Hypomanie und Manie

Allgemeine Informationen

Definition

Manische Episode1-4

  • Über mindestens 1 Woche gehobene, expansive oder gereizte Stimmung, die der Situation unangemessen ist und dadurch auffällt.
  • Mindestens 3 der folgenden Merkmale (mindestens 4, wenn die Stimmung nur gereizt ist) treffen zu und verursachen eine schwere Störung der alltäglichen Lebensführung:
    • deutlich erhöhtes Erregungsniveau
    • Kann schnell in aggressive Erregung kippen.
    • Antriebssteigerung
    • Rededrang
    • Ideenflucht
    • reduzierte soziale Hemmungen
    • vermindertes Schlafbedürfnis
    • überhöhte Selbsteinschätzung
    • Ablenkbarkeit
    • riskantes Verhalten
    • gesteigerte Libido.

Manische Episode mit psychotischen Symptomen1-4

  • Zusätzlich zu den oben beschriebenen Symptomen:
    • Wahn, meist Größenwahn
    • oder Halluzinationen, meist Stimmen, die unmittelbar zur betroffenen Person sprechen.
  • Die Erregung, die ausgeprägte körperliche Aktivität und die Ideenflucht können so extrem sein, dass der Betroffene für eine normale Kommunikation unzugänglich wird.

Hypomanische Episode1-4

  • Leichte Ausprägung der Manie
  • Mindestens 4 Tage lang anhaltende, leicht gehobene Stimmung
  • Antrieb und Aktivität gesteigert
  • Auffallendes Gefühl von Wohlbefinden, körperlicher und seelischer Leistungsfähigkeit
    • gesteigerte Geselligkeit
    • Gesprächigkeit
    • übermäßige Vertraulichkeit
  • Gesteigerte Libido
  • Vermindertes Schlafbedürfnis
  • Das Ausmaß der Symptome ist so moderat, dass sie nicht zu einem Abbruch der Berufstätigkeit oder zu sozialer Ablehnung führen.
  • Anstelle der häufigen euphorischen Geselligkeit können auch Reizbarkeit, eingebildetes Auftreten und flegelhaftes Verhalten dominieren.
  • Evtl. Konzentrations- und Aufmerksamkeitsdefizit
    • Mangelnde Fähigkeit, sich der Arbeit zu widmen, sich zu entspannen und zu erholen.
    • Das verhindert nicht das Interesse an ganz neuen Unternehmungen und Aktivitäten oder übertriebene Geldausgaben.

Bipolare affektive Störung vs. unipolare Manie1-4

  • Bipolare affektive Störungen äußern sich in Form depressiver sowie manischer, hypomanischer oder gemischter affektiver Episoden, die von asymptomatischen Phasen unterbrochen werden.
  • Eine bipolare Störung liegt dann vor, wenn mindestens 2 affektive Episoden auftreten, davon mindestens eine hypomanische, manische oder gemischte Episode.
  • Manische Episoden treten meist im Rahmen einer Bipolar-I-Störung auf, d. h. im Wechsel mit depressiven Episoden und nur selten unipolar, d. h. als alleinige Manie oder nur mit leichten depressiven Symptomen.
  • Näheres siehe Artikel Bipolare affektive Störungen.

Häufigkeit

  • In einer repräsentativen Bevölkerungsstichprobe von 14- bis 24-Jährigen aus den 1990er Jahren lag die kumulative 10-Jahres-Inzidenz für manische Episoden bei 2,9 %, für hypomanische bei 4,0 %.2,5
  • Die Lebenszeitprävalenz für die bipolaren Störungen I und II zusammen wird auf ca. 1 % geschätzt.
    • gesamtes Bipolar-Spektrum inkl. leichtere Formen: ca. 5 %2,6
  • Von Bipolar-I-Störungen sind Männer etwas häufiger betroffen als Frauen.6
    • Der Männeranteil ist bei unipolar manischen Episoden noch etwas größer als bei Bipolar-I-Störungen.7
  • Unipolar manische Störungen und manische Störungen mit leichten depressiven Symptomen gehen weniger häufig als Bipolar-I-Störungen einher mit:7
  • Zur Komorbidität bei bipolaren Störungen

Diagnostische Überlegungen

  • Stabilisierung in der manischen oder hypomanischen Episode?
  • Abgrenzung von nur scheinbar manischen Zuständen, die durch Drogen, körperliche Erkrankungen oder Medikamente verursacht sind.

