Sharp-Syndrom, Mischkollagenose, Mixed Connective Tissue Disease (MCTD)

Zusammenfassung

  • Definition:Autoimmunerkrankung unbekannter Ursache, bei der es zum klinischen Überlappungsbild mit Symptomen und Befunden mindestens zweier rheumatischer Systemerkrankungen (SLE, Sklerodermie, Myositis, rheumatoide Arthritis) in Verbindung mit hohen U1-RNP-Antikörpertitern kommt.
  • Häufigkeit:Es handelt sich um eine seltene Erkrankung. Die Prävalenz liegt bei ca. 2–6/100.000.
  • Symptome:Meistens tritt initial ein Raynaud-Syndrom auf, häufig bestehen Gelenk- und Muskelschmerzen sowie eine Muskelschwäche. Weitere mögliche Symptome sind Schluck- und Atembeschwerden. Allgemeinsymptome umfassen Müdigkeit, subfebrile Temperaturen und ein allgemeines Krankheitsgefühl.
  • Befunde:Diffuse Hand- und Fingerschwellung, Sklerodaktylie, Synovitis/Arthritis, Myositis, Exantheme. Weitere Manifestationen sind pulmonale Hypertonie, interstitielle Lungenerkrankung, Perikarditis.
  • Diagnostik:Neben den klinischen Manifestationen beruht die Diagnose auf dem Nachweis von U1-RNP-Antikörpern.
  • Therapie:Medikamentöse Behandlung leichterer Verläufe vorwiegend mit NSAR, Hydroxychloroquin, Kortikosteroiden. Bei schwereren Verläufen auch weitere krankheitsmodifizierende Antirheumatika (DMARD) und Immunsuppressiva.

Allgemeine Informationen

Definition

  • Im Deutschen als Mischkollagenose bezeichnet, international als Mixed Connective Tissue Disease (MCTD)1
    • nach dem Erstbeschreiber auch Sharp-Syndrom genannt
  • Autoimmune, systemische Erkrankung unbekannter Ursache
  • Die Mischkollagenose ist definiert durch das gemeinsame Vorliegen von:2
    1. hohem Titer von U1-Ribonukleinprotein-Antikörpern (Anti-U1-RNP-AK)
    2. überlappendem Auftreten von Symptomen und Befunden von zwei oder mehr entzündlich-rheumatischen Erkrankungen

Häufigkeit

  • Prävalenz
    • seltene Erkrankung, Prävalenz ca. 2–6/100.0003
  • Geschlecht
    • Verhältnis weiblich zu männlich ca. 4:11
  • Alter
    • Auftreten in jedem Alter möglich, Krankheitsbeginn in der Regel zwischen 15. und 35. Lebensjahr4

Ätiologie und Pathogenese

  • Die Ätiologie ist ungeklärt, vermutlich chronische Aktivierung des Immunsystems nach Exposition gegenüber Umweltfaktor auf dem Boden einer genetischen Disposition1 
  • Anti-U1-RNP-AK spielen eine zentrale Rolle in der Pathogenese1
  • Nahezu jedes Organsystem kann betroffen und die klinische Manifestation sehr unterschiedlich sein.3,5-7
    • Haut: Raynaud-Syndrom, geschwollene Hände und Finger, Sklerodaktylie, Ausschlag, Hautvaskulitis (ca. 95 %)
    • Gelenke: Arthritis (ca. 60–95 %)
    • Muskulatur: Myositis (ca. 65 %)
    • Lunge/Pleura: interstitielle Lungenerkrankung, Pleuritis (ca. 50 %)
    • pulmonale Hypertonie (ca. 10–45 %)
      • wichtige Todesursache bei Mischkollagenose
    • Herz: Perikarditis, myokardiale Beteiligung (ca. 40 %)
    • Gastrointestinaltrakt: Ösophagusatrophie, -motilitätsstörung (ca. 65 %)
    • renale und ZNS-Beteiligung seltener und überwiegend leicht (ca. 25 %)
  • Eher für eine Mischkollagenose als für eine spezifische Kollagenose spricht folgende Konstellation:6
    • Raynaud-Phänomen, geschwollene Hände und Finger
    • ausgeprägte Arthritis
    • pulmonale Hypertonie
    • Abwesenheit einer signifikanten renalen und ZNS-Beteiligung
    • Nachweis von Anti-U1-RNP-AK.

ICPC-2

  • L99 Andere Muskeloskelet. Erkrankung

ICD-10

  • M35.1 Sonstige Overlap-Syndrome
    • „Mixed connective tissue disease“ (MCTD)

Diagnostik

Diagnostische Kriterien

  • Erschwerte Diagnosestellung durch Symptome und Befunde verschiedener rheumatologischer Erkrankungen
    • in frühen Stadien häufig als „undifferenzierte Bindegewebserkrankung“ bezeichnet
  • Verschieden Diagnose- und Klassifikationssysteme, von denen jedoch keines allgemein anerkannt ist.8-11
  • Die Kriterien nach Alarcón-Segovia weisen eine Sensitivität und Spezifität von 63 % bzw. 86 % auf.11
  • Siehe Tabelle Kriterien nach Alarcón-Segovia für die Mischkollagenose.11

Differenzialdiagnosen

Anamnese

  • In der Frühphase der Erkrankung treten häufig auf:6
    • Erschöpfung und Müdigkeit
    • subfebrile Temperaturen
    • Raynaud-Syndrom
    • Myalgien
      Raynaud-Syndrom
      Raynaud-Syndrom
    • Arthralgien.
  • Im Verlauf Entwicklung eher charakteristischer Symptome:
    • Handödem
    • geschwollene Finger
    • Synovitis
    • Sklerodaktylie.

Klinische Untersuchung

  • Temperatur 
    • leichtes Fieber
  • Haut
    • Raynaud-Syndrom
    • Schwellungen der Finger und Zehen, Handödem
    • Kalkeinlagen der Haut (Calcinosis cutis)
    • Sklerodaktylie
      Sklerodaktylie mit Ödem und Kalkablagerung
      Sklerodaktylie mit Ödem und Kalkablagerung
    • oberflächliche Vaskulitis
    • digitale Ulzerationen
    • Hautbefall häufig erster Erkrankungshinweis12
  • Gelenke
    • Arthritis (Schwellung, Rötung, Funktionseinschränkung) 
  • Muskulatur
    • Myositis (Muskelschwäche, Muskelatrophie, Palpationsschmerz)
  • Lunge
  • Herz

Ergänzende Untersuchungen in der Hausarztpraxis

Labor

  • BSG und CRP
  • Blutbild: häufig Anämie und Leukopenie6 
  • Eiweißelektrophorese: häufig Hypergammaglobulinämie6
  • CK: erhöht bei Myositis
  • Serologische Tests
    • ANA mit Differenzierung: Anti-U1-RNP-AK
      • positiver Titer notwendig für Diagnose, im Frühstadium Prognosefaktor für die Entwicklung einer Mischkollagenose12
      • AK-Nachweis ohne Klinik ist für die Diagnosestellung aber nicht ausreichend.12
    • Rheumafaktor: positiv in 50‒70 % der Fälle6
    • CCP-AK: positiv in 50 % der Fälle6

EKG

Rö-Thorax

  • Hinweise für interstitielle Lungenerkrankung, Pleuraerguss

Diagnostik bei Spezialist*innen

Echokardiografie

  • Pulmonale Hypertonie/Cor pulmonale
    • Mischkollagenosen gehören zu den rheumatologischen Erkrankungen, die besonders häufig mit pulmonaler Hypertonie assoziiert sind (10–45 %).7,13
  • Perikarderguss

CT

  • Interstitielle Lungenerkrankung

Spirometrie/Bodyplethysmografie

  • Lungenfunktion bei interstitieller Lungenerkrankung

Elektrophysiologie

Indikation zur Überweisung

  • Bei V. a. Mischkollagenose Überweisung an Rheumatolog*in

Therapie

Therapieziele

  • Krankheitsaktivität vermindern.
  • Komplikationen verhindern.
  • Die Erkrankung ist nicht heilbar.14

Allgemeines zur Therapie

  • Eine kausale Therapie steht nicht zur Verfügung.1,12

Medikamentöse Therapie

  • Es gibt keine kontrollierten Studien zur Therapie der Mischkollagenose, das Management beruht auf der Effektivität der Behandlung ähnlicher Manifestationen bei anderen rheumatologischen Erkrankungen.14
  • Häufig ist eine Kombinationstherapie wirksam aus:1
    • NSAR
    • Hydroxychloroquin
    • niedrigdosierten Kortikosteroiden.
  • Bei schwereren Verläufen auch Gabe von:3,14
    • weiteren klassischen (cDMARD) oder biologischen (bDMARD) krankheitsmodifizierenden Antirheumatika
    • Immunsuppressiva.
  • Beim Raynaud-Syndrom sind Ca-Antagonisten 1. medikamentöse Wahl.
  • Behandlung einer pulmonalen Hypertonie mit Endothelinatagonisten, Phosphodiesterase-5-Inhibitoren, Guanylatcyclase-Stimulatoren13

Verlauf, Komplikationen und Prognose

Komplikationen

  • Pulmonale Hypertonie
    • wichtigste durch Mischkollagenose verursachte Todesursache15
  • Progrediente interstitielle Lungenerkrankung14
  • Kardiovaskuläre Ereignisse15
  • Komplikationen als Folge der medikamentösen Therapie

