Alkoholmissbrauch im Kindes- und Jugendalter

Zusammenfassung

  • Definition:Schädlicher Alkoholgebrauch: Führt zu Gesundheitsschädigung. Alkoholabhängigkeit: Verhaltensänderungen, kognitive und körperliche Symptome. Kinder: < 14 Jahre; Jugendliche: 14−18 Jahre; Heranwachsende: 18−21 Jahre.
  • Häufigkeit:Konsumeinstieg mit durchschnittlich ca. 14 Jahren, erster Rausch mit durchschnittlich ca. 16–17 Jahren. Riskanter Konsum: 5–17 % aller Jugendlichen. Abhängigkeit: 10 % der männlichen, 2,5 % der weiblichen 14- bis 24-Jährigen.
  • Symptome:Anamnestische Hinweise auf übermäßigen Alkoholkonsum, Konzentrationsstörungen, Vergesslichkeit, Leistungsabfall in Schule oder Beruf, Hinweise auf psychische Störungen oder soziale Probleme, Risikoverhalten unter Alkoholeinfluss, selten Entzugssymptome.
  • Befunde:Evtl. wiederholter Foetor alcoholicus, evtl. Hinweise auf Beikonsum illegaler Drogen.
  • Diagnostik:Frühzeitige Identifizierung von Personen mit besonderem Risiko für schädlichen Alkoholgebrauch. Bei diesen Personen gezielte Anamnese und körperliche Untersuchung, ggf. ergänzt durch Fragebogen zum Alkoholkonsum und Laboruntersuchungen.
  • Therapie:Betroffene sollen ihr Problem erkennen und zur Abstinenz motiviert werden. Für ältere Jugendliche kann es hilfreich sein, zunächst eine Trinkmengenreduktion anzustreben; u. U. ist ambulante Kurzintervention ausreichend. Bei Alkoholintoxikation oder Entzugssyndromen stationäre Entgiftung im Rahmen einer qualifizierten Entzugsbehandlung, gefolgt von einer Postakutbehandlung mit psychosozialen Interventionen. Ggf. Maßnahmen der Rehabilitation, Jugend- und Eingliederungshilfe.

Allgemeine Informationen

Definition

Häufigkeit

  • Der gesamte Abschnitt basiert auf diesen Referenzen.1-6
  • Alkohol ist die im Jugendalter am häufigsten verwendete Droge.1
    • Deutsche Jugendliche trinken häufiger und mehr als Gleichaltrige in anderen europäischen Ländern.2
  • Konsumeinstieg2
    • Durchschnittsalter 13,8 Jahre
    • 2/3 der 12- bis 17-Jährigen und 90 % der 16- bis 17-Jährigen haben schon einmal Alkohol getrunken.
  • Im Jahr 20187
    • tranken 8,7 % der 12- bis 17-Jährigen laut eigenen Angaben mindestens einmal pro Woche Alkohol.
      • Im Jahr 2004 waren es noch 21 %.
    • erlebten Jugendliche ihren ersten Rausch mit durchschnittlich 16,3 Jahren.
      • Im Jahr 2004 lag das Durchschnitts­alter noch bei 15,5 Jahren.
    • kamen 20.469 10- bis 20-Jährige mit Alkoholintoxikation in eine Klinik.2,7-8
      • Das sind fast doppelt so viele wie im Jahr 2000.
  • Riskanter Konsum
    • Laut Daten der Bundeszentrale für gesundheitliche Aufklärung (BZgA) konsumieren rund 3 % der 12- bis 17-Jährigen Alkoholmengen, die für Erwachsene als gesundheitsriskant gelten.7
  • Geschlechterunterschiede
    • Epidemiologische Studien zeigen je nach Methodik unterschiedlich große Geschlechterunterschiede.5
    • Im Jahr 2017 konsumierten ca. 17 % mehr männliche als weibliche Jugendliche regelmäßig Alkohol.2
    • Die Prävalenz riskanten Konsums bei Mädchen und jungen Frauen war bislang niedriger als die bei Jungen und Männern, scheint sich dieser aber seit Ende des 20. Jahrhunderts immer mehr anzunähern.9