Konsultationsgrund

  • Evtl. werden Betroffene vorstellig, wenn die von früher bekannten Symptome erneut auftreten. Häufig wird der Arztbesuch von Personen aus dem Umfeld der Betroffenen veranlasst.
  • Dies gilt in aller Regel auch für das erstmalige Auftreten einer manischen Episode.
  • Manche suchen die Praxis wegen Schlaflosigkeit auf.

Abwendbar gefährliche Verläufe

  • Eine manische Episode ist nicht unbedingt leicht zu erkennen.
  • Die Symptome können auch durch Drogen, Medikamente oder somatische Erkrankungen ausgelöst werden.

ICPC-2

P04 Reizbares/ärgerl. Gefühl/Verhalten

  • P06 Schlafstörung
  • P23 Verhalt.auff./Entwickl.stör. Adolesz.
  • P29 Psych. Sympt./Beschw., andere
  • P73 Affektive Psychose

ICD-10

  • Nach ICD-10, deutsche Fassung 2021:1
  • F30 Manische Episode
    • F30.0 Hypomanie
    • F30.1 Manie ohne psychotische Symptome
    • F30.2 Manie mit psychotischen Symptomen
    • F30.8 Sonstige manische Episoden
    • F30.9 Manische Episode, nicht näher bezeichnet
  • F31 Bipolare affektive Störung

Differenzialdiagnosen

Hypomanie

  • Über einen Zeitraum von mindestens 4 Tagen ist die Stimmung in einem für die Person eindeutig abnormen Ausmaß gehoben oder gereizt.
  • Es liegen mindestens 3 der folgenden Symptome vor, und diese führen im Alltag zu einer gewissen funktionellen Beeinträchtigung:
    1. gesteigerte Aktivität oder körperliche Rastlosigkeit
    2. gesteigerte Gesprächigkeit
    3. erhöhte Ablenkbarkeit oder Konzentrationsschwierigkeiten
    4. vermindertes Schlafbedürfnis
    5. gesteigerte Libido
    6. übertriebene Einkäufe oder andere Arten von leichtsinnigem oder verantwortungslosem Verhalten
    7. erhöhte Kontaktfreudigkeit oder unangemessen vertrauliches Verhalten.
  • Die Episode erfüllt nicht die Kriterien einer manischen oder depressiven Episode, einer Zyklothymie oder einer Anorexia nervosa.
  • Ausschlussvorbehalt: Die Episode ist weder auf die Einnahme psychoaktiver Substanzen (F10–19) noch auf eine organisch-psychische Erkrankung (F00–09) zurückzuführen.

Manie ohne psychotische Symptome

  • Siehe Artikel Bipolare affektive Störungen.
  • Die Stimmung ist überwiegend in einem für die Person eindeutig abnormen Ausmaß gehoben, expansiv oder gereizt. Dieser Stimmungswechsel muss dominieren und mindestens 1 Woche anhalten (es sei denn, eine Krankenhauseinweisung wird notwendig).
  • Es liegen mindestens 3 der folgenden Symptome vor (4, wenn die Stimmungslage lediglich gereizt ist), und diese führen im Alltag zu einer schweren funktionellen Beeinträchtigung:
    1. erhöhte Aktivität oder motorische Ruhelosigkeit
    2. gesteigerte Gesprächigkeit („Rededrang“)
    3. Ideenflucht oder subjektives Gefühl, dass die Gedanken rasen.
    4. Verlust der normalen sozialen Hemmungen, was unangemessenes Verhalten zur Folge hat.
    5. vermindertes Schlafbedürfnis
    6. überhöhte Selbsteinschätzung oder Größenwahn
    7. Ablenkbarkeit oder ständige Tätigkeitswechsel oder Planänderungen
    8. Törichtes oder rücksichtsloses Verhalten, dessen Gefährlichkeit nicht erkannt wird, z. B. Geldverschwendung, geschäftliche Verlustinvestitionen, rücksichtsloses Fahrverhalten.
    9. gesteigerte Libido oder sexuelle Taktlosigkeit.
  • Fehlen von Halluzinationen oder Wahn, Wahrnehmungsstörungen können aber vorkommen, z. B.:
    • subjektive Hyperakusis
    • Wahrnehmung von Farben als besonders leuchtend.
  • Ausschlussvorbehalt: Die Episode ist weder auf die Einnahme psychoaktiver Substanzen (F10–19) noch auf eine organisch-psychische Erkrankung (F00–09) zurückzuführen.