Verlauf und Prognose

  • Die Erkrankung nimmt häufig einen milderen Verlauf als bei anderen Kollagenosen.2
  • Die Prognose ist überwiegend günstig, die Mortalität unterscheidet sich nicht wesentlich von der Allgemeinbevölkerung.16
    • 5-Jahres-Überlebensrate 98 %, 10-Jahres-Überlebensrate 96 %15
  • Andererseits erhebliche Morbidität durch die Erkrankung, zum einen durch die krankheitsbedingte Symptomatik, zum anderen durch medikationsbedingte Nebenwirkungen/Komplikationen.14
  • Nicht selten erhalten Patient*innen mit Mischkollagenose im Lauf der Zeit eine neue Diagnose, da sich das Krankheitsbild und die Ergebnisse der immunologischen Tests ändern.17

Verlaufskontrolle

Patienteninformationen

Patientenorganisationen

Illustrationen

Raynaud-Syndrom
Raynaud-Syndrom
Sklerodaktylie mit Ödem und Kalkablagerung
Sklerodaktylie mit Ödem und Kalkablagerung
Beginnende Sklerodaktylie
Beginnende Sklerodaktylie
In mehr als 90 % der Fälle werden Ödeme an den Händen und Fingern („geschwollene Hände“) beobachtet.
In mehr als 90 % der Fälle werden Ödeme an den Händen und Fingern („Puffy Hands“) beobachtet.

Quellen

Literatur

  1. Hügle B. Sharp-Syndrom (Mischkollagenose, mixed connective tissue disease) bei Kindern und Jugendlichen, eMedpedia, Zugriff 03.03.22. www.springermedizin.de
  2. Reiseter S, Gunnarsson R, Corander J, et al. Disease evolution in mixed connective tissue disease: results from a long-term nationwide prospective cohort study. Arthritis Res Ther 2017; 19: 284. doi:10.1186/s13075-017-1494-7 DOI
  3. Greidinger E. Mixed Connective-Tissue Disease (MCTD). Medscape, updated Jan 21, 2021. emedicine.medscape.com
  4. Orphanet. Das Portal für seltene Krankheiten und Orphan Drugs. Mischkollagenose. www.orpha.net
  5. Ciang N, Pereira N, Isenberg D. Mixed connective tissue disease—enigma variations? Rheumatology 2017; 56: 326-333. doi:10.1093/rheumatology/kew265 DOI
  6. Axford J. Clinical manifestations of mixed connective tissue disease. UpToDate, last updated Nov 13, 2020. Zugriff 04.03.2021. www.uptodate.com
  7. Vogel M, Kreuter M, Kauczor H, et al. Pulmonale Manifestationen bei Kollagenosen. Radiologe 2016; 56: 910-916. doi:10.1007/s00117-016-0157-z DOI
  8. Chaigne B, Scire C, Talarico R, et al. Mixed connective tissue disease: state of the art on clinical practice guidelines. RMD Open 2019; 4: e000783. pubmed.ncbi.nlm.nih.gov
  9. Tanaka Y, Kuwana M, Fujii T, et al. 2019 Diagnostic criteria for mixed connective tissue disease (MCTD): From the Japan research committee of the ministry of health, labor, and welfare for systemic autoimmune diseases. Mod Rheumatol 2021; 31: 29-33. doi:10.1080/14397595.2019.1709944 DOI
  10. Axford J. Definition and diagnosis of mixed connective tissue disease. UpToDate, last updated July 30,2021. Zugriff 04.04.2022. www.uptodate.com
  11. Alarcon-Segovia D. Mixed connective tissue disease and overlap syndromes. Clin Dermatol 1994; 12: 309-316. pubmed.ncbi.nlm.nih.gov
  12. Deutsche Gesellschaft für Kinder- und Jugendmedizin. Mischkollagenosen. AWMF-Leitlinie 027-062, Stand 2013. www.awmf.org
  13. Olschewski H. Pulmonale Hypertonie und rheumatische Erkrankungen. Pneumologe 2018; 15: 396-403. doi:10.1007/s10405-018-0195-5 DOI
  14. Axford J. Prognosis and treatment of mixed connective tissue disease. UpToDate, last updated Feb 23.2022. Zugriff 04.03.22. www.uptodate.com
  15. Hajas A, Szodoray P, Nakken B, et al. Clinical course, prognosis, and causes of death in mixed connective tissue disease. J Rheumatol 2013; 40(7): 1134-42. pmid:23637328 PubMed
  16. Alves M, Isenberg D. “Mixed connective tissue disease”: a condition in search of an identity. Clin Exp Med 2020; 20: 159-166. www.ncbi.nlm.nih.gov
  17. van den Hoogen FH, Spronk PE, Boerbooms AM, et al. Long-term follow-up of 46 patients with anti-(U1)snRNP antibodies. Br J Rheumatol 1994; 33 (12): 1117. pmid:8000737 PubMed

Autor*innen

  • Michael Handke, Prof. Dr. med., Facharzt für Innere Medizin, Kardiologie und Intensivmedizin, Freiburg i. Br.
  • Die ursprüngliche Version dieses Artikels basiert auf einem entsprechenden Artikel im norwegischen hausärztlichen Online-Handbuch Norsk Elektronisk Legehåndbok (NEL, https://legehandboka.no/).

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