Zusammenfassung
- Definition: Die Fruktoseintoleranz ist eine seltene autosomal-rezessiv erbliche Störung des Fruktosemetabolismus; ursächlich ist ein Aktivitätsmangel der Fruktose-1-Phosphat-Aldolase (auch Aldolase-B genannt), wodurch sich Fruktose-1-Phosphat in Leber, Niere und Dünndarm ansammelt.
- Häufigkeit: Die Häufigkeit wird auf etwa 1-9/100.000 geschätzt.
- Symptome: Nach Aufnahme von Fruktose, Saccharose oder Sorbitol kommt es zu gastrointestinalen Symtpomen und Hypoglykämien. Im Verlauf kann es zu Organschädigungen kommen.
- Befunde: Gastrointestinale Symptome (Bauchschmerzen, Übelkeit, Erbrechen), Hypoglykämie; langfristig kann die Erkrankung zum Leber- oder Nierenversagen und so zum Tod führen.
- Diagnose: Ernährungsanamnese, Fruktosekarenz. Humangenetische Analyse. Ggf. Leberbiopsie. Cave: ein Fruktosetoleranztest sollte nicht durchgeführt werden!
- Behandlung: Symptomatische Behandlung für die akuten Manifestationen. Dauerhafter Verzicht auf Fruktose, Sucralose, Saccharose und Sorbitol. Zuckerfreies Multivitamin-Präparat zur Vermeidung von Hypovitaminosen.
Allgemeine Informationen
Definition
- Die hereditäre Fruktoseintoleranz ist eine genetisch bedingte Störung des Fruktosemetabolismus, ausgelöst durch Veränderungen des ALDOB-Gens.1
- Ursächlich ist eine Funktionsstörung der Fruktose-1-Phosphat-Aldolase, auch bekannt als Aldolase-B.2-3
- Von der hereditären Fruktoseintoleranz müssen ähnliche Krankheitsbilder abgegrenzt werden, die im allgemeinen Sprachgebrauch häufig verwechselt werden:
- Essentielle Fruktosurie:
- Verursacht in der Regel keine Symptome.
- Durch Mangel an hepatischer Fruktokinase kommt es nach Aufnahme von Fruktose, Saccharose oder Sorbit zu erhöhten Fruktosespiegeln im Blut.
- Die Vererbung folgt ebenfalls dem autosomal-rezessiven Erbgang.4
- Fruktosemalabsorption:
- deutlich häufigere Erkrankung
- Geringe Mengen an Fruktose werden noch vertragen.
- Störung des GLUT-5-Transporters
- verringerte Fruktoseaufnahmefähigkeit im Dünndarm -> Nicht resorbierte Fruktose ist osmotisch aktiv und wird im Kolon von Bakterien metabolisiert.
- An Symptomen treten ebenfalls gastrointestinale Beschwerden auf.
- Die Therapie besteht in einer Ernährungsumstellung. Ein gänzlicher Verzicht auf Fruktose ist in der Regel nicht notwendig.5
- Essentielle Fruktosurie:
- Dieses Dokument befasst sich mit der hereditären Fruktoseintoleranz.
Häufigkeit
- Es wird geschätzt, dass die angeborene Fruktoseintoleranz in Deutschland mit einer Häufigkeit von 1-9/100.000 auftritt.3
- Ggf. liegt die Häufigkeit etwas höher, da viele Betroffene unbewusst Süßigkeiten vermeiden, die Krankheitssymptome verursachen
- In einer deutschen Studie wird eine Prävalenz der angeborenen Fruktoseintoleranz von 1:26.000 ermittelt.6
Ätiologie und Pathogenese
- Ursächlich ist eine gestörte Funktion der Aldolase-B.7
- Krankheitsverursachende Varianten im ALDOB-Gen sind ursächlich für die Entstehung der Erkrankung.
- Die Erkrankung folgt einem autosomal-rezessiven Erbgang.
- Nachkommen von Betroffenen erben in jedem Fall eine der veränderten ALDOB-Genkopien.
- Eine Wiederholiungswahrscheinlichkeit für Nachkommen von Betroffenen besteht jedoch nur dann, wenn auch der oder die Partnerin eine krankheitsverursachende ALDOB-Variante trägt.
- Die Eltern von Betroffenen sind in den meisten Fällen heterozygote Anlageträger für einen ALDOB-Mangel und erkranken selbst nicht.
- Bei heterozygoten Anlageträgern ist eine Neigung zu Hyperurikämie beschrieben.8
- Für Geschwisterkinder von Betroffenen ergibt sich gemäß des autosomal-rezessiven Erbgangs eine Wahrscheinlichkeit von 25 %, ebenfalls von der Erkrankung betroffen zu sein.2
- Nachkommen von Betroffenen erben in jedem Fall eine der veränderten ALDOB-Genkopien.
- Die Aldolase-B katalysiert normalerweise die Spaltung von Fruktose-1,6-Bisphosphat zu Dihydroacetonphosphat (DHAP) und Glycerinaldehyd-3-Phosphat sowie die Spaltung von Fruktose-1-Phosphat in DHAP und Glyceraldehyd.9
- Die entstehenden Stoffwechselprodukte werden zur Glykolyse bzw. Glukoneogenese genutzt.
- Ist der Schritt gestört, so kommt es zu Akkumulation von Fruktose-1-Phosphat und Fruktose-1,6-Bisphosphat.2,9
- Durch Störung der Glykolyse und Glukoneogenese kommt es zu einer Hypoglykämie.
- Fruktose ist ein natürlicher Zucker, der in einer Vielzahl von Lebensmitteln als Süßstoff verwendet wird, mittlerweile auch häufiger in Säuglingsnahrung.
- Sorbit (wird zu Fruktose verstoffwechselt) und Saccharose (besteht als Dimer aus je einem Molekül Alpha-Glucose und Beta-Fruktose) kommen in zahlreichen Lebensmitteln vor.2
Disponierende Faktoren
ICPC-2
- T99 Endo./metab./ernäh. Erkrank., andere
ICD-10
- E74 Sonstige Störungen des Kohlenhydratstoffwechsels
- E74.1 Störungen des Fruktosestoffwechsels
Diagnostik
Diagnostische Kriterien
- Anamnestische Hinweise
- Molekulargenetische Bestätigung
- ggf. Leberbiopsie
Differenzialdiagnosen
- Andere Erkrankungen, die abdominelle Beschwerden und mangelhafte Gewichtszunahme bei kleinen Kindern verursachen, z. B. Zöliake
- Andere Formen der Fruktoseintoleranz
- Funktionelle Dyspepsie
- Reizdarmsyndrom
Anamnese
- Hinweise auf die Erkrankung:2,7,9-10
- gastrointestinale Beschwerden nach Aufnahme von Fruktose, Sorbit, Sucralose oder Saccharose
- positive Familienanamnese, z. B. weitere betroffene Geschwister
- Beginn der Symptome nach Einführung fruktosehaltiger Nahrung (z. B. Obst bei Säuglingen), häufig in zeitlichem Zusammenhang mit dem Abstillen
- Impfreaktion: einige Impfstoffe enthalten Sucrose oder Saccharose (z. B. Rotarix und Rotateq gegen Rotaviren, Bexsero gegen Meningokokken, M-M-R-VAXPRO gegen Masern/Mumps/Röteln, etc.). 11
- Neugeborene, die Saccharose als Analgesie erhalten, können Symtpome bis hin zur Hypoglykämie entwickeln.
- ungeklärte, wiederholte Hypoglykämien
- Viele auf Soja basierende Kindernahrungsprodukte enthalten Saccharose, die auch Symptome verursachen kann, da aus Saccharose Fruktose abgespalten wird.
- Viele betroffene Kinder lehnen Süßigkeiten ab, nachdem sie schon früh im Leben durch Süßigkeiten Krankheitssymptome entwickelt haben. Eine Ernährungsanamnese, die die Abneigung gegen vereinzelte Lebensmittel aufdeckt, kann wichtig sein.
- Inwieweit Betroffene geringe Mengen an Fruktose tolerieren, hängt vermutlich von der Restaktivität der Aldolase-B ab.
- In manchen Fällen wird die hereditäre Fruktoseintoleranz erst im Erwachsenenalter diagnostiziert.12
Klinische Untersuchung
- Übelkeit, Erbrechen, Schwitzen, gastronintestinale Beschwerden wie Schmerzen, Hepatomegalie oder Aszites infolge einer Leberfunktionsstörung.
- Durch die gestörte Glukoneogenese und Glykolyse kommt es zu einer akuten Hypoglykämie: in Folge können Lethargie und Krampfanfälle bis hin zum Koma auftreten.
- Chronische Wachstumsstörung
- Kinder, denen es nach der Einnahme von Fruktose akut schlechter geht, sind aufgrund einer Azidose häufig tachypnoisch.10
Ergänzende Untersuchungen
- Ein Patient, der noch nie Fruktose exponiert war, hat normale Testergebnisse.
- Charakteristische metabolische Auffälligkeiten im Labor:2
- Hypoglykämie
- Laktatazidose
- Hypophosphatämie
- Hyperurikämie
- Hypermagnesiämie
- Hyperalaninämie
- Urinuntersuchungen
- Veränderungen der Urinausscheidung (Elektrolyte oder Aminosäuren) können ein Hinweis auf die Erkrankung sein.10
Diagnostik beim Spezialisten
- Genetische Diagnostik2-3,6
- Die Diagnose kann durch eine molekulargenetische Untersuchung des ALDOB-Gens gesichert werden.
- Leberbiopsie:
- Verminderte Aktivität der Aldolase-B
- bei unauffälliger Genetik und weiterhin bestehendem Verdacht auf HFI eine mögliche Alternative.2
- Ein oraler Fruktosetest (H2-Atemtest) sollte nicht durchgeführt werden, da hierdurch heftige Symptome ausgelöst werden können.
Indikationen zur Überweisung
- Bei Verdacht auf die Erkrankung
Therapie
Therapieziel
- Symptomfreiheit durch fruktosefreie Ernährung
Allgemeines zur Therapie
- Die Behandlung besteht im Weglassen von Fruktose, Sorbit, Sukralose und Saccharose in der Ernährung.
- Insbesondere bei nicht direkt erkennbaren Fruktosequellen müssen Betroffene gut aufgeklärt werden, z. B. bei Medikamenten, Nahrungsergänzungsmitteln oder Sirups.2,7
- Auch bei als zucker-frei deklarierten Lebensmitteln können Fruktose-Quellen enthalten sein.
- Schon bei Verdacht auf die Erkrankung sollten Fruktosequellen gemieden werden.
- Selbst Spuren von Fruktose in der Ernährung können eine chronische Azidose und Wachstumsstörungen verursachen.10
- Die Therapie sollte mit einem Ernährungsberater besprochen werden und kontinuierlich reevaluiert werden.
- Die konsequente Einhaltung der Therapie ist notwendig, um Schäden vorzubeugen, insbesondere im Kindesalter.
- Aufgrund der niedrigen Obst- und Gemüsezufuhr sollte auf eine ausreichende Vitaminsubstitution geachtet werden.2
- Zur direkten Erkennung der Krankheit kann ein Armband oder ein Notfallausweis mit Informationen hilfreich sein.
- Zum Ausschluss möglicher Komplikationen sollten nach Diagnosestellung einige Untersuchungen durchgeführt werden:
- Augenärztliche Untersuchung
- Untersuchung der Leber zur Einschätzung eines Leberschadens: Leberenzyme, Gerinnung, Albumin, Bilirubin
- Nephrologische Untersuchung: Überprüfung der Nierenfunktion, Elektrolyte
- Multidisziplinäre Behandlung für bestehende Komplikationen
- Therapie der akuten Manifestationen (akute Hypoglykämie) : symptomatische Behandlung im Krankenhaus; i. v. Glucose, supportive Behandlung bei Leberfunktionsstörung
- Eine Liste mit erlaubten und verbotenen Zuckern ist z. B. auf der Homepage der Boston University zu finden: https://www.bu.edu/aldolase/HFI/treatment/index.html
Medikamentöse Therapie
- Eine medikamentöse Behandlung existiert nicht.10
- Akute Verschlechterungen (z. B. Krampfanfälle, Koma, Leber- und Nierenversagen) werden stationär symptomatisch behandelt inklusive intravenöser Glukose-Infusionen, Behandlung der metabolischen Azidose etc.
- Um Vitaminmangelerscheinungen zu verursachen, sollten zuckerfreie Multivitamintabletten eingenommen werden.2,10
Verlauf, Komplikationen und Prognose
Verlauf
- Eine frühzeitige Diagnose ist wichtig, da Patienten mit Fruktoseintoleranz ein gesundes Leben leben können, wenn in einem frühen Stadium der Erkrankung die Ernährung angepasst wird.
- Wenn die Erkrankung unbehandelt bleibt, kann sie zu schweren Erkrankungen führen, insbesondere der Leber und der Nieren.
- Es sollten regelmäßige Kontrollen der Leber- und Nierenfunktion erfolgen.2
Komplikationen
- Bereits kleine Abweichungen von der strikten Diät können sich auf das Wachstum des Kindes auswirken durch Verursachung einer chronischen systemischen Azidose.10
- Eine späte Diagnosestellung kann eine Leberzirrhose mit den damit verbundenen Funktionsstörungen verursachen.
- Die Erkrankung kann zu Hypoglykämien mit den damit verbundenen Komplikationen führen.2,10
Prognose
- Unbehandelt kann die Erkrankung zum Tod führen.2
- Eine verzögerte oder inadäquate Behandlung kann zu Organschäden, insbesondere der Leber und Niere, führen.
- Wachstumsstörungen kommen bei dieser Erkrankung häufig vor.
- Bei frühzeitiger und adäquater Behandlung ist die Prognose sehr gut.10
Patienteninformationen
Worüber sollten Sie die Patienten informieren?
- Betreuungsbedarf durch einen Ernährungsberater
- Genetische Beratung für Betroffene sowie für Eltern, deren Kind unter hereditärer Fruktoseintoleranz leidet
Patienteninformationen in Deximed
Selbsthilfeorganisationen
- Selbsthilfegruppe hereditäre Fructoseintoleranz SHG-HFI: https://fructoseintoleranz.de/
Quellen
Literatur
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Autoren
- Laura Morshäuser, Dr. med., Ärztin in Weiterbildung, Karlsruhe
- Tor André Johannessen, allmennlege, Hallset legesenter, Trondheim (NEL)