Disponierende Faktoren

  • Der gesamte Abschnitt basiert auf diesen Referenzen.1-2,5,10
  • Individuelle Vulnerabilitätsfaktoren
    • biologische inkl. genetische Faktoren
      • Alkohol wirkt bei manchen Menschen besonders entspannend. Das erhöht das Abhängigkeitsrisiko.
      • Hohe Alkoholtoleranz – Warnreiz vor hohen Dosen fehlt.
    • ungünstige Temperamentsmerkmale
      • leichte Irritierbarkeit
      • Impulsivität
      • Stimulationssuche
      • verminderte Fähigkeit zum Gratifikationsaufschub
      • Defizite in den sozial adaptiven Fähigkeiten
  • Risikogruppen
    • Aufwachsen in Risikofamilien, gekennzeichnet durch:
      • Alkohol- und Drogenmissbrauch
      • Disharmonie
      • Strukturmangel.
    • ungünstige Peergroup
    • niedriger Bildungsstandard
      • Haupt-/Werkrealschüler*innen sind am häufigsten betroffen.2
    • psychische Störungen, z. B.:
    • berufliche Tätigkeit mit leichtem Zugang zu Alkohol

ICPC-2

  • P15 Chronischer Alkoholmissbrauch
  • P16 Akuter Alkoholmissbrauch

ICD-10

  • F10 Psychische und Verhaltensstörungen durch Alkohol11
    • F10.0 Akute Intoxikation (akuter Rausch)
    • F10.1 Schädlicher Gebrauch
    • F10.2 Abhängigkeitssyndrom (einschl. chronischer Alkoholismus)
    • F10.3 Entzugssyndrom
    • F10.4 Entzugssyndrom mit Delir (einschl. Delirium tremens – alkoholbedingt)
    • F10.5 Psychotische Störung (einschl. Alkohol-Halluzinose, Alkoholische Paranoia, Alkoholpsychose o.n.A., Alkoholischer Eifersuchtswahn)
    • F10.6 Amnestisches Syndrom (einschl. durch Alkohol bedingte Korsakowpsychose)
    • F10.7 Restzustand und verzögert auftretende psychotische Störung
    • F10.8 Sonstige psychische und Verhaltensstörungen
    • F10.9 Nicht näher bezeichnete psychische und Verhaltensstörung

Diagnostik

Diagnostische Kriterien

  • Der gesamte Abschnitt basiert auf diesen Referenzen.2,4,10

Akute Alkoholintoxikation (akuter Rausch)

  • Symptombild (Näheres siehe Artikel Alkoholvergiftung) bei Jugendlichen häufig durch zusätzlichen Drogenkonsum verändert
    • Genaues Erfragen der eingenommenen Substanzen, ggf. anhand Fremdanamnese, z. B. mithilfe anderer Jugendlicher, die den Konsum beobachtet haben.
  • Verhaltensauffälligkeiten
    • Enthemmung
    • Streitbarkeit, aggressives Verhalten
    • Affektlabilität
    • Aufmerksamkeitsstörung
    • Einschränkung der Urteilsfähigkeit
    • Beeinträchtigung der persönlichen Leistungsfähigkeit
  • Zusätzlich objektivierbare Zeichen
  • Pathologischer Rausch
    • sehr seltene Variante des akuten Rauschs
      • evtl. nach erstmaligem Alkoholkonsum
    • Charakteristisch sind:
      • ausgeprägte Rauschsymptomatik nach relativ geringer Trinkmenge
      • Meist aggressive Verhaltensauffälligkeiten, die für die Person im nüchternen Zustand untypisch sind.
      • Symptomatik tritt bereits wenige Minuten nach Alkoholkonsum auf.
    • Abzugrenzen von:

