Prinzmetal-Angina (vasospastische Angina)

Zusammenfassung

  • Definition:Abweichende Form der Angina pectoris, die nicht durch fixierte atherosklerotische Stenosen, sondern durch Vasospasmen epikardialer Koronararterien verursacht wird.
  • Häufigkeit:Prävalenz nicht genau bekannt. Vermutlich häufiger als bislang vermutet und insgesamt unterdiagnostiziert.
  • Symtome:Pektanginöse Beschwerden in Ruhe, insbesondere in den frühen Morgenstunden.
  • Befunde:Im EKG transiente ST-Hebungen, evtl. Arrhythmien.
  • Diagnostik:Definitive Diagnosestellung erfolgt anhand von Klinik, EKG-Veränderungen und Koronarangiografie mit Acetylcholin-Provokationstest.
  • Therapie:Nikotinkarenz als wichtiste Allgemeinmaßnahme. Medikamentöse Therapie mit kurzwirksamen Nitraten im Anfall, Dauerbehandlung mit Ca-Antagonisten oder/und langwirksamen Nitraten.

Allgemeine Informationen

Definition

  • Abweichende Form der Angina pectoris, die nicht durch fixierte atherosklerotische Stenosen, sondern durch Vasospasmen epikardialer Koronararterien verursacht wird und folgende klinische Charakteristika aufweist:1
    1. wiederholte Episoden mit Ruheangina, häufig in den Morgenstunden
    2. transiente ST-Hebung im EKG
    3. rasches Abklingen nach sublingualer Nitratgabe.

Häufigkeit

  • Die Prävalenz ist nicht genau bekannt und abhängig von der untersuchten Population.2
  • Vermutlich ist die vasospastische Angina häufiger als bislang vermutet und wird insgesamt unterdiagnostiziert.2
    • Bei Patient*innen mit akutem Koronarsyndrom (ACS) ohne eindeutig ursächliche Gefäßläsion kann in ca. der Hälfte der Fälle ein Koronarspasmus durch einen intrakoronaren Provokationstest ausgelöst werden.3
  • Im Vergleich zu westlichen Ländern höhere Prävalenz in Ostasien (Japan, Taiwan)4
  • Männer sind häufiger betroffen als Frauen.5
  • Die meisten Patient*innen sind zwischen 40 and 70 Jahre alt, mit zunehmendem Alter nimmt die Prävalenz signifikant ab.5
    • Auftreten auch schon bei Adoleszenten beschrieben6

Ätiologie und Pathogenese

  • Der entscheidende pathophysiologische Mechanismus des Syndroms ist der okklusive Spasmus eines epikardialen Koronargefäßes.1
  • Im Einzelnen scheint eine Reihe verschiedener Mechanismen zur Entstehung eines Spasmus beizutragen:2,7
    • erhöhte Kontraktilität glatter Muskelzellen
    • endotheliale Dysfunktion
    • oxidativer Stress
    • entzündliche Aktivität
    • veränderte Aktivität des autonomen Nervensystems.

Disponierende Faktoren und Trigger

Disponierende Faktoren

  • Rauchen8
    • Die übrigen kardiovaskulären Risikofaktoren scheinen nicht prädisponierend zu wirken.1
  • Migräne2
  • Alkoholkonsum2
  • Magnesiummangel9
  • Genetische Prädisposition4

Trigger

  • Kälteexposition1
  • Hyperventilation10
  • Valsalva-Manöver2
  • Mentaler Stress2
  • Medikamente2,11
    • Betablocker, Parasympathomimetika, Ergotalkaloide, Triptane, 5-FU u. a.
  • Drogen: Kokain, Amphetamine, Cannabis11

ICPC-2

  • K01 Herzschmerz, präkordial
  • K02 Druck/Engegefühl des Herzens

ICD-10

  • I20.1 Angina pectoris mit nachgewiesenem Koronarspasmus
  • I20.8 Sonstige Formen der angina pectoris

Diagnostik

Diagnostische Kriterien

  • 2017 veröffentlichte eine internationale Arbeitsgruppe (Coronary Vasomotion Disorders International Study Group COVADIS) standardisierte Diagnosekriterien für die vasospastische Angina.Betrachtet werden dabei für die Diagnose 3 Hauptelemente:12
    1. klassische klinische Manifestation
    2. EKG-Dokumentation der Myokardischämie während spontaner Episoden
    3. Nachweis von Koronarspasmen.

