Letzte Woche verlor ein älteres Ehepaar (75 und 82 Jahre alt) vor dem Bundesverwaltungsgericht. Das Paar wollte das Recht auf den Erwerb eines tödlichen Medikaments für einen gemeinsamen Suizid erstreiten. Die Eheleute möchten ihr Leben gemeinsam beenden, solange sie noch handlungsfähig und nicht schwer erkrankt sind. Laut tagesschau.de sah das Gericht in diesem Fall die Grundvoraussetzung für die Genehmigung des Erwerbs eines Suizidmedikaments als nicht erfüllt. Die hier geforderte Grundvoraussetzung ist eine Notlage durch schwere und unheilbare Erkrankung mit gravierendem körperlichen Leiden, insbesondere starken Schmerzen und unerträglichem Leidensdruck, der nicht ausreichend gelindert werden kann.
Der Wunsch des Ehepaars scheint schon irgendwie nachvollziehbar. Sie möchten in Würde gehen, bevor das Leben unerträglich wird, einer der beiden zuerst stirbt, an Demenz erkrankt, pflegebedürftig wird. Die vom Bundesverwaltungsgericht bereits 2017 definierte Notlage kommt wahrscheinlich in der einen oder anderen Form noch auf dieses Paar zu, ebenso wie auf einen großen Teil aller Menschen. Außerdem haben die beiden vermutlich, wie wir alle, die aktuell diskutierten Probleme, wie Pflegenotstand oder Altersarmut im Hinterkopf. Altsein in Deutschland ist für die wenigsten eine positive Perspektive. So ist z. B. die Palliativversorgung in Pflegeeinrichtungen nur dann gut, wenn man Glück hat und eine gute hausärztliche und pflegerische Versorgung bekommt. Soll deswegen gestattet sein, aus dem Leben zu scheiden, so lange es noch einigermaßen schön ist, vielleicht auch damit man anderen nicht zur Last fällt? Dass das Gericht hier keinen Präzedenzfall schaffen wollte und konnte, der dazu führt, dass es für alte und kranke Menschen zur Normalität wird, ihr Leben vorzeitig zu beenden, ist wichtig für unseren gesellschaftlichen Umgang mit Alter, Krankheit und Tod. Auch wir Hausärzte sollten dagegen ankämpfen, dass es für Menschen irgendwann einmal besser ist, tot zu sein, als alt.
Leider gar nicht so anders ist die Situation für Patienten, auf die die Definition der Notlage zutrifft, die aber trotzdem vom BfArM keine Genehmigung eines Suizidmedikaments erhalten. Auf Anweisung des Gesundheitsministeriums werden derzeit keine derartigen Anträge positiv beschieden. Wie bei so vielen existenziellen Fragen ist es auch bei Sterbehilfe und assistiertem Suizid schwierig, ein Urteil zu fällen, so lange man nicht selbst oder eine nahestehende Person betroffen ist. Beispielsweise erheben beim Thema Schwangerschaftsabbruch auch viele (ältere) Männer, die niemals in die Situation einer ungewollten Schwangerschaft kommen werden, den moralischen Zeigefinger. Auf Spiegel Online beschrieb eine Patientin, die unter ALS leidet, sehr eindrücklich, warum es für sie so wichtig wäre, Phenobarbital „als letztes Mittel für schlechte Zeiten" zu haben. Jeder hat seine eigene Einstellung zum Leben und niemand möchte, dass Patienten so schwer krank sind, dass sie in einem assistierten oder genehmigten Suizid den letzten Ausweg sehen. Aber wir alle haben und hatten solche Patienten. Wir sollten ihnen gut zuhören, denn die Frage nach Leben und Tod ist eine sehr persönliche.
Marlies Karsch, Chefredakteurin
Frühere Themen:
- Ist die elektronische Patientenakte wirklich gut durchdacht?