Schädlicher Gebrauch

  • Schädlicher Alkoholgebrauch (ICD-10, F10.1)11 liegt vor, wenn der Alkoholkonsum zu einer Gesundheitsschädigung führt.
    • Diese kann als körperliche Störung auftreten – oder –
    • als psychische Störung z. B. als depressive Episode.
  • Konsumgrenzen2
    • Die für Erwachsene geltenden Grenzwerte für riskanten und gefährlichen Konsum (Näheres siehe Artikel Übermäßiger Alkoholkonsum) können nicht ohne Weiteres auf Kinder und Jugendliche übertragen werden.
      • In der Entwicklungsphase gibt es individuelle Risiken, die die potenziell schädliche Wirkung von Alkohol mitbestimmen.
    • Kinder sollten keinen Alkohol trinken.
    • Jugendliche sollten Alkohol möglichst vermeiden, um negative Auswirkungen auf ihre Entwicklung zu verhindern.

Alkoholabhängigkeitssyndrom nach ICD-1011

  • Als Alkoholabhängigkeitssyndrom (ICD-10 F10.2) bezeichnet man eine Gruppe von Verhaltens-, kognitiven und körperlichen Phänomenen, die sich nach wiederholtem Alkoholgebrauch entwickeln.
  • Typisch ist Folgendes:
    • Ein starker Wunsch, Alkohol zu trinken.
    • Schwierigkeiten, den Konsum zu kontrollieren.
    • anhaltender Alkoholkonsum trotz schädlicher Folgen.
  • Dem Alkoholkonsum wird Vorrang vor anderen Aktivitäten und Verpflichtungen gegeben.
  • Es entwickelt sich eine Toleranzerhöhung und manchmal ein körperliches Entzugssyndrom.
  • Das Abhängigkeitssyndrom kann sich auf Alkohol allein beziehen oder auch zusätzlich auf andere Substanzen.

Alkoholkonsumstörung nach DSM-512

  • Die bisherige Unterscheidung zwischen Substanzabhängigkeit und -missbrauch wurde mit der letzten Revision des DSM im Jahr 2013 aufgehoben.10
  • Der DSM-5 spricht nun übergreifend von Alkoholkonsumstörung, definiert durch folgende Merkmale:
    • Wiederholter Alkoholgebrauch, der zu einem Versagen bei der Erfüllung wichtiger Verpflichtungen bei der Arbeit, in der Schule oder zu Hause führt.
    • Wiederholter Alkoholgebrauch in Situationen, in denen es aufgrund des Konsums zu einer körperlichen Gefährdung kommen kann.
    • fortgesetzter Alkoholgebrauch trotz ständiger oder wiederholter sozialer oder zwischenmenschlicher Probleme
    • Toleranzentwicklung gekennzeichnet durch ausgeprägte Dosissteigerung oder verminderte Wirkung unter derselben Dosis
    • Entzugssymptome oder deren Vermeidung oder Linderung durch Alkoholkonsum
    • Konsum länger oder in größeren Mengen als geplant (Kontrollverlust)
    • Anhaltender Wunsch oder erfolglose Versuche, den Alkoholgebrauch zu verringern oder zu kontrollieren.
    • Hoher Zeitaufwand für Beschaffung und Konsum von Alkohol oder um sich von seinen Wirkungen zu erholen.
    • Aufgabe oder Einschränkung wichtiger Aktivitäten aufgrund
      des Alkoholkonsums
    • fortgesetzter Gebrauch trotz körperlicher oder psychischer Probleme
    • Craving, starkes Verlangen nach Alkohol.
  • Bei Auftreten von 2 oder mehr dieser Merkmale innerhalb eines 12-Monatszeitraums liegt eine Alkoholkonsumstörung vor.
  • Spezifizierung der Erkrankungsschwere:
    • 2–3 Kriterien erfüllt: mild
    • 4–5 Kriterien erfüllt: moderat
    • ≥ 6 Kriterien erfüllt: schwer.