Manie mit psychotischen Symptomen

  • Siehe Artikel Bipolare affektive Störungen.
  • Symptome der Manie (s. o.)
  • Zusätzlich treten Wahn (zumeist Größenwahn) oder Halluzinationen (zumeist Stimmen, die unmittelbar zum Betroffenen sprechen) auf. In der Regel passen die psychotischen Symptome inhaltlich zur gehobenen Stimmung.
  • Die Erregung, die ausgeprägte körperliche Aktivität und die Ideenflucht können so extrem sein, dass der Betroffene für eine normale Kommunikation unzugänglich wird.

Gemischte Episode

  • Die Episode kann entweder durch eine Mischung hypomanischer, manischer und depressiver Symptome oder einen schnellen Wechsel (innerhalb weniger Stunden) dieser Symptome gekennzeichnet sein.
  • Depressive und manische/hypomanische Symptome müssen dabei gleichermaßen die meiste Zeit während einer mindestens 2-wöchigen Periode auftreten.

Zyklothymie (Zyklothymia)

  • Über einen Zeitraum von mindestens 2 Jahren muss eine instabile Stimmungslage mit mehreren depressiven und hypomanischen Episoden vorliegen, wobei diese von Phasen mit normaler Stimmungslage unterbrochen sein können, aber nicht müssen.
  • Keine Manifestation der Depression oder Hypomanie in diesem 2-Jahres-Zeitraum darf so schwer oder dauerhaft sein, dass weder die Kriterien einer manischen noch einer mittelgradigen oder schweren depressiven Episode erfüllt sind. Es können sich jedoch vor oder nach diesem Zeitraum der instabilen Stimmungslage manische oder depressive Episoden entwickelt haben bzw. entwickeln.
  • Mindestens 3 der folgenden Symptome müssen zumindest in manchen der depressiven Episoden vorliegen:
    1. Antriebslosigkeit oder verminderte Aktivität
    2. Schlaflosigkeit
    3. Vermindertes Selbstwertgefühl oder Gefühl, nicht gut genug zu sein.
    4. Konzentrationsprobleme
    5. sozialer Rückzug
    6. Verlust des Interesses oder der Freude an Sex oder anderen lustbetonten Tätigkeiten
    7. verminderte Gesprächigkeit
    8. pessimistische Zukunftsperspektive oder Zukunftssorgen.
  • Mindestens 3 der folgenden Symptome müssen zumindest in manchen der Episoden mit gehobener Stimmung vorliegen:
    1. erhöhte Energie oder Aktivität
    2. vermindertes Schlafbedürfnis
    3. erhöhtes Selbstbewusstsein
    4. geschärftes oder ungewöhnlich kreatives Denken
    5. gesteigerte Kontaktfreudigkeit
    6. gesteigerte Gesprächigkeit und ausgeprägterer Humor
    7. gesteigertes Interesse und Engagement im Hinblick auf sexuelle und andere lustbetonte Tätigkeiten
    8. übertriebener Optimismus oder übersteigerte Wahrnehmung früherer Leistungen.

Schizophrenie

  • Siehe Artikel Schizophrenie.
  • Die schizophrenen Störungen sind im Allgemeinen durch grundlegende und charakteristische Störungen von Denken und Wahrnehmung sowie inadäquate oder verflachte Affekte gekennzeichnet.
  • Die Bewusstseinsklarheit und intellektuellen Fähigkeiten sind in der Regel nicht beeinträchtigt, obwohl sich im Laufe der Zeit gewisse kognitive Defizite entwickeln können.
  • Die wichtigsten Symptome sind:
    • Gedankenlautwerden, Gedankeneingebung oder Gedankenentzug, Gedankenausbreitung, Beeinflussungswahn oder das Gefühl von Fremdsteuerung
    • Wahnwahrnehmung und Kontrollwahn
    • Halluzinationen (hauptsächlich Stimmen, die in der 3. Person die betroffene Person kommentieren oder über sie sprechen, aber auch andere Denkstörungen)
    • Ausfall normaler Funktionen (Negativsymptome).
  • Der Verlauf der schizophrenen Störungen kann entweder kontinuierlich episodisch mit zunehmenden oder stabilen Defiziten sein, oder es können eine oder mehrere Episoden mit vollständiger oder unvollständiger Remission auftreten.
  • Die Diagnose Schizophrenie soll bei ausgeprägten depressiven oder manischen Symptomen nicht gestellt werden, es sei denn, schizophrene Symptome wären der affektiven Störung vorausgegangen.
  • Ebenso wenig ist eine Schizophrenie bei eindeutiger Gehirnerkrankung, während einer Intoxikation oder während eines Entzugssyndroms zu diagnostizieren.