- Ärztliche Beratung im Ramadan
- Hausärzte sind Spezialisten
- Fluorchinolone: Wie vielen Patienten haben wir damit geschadet?
- Adipositas ist nicht gleich Adipositas: Binge-Eating-Störung
- Darf ich mir meine Patienten aussuchen?
- Kostenlose Fortbildungen und Gratishäppchen - Haben wir das wirklich nötig?
- Facharztprüfung Allgemeinmedizin: Auf alle Fälle vorbereitet
- Arztberuf als Selbstschutzmaßnahme
- Das nötige Rüstzeug für eine Beratung zur Organspende
- Ist das „BG-lich“?
- Onkologische Notfälle
- Fakten zur Influenzasaison 2018/19
- Opfer von Menschenhandel und Zwangsprostitution - kein Thema für Hausärzte?
- Orthopädie bei Kindern: Wer kennt sich da aus?
- Ist ein Arzt an Bord?
- Ärztliche Leitlinien: Viel hilft viel?
- Wollen wir wirklich eine Impfpflicht?
- Panikstörung: Das Chamäleon der Akutmedizin
- Was heißt hier kommerziell?
- Dünnes Eis: Freunde und Familienmitglieder als Patienten
- Digitale Hybris, intelligente Hilfe
- Weihnachten 2018: Darf man sich was wünschen?
- Rationale Antibiotikatherapie in der Hausarztpraxis
- Krank ins Büro?
- Red Flags und abwendbar gefährliche Verläufe
- Physiotherapie: Herausforderung Hilfsmittel-Verordnung
- Unabhängige Patienteninformationen?
- Iatrogene Krankheitsbilder - wenn die Arzneimitteltherapie krank macht
- Manchmal frustrierend: Schwindelabklärung in der Hausarztpraxis
- Geflüchtete als Patienten in der Hausarztpraxis
- Neue NVL Asthma: wichtige und neue Empfehlungen
- Was kann man noch glauben?
- Nicht ganz banal, aber fast schon alltäglich in der Hausarztpraxis: Erkrankungen bei Tropenrückkehrern
- Neue DEGAM-Leitlinie "Brennen beim Wasserlassen"
- STIKO-Impfempfehlungen: Was ändert sich?
- Warum die DEGAM für uns wichtig ist
- Eine Wissenschaft für sich: die Abrechnung in der Hausarztpraxis
- Sehstörungen: Was kann der Hausarzt tun?
- Für die meisten unsichtbar: die neue Wohnungslosigkeit
- Orale Antikoagulanzien: Was gibt es Neues?
- Zufällig auskultiertes Herzgeräusch - was nun?
- Immer noch ungerecht: Kindergesundheit in Deutschland
- Hitzewelle und Gesundheitsrisiken
- Deximed für die Facharztprüfung Allgemeinmedizin
- Fahrt Rad!
- Neue Leitlinie: Typ-1-Diabetes
- Ausbeutung von PJ-Studenten in Kliniken
- Sonografie in der Hausarztpraxis – Wir haben die Bilder dazu!
- Neues zu HPV
- Cannabis: Stand der Dinge
- Zytomegalie: Haben wir das auf dem Schirm?
- Fernbehandlung: Fluch und Segen der Telemedizin
- Neue DVO-Leitlinie Osteoporose
- Gewalt gegen Ärzte
- Alles gelb: Pollenalarm!
- Neues zu Asthma
- Der Wahnsinn: „Psychisch-Kranken-Hilfe-Gesetz“ in Bayern
- Wartezeit auf Psychotherapie: 20 Wochen!
- Das Märchen von der Datensicherheit
- Mein Heilpraktiker ist aber anderer Meinung
- Schwangerschaftsabbrüche – Hilfe ohne Wertung
- Armut macht krank – auch hierzulande
- Erst einmal 112 rufen: Lebensbedrohliche Notfälle in der Hausarztpraxis
- „Da kann nichts passieren, ich fahre die Strecke jeden Tag“ – Beurteilung der Fahreignung
- Alles eine Frage der Definition: Burnout und CFS
- Endokrinologie in der Hausarztpraxis: Schilddrüsenerkrankungen
- Neue DEGAM-Leitlinie: Müdigkeit
- Können Teilzeitärztinnen „richtige“ Hausärzte sein?
- Warum gibt es den Männerschnupfen?
- Influenza: neue Impfempfehlung
- Interkulturelle Kommunikation – Vorsicht Fallstricke!
- Alkohol und sein Platz in unserer Gesellschaft
- Was bleibt, was sich ändert
- Weihnachten als gesundheitliche Herausforderung
- Haben wir die Zeit für Banalitäten?
- Alles Reizdarm
- Das rote Auge in der Hausarztpraxis
- Schlafstörungen: große Erwartungen an die Ärzte
- Gibt es ihn noch, den gesunden Menschen?
- Klimawandel: wir Ärzte sollten dazu etwas sagen
- Drogenkrise in den USA – Betrifft uns das?
- Mit Schnupfen in die Notaufnahme?
- Vorgehen bei somatoformen Störungen: weniger ist mehr
- Häufiger Zufallsbefund: Anämie
- Die neue Leitlinie zum Harnwegsinfekt lässt Fragen offen
- Hausärzte können Palliativmedizin
- Nicht unsere Baustelle? Gynäkologie in der Hausarztpraxis
- Impfempfehlungen der STIKO – Was ist neu?
- EKG-Befunde, wie sie in der Praxis aussehen
- Warum erlaubt Deutschland als letztes EU-Land Außenwerbung für Tabakprodukte?
- Cannabinoide, revisited
- Ärztliche Schweigepflicht – Wann muss, wann darf man eine Ausnahme machen?
- Highlights aus Babybecken, Sandkasten und Kita
- Hautinfektionen – Haben Sie die Bilder dazu im Kopf?
- Hausärztliche Beratung zur kardiovaskulären Prävention – die neue DEGAM-Leitlinie
- Neue Leitlinie: Geriatrisches Assesssment in der Hausarztpraxis
- Bei Kopfschmerz an die Differenzialdiagnosen denken!
- Quartäre Prävention und Vermeidung von Überdiagnostik
- HIV und AIDS: daran denken!
- NVL Kreuzschmerz: Was ist neu?
- Oft nicht ganz eindeutig: Dermatologie in der Hausarztpraxis
- Beratung vor der Reise
- Sommerliche Notfälle in der Hausarztpraxis
- Auch wenn es schwerfällt: Let's talk about sex
- Allgemeinmedizin attraktiver machen – wie geht das?
- Unsere globale Verantwortung: Antibiotikaresistenzen
- Nicht jedermanns Sache: Traumatologie in der Hausarztpraxis und beim Notarzteinsatz
- Off-Label-Use – Was ist zu beachten?
- Mobbing von Schülern und gesundheitliche Folgen
- Demenzdiagnostik in in der Hausarztpraxis
- Wissen, was man tut, und warum
- Der „Mausarm“ und andere Schulter-Arm-Probleme
- iFOBT statt Serienbriefchen
- Achtung Pollenflug
- Nackenschmerzen – ein Wunschkonzert?
- Kollege Dr. House
- TSH – Krankheitsdefinition aus dem Labor?
- Impfpräventable Krankheitsbilder – es gibt sie noch
- Cannabinoide auf Rezept
- Ohrenprobleme
- Die Altenheimvisite
- Wenn der Alltag krank macht
- Ärzte als Patienten
- Gute Vorsätze für das neue Jahr
- There is no free lunch
- Influenza – die Saison ist eröffnet
- Depressionsbehandlung – eine typische Aufgabe des Hausarztes?
- Vitamin D – ein Alleskönner?
- Erkältungszeit
- Evidenzbasierte Medizin aus Norwegen