkrämpfe sind zerebrale Krampfanfälle bei Kindern im Alter zwischen 6 Monaten und 5 Jahren,
    • die Fieber über 38 °C haben.
    • die ohne Nachweis einer intrakraniellen Infektion oder einer anderen spezifischen krampfauslösenden Ursache sind.
    • die keine Krampfanfälle ohne Fieber hatten.
  • Der Anfall sollte außerdem eine Dauer von weniger als 15 min haben. Es sollte sich um allgemeine Krampfanfälle handeln, die einzeln im Laufe von 24 Stunden auftreten.
  • Es handelt sich um einen typischen Gelegenheitsanfall und ist eine Ausschlussdiagnose.

Häufigkeit

  • Der Abschnitt basiert auf dieser Referenz.4
  • Etwa 2–5 % aller Kinder erleiden einen Fieberkrampf, der Häufigkeitsgipfel befindet sich im Bereich des zweiten Lebensjahres.
  • Es besteht eine jahreszeitliche Häufung in den Herbst– und Wintermonaten.
  • Jungen sind häufiger betroffen als Mädchen.
  • Die meisten Anfälle treten zwischen 18 und 22 Uhr auf.

Ätiologie und Pathogenese

  • Fieberkrämpfe werden durch eine Kombination aus genetischen und Umweltfaktoren verursacht.4
  • Die genaue Pathophysiologie ist noch nicht geklärt.
  • Ein typischer „einfacher“ Fieberkrampf verläuft als generalisierter tonisch-klonischer Anfall (Grand-Mal) und dauert meist 2–3 min.4
  • Seltener kommen auch schlaffe oder tonische Anfälle vor.
  • Fokale Anfälle kommen eher bei komplizierten Fieberkrämpfen vor.

Prädisponierende Faktoren

  • Virusinfektionen
  • Positive Familienanamnese
  • Entwicklungsstörungen2
  • Komplizierte Geburt
  • Kurze Fieberepisode bis zum Auftreten4
  • Niedriges Geburtsgewicht
  • Kindergarten- oder Hortbesuch

ICPC-2

  • N07 Krampfanfälle/neurologische Anfälle

ICD-10

  • R56 Krämpfe, woanders nicht klassifiziert
    • R56.0 Fieberkrämpfe

Diagnostik

Diagnostische Kriterien

  • Der Abschnitt basiert auf dieser Referenz.4
  • Eine klare Abgrenzung zu fieberfreien Anfällen ist notwendig.
  • Keine früheren afebrilen Anfälle
  • Das Kind ist älter als 6 Monate (Abgrenzung zu Neugeborenenkrämpfen) und jünger als 6 Jahre.
  • Keine Anzeichen für eine andere auslösende Ursache (Meningitis, Stoffwechselstörungen, Trauma)

Klassifikation5-6

  • Einfache Fieberkrämpfe (am häufigsten, etwa 70–80 % der Fälle)
    • generalisierte tonisch-klonische Anfälle
    • Dauer < 15 min
    • nur 1 Anfall pro 24 Stunden
  • Komplizierte Fieberkrämpfe
    • fokale Anfälle
    • Dauer > 15 min
    • mehrere Anfälle innerhalb von 24 Stunden
  • Febriler Status epilepticus (selten)
    • Status epilepticus während einer Fieberepisode bei einem Kind mit bekannten Fieberkrämpfen
    • Können auch als erste, febrile Krämpfe auftreten.

