Posttraumatische Belastungsstörung

Etwa 1,5–2 % der Bevölkerung in Deutschland entwickeln im Lauf des Lebens eine posttraumatische Belastungsstörung. Die Häufigkeit variiert mit Art und Schwere des traumatischen Ereignisses. Bei Naturkatastrophen liegt sie unter 10 %, bei Opfern von Krieg, Vergewaltigung oder Folter bei ca. 50 %.

Was ist eine posttraumatische Belastungsstörung (PTBS)?

Definition

Die posttraumatische Belastungsstörung (PTBS) ist definiert als eine verzögerte Reaktion auf ein belastendes Ereignis oder eine Situation mit außergewöhnlicher Bedrohung oder katastrophenartigem Ausmaß, die bei fast jedem eine tiefe Verzweiflung hervorrufen würde. Es handelt sich um eine relativ langwierige und nicht selten chronische Erkrankung, die infolge schwerer oder lang anhaltender psychischer Traumata auftreten kann. Dabei kann es sich um Unfälle, Kriegserfahrungen, Katastrophenerlebnisse sowie Übergriffe (z. B. Vergewaltigung und andere erlebte Gewalt) handeln.

Eine komplexe PTBS wird in der Regel durch besonders schwere, lang andauernde und sich wiederholende traumatische Erlebnisse hervorgerufen (z. B. sexueller Missbrauch oder körperliche Misshandlung in der Kindheit, Ausbeutung, Folter und kriegerische Auseinandersetzungen).

Symptome

Das Syndrom ist durch ein ständiges Wiedererleben (Flashbacks) des traumatischen Ereignisses gekennzeichnet, sowohl im wachen als auch im schlafenden Zustand. Viele Betroffene versuchen, Dinge oder Situationen zu vermeiden, die an dieses Ereignis erinnern.

Sie sind reizbar und leiden an Schlafstörungen, Konzentrationsschwierigkeiten sowie Stimmungsschwankungen. Häufig treten negative Gedanken und Stimmungen auf. Die Betroffenen werden anderen und ihrer Umgebung gegenüber gleichgültig. Auch Suizidgedanken können auftreten.

Bei einer komplexen PTBS liegen zusätzlich eine gestörte Regulation der Emotionen und mangelnde Impulskontrolle vor. Häufig bestehen anhaltende depressive Verstimmungen sowie Gefühle von Hoffnungslosigkeit und Verzweiflung.

Die Erkrankung beginnt wenige Wochen bis Monate nach dem Trauma.

Ursachen

Die posttraumatische Belastungsstörung kann durch Ereignisse ausgelöst werden, die unabhängig von ihrer Dauer als lebensbedrohlich, erschreckend oder grausam wahrgenommen werden. Plötzliche Ereignisse und mangelnde Kontrolle über die Situation erhöhen die Gefahr dafür. Ein höheres Risiko besteht ebenfalls bei einem Aufenthalt in einer fremden und unsicheren Umgebung, geringer sozialer Unterstützung oder wenn im Zuge dieser Situation ein großer Verlust eintritt, wie z. B. der Tod einer nahestehenden Person. Studien zufolge können auch genetische Faktoren eine Rolle spielen.

Alle Menschen können auf extremen Stress mit psychischen Symptomen reagieren. Dabei besteht ein gleitender Übergang von leichten und allgemeinen Reaktionen bis hin zu intensiveren und lähmenden Reaktionen, die auftreten können. Diese gravierenderen Erkrankungen treten häufiger bei Personen auf, bei denen bereits vorher psychische Störungen vorlagen. Etwa 80 % der Betroffenen leiden gleichzeitig an mindestens einer weiteren psychischen Erkrankung – entweder als Traumafolge oder als Vorerkrankung, die die Entstehung einer posttraumatischen Belastungsstörung begünstigt. Am häufigsten sind dabei Depressionen, Suchterkrankungen und Angststörungen.

Häufigkeit

Etwa 1,5–2 % der Bevölkerung in Deutschland leidet im Lauf des Lebens an einer posttraumatischen Belastungsstörung. Die Häufigