Malignes Neuroleptika-Syndrom

Was ist ein malignes Neuroleptika-Syndrom?

Definition

Das maligne Neuroleptika-Syndrom (MNS) ist ein seltenes, aber lebensbedrohliches Krankheitsbild, das bei der Anwendung sog. Neuroleptika (auch Antipsychotika) auftreten kann, die z. B. zur Behandlung eingesetzt werden bei:

  • schizophrenen Psychosen
  • Depressionen
  • bipolaren Störungen (Manie und Depression im Wechsel)
  • Unruhe- und Erregungszuständen
  • bestimmten Verhaltensstörungen (z. B. bei Demenz
  • organischen Psychosen (Wesensveränderungen aufgrund von körperlichen Gehirnveränderungen z. B. durch Alkohol, Infektionen)
  • Ticstörungen und Tourette-Syndrom
  • Zwangsstörungen.

Symptome

Häufig treten die Symptome kurz nach Einnahmebeginn entsprechender Antipsychotika auf, gewöhnlich innerhalb der ersten zwei Wochen. Zu den typischen Symptomen zählen:

  • Fieber höher als 38 °C ohne erkennbaren Infekt
  • Schwitzen
  • Muskelsteifigkeit der Skelettmuskulatur
  • Zittern
  • Störungen des Bewusstseins (Verwirrtheit, Sprech- und Schluckstörungen bis zum Koma)
  • Schwankungen von Herzschlag (schnell) und Blutdruck (hoch)
  • unwillkürliche Muskelzuckungen in Armen und Beinen.

Ursachen

Die Erkrankung kann von allen Arten von Antipsychotika hervorgerufen werden, insbesondere solchen, die u. a. in den Dopaminstoffwechsel eingreifen, indem sie bestimmte Dopamin-Rezeptoren blockieren. Durch die Blockierung steht den Nervenzellen im Gehirn weniger Dopamin zur Verfügung steht. Damit soll der vorhandene Überschuss ausgeglichen werden, da man z. B. bei einer Schizophrenie davon ausgeht, dass eine Überaktivität von Dopamin die Ursache für die Erkrankung ist. Am häufigsten tritt ein MNS bei der Einnahme sog. klassischer hoch- oder niedrigpotenter Neuroleptika (z. B. Haloperidol, Pipamperon) auf.

Außerdem kann ein malignes Neuroleptika-Syndrom auch durch das plötzliche Absetzen von Medikamenten hervorgerufen werden, die zur Behandlung von Parkinson eingenommen werden (sog. Dopaminagonisten); das sind Medikamente, die dafür sorgen, dass dem Körper mehr Dopamin zur Verfügung steht.

Zusammenfassend scheint ein MNS also Folge eines akuten Dopaminmangels zu sein.

Außerdem gibt es zusätzlich Faktoren, die im Vedacht stehen, das Risiko eines malignen neuroleptischen Syndroms zu erhöhen, z. B.:

  • Austrocknung des Körpers
  • vorgeschädigtes Gehirn, z. B. nach Schlaganfall
  • Fieber
  • Neuroleptika, die in den Muskel gespritzt oder als Langzeitspritze gegeben werden.
  • kürzlich begonnene Einnahme von Antipsychotika und/oder schnelle Erhöhung der Dosis
  • bestimmte psychiatrische Erkrankungen wie z. B. Depression, Manie, bipolare Störung (Manie und Depression im phasenweisen Wechsel)
  • Eisenmangel.

Häufigkeit

Schätzungsweise sind etwa 0,02–0,04 % der mit Antipsychotika behandelten Personen von einem malignen neuroleptischen Syndrom betroffen, 70–80 % der betroffenen Personen sind jünger als 40–50 Jahre.

Untersuchungen

Körperliche Untersuchung

Wenn Sie vor kurzem eine Behandlung mit Antipsychotika begonnen haben und o. g. zeitnah einsetzende Symptome (innerhalb von 24–72 Stunden) bemerken, können Hausärzt*innen den Verdacht auf ein malignes Neuroleptika Syndrom stellen. Um andere Ursachen (z. B. eine Entzündung, eine Vergiftung oder eine Schilddrüsenerkrankung) ausschließen zu können, folgt eine ausführliche körperliche Untersuchung und die Messung Ihrer Körpertemperatur.

Weitere Untersuchungen in der Hausarztpraxis

Darüber hinaus können Untersuchungen des Blutdrucks, ein EKG und bestimmte Blutuntersuchungen (z. B. Blutzucker, Leberwerte, Entzündungswerte und die sog. Creatinkinase (CK), die bei der Zerstörung von Muskelzellen erhöht ist) sowie eine Urinuntersuchung durchgeführt werden.

Untersuchungen im Krankenhaus

Falls sich der Verdacht auf ein schweres MNS (z. B. mit Ausfallserscheinungen des Nervensystems, Bewusstseinsstörungen, neu aufgetretenen psychotischen Symptomen) erhärtet, werden Hausärzt*innen Betroffene sofort in ein Krankenhaus mit akutmedizinischer Versorgung für weitere Untersuchungen überweisen. Falls notwendig, kann dort auch die Notfallbehandlung vorgenommen werden.

Behandlung

Die wichtigsten Ziele der Behandlung eines malignen Neuroleptika-Syndroms bestehen darin, die regulären Körperfunktionen zu erhalten und die Symptome zu lindern.

Allgemeine Maßnahmen

  • Bei einem malignen Neuroleptika-Syndrom ist die bedeutsamste Maßnahme, sofort alle Antipsychotika abzusetzen.
  • Wenn die Symptome auf das plötzliche Absetzen von Dopaminagonisten zurückzuführen sind, ist diese Behandlung wieder aufzunehmen.
  • Die Behandlung kann durch Flüssigkeitszufuhr (Infusionen), fiebersenkende Maßnahmen (Kühlung) und ggf. eine Magensonde bei Schluckbeschwerden unterstützt werden.

Medikamente

Falls o. g. Maßnahmen bei einem schweren Krankheitsbild nicht ausreichen, können Ärzt*innnen im Krankenhaus unter sorgfältiger Abwägung von Nutzen und Risiko bzw. Nebenwirkungen bestimmte Medikamente einsetzen, wie z. B.:

  • Benzodiazepine (z. B. Lorazepam) bei Unruhe und bei katatonen Symptomen (u. a. stark eingeschränkte Beweglichkeit, Unfähigkeit zu Sprechen, Abbruch von Handlungen)
  • Dopaminagonisten (Amantadin, Bromocriptin)
  • Medikamente zur Muskelentspannung.

Weitere Behandlungsmöglichkeiten

Falls o. g. Behandlungen zu keiner Besserung führen, gibt es nach sorgfältiger Abwägung die Möglichkeit die sog. Elektrokrampftherapie (EKT) anzuwenden. Dabei wird unter Kurznarkose künstlich ein Krampfanfall hervorgerufen.

Falls notwendig, ist es ratsam, frühestens 2 Wochen, nachdem die Symptome abgeklungen sind, vorsichtig mit anderen Antipsychotika zu beginnen.

Was können Sie selbst tun?

Erhöhen Sie nicht eigenmächtig die Dosis Ihrer Antipsychotika, sondern folgen Sie genau den Anweisungen Ihrer Ärzt*innen, und nehmen Sie Kontrolltermine regelmäßig wahr. Falls Sie Nebenwirkungen bei sich bemerken, suchen Sie zeitnah Ihre Hausarztpraxis auf, um ggf. die Dosis anzupassen. Setzen Sie Dopaminagonisten nicht ohne Rücksprache mit Ihren behandelnden Ärzt*innen ab!

Prognose

Von entscheidender Bedeutung für die Prognose sind eine frühzeitige Diagnose und das sofortige Absetzen des auslösenden Medikaments. Treten keine schwerwiegenden Komplikationen auf, ist die Prognose gut und die erkrankten Personen erholen sich je nach Medikament meist 7–21 Tage nach Absetzen der Antipsychotika.

Dennoch gibt es immer wieder schwerwiegende Verläufe der Erkrankung: 7–15 % der Bevölkerung sterben an einem MNS, Risikofaktoren sind vor allem hohes Alter, sehr hohes Fieber, bereits früher stattgefundene Schädigungen das Gehirns und eine Behandlung mit sog. klassischen Antipsychotika. In ca. 1/3 der Fälle kommt es nach durchgemachter Erkrankung erneut zum Auftreten eines MNS.

Weitere Informationen

Autorin

  • Catrin Grimm, Ärztin in Weiterbildung Kinder- und Jugendpsychiatrie und -psychotherapie, Klingenberg a. M.

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Literatur

Dieser Artikel basiert auf dem Fachartikel Malignes Neuroleptika-Syndrom (MNS). Nachfolgend finden Sie die Literaturliste aus diesem Dokument.

  1. Nagel M, Freisberg S, Junghanns K et al. Das maligne neuroleptische Syndrom (MNS) – Eine systematische Übersicht. Fortschr Neurol Psychiatr 2015; 83: 373-80. PMID: 26200042 PubMed
  2. Sidwell A, Aliabadi-Oglesby T, Mitchell A. Neuroleptic malignant syndrome. BMJ Best Practice; last reviewed: 18 Jan 2022, last updated: 08 Sep 2021 bestpractice.bmj.com
  3. Deutsche Gesellschaft für Psychiatrie und Psychotherapie, Psychosomatik und Nervenheilkunde. Schizophrenie. AWMF-Leitlinie Nr. 038-009. S3, Stand 2019. www.awmf.org
  4. Deutsches Institut für Medizinische Dokumentation und Information (DIMDI): ICD-10-GM Version 2022. Stand 17.09.2021; letzter Zugriff 18.02.2022 www.dimdi.de
  5. Perry PJ, Wilborn CA. Serotonin syndrome vs neuroleptic malignant syndrome: a contrast of causes, diagnoses, and management. Ann Clin Psychiatry 2012;24:155-162. PubMed