Differenzialdiagnosen

Anamnese

  • Fieberhafter Infekt
    • Oft tritt ein Fieberkrampf in der Phase des Auffieberns auf und ist daher oft das erste klinische Zeichen des Infektes.4
  • Familienanamnese
  • Vorbestehende epileptische Erkrankung
  • Gibt es Anzeichen für Entwicklungsverzögerungen?
  • Anfallsanamnese
    • Auslöser
    • Zeitpunkt
    • Beschreibung
    • Aura
    • subjektive Erlebnisse des Kindes während des Anfalls
    • Zyanose
    • Auswertung von Videoaufnahmen (Handykamera-Aufnahmen der Eltern sind wertvoll)
  • Die Krämpfe sind meist generalisiert tonisch oder tonisch-klonisch.4
  • Die Dauer liegt typischerweise bei weniger als 2 min, und 90 % dauern weniger als 10 min. Es hat sich gezeigt, dass 8 % der Anfälle länger als 15 min andauern.4
    • Längere Krampfanfälle sind ein Risikofaktor für spätere längere Fieberkrämpfe.
  • Nach dem Anfall schläft das Kind oft ein.
  • Die folgenden Faktoren sind prädisponierend für Rezidive:4
    • Alter unter 18 Monaten beim ersten Anfall
    • niedrige Temperatur, etwa 38 °C während des Anfalls
    • kurzer (< 1 Stunde) Fieberschub vor dem Krampf
    • Familienanamnese mit Fieberkrämpfen
    • Entwicklungsverzögerungen
    • Tagesbetreuung
    • komplizierter oder prolongierter Verlauf des ersten Fieberkrampfs
  • Verschaffen Sie sich einen Überblick über den Impfstatus des Kindes (vor allem Kinder unter 18 Monaten).

Klinische Untersuchung

  • Der Abschnitt basiert auf diesen Referenzen.3-4
  • Temperaturmessung
  • Ausschluss einer intrakraniellen Infektion
    • Bei Kindern unter 1 Jahr können die klinischen Zeichen einer Meningitis fehlen.
    • Bei einem fokalen Krampfanfall mit Fieber beim Kind muss immer an eine Herpes-Enzephalitis gedacht werden.
  • Abgesehen vom Fieber ergibt die allgemeine Untersuchung oft einen Normalbefund.
  • Beurteilen Sie insbesondere:
    • Bewusstseinsgrad
    • Augenkontakt und die normale Vitalität
    • Muskeltonus
    • Nackensteife
    • Petechien

Ergänzende Untersuchungen

  • Bei klar eruierbarer Genese, umkompliziertem Verlauf und unauffälligem Untersuchungsbefund sind weiterführende Laboruntersuchungen nicht zwingend erforderlich.4,6
  • Weitere Untersuchungen wie EEG und Lumbalpunktion werden im Einzelfall ggf. durch die entsprechenden Fachabteilungen stationär durchgeführt, sind aber meist nicht nötig.4

Indikationen zur Krankenhauseinweisung

  • Bei allen Kindern unter 12 Monaten (Ausschluss einer Meningitis)
  • Bei Verdacht auf eine intrakranielle Entzündung
  • Bei komplizierten Anfällen
  • Bei Anfällen ohne Fieber
  • Wenn die Ursache für das Fieber nicht zu klären ist.1
  • Wenn die weitere Betreuung nicht ausreichend sichergestellt ist.6

Therapie

Allgemeines zur Therapie

  • Ein einfacher Fieberkrampf ist selbstlimitierend und endet nach 2–3 min ohne Folgeschäden.6
  • Bei rezidivierenden Anfällen ist vor allem ist die Beruhigung der Eltern wichtig:
    • Während des Anfalls Ruhe bewahren!
    • Abkühlung: Entkleiden Sie das Kind.
    • Legen Sie das Kind auf die Seite, sodass Speichel oder Schleim aus dem Mund abfließen können.
    • evtl. Abkühlung mit einem feuchten Waschlappen
  • Anfälle, die länger als 5 min dauern, sollten medikamentös unterbrochen werden.4
  • Bei nachfolgenden Fieberepisoden wird üblicherweise empfohlen, fiebersenkende Mittel zu verabreichen.
    • Jedoch gibt es keine Evidenz dafür, dass prophylaktische Antipyretika-Gaben Fieberkrämpfe in weiteren Fieberepisoden verhindern können.4,7
  • Nach dem Anfall
    • Temperatur messen.
    • Das Kind sollte reichlich trinken.