Delir

  • Siehe Artikel Delir.
  • Schwere Bewusstseinstrübung mit psychotischen Symptomen, meist in Verbindung mit optischen Halluzinationen
  • Wird durch eine körperliche Erkrankung, Medikamente oder Drogen verursacht.
  • Kann an Manie erinnern, verläuft aber stärker schwankend und geht mit einem höheren Grad der Verwirrtheit einher.

Alkoholentzugsdelir (Delirium tremens)

Akuter Rausch (akute Intoxikation)

  • Insbesondere bei Konsum von Amphetaminen und anderen psychotropen Substanzen wie Kokain, Ecstasy oder Alkohol
  • Erinnert häufig an Manie.

Medikamente

  • Manie- oder hypomanieartige Symptome können u. a. durch folgende Medikamente ausgelöst werden:
    • Hormonpräparate (z. B. Glukokortikoide, ACTH, Schilddrüsenhormone, Sexualhormone)
    • Parkinson-Medikamente (z. B. L-Dopa, Bromocriptin)
    • Stimulanzien (z. B. Amphetamine)
    • Dextromethorphan
    • Amantadin
    • Antihypertensiva (z. B. ACE-Hemmer)
    • Tuberkulostatika
    • Antikonvulsiva (z. B. Gabapentin)
    • Gyrasehemmer
    • Zytostatika
    • Antidepressiva.

Somatische Erkrankungen

Anamnese

Allgemeines

  • Bei der Anamneseerhebung zu berücksichtigen:2
  • Menschen im manischen Zustand sind oft sehr unruhig, sodass sich ein normales Gespräch schwierig gestalten kann.
  • Mitunter sind die Betroffenen auch leicht reizbar oder aggressiv.
  • Wegen der oft fehlenden Krankheitseinsicht ist eine sorgfältige Fremdanamnese unverzichtbar, ggf. ergänzt durch standardisierte Fremdbeurteilungsverfahren.
  • In einer hypomanischen Phase können die Betroffenen im Gespräch nahezu unauffällig wirken. Auch dann ist die Fremdanamnese besonders wichtig.
  • Komorbidität beachten:

Wichtige Fragen

Zeichen einer Manie/Hypomanie, z. B.:

  • Gesteigerter Antrieb?
  • Gedankenflut?
  • Vermindertes Schlafbedürfnis?
  • Ungewöhnlich gute Laune?

Bisheriger Verlauf der Symptome

  • Schwere der Symptome – jetzt und zu Beginn der Episode?
  • Manische, hypomanische oder depressive Episoden in der Vergangenheit?
    • Spricht für eine gegenwärtig vorliegende manische Episode, die im Rahmen einer bipolaren Störung auftritt.
    • Ggf. ist die Therapie einzuleiten, mit der bereits zuvor die gewünschte Wirkung erzielt wurde.
  • Auffällig viele Beschwerden? Übermäßiges und schnelles Assoziieren (Ideenflucht)?
    • Spricht für eine Manie/Hypomanie.
  • Schnell wechselnder Zustand, herabgesetzte Orientierungsfähigkeit?
    • Spricht für ein Delir.

Familienanamnese

  • Affektive oder schizoaffektive Störungen?

Suizidalität

  • Suizidversuch in der Vergangenheit?
  • Aktuelle Suizidabsichten oder -fantasien?

Drogenkonsum?

  • Achtung! Ein Delirium oder ein akuter Rausch können an eine manische Episode denken lassen.
  • Manche Patient*innen konsumieren Drogen, um ihre Manie zu dämpfen.

Außergewöhnliche psychische Belastung?

  • Soziale oder berufliche Probleme (evtl. in Zusammenhang mit der Manie/Hypomanie)?

Medikamentenanamnese

  • Eine gehobene Stimmung kann auch durch Medikamente verursacht sein.

Körperliche Erkrankung oder Verletzung?

  • Körperliche Erkrankung, die sich auf die Hirnfunktionen auswirkt?
  • Frühere Kopfverletzungen, aktuelle oder frühere Erkrankungen des Zentralnervensystems, etwa Epilepsie?