Alkoholentzugssyndrom2,5,10

  • Bei Jugendlichen selten
    • Setzt eine bereits länger anhaltende Alkoholabhängigkeit und kontinuierlichen Alkoholkonsum voraus.
  • Definition nach ICD-1011
    • Symptome, die in unterschiedlicher Kombination und Schwere nach absolutem oder relativem Entzug von Alkohol auftreten, der zuvor anhaltend konsumiert worden ist.
    • Beginn und Verlauf
      • zeitlich begrenzt
      • Hängt von der Dosis ab, die unmittelbar vor der Beendigung oder Reduktion des Konsums verwendet worden ist.
    • Das Entzugssyndrom kann durch symptomatische Krampfanfälle kompliziert werden.

Differenzialdiagnosen, Anamnese und Untersuchung

Indikationen zur Überweisung

Ambulante Behandlung10

  • Kurzinterventionen zur Alkoholentwöhnung können in der Regel ambulant erfolgen, bei entsprechender Qualifikation auch in Praxen für Kinder- und Jugend- oder Allgemeinmedizin.
    • z. B. bei Behandelnden mit ärztlicher Zusatzweiterbildung suchtmedizinische Grundversorgung oder in einer Suchtambulanz
  • Alkoholabhängigkeit und begleitende psychische Störungen können in Zusammenarbeit mit Kinder- und Jugendlichenpsychotherapeut*innen oder -psychiater*innen behandelt werden.
    • möglichst mit suchtmedizinischer oder suchtpsychologischer Zusatzqualifikation
  • In der Regel ist die Zusammenarbeit mit anderen psychosozialen Anlaufstellen sinnvoll, wie Selbsthilfegruppen und je nach Problemstellung z. B. Einrichtungen der Suchtkranken-, Jugend-, Arbeitslosen- oder Wohnungslosenhilfe.

Stationäre Behandlung10

Therapie

Therapieziele

  • Abstinenz oder – bei älteren Jugendlichen – Reduktion der Trinkmenge und Einstellung des Risikoverhaltens
    • Im günstigsten Fall streben die Betroffenen Abstinenz an und sind bereit, sich zum Erreichen dieses Ziels in eine adäquate Behandlung zu begeben.
      • Wenn der übermäßige Alkoholkonsum wiederholt zum Kontrollverlust führt, spricht das besonders dafür, Abstinenz anzustreben.
      • Auch wenn keine nachhaltige Abstinenz erreicht wird, geben Abstinenzphasen den Betroffenen zumindest die Möglichkeit, sich zu erholen.
    • Um die Schwelle, sich in Beratung und Therapie zu begeben, für ältere Jugendliche und Heranwachsende zu senken, die vorerst keine Abstinenz anstreben, kann die Reduktion des Alkoholkonsums als alternatives Behandlungsziel angeboten werden.5
  • Körperliche, psychische oder soziale Folgeschäden verhindern.
  • Etwaige begleitende oder suchtverursachende psychische Erkrankungen behandeln.

Akute alkoholbedingte Zustände

Alkoholabhängigkeit, Behandlungsphasen

  • Der gesamte Abschnitt basiert auf diesen Referenzen.1-2,4-5,10

1. Kontaktaufnahme und Einführung in das Therapieprogramm

  • Krankheitseinsicht und Therapiemotivation der Patient*innen fördern.
    • Evtl. ist das leichter durch Nicht-Ärzt*innen möglich, z. B. durch erfolgreich behandelte und rehabilitierte junge Patient*innen, etwa in einer Selbsthilfegruppe.
  • Motivational Interviewing als Kernelement

2. Entgiftung und qualifizierter Entzug

  • In der Regel stationär
  • Spezifische psychotherapeutische Interventionen sollten bereits in dieser Behandlungsphase begonnen werden (qualifizierter Entzug).
  • Näheres siehe Artikel Alkoholabhängigkeit.

