Polymyositis

Zusammenfassung

  • Definition:Entzündliche Myopathie mit 3 Hauptformen: Polymyositis, Dermatomyositis, Einschlusskörpermyositis.
  • Häufigkeit:Die Inzidenz beträgt 1 pro 100.000 pro Jahr, mit einem Häufigkeitsgipfel zwischen 45 und 60 Jahren.
  • Symptome:Typische Symptome sind proximale Muskelschwäche, Muskelschmerzen und Beschwerden ausgehend von anderen betroffenen Organsystemen.
  • Befunde:Muskelschmerzen bei Palpation, Abnahme von Muskelmasse und evtl. weitere Befunde an anderen Organen.
  • Diagnostik:BSG und Muskelenzyme sind erhöht. Evtl. können Autoantikörper nachgewiesen werden. In fast allen Fällen ist das Elektromyogramm pathologisch.
  • Therapie:Indiziert sind Kortikosteroide, Ciclosporin A, Azathioprin und Methotrexat.

Allgemeine Informationen

Definition

  • Entzündliche Myopathie mit einer Schwäche der proximalen Skelettmuskulatur und Anzeichen einer Muskelentzündung1-2
  • Es gibt 4 Hauptformen einer Myositis, wobei die beiden ersten die größere klinische Bedeutung haben:3
    1. Polymyositis
    2. Dermatomyositis
    3. nekrotisierende Myositis4
    4. sporadische Einschlusskörpermyositis.
  • Die Erkrankungen unterscheiden sich durch eine charakteristische Klinik, histopathologische Befunde und Immunmarker.5
  • Sie können mit Kollagenosen und malignen Tumoren assoziiert sein.
  • Polymyositis
    • entzündliche rheumatische Muskelerkrankung mit Muskelschmerzen bei 50 % der betroffenen Patient*innen
  • Dermatomyositis
    • Ähnelt der Polymyositis, jedoch mit charakteristischen Hautmanifestationen.6
  • Nekrotisierende Myositis
    • Klinisch nicht von der Polymyositis nicht zu unterscheiden, jedoch histologisch Nekrose vieler Muskelfasern.
  • Einschlusskörpermyositis
    • Tritt in der Regel ab einem Alter von über 50 Jahren auf. Früh im Krankheitsverlauf sind die Mm. quadricepses und die Dorsalextensoren des Sprunggelenks betroffen, was zu häufigen Stürzen führt.7
  • Frühe Diagnose und Behandlung reduzieren die Folgen systemischer Komplikationen.

Häufigkeit

  • Die Inzidenz beträgt 1 pro 100.000 pro Jahr mit einem Häufigkeitsgipfel im Alter zwischen 45 und 60 Jahren.
  • Die Erkrankung ist bei Personen afrikanischer Herkunft häufiger.
  • Frauen erkranken doppelt so häufig wie Männer.
  • Die Polymyositis tritt, im Gegensatz zur Dermatomyositis, so gut wie nie bei Personen unter 20 Jahren auf.
  • Die Einschlusskörpermyositis ist die häufigste Myopathie bei über 50-Jährigen.

Ätiologie und Pathogenese

  • Die Ursache ist unbekannt.
  • Vermutlich handelt es sich um eine Autoimmunerkrankung oder ein paraneoplastisches Syndrom.
  • Idiopathische entzündliche Myopathien
    • Umfassen eine Reihe von Syndromen.
    • Am häufigsten sind Polymyositis, Dermatomyositis und Einschlusskörpermyositis.

Pathophysiologie

  • Es kommt zu einer immunvermittelten Muskelentzündung und zu vaskulären Schäden.
  • Das Immunsystem reagiert auf Muskelantigene.

Antisynthetase-Syndrom

  • Die entzündlichen Myopathien werden nach der Art der Autoantikörper klassifiziert.
  • Die myositispezifischen Autoantikörper werden in 3 Gruppen unterteilt:
    1. Anti-SRP
      • Assoziation mit schwerem Verlauf und schlechtem Ansprechen auf Behandlung
    2. Anti-Mi2
      • Nachweis bei einer klassischen Dermatomyositis
    3. Antisynthetase-Antikörper, oft mit einer interstitiellen Lungenerkrankung assoziiert
      • Anti-Asparaginyl-tRNA-Synthetase (Anti-KS)
      • Anti-Isoleucyl-tRNA-Synthetase (Anti-OJ)
      • Anti-Histidyl-tRNA-Synthetase (Anti-Jo1)
      • Anti-Threonil-tRNA-Synthetase (Anti-PL7)
      • Anti-Alanil-tRNA-Synthetase (Anti-PL-12).