Medikamentöse Therapie

  • Der Abschnitt basiert auf diesen Referenzen.4,8-10
  • Diazepam rektal
    • Säuglinge: 0,25–0,5 mg/kg KG
      Klein-/Schulkinder: 0,2–0,4 mg/kg KG
    • ggf. zweite Gabe gleicher Dosierung bei Anfallspersistenz nach 10 min
  • Midazolam bukkal
    • 2,5 mg für Alter von 6 Monate bis 1 Jahr
    • < 5 Jahre: 5 mg
    • < 10 Jahre: 7,5 mg
    • < 18 Jahre: 10 mg
    • ggf. zweite Gabe gleicher Dosierung bei Anfallspersistenz nach 10 min
  • Midazolam i. v.
    • 0,15–0,2 mg/kg KG (2 mg/min)
      • Midazolam ist in Deutschland nur für die Behandlung länger anhaltender, akuter Krampfanfälle bei Säuglingen, Kleinkindern, Kindern und Jugendlichen (zwischen 3 Monaten und < 18 Jahren) bei diagnostizierter Epilepsie zugelassen.
      • Bei Kleinkindern sollte die Behandlung in einer Klinik erfolgen, in der Überwachungsmöglichkeiten und Reanimationsausrüstung vorhanden sind.
  • Lorazepam i. v.
    • 0,05 mg/kg KG (2 mg/min)
      • Säuglinge bis 1 mg
      • Klein– bis Schulkind 1–2,5 mg/kg KG
      • ggf. zweite Gabe gleicher Dosierung bei Anfallspersistenz nach 10 min
  • Diazepam i. v.
    • 0,25–0,5 mg/kg KG (5 mg/min)
    • ggf. zweite Gabe gleicher Dosierung bei Anfallspersistenz nach 10 min

Prävention

  • Eltern können ein oral oder rektal verabreichbares Medikament zur Anfallsunterbrechung bekommen, um weitere Anfälle u. U. selbst schnell behandeln zu können.
  • Für eine antiepileptische Dauertherapie bei Fieberkrämpfen im Kindesalter besteht keine hinreichende Evidenz.4

Verlauf, Komplikationen und Prognose

Verlauf

  • Die Krämpfe dauern in der Regel nicht länger als 2–3 min.
  • Eine Dauer von mehr als 15 min deutet auf einen schweren Verlauf hin.
  • Bis zu 75 % der Kinder haben bei späteren Fieberepisoden Rezidive.
    • Etwa die Hälfte der Rezidive treten innerhalb von 6 Monaten auf, 90 % innerhalb von 2 Jahren.4

Komplikationen

  • Ein febriler Status epilepticus ist selten.
  • Eine sog. Todd-Parese (Halbseitenlähmung) kann nach lang dauernden fokalen Anfällen vorkommen, sollte sich aber innerhalb 1–2 Stunden wieder legen.

Prognose

  • Die Prognose ist gut. Die Sterblichkeit ist bei Kindern mit Fieberkrämpfen nicht generell erhöht.
  • Ebenso wird die kognitive Entwicklung der betroffenen Kinder nicht beeinträchtigt.4
  • Etwa 3–4 % der Kinder mit Fieberkrämpfen erkranken später an einer Epilepsie.
  • Indikatoren für ein erhöhtes Risiko einer späteren Epilepsie sind Anfälle, die länger als 10 min andauern, fokale Züge haben, multiple Anfälle, neurologische Auffälligkeiten, eine Familienanamnese mit Epilepsie und Entwicklungsstörungen.
  • Es gibt zudem Hinweise darauf, dass Fieberkrämpfe mit dem plötzlichen Kindstod in Verbindung stehen könnten.11
  • Wiederholte Klinikaufenthalte wegen Fieberkrämpfen sind mit einem erhöhten Risiko für die spätere Entwicklung einer Epilepsie assoziiert.12

Patienteninformationen

Worüber sollten Sie die Eltern informieren?