3. Postakutbehandlung 

  • Nach Entgiftung oder qualifiziertem Entzug soll eine nahtlose Postakutbehandlung angeboten werden.10
    • ambulant
    • ganztägig ambulant (teilstationär) oder
    • stationär
  • Formen der Postakutbehandlung
    • Entwöhnungsbehandlung, in der Regel über mehrere Monate
    • Adaptionsbehandlung als Teil der medizinischen Rehabilitation
    • intensive Psycho- oder Soziotherapie (Gruppen- oder Familientherapie oft von Vorteil)
    • Beratung, Selbsthilfegruppen
    • Fortsetzung der Schule oder Ausbildung, Arbeitsförderung, berufliche Rehabilitation
    • Eingliederungshilfe (Sozialhilfeträger oder Agentur für Arbeit)
    • Kinder- und Jugendhilfe (Jugendamt oder freie Träger, z. B. Wohlfahrtsverbände)
  • Näheres siehe Artikel Alkoholabhängigkeit.

Leitlinie: Therapie alkoholbezogener Störungen bei Kindern und Jugendlichen10

Psychotherapie

  • Kurzinterventionen sollten bei Jugendlichen mit alkoholbezogenen Störungen angeboten werden (Ia/B).
      • Motivational Interviewing (MI) kann als Kurzintervention nach akuter Alkoholintoxikation angeboten werden (Ia/A).
  • Kognitive Verhaltenstherapie soll Kindern und Jugendlichen mit alkoholbezogenen Störungen angeboten werden (Ia/A).
  • Familienbasierte Therapieformen
    • Familienangehörige sollen in die Behandlung einbezogen werden (Ia/A).
    • Multidimensionale Familientherapie sollte in der Behandlung von Kindern und Jugendlichen mit alkoholbezogenen Störungen angeboten werden (Ia/B).
    • Integrative Familien- und kognitiv-behaviorale Therapie sollte angeboten werden (Ia/B).
    • Multisystemische Therapie (MST), Familienkurztherapie, funktionale Familientherapie sowie ressourcenorientierte Familientherapie können angeboten werden (Ia/C).

Psychosoziale Therapien

  • Sollten angeboten werden, z. B.:
    • Psychoedukation
    • Training sozialer Fertigkeiten
    • Sport- und Bewegungstherapie
    • Freizeitpädagogik
    • Ergotherapie.
  • Erziehungshilfe für betroffene Familien kann als Bestandteil des Behandlungsplans angeboten werden.

Klinikschule

  • Während der stationären Behandlung von Kindern und Jugendlichen mit alkoholbezogenen Störungen sollte die Möglichkeit eines Klinikschulbesuchs bestehen.

Medikamentöse Therapie

  • Zur Rückfallprophylaxe mittels Acamprosat oder Naltrexon können bei Jugendlichen mit alkoholbezogenen Störungen keine Behandlungsempfehlungen gegeben werden (Näheres zur medikamentösen Behandlung bei Erwachsenen siehe Alkoholabhängigkeit).
  • Bei Indikation für eine Methylphenidat-Behandlung eines ADHS (Näheres siehe auch Leitlinienkasten „Alkoholbezogene und psychische Störungen“ im Artikel Alkoholabhängigkeit) sollten bei gleichzeitig bestehender alkoholbezogener Störung die Indikation besonders kritisch hinterfragt und eine Medikation zurückhaltend geplant und überwacht werden.

Wahl des Therapiesettings (IV/B)

  • Sollte vor dem Hintergrund folgender Fragen abgewogen werden (IV/B):
    • Besteht Bedarf an der Bereitstellung einer geschützten Umgebung?
    • Wie stark ist die Motivation der Jugendlichen und ihrer Familien, sich aktiv an der Behandlung zu beteiligen?
    • Wie ausgeprägt ist der Bedarf nach Struktur und klaren Grenzen?
    • Gibt es zusätzliche medizinische oder psychische Symptome und entsprechende Risiken?
    • Sind spezifische Behandlungssettings für Jugendliche verfügbar?
    • Gibt es Vorlieben für Behandlungen in bestimmten Settings oder Behandlungsmisserfolge in der Vergangenheit in einem weniger restriktiven oder intensiven Setting?

Prävention

  • Reduzierter Alkoholkonsum ist bei Jugendlichen ein realistischeres Präventionsziel als die dauerhafte Abstinenz.

Sucht als schrittweiser Lernprozess10

  • Erfahrung mit einem Suchtmittel begünstigt das Ausprobieren weiterer.
    • In der Regel sind Zigaretten das erste.
    • Rauchen erhöht die Wahrscheinlichkeit für übermäßigen Alkoholkonsum.
      • Rauch-Prävention als wichtige Strategie zur Primärprävention übermäßigen Alkoholkonsums
    • Alkoholkonsum erhöht die Wahrscheinlichkeit für illegalen Drogenkonsum.

Jugendschutzgesetz § 92 

  • Jugendlichen unter 18 Jahren ist der Erwerb und Verzehr von Spirituosen in Gaststätten, Verkaufsstellen oder sonst in der Öffentlichkeit nicht gestattet.
    • Alkopops enthalten Spirituosen und fallen unter diesen Absatz. Ein Hinweis darauf muss seit Einführung des Alkopopsteuergesetzes (AlkopopStG) auf dem Etikett deutlich zu sehen sein.
  • Für andere alkoholische Getränke (z. B. Bier und Wein) legt der Paragraf fest, dass Kindern und Jugendlichen unter 16 Jahren der Erwerb und Verzehr in der Öffentlichkeit nicht gestattet ist.
    • Eine Ausnahme davon gilt dann, wenn Jugendliche (ab 14) in Begleitung einer personensorgeberechtigten Person sind.

Frühprävention im Kindergartenalter

  • Erziehungsaufgabe von Pädagog*innen und Eltern
    • Vermittlung von Werten und Haltungen, die Alkoholkonsum als Mittel der Problemlösung ausschließen.
    • Vorbildfunktion beim Umgang mit Suchtmitteln
  • Kinder mit erhöhtem Risiko für spätere Suchterkrankungen
    • aggressiv expansives Verhalten
    • mangelnde Selbstkontrolle
    • erhöhte Impulsivität
    • ausgeprägte Suche nach unmittelbaren Verstärkern
    • erhöhte Empfänglichkeit für Außenreize
    • mangelnde sozial adaptive Kompetenzen
  • Für Kinder mit erhöhtem Risiko
    • störungsspezifische Förderangebote 
    • Elternberatung

Verlauf, Komplikationen und Prognose

Verlauf

Komplikationen

Kurzfristig1,10

  • Vandalismus
  • Gewalttätigkeiten
  • Sexuelle Übergriffe
  • Suizide
  • Unfälle

Längerfristig1,10

  • Zerebrale Schäden13
    • kortikaler Volumenrückgang
    • verlangsamtes Wachstum der weißen Substanz
  • Beeinträchtigung der Entwicklung2
    • körperlich
    • psychisch
    • kognitiv
    • sozial
  • Nahezu jedes Körperorgan kann durch regelmäßigen Alkoholkonsum dauerhaft geschädigt werden.
  • Erhöhtes Risiko für weitere Suchterkrankungen, z. B. Rauchen, illegale Drogen (meist Cannabis und Ecstasy)2,10

Prognose

  • Bei begleitender ADHS ist die Prognose der Suchterkrankung ungünstiger.10
  • Erhöhtes Risiko alkoholbezogener Störungen im Erwachsenenalter14
    • Mehr als 1/4 der alkoholbezogenen Störungen bei erwachsenen Patient*innen haben bereits vor dem 18. Lebensjahr begonnen.15
  • Näheres siehe Artikel:

Verlaufskontrolle

Patienteninformationen

Patienteninformationen in Deximed

Beratung und Krisenintervention

Patientenorganisationen

Quellen

Leitlinien

  • Deutsche Gesellschaft für Suchtforschung und Suchttherapie. Screening, Diagnostik und Behandlung alkoholbezogener Störungen. AWMF-Leitlinie Nr. 076-001. S3, Stand 2021. www.awmf.org

Literatur

  1. Hanewinkel R, Tomczyk S, Goecke M et al. Prävention des Rauschtrinkens im Jugendalter. Ergebnisse einer schulbasierten clusterrandomisierten Studie. Dtsch Arztebl Int 2017; 114(16): 280-7; DOI: 10.3238/arztebl.2017.0280 DOI
  2. Deutsche Hauptstelle für Suchtfragen e. V. DHS Factsheet Alkohol und Jugendliche. Stand Juni 2016; letzter Zugriff 19.12.2017 www.dhs.de
  3. Komasaufen bringt mehr Jugendliche ins Krankenhaus. Deutsches Ärzteblatt: 15.11.2017; letzter Zugriff 18.12.2017. www.aerzteblatt.de
  4. Alkoholkonsum junger Menschen rückläufig. Deutsches Ärzteblatt: 18.05.2017; letzter Zugriff 18.12.2017. www.aerzteblatt.de
  5. Kuntz B, Lange C, Lampert T. Robert Koch-Institut (Hrsg.): Alkoholkonsum bei Jugendlichen – Aktuelle Ergebnisse und Trends. GBE kompakt 2015; 6 (2). Stand 13.11.2015; letzter Zugriff 20.12.2017. www.rki.de
  6. Lampert T, Kuntz B, KiGGS Study Group. Tabak- und Alkoholkonsum bei 11- bis 17-jährigen Jugendlichen, Ergebnisse der KiGGS-Studie – Erste Folgebefragung (KiGGS Welle 1). Bundesgesundheitsbl: 2014; 57: 830–9. edoc.rki.de
  7. Orth B & Merkel C. Der Alkoholkonsum Jugendlicher und junger Erwachsener in Deutschland. Ergebnisse des Alkoholsurveys 2018 und Trends. BZgA-Forschungsbericht. Köln: Bundeszentrale für gesundheitliche Aufklärung 2019. www.bzga.de
  8. Von der Party direkt ins Krankenhaus. Deutlich mehr Jugendliche kommen mit Alkoholvergiftung in Klinik. Ärztezeitung; 01.10.2020. www.aerztezeitung.de
  9. Slade T, Chapman C, Swift W et al. Birth cohort trends in the global epidemiology of alcohol use and alcohol-related harms in men and women: systematic review and metaregression. BMJ Open 2016; 6:e011827. bmjopen.bmj.com
  10. Deutsche Gesellschaft für Suchtforschung und Suchttherapie. Alkoholbezogene Störungen: Screening, Diagnostik und Behandlung alkoholbezogener Störungen. AWMF-Leitlinie Nr. 076-001. S3, Stand 2021. www.awmf.org
  11. Deutsches Institut für Medizinische Dokumentation und Information (DIMDI): ICD-10-GM Version 2021. Stand 18.09.2020; letzter Zugriff 30.03.2021. www.dimdi.de
  12. Falkai P, Wittchen HU, Döpfner M: Diagnostisches und StatistischesManual Psychischer Störungen – DSM-5. Göttingen: Hogrefe 2014.
  13. Squeglia LM, Tapert SF, Sullivan EV, et al.: Brain development in heavy-drinking adolescents. Am J Psychiatry 2015; 172: 531–42. www.ncbi.nlm.nih.gov
  14. McCambridge J, McAlaney J, Rowe R: Adult consequences of late adolescent alcohol consumption: a systematic review of cohortstudies. PLoS Med 2011; 8: e1000413. PMID: 21346802 PubMed
  15. Thomasius R, Sack PM, Arnaud N, Hoch E. Behandlung alkoholbezogener Störungen bei Kindern und Jugendlichen: Altersspezifische Empfehlungen der neuen interdisziplinären S3-Leitlinie. Z Kinder Jugendpsychiatr Psychother 2016: 44: 295 - 305. DOI: 10.1024/1422-4917/a000435 DOI

Autor*innen

  • Thomas M. Heim, Dr. med., Wissenschaftsjournalist, Freiburg
  • Die ursprüngliche Version dieses Artikels basiert auf einem entsprechenden Artikel im norwegischen hausärztlichen Online-Handbuch Norsk Elektronisk Legehåndbok (NEL, https://legehandboka.no/).

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