Prädisponierende Faktoren

ICPC-2

  • L99 Andere muskuloskelettale Erkrankung

ICD-10

  • M33 Dermatomyositis-Polymyositis
    • M33.0 Juvenile Dermatomyositis
    • M33.1 Sonstige Dermatomyositis
    • M33.2 Polymyositis
    • M33.9 Dermatomyositis-Polymyositis, nicht näher bezeichnet

Diagnostik

Diagnostische Kriterien

  • Krankheitsverlauf, klinische Befunde, ergänzende Untersuchungen und Veränderungen des Elektromyogramms (EMG)
  • Die Diagnose basiert meist auf:
    • Klinik
    • erhöhten Muskelenzymen im Serum
    • typischen Veränderungen in der Muskelbiopsie und
    • Anzeichen einer Myopathie im EMG.

Differenzialdiagnosen

Unterscheidung zwischen Myositiden3

  • Polymyositis
    • > 18 Jahre, keine familiäre Häufung, extramuskuläre Manifestationen
    • assoziierte Erkrankungen wie Kollagenosen (Vorkommen bei allen Kollagenosen möglich), systemische Autoimmunerkrankungen (häufig), maligne Erkrankung (bis zu 15 %)4, Viren, Parasiten und Bakterien, medikamenteninduzierte Myotoxizität
  • Dermatomyositis
    • alle Altersgruppen, keine familiäre Häufung, extramuskuläre Manifestationen, charakteristische Hautsymptome
    • assoziierte Erkrankungen wie Kollagenosen (nur Sklerodermie und Sharp-Syndrom/Mischkollagenose, Overlap-Syndrom), systemische Autoimmunerkrankungen (selten), maligne Erkrankung (bis zu 30 %)4, Viren (Häufigkeit unbekannt), medikamenteninduzierte Myotoxizität (selten)
  • Nekrotisierende Myositis
    • > 18 Jahre
    • assoziierte maligne Erkrankungen, Exposition gegenüber myotoxischen Medikamenten (z. B. Statine) oder anderen Substanzen, Viren4
  • Einschlusskörpermyositis
    • > 50 Jahre, in einigen Fällen familiäre Häufung, extramuskuläre Manifestationen
    • assoziierte Erkrankungen wie Kollagenosen (bis zu 20 %), systemische Autoimmunerkrankung (selten), Viren

Anamnese

  • In der Regel entwickelt sich das vollständige Krankheitsbild über 3‒6 Monate. Der genaue Symptombeginn ist oft schwer festzulegen.
  • Das häufigste Initialsymptom ist zunehmende symmetrische Muskelschwäche, vor allem im Hüft- und Schulterbereich und an den Extremitäten.
  • Zusätzlich kommt es zu symmetrischen Schmerzen in der proximalen Muskulatur in Ruhe oder bei Aktivität.
  • Charakteristische Hautsymptome bei der Dermatomyositis sind periorbitale Ödeme mit symmetrischen Erythemen von typischem rosa-violettem Farbton, Erythem und/oder flache Plaques im Gesicht, Dekolleté und Nacken sowie auf den Streckseiten der Extremitäten und Handrücken.4
  • In 30 % der Fälle ist die Schlundmuskulatur betroffen, was zu Schluckstörung und Aspiration führen kann.
  • Gelenkschmerzen können Schwierigkeiten beim Knien, Treppensteigen, Heben der Arme und Aufstehen aus einer Sitz- oder Liegeposition verursachen.
  • Allgemeinsymptome – wie Morgensteifigkeit, Müdigkeit, Appetitlosigkeit, Fieber und Gewichtsverlust – können hinzukommen.
  • Liegt eine interstitielle Lungenerkrankung vor, stehen Symptome dieses Krankheitsbildes im Vordergrund.

Klinische Untersuchung

  • Muskelschmerzen bei Palpation
  • Normale Sensibilität und Reflexe
  • Symmetrische Muskelschwäche
    • anfangs am auffälligsten in der proximalen Muskulatur
    • später auch in distalen Muskelgruppen
  • Muskelatrophie
  • Beteiligung anderer Organe: Lunge, Herz, Gelenke, Gastrointestinaltrakt

Ergänzende Untersuchungen in der Hausarztpraxis

  • In der Regel Erhöhung der BSG
  • Leukozytose in über 50 % der Fälle
  • Typischerweise Erhöhung von CK und LDH
    • Der CK-Wert hat die höchste Sensitivität und Spezifität und ist in der Regel 5- bis 50-mal höher als der Referenzwert.
    • Die CK-Erhöhung korreliert mit der Aktivität der Muskelentzündung und ist in der aktiven Phase der Polymyositis immer erhöht.
    • Hohe CK-Werte – ebenso wie Aldolase, Myoglobin, GOT und GPT – sollten kontrolliert werden, da Muskelenzyme auch nach körperlicher Aktivität, einem Trauma etc. erhöht sein können.
  • Serologie
    • positiver Rheumafaktor bei über 50 % der Fälle
    • positive ANA bei weniger als 50 % der Fälle
    • Nachweis myositisspezifischer Autoantikörper
  • Evtl. Nachweis einer Myoglobinurie 