Wahnvorstellungen? Halluzinationen?

  • Störung mit psychotischen Symptomen

Unreflektiertes/situationsinadäquates Verhalten?

  • Erfordert häufig ein rasches Eingreifen und ggf. eine Krankenhauseinweisung.

Schlafstörungen?

  • Unspezifisches Symptom, das bei allen Differenzialdiagnosen auftreten kann. Die Therapie sollte auch eine Normalisierung des Schlafrhythmus beinhalten.

Klinische Untersuchung

Körperliche Untersuchung

  • Körperliche Untersuchung einschließlich neurologischer Untersuchung zum Ausschluss körperlicher Erkrankungen

Orientierungsfähigkeit

  • In Bezug auf Ort, Zeit und die eigene Person
  • Ggf. z. B. den Mini-Mental-Status-Test (MMST) zugrunde legen.
  • Eine herabgesetzte oder schwankende Orientierungsfähigkeit kann für eine körperliche Erkrankung oder den Konsum von Drogen sprechen.

Wahnvorstellungen und/oder Halluzinationen

  • Siehe Artikel Wahnvorstellungen und Halluzinationen.
  • Zeigt eine Störung mit psychotischen Merkmalen an. Häufig müssen Patient*innen durch eine Krankenhauseinweisung und medikamentöse Therapie vor Selbstgefährdung geschützt werden.

Situationsinadäquates Verhalten während der Untersuchung

  • Vermutlich zeigt die betroffene Person auch in anderen Situationen ein inadäquates Verhalten.
  • Die betroffene Person sollte vor eigener Bloßstellung im sozialen Kontext geschützt werden.

Ergänzende Untersuchungen

In der Hausarztpraxis

Laboruntersuchungen

  • Untersuchungen dienen zum Ausschluss einer organischen Ursache:
  • Je nach geplanter Therapie evtl. zusätzlich:2
    • weitere Leberwerte (z. B. bei Valproat oder Carbamazepin)
    • Harnstoff (z. B. bei Carbamazepin)
    • Prolaktin (z. B. bei Neuroleptika)
    • Medikamentenspiegel
      • Lithium
      • Carbamazepin: alle 6 Monate
      • Valproat: bei Ineffektivität, geringer Adhärenz oder Intoxikation

EKG

  • Bei Patient*innen über 40 Jahre
  • Screening im Hinblick auf die Therapie, z. B. mit Lithium oder Neuroleptika

Standardisierte Testverfahren

  • Fragebögen können unterstützend zur Diagnostik eingesetzt werden.
    • Teilweise sind diese als computergestützte Interviews verfügbar.
  • Screeninginstrumente können bei Personen mit erhöhtem Risiko für eine bipolare Störung eingesetzt werden, z. B.:
    • DGBS-Fragebogen zu bipolaren Störungen nach Mood Disorders Questionnaire (MDQ)
    • Hypomania Checklist (HCL-32)
    • Bipolar Spectrum Diagnostic Scale (BSDS).
  • Klassifikationsdiagnostik, geeignet sind z. B.:2
    • Strukturiertes klinisches Interview nach DSM-IV (SKID)
    • Diagnostisches Interview bei psychischen Störungen (DIPS)
    • Diagnostisches Kurzinterview bei psychischen Störungen (Mini-DIPS)
    • Composite International Diagnostic Interview (CIDI oder DIA-X)
    • Internationale Diagnose-Checklisten für ICD-10 (IDCL)
    • Schedule for Clinical Assessment in Neuropsychiatry (SCAN).
  • Dimensionale Diagnostik
    • Sollte immer multimodal erfolgen, also u. a. mittels verschiedener Selbst- und Fremdbeurteilungsinstrumente.
    • Selbstbeurteilung Manie
      • Altman Self-Rating Scale (ASRM)
      • Manie-Selbstbeurteilungsskala (MSS)
      • Internal-State-Scale (ISS)
      • Allgemeine Depression und Manie-Skala (ADMS)
    • Fremdbeurteilung Manie
      • Young Mania Rating Scale (YMRS)
      • Bech-Rafaelsen-Manie-Skala (BRMAS)

Bei Spezialist*innen – hirnorganische Diagnostik

  • Zum Ausschluss oder zur Verifizierung einer hirnorganischen Ursache manischer oder hypomanischer Symptome, z. B. Gehirntumor oder multiple Sklerose:2
    • bildgebende Diagnostik (MRT oder CCT) – und/oder –
    • EEG – und/oder –
    • neuropsychologische Diagnostik – und/oder –
    • Bestimmung neuroendokrinologischer Parameter.