  • Über die Form der Erkrankung und über die gute Prognose6
  • Allgemeine Empfehlungen bei Fieberkrämpfen
    • Ruhe bewahren.
    • Entkleiden Sie das Kind, evtl. Antipyretika.
    • Diazepam bei einer Anfallsdauer von 5 min
    • Legen Sie das Kind auf die Seite und vermeiden Sie, dass sich das Kind während eines Anfalls verletzt.

Patienteninformationen in Deximed

Quellen

Leitlinien

  • Gesellschaft für Neuropädiatrie. S1-Leitlinie Fieberkrämpfe im Kindesalter. AWMF–Leitlinie Nr. 022-005, Stand 2021. www.awmf.org
  • Gesellschaft für Neuropädiatrie. S1-Leitlinie Akute Bewusstseinsstörung jenseits der Neugeborenenperiode. AWMF-Leitlinie-Nr. 022-016, Stand 2020. www.awmf.org

Literatur

  1. Sadleir LG, Scheffer IE. Febrile seizures. BMJ 2007; 334: 307-11. www.ncbi.nlm.nih.gov
  2. Graves RC, Oehler K, Tingle LE. Febrile seizures: risks, evaluation, and prognosis. Am Fam Physician 2012; 85: 149-53. www.ncbi.nlm.nih.gov
  3. Gesellschaft für Neuropädiatrie. Akute Bewusstseinsstörung jeneits der Neugeborenenperiode. AWMF-Leitlinie-Nr. 022-016. Stand 2020. www.awmf.org
  4. Gesellschaft für Neuropädiatrie. Fieberkrämpfe im Kindesalter, AWMF-Leitlinie Nr. 022-005, 2021. register.awmf.org
  5. Mewasingh LD, Chin RFM, Scott RC. Current understanding of febrile seizures and their long-term outcomes. Dev Med Child Neurol, 62, 2020: 1245-1249. onlinelibrary.wiley.com
  6. Smith DK, Sadler KP, Benedum M. Febrile Seizures: Risks, Evaluation, and Prognosis. Am Fam Physician. 2019 Apr 1;99(7):445-450 www.aafp.org
  7. Hashimoto R, Suto M, Tsuji M, et al. Use of antipyretics for preventing febrile seizure recurrence in children: a systematic review and meta-analysis. Eur J Pediatr. 2021 Apr;180(4):987-997. pubmed.ncbi.nlm.nih.gov
  8. Borggräfe I, Heinen F, Gerstl L. Fieberkrämpfe Diagnostik, Therapie und Beratung. Monatsschr Kinderheilkd 2013; 161: 953-962. doi:10.1007/s00112-013-2991-7 link.springer.com
  9. McIntyre J, Robertson S, Norris E, et al. Safety and efficacy of buccal midazolam versus rectal diazepam for emergency treatment of seizures in children: a randomised controlled trial. Lancet 2005; 366: 205-10. www.ncbi.nlm.nih.gov
  10. Arzneimittelkommission der deutschen Ärzteschaft. Drug Safety Mail 2017-41. www.akdae.de
  11. Crandall LG, Lee JH, Stainman R, et al. Potential role of febrile seizures and other risk factors associated with sudden deaths in children. JAMA Netw Open 2019. pubmed.ncbi.nlm.nih.gov
  12. Dreier JW, Li J, Sun Y, et al. Evaluation of Long-term Risk of Epilepsy, Psychiatric Disorders, and Mortality Among Children With Recurrent Febrile Seizures: A National Cohort Study in Denmark. JAMA Pediatr 2019. PMID: 31589251. www.ncbi.nlm.nih.gov

Autor*innen

  • Bonnie Stahn, Dr. med., Fachärztin für Allgemeinmedizin, Hamburg
  • Die ursprüngliche Version dieses Artikels basiert auf einem entsprechenden Artikel im norwegischen hausärztlichen Online-Handbuch Norsk Elektronisk Legehåndbok (NEL, https://legehandboka.no/).

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