Diagnostik bei Spezialist*innen

Myositisspezifische Autoantikörper

  • Nachweis myositisspezifischer Auto-Antikörper, die sich gegen intrazelluläre und in der Regel intrazytoplasmatische Moleküle richten, bei 1/3 der Patient*innen.
  • Antisynthetase-Antikörper als häufigste muskelspezifische Autoantikörper, davon am häufigsten Anti-Jo-1
  • Antisynthetase-Antikörper sind manchmal vor dem Auftreten klinischer Befunde nachweisbar.

Weitere Untersuchungen

  • Elektromyogramm8
    • in nahezu allen Fällen (90 %) pathologisch
    • erhöhte Spontanaktivität mit Fibrillationen, komplexen repetitiven Entladungen und positiven scharfen Wellen
    • Willküraktivität mit polyphasischen Einheiten von kurzer Dauer mit reduzierter Amplitude
    • Befunde nicht krankheitsspezifisch, aber zur Bestätigung einer Myopathie nützlich
  • EKG
    • zur Diagnose von Herzrhythmus- oder Erregungsleitungsstörungen
  • Muskelbiopsie
    • für die Diagnose maßgeblich, aber Fehlinterpretation mit daraus folgender Fehldiagnose möglich7
    • üblicherweise aus M. deltoideus oder M. quadrizeps femoris
    • Nachweis entzündlicher Veränderungen
    • Ein falsch negativer Befund ist bei nur stellenweise auftretenden Veränderungen möglich.
    • Dermatomyositis und Polymyositis sind histologisch verschieden.
  • Lungenfunktionsprüfung
  • MRT
    • Zeigt pathologische Muskelveränderungen aufgrund von Entzündung, Nekrose, Ödem, Narbenbildung und Fettersatz des Muskelgewebes.4
    • zur Auswahl einer geeigneten Stelle für die Muskelbiopsie

Indikationen zur Überweisung

  • Bei Verdacht auf Polymyositis/Dermatomyositis oder bei Unsicherheit, welches Krankheitsbild vorliegt.
  • Überweisung an Fachärzt*innen für Neurologie oder Rheumatologie

Therapie

Therapieziele

  • Erhalt von Funktionen durch Steigerung der Muskelkraft und Linderung der Symptome extramuskulärer Manifestationen (Hautsymptome, Dysphagie, Dyspnoe, Gelenkschmerzen, Fieber)
  • Vermeidung oder Reduzierung von Folgeerscheinungen

Allgemeines zur Therapie

  • Behandlung durch Spezialist*innen
  • Die Behandlung ist empirisch, da die Erkrankung zu selten ist, um randomisierte kontrollierte Studien durchführen zu können.
  • Medikamentöse Therapie9
    • Empfohlen werden Kortikosteroide, Ciclosporin A, Azathioprin, Methotrexat, Rituximab, Infliximab, Etanercept, Takrolimus
    • Eine lebenslange Behandlung kann erforderlich sein.
  • Empfehlungen für Patient*innen

Medikamentöse Therapie

  • Immunsuppression mit Kortikosteroiden als Therapie der 1. Wahl9
    • initial hohe Dosen, z. B. 1 mg/kg pro Tag
    • Dosisreduktion nach 1‒3 Monaten abhängig vom Therapieerfolg
    • Kontrolle des Therapieerfolgs anhand der CK-Werte
    • Dosisreduktion bis zur niedrigsten wirksamen Erhaltungsdosis
  • Bei fehlendem Therapieerfolg oder als Alternative zu Kortikosteroiden, Therapieversuch mit anderen immunmodulierenden Arzneimitteln9
    • Azathioprin
    • Methotrexat
    • Cyclophosphamid
    • Ciclosporin A
    • Immunglobulin i. v. als Kurzzeitbehandlung (VIG)
    • TNF-alpha-Blocker
      • Der Nutzen von TNF-alpha-Blockern, wie Infliximab und Etanercept, ist unklar.5
    • Monoklonale Antikörper
      • Es gibt wohl einen günstigen Effekt von Rituximab.10
    • Calcineurininhibitoren
      • Für Takrolimus konnte gezeigt werden, dass es effektiv und sicher ist und gut toleriert wird.11
  • Säureregulierende Medikamente bei symptomatischem gastroösophagealem Reflux
  • Evtl. Behandlung einer Osteoporose mit Bisphosphonaten

Nichtmedikamentöse Therapie

  • Frühzeitige Physiotherapie, um Mobilität und Kraft zu erhalten.
  • Die Patient*innen zu körperlicher Aktivität anhalten.