Maßnahmen und Empfehlungen

Indikationen zur Überweisung

  • Der gesamte Abschnitt basiert auf dieser Referenz.2
  • Personen, bei denen der Verdacht auf eine Manie oder Hypomanie besteht, sollten zur Diagnosesicherung an eine Fachärztin/einen Facharzt für Psychiatrie und Psychotherapie überwiesen werden.
  • Ambulante Versorgung überwiegend im Gebiet Psychiatrie und Psychotherapie
  • Fachärzt*innen für Psychosomatische Medizin und Psychotherapie, Ärzt*innen anderer Gebietsbezeichnung mit Zusatzbezeichnung Psychotherapie wie auch Psychologische Psychotherapeut*innen übernehmen eine wichtige Funktion bei der psychotherapeutischen Behandlung von Menschen mit Manie oder Hypomanie.
  • Hausärzte*innen sind in vielen Regionen für die Basisversorgung von Menschen mit Manie oder Hypomanie unverzichtbar: Gerade im ländlichen Raum ist die ambulante psychiatrische Versorgung oft so ausgedünnt, dass eine kontinuierliche Betreuung der Betroffenen durch Psychiater*innen mangels Kapazitäten oder mangels Erreichbarkeit nicht realisierbar ist. Hier hat sich in vielen Regionen eine Kooperation zwischen Hausärzt*innen und Psychiater*innen bewährt.

Checkliste zur Überweisung

Hypomanie oder Manie

  • Zweck der Überweisung
    • Untersuchung?
    • Therapie?
    • Abschirmung?
    • Sonstiges?
  • Anamnese
    • Bekannte Diagnose?
    • Frühere Episoden?
    • Dauer insgesamt und der aktuellen Episode?
    • Beschreibung der Symptome
      • Unruhe
      • Rastlosigkeit
      • Schlafstörungen
      • Verlust von Hemmungen
      • Konzentrationsschwierigkeiten
      • Selbstüberschätzung
      • Wahnsymptome
      • impulsives, unreflektiertes Verhalten
    • Psychotische Symptome?
    • Suizidgedanken?
    • Somatische Symptome?
    • andere relevante Erkrankungen:
      • psychische
      • somatische
      • Substanzmissbrauch?
      • Aktuell eingenommene Medikamente?
      • Familiäre Prädisposition?
    • Zu welchem Grad funktioneller Beeinträchtigung führt die Störung:
      • Bei der Arbeit?
      • In der Familie?
      • In sonstigen Lebensbereichen?
  • Klinische Untersuchung
    • Allgemeinzustand und Organstatus
    • Verhalten und Stimmung während der Untersuchung?
  • Ergänzende Untersuchungen

Indikationen zur Krankenhauseinweisung

  • Stationär, teilstationär oder ambulant? Relevante Faktoren:
    • Akute Eigen- oder Fremdgefährdung?
    • Schwere und Ausmaß der Symptomatik
    • das soziale Umfeld der Patient*innen.
  • Eine Einweisung in eine psychiatrische Klinik oder Abteilung sollte erfolgen, wenn
    • Eigen- oder Fremdgefährdung droht.
    • die Symptomatik und das daraus resultierende Verhalten sich derart verschlechtern, dass eine ambulante Behandlung als nicht ausreichend angesehen wird.
    • die Lebensumstände den Therapieerfolg massiv behindern.
  • Schwangere Patientinnen sollten engmaschig betreut werden.

Zwangsbehandlung?

  • Erfordert in der Regel die Unterbringung in einer geschlossenen stationären Einrichtung. Unter welchen Voraussetzungen dies auch gegen den Willen der betroffenen Person erfolgen kann, ist im Einzelnen in länderspezifischen Unterbringungsgesetzen (PsychKG oder UBG) geregelt.