Leitlinie: Diagnostische Kriterien für die vasospastische Angina12

  • Nitropositive Angina, spontan auftretend, mit mindestens 1 der folgenden Kriterien:
    1. Ruheangina, insbesondere nachts und am frühen Morgen
    2. ausgeprägte Variabilität der Belastungstoleranz über 24 h, vermindert vor allem gegen Morgen
    3. Hyperventilation kann eine Episode auslösen.
    4. Ca-Antagonisten beenden die Episoden (aber nicht Betablocker).
  • Transiente ischämische EKG-Veränderungen während spontaner Episoden mit einer der folgenden Veränderungen in mindestens 2 benachbarten Ableitungen:
    1. ST-Hebung ≥ 0,1 mV
    2. ST-Senkung ≥ 0,1 mV
    3. neue negative U-Wellen.
  • Koronararterienspasmus – definiert als transienter totaler oder subtotaler Verschluss – mit Angina und ischämischen EKG-Veränderungen entweder spontan oder durch Provokation (Acetylcholin, Hyperventilation)

Differenzialdiagnosen

Anamnese

  • Symptome
    • rezidivierende Angina pectoris
      • Auftreten der Beschwerden in Ruhe
      • am häufigsten in den frühen Morgenstunden
    • Palpitationen/Synkope (bei ischämiegetriggerten Rhythmusstörungen)
    • schnelle Besserung auf kurzwirksames Nitrat
  • Bekannte KHK?
    • Nicht selten besteht die falsche Vorstellung, eine vasospastische Angina könne nur bei normalen Koronararterien auftreten.1
  • Nikotin?
  • Migräne?
  • Medikamente?
  • Drogen?

Klinische Untersuchung

  • Keine spezifischen Untersuchungsbefunde außerhalb von vasospastischen Episoden
  • Im Anfall evtl. ischämiegetriggerte Befunde: Arrhythmie, Tachykardie oder Bradykardie, Hypotension, Lungenstauung, Galopprhythmus, Mitralklappeninsuffizienz

Ergänzende Untersuchungen in der Hausarztpraxis

EKG

  • Sofern eine Dokumentation der EKG-Veränderungen während einer Episode mit pektanginösen Beschwerden gelingt, zeigen sich Veränderungen, die auf Nitratgabe rasch rückläufig sind:12
    • ST-Hebungen
    • ST-Senkungen
    • negative U-Wellen.
  • In einigen Fällen können auch klinische Symptome ohne EKG-Veränderungen auftreten.13

Langzeit-EKG 

  • Erfassung von EKG-Veränderungen (ST-Hebungen und/oder -senkungen, evtl. Arrhythmien) während klinischer Episoden mit Angina pectoris13
  • Bei Patient*innen mit vasospastischer Angina werden teilweise auch in asymptomatischen Phasen EKG-Veränderungen dokumentiert.13

Belastungs-EKG

  • Typischerweise unauffällig, sofern nicht gleichzeitig eine stenosierende KHK vorliegt.

Diagnostik bei Spezialist*innen

Koronarangiografie, invasiver Provokationstest

  • Koronarangiografie
    • Ausschluss oder Nachweis einer KHK
  • Provokationstest
    • intrakoronare Gabe von üblicherweise Acetylcholin3
    • Der Provokationstest wird als positiv gewertet, wenn alle 3 der folgenden Kriterien erfüllt sind:12
      • Reproduzierbarkeit der bekannten Brustbeschwerden
      • ischämische EKG-Veränderungen
      • angiografisch > 90-prozentige Vasokonstriktion.