Prävention

  • Kalzium und Vitamin D zur Vorbeugung einer steroidbedingten Osteoporose

Verlauf, Komplikationen und Prognose

Verlauf

  • Die Erkrankung entwickelt sich schleichend über Wochen bis Monate.

Komplikationen

Prognose

  • Es kommt zu erheblicher Morbidität aufgrund der Krankheit selbst und als Folge der Behandlung.
  • Die 5-Jahres-Mortalität liegt bei 20 %.
  • Bei etwa 20 % der Patient*innen bleibt die Erkrankung dauerhaft aktiv.
  • In den meisten Fällen führt die Therapie zu einer Besserung.
  • Eine vollständige Heilung ist bei 50 % der Fälle zu erwarten.
  • Bei älteren Patient*innen und bei Vorliegen von Herz- oder Lungenbeteiligung oder von Dysphagie ist die Mortalität erhöht.

Verlaufskontrolle

  • Festlegung der Behandlungsdauer auf der Basis kontinuierlicher Kontrollen des klinischen Verlaufs und der Muskelenzymwerte
  • Klinische Einschätzung der Nebenwirkungen von Kortison, wie Gewichtszunahme, Bluthochdruck, Osteoporose, Steroidmyopathie

Patienteninformationen

Worüber sollten Sie die Patient*innen informieren?

  • Es handelt sich um eine schwere Erkrankung, bei der ohne Behandlung eine kontinuierliche Verschlechterung eintritt.
  • Es gibt effektive Behandlungsmethoden, und viele Patient*innen werden vollständig gesund.

Patienteninformationen in Deximed

Quellen

Leitlinien

  • Deutsche Gesellschaft für Neurologie (DGN). Myositissyndrome. AWMF-Leitlinie Nr. 030-054. S2k, Stand 2014. www.awmf.org

Literatur

  1. Amato AA, Barohn RJ. Evaluation and treatment of inflammatory myopathies. J Neurol Neurosurg Psychiatry 2009; 80:1060. PubMed
  2. Miller ML. Diagnosis and differential diagnosis of dermatomyositis and polymyositis in adults. UpToDate, last updated Apr 22, 2019. www.uptodate.com
  3. Dalakas MC, Hohlfeld R. Polymyositis and dermatomyositis. Lancet 2003; 362: 971-82. PubMed
  4. Deutsche Gesellschaft für Neurologie (DGN). Myositissyndrome. AWMF-Leitlinie Nr. 030-054. Stand September 2014. awmf.org
  5. Seetharaman M. Polymyositis. Medscape, last updated Jun 13, 2020. emedicine.medscape.com
  6. Koler RA, Montemarano A. Dermatomyositis. Am Fam Physician 2001; 64: 1565-72. PubMed
  7. Hilton-Jones D. Inflammatory myopathies. Curr Opin Neurol 2001; 14: 591-96. PubMed
  8. Dalakas MC. Muscle biopsy findings in inflammatory myopathies. Rheum Dis Clin N Am 2002; 28: 779-98. www.sciencedirect.com
  9. Miller ML. Initial treatment of dermatomyositis and polymyositis in adults. UpToDate, last updated Jul 10, 2019. www.uptodate.com
  10. Oddis CV, Reed AM, Aggarwal R, Rider LG, Ascherman DP, Levesque MC, et al. Rituximab in the treatment of refractory adult and juvenile dermatomyositis and adult polymyositis: a randomized, placebo-phase trial. Arthritis Rheum. 2013 Feb. 65(2):314-24. doi:10.1002/art.37754 onlinelibrary.wiley.com
  11. Ueno KI, Shimojima Y, Kishida D, Sekijima Y, Ikeda SI. Advantage of administering tacrolimus for improving prognosis of patients with polymyositis and dermatomyositis. Int J Rheum Dis. 2016; 19 (12):1322-1330. doi:10.1111/1756-185X.12931. onlinelibrary.wiley.com
  12. Carruthers EC, Choi HK, Sayre EC, et al. Risk of deep venous thrombosis and pulmonary embolism in individuals with polymyositis and dermatomyositis: a general population-based study. Ann Rheum Dis. 2014 Sep 5. pii: annrheumdis-2014-205800. pubmed.ncbi.nlm.nih.gov
  13. Hill CL, Zhang Y, Sigurgeirsson B, et al: Frequency of specific cancer types in dermatomyositis and polymyositis: a population-based study. Lancet 2001 Jan 13; 357(9250): 96-100 PubMed

Autor*innen

  • Marlies Karsch-Völk, Dr. med., Fachärztin für Allgemeinmedizin, München 
  • Die ursprüngliche Version dieses Artikels basiert auf einem entsprechenden Artikel im norwegischen hausärztlichen Online-Handbuch Norsk Elektronisk Legehåndbok (NEL, https://legehandboka.no/).

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