Empfehlungen

  • Möglichst reizarme Umgebung
  • Ggf. schlaffördernde Maßnahmen (siehe Artikel Insomnie)
  • Phasenspezifische Behandlung akuter manischer Episoden (Näheres siehe Artikel Bipolare affektive Störung)
    • in Behandlung der akuten Manie nachweislich wirksame Medikamente:
      • Lithium
      • Antikonvulsiva (Carbamazepin off label oder ggf. Valproat)
      • Neuroleptika
      • Benzodiazepine (wegen des Abhängigkeitsrisikos nur zeitlich begrenzt einzusetzen).
    • Psychotherapie
      • Kann bei leichten Manien und Hypomanien angeboten werden, z. B. kognitive Verhaltenstherapie, Psychoedukation und familienfokussierte Therapie.
      • In schweren manischen Phasen ist eine Psychotherapie im engeren Sinn kaum durchführbar. Das Bewahren und Stabilisieren der therapeutischen Beziehung ist dann oft die wichtigste psychotherapeutische Maßnahme.
    • Elektrokonvulsionstherapie?
      • Kommt nur bei schweren, therapieresistenten manischen Episoden infrage.
      • nur nach sorgfältiger Aufklärung der Behandelten über den zu erwartenden Nutzen sowie das Risiko von Komplikationen und Nebenwirkungen (Näheres siehe Artikel Bipolare affektive Störung)
  • Ein ggf. vorliegender Alkoholabusus oder Drogenkonsum ist zu beenden, ggf. im Rahmen einer qualifizierten Entzugsbehandlung.
  • Prüfen, ob die Betroffenen bei Bedarf durch Familienmitglieder oder Freund*innen von unbedachten Handlungen abgehalten werden können.

Patienteninformationen

Worüber sollten Sie die Patient*innen informieren?

  • Sich selbst vor unbedachten Handlungen schützen und sich dabei ggf. von Familienmitgliedern und Freund*innen unterstützen lassen.
  • Keine finanziellen oder sonstigen wichtigen Entscheidungen treffen, solange die Episode andauert.
  • Es ist sehr wichtig, ausreichend und regelmäßig zu schlafen.
  • Ärztlich verordnete Medikamente regelmäßig einnehmen. Auch wenn diese eine gewisse Tagesmüdigkeit verursachen können, ist dies besser, als durch Schlaflosigkeit in der hypomanischen oder manischen Episode zu verharren.

Patienteninformationen in Deximed

Quellen

Leitlinien

  • Deutsche Gesellschaft für Bipolare Störungen; Deutsche Gesellschaft für Psychiatrie, Psychotherapie und Nervenheilkunde. Diagnostik und Therapie Bipolarer Störungen. AWMF-Leitlinie Nr. 038-019. S3, Stand 2019. www.awmf.org

Literatur

  1. Deutsches Institut für Medizinische Dokumentation und Information (DIMDI): ICD-10-GM Version 2021. Stand 18.09.2020; letzter Zugriff 05.05.2021. www.dimdi.de
  2. Deutsche Gesellschaft für Bipolare Störungen; Deutsche Gesellschaft für Psychiatrie, Psychotherapie und Nervenheilkunde. S3-Leitlinie zur Diagnostik und Therapie Bipolarer Störungen. AWMF-Leitlinie Nr. 038-019. S3, Stand 2019. www.awmf.org
  3. American Psychiatric Association. Diagnostic and statistical manual of mental disorders, 5th ed. (DSM-5). Washington, DC: American Psychiatric Publishing; 2013.
  4. Price AL, Marzani-Nissen GR. Bipolar disorders: A review. Am Fam Physician 2012; 85: 483-93. American Family Physician
  5. Beesdo K, Hofler M, Leibenluft E, Lieb R, Bauer M, Pfennig A. Mood episodes and mood disorders:patterns of incidence and conversion in the first three decades of life. Bipolar Disord 2009; 11, 6: 637-649. PMID: 19689506 PubMed
  6. Merikangas KR, Jin R, He JP, et al. Prevalence and correlates of bipolar spectrum disorders in the world mental health survey intiative. Arch Gen Psychiatry 2011; 68: 241-51. PubMed
  7. Angst J, Rössler W, Ajdacic-Gross V, Angst F, Wittchen HU et al. Differences between unipolar mania and bipolar-I disorder: Evidence from nine epidemiological studies. Bipolar Disord 2019 ; 21:437-48. PMID: 30475430 PubMed

Autor*innen

  • Thomas M. Heim, Dr. med., Wissenschaftsjournalist, Freiburg
  • Die ursprüngliche Version dieses Artikels basiert auf einem entsprechenden Artikel im norwegischen hausärztlichen Online-Handbuch Norsk Elektronisk Legehåndbok (NEL, https://legehandboka.no/).

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