Kardio-CT

  • Nichtinvasiver Ausschluss oder Nachweis einer KHK

Leitlinie: Empfohlene Diagnostik bei Patient*innen mit V. a. vasospastische Angina14

  • Die Anfertigung eines EKG während der Angina wird, wenn möglich, empfohlen (I/C).
  • Invasive Angiografie oder CT-Angiografie wird empfohlen bei Patient*innen mit typischen Ruhe-Angina-Episoden und ST-Segment-Veränderungen, die sich auf Nitrate und/oder Ca-Antagonisten zurückbilden, um das Ausmaß einer Koronarerkrankung zu erfassen (I/C).
  • Ambulantes ST-Segment-Monitoring sollte erwogen werden, um ST-Segment-Veränderungen bei Abwesenheit einer erhöhten Herzfrequenz zu erfassen (IIa/C). 
  • Ein intrakoronarer Provokationstest sollte erwogen werden, um Koronarspasmen bei Patient*innen mit normalen Koronararterien oder nichtobstruktiver KHK und dem klinischen Bild einer vasospastischen Angina zu identifizieren und die Lokalisation des Spasmus zu erfassen (IIa/B).

Indikationen zur Überweisung

  •  Bei V. a. vasospastische Angina

Therapie

Therapieziele

  • Symptomfreiheit oder -linderung
  • Verbesserung der Lebensqualität
  • Vermeidung und Behandlung von durch Koronarspasmen ausgelösten ischämischen Komplikationen

Allgemeines zur Therapie

  • Bausteine der Behandlung sind:1
    • Vermeidung prädisponierender Faktoren, insbesondere Rauchen
    • medikamentöse Behandlung.

Medikamentöse Therapie

  • Im Anfall sublinguale Gabe kurzwirksamer Nitrate1
  • In der Dauerbehandlung sind Ca-Antagonisten Mittel der 1. Wahl11,14
    • Es können unter Berücksichtigung von Komorbiditäten und Kontraindikationen entweder Dihydropyridine (z.B. Nifedipin, Amlodipin) oder Nicht-Dihydropyridine (Verapamil, Diltiazem) verwendet werden. 11 
  • Alternativ können langwirksame Nitrate verabreicht werden.11,14
  • Bei nicht ausreichender Wirkung einer Monotherapie können Ca-Antagonisten und Nitrate kombiniert werden.11
  • Eine weitere medikamentöse Option ist der Kaliumkanalblocker Nicorandil.1

Weitere Therapiemöglichkeiten

  • Nach überlebtem plötzlichem Herztod oder malignen ventrikulären Arrhythmien sollte eine ICD-Implantation erwogen werden.5

Verlauf, Komplikationen und Prognose

Komplikationen

Verlauf und Prognose

  • Häufig Cluster von Episoden mit Angina pectoris, im Wechsel mit weitgehend asymptomatischen Phasen15
  • Die Mehrzahl der Patient*innen hat eine gute Prognose, insbesondere bei Nikotinkarenz und Behandlung mit Ca-Antagonisten.8
  • Rezidivierende Angina pectoris bei 4–19 % der Patient*innen8
  • Infarktfreies 5-Jahres-Überleben 60–95 %1
  • Prädiktoren einer schlechteren Prognose sind:15
    • Vorliegen einer atherosklerotischen KHK
    • Spasmen multipler Koronararterien
    • perisistierender Nikotinkonsum.

Patienteninformationen

Patienteninformationen in Deximed

Quellen

Leitlinien

  • European Society of Cardiology. Guidelines for the diagnosis and management of chronic coronary syndromes. Stand 2019. www.escardio.org
  • Japanese Circulation Society. Guidelines for diagnosis and treatment of patients with vasospastic angina (Coronary Spastic Angina). Stand 2013. www.pubmed.ncbi.nlm.nih.gov 

Literatur

  1. Beltrame J. Variant angina. European Society of Cardiology - e-Journal of Cardiology Practice; Vol 11, 08 Jan 2013. Zugriff 22.01.21 www.escardio.org
  2. Picard F, Sayah N, Spagnoli V, et al. Vasospastic angina: A literature review of current evidence. Arch Cardiovasc Dis 2019; 112: 44-55. doi:10.1016/j.acvd.2018.08.002 DOI
  3. Ong P, Athanasiadis A, Hill S et al. Coronary Artery Spasm as Frequent Cause of Acute Coronary Syndrome. J Am Coll Cardiol 2008; 52: 523–527. doi:10.1016/j.jacc.2008.04.050 DOI
  4. Japanese Circulation Society. Guidelines for diagnosis and treatment of patients with vasospastic angina (Coronary Spastic Angina) . Circ J 2014; 78: 2779-801. doi:10.1253/circj.cj-66-0098 DOI
  5. Kundu A, Vase A, Sardar P, et al. Variant Angina and Aborted Sudden Cardiac Death. Current Cardiology Reports 2018; 20: 26. doi:10.1007/s11886-018-0963-1 DOI
  6. Jefferies J, Treistman B. Prinzmetal Angina in a Teenage Girl. Pediatr Cardiol 2005; 26: 486-487. doi:10.1007/s00246-004-0811-5 DOI
  7. Kusama Y, Kodani E, Nakagomi A, et al. Variant Angina and Coronary Artery Spasm: The Clinical Spectrum, Pathophysiology, and Management. J Nippon Med Sch 2011; 78: 4-12. doi:10.1272/jnms.78.4 DOI
  8. Hung M, Hu P, Hung M. Coronary Artery Spasm: Review and Update. Int J Med Sci 2014; 11: 1161-1171. doi:10.7150/ijms.9623 DOI
  9. Guo H, Cheng J, Lee J, et al. Relationship between the Degree of Intracellular Magnesium Deficiency and the Frequency of Chest Pain in Women with Variant Angina. Herz 2004; 29: 299–303. doi:10.1007/s00059-003-2471-2 DOI
  10. Lanza G, Careri G, Crea F. Mechanism of coronary spasm. Circulation 2011; 124: 1774-1782. doi:10.1161/CIRCULATIONAHA.111.037283 DOI
  11. Harris J, Hale G, Dasari T, et al. Pharmacotherapy of Vasospastic Angina. J Cardiovasc Pharmacol Ther 2016; 21: 439-51. doi:10.1177/1074248416640161 DOI
  12. Beltrame J, Crea F, Kaski J, et al. International standardization of diagnostic criteria for vasospastic angina. Eur Heart J 2017; 38: 2565–2568. doi:10.1093/eurheartj/ehv351 pubmed.ncbi.nlm.nih.gov
  13. Bayes de Luna A, Cygankiewicz I, Baranchuk A, et al. Prinzmetal Angina: ECG Changes and Clinical Considerations: A Consensus Paper. Ann Noninvasive Electrocardiol 2014; 19: 442–453. doi:10.1111/anec.12194 DOI
  14. Knuuti J, Wijns W, Saraste A. 2019 ESC Guidelines for the diagnosis and management of chronic coronary syndromes. Eur Heart J 2020; 41: 407-477. pubmed.ncbi.nlm.nih.gov
  15. Wang S. Coronary artery vasospasm. Medscape, updated Nov 14, 2018. Zugriff 23.01.21. emedicine.medscape.com

Autor

  • Michael Handke, Prof. Dr. med., Facharzt für Innere Medizin, Kardiologie und Intensivmedizin, Freiburg i. Br.

Links

Autoren

Ehemalige Autoren

Updates

Gallery

Snomed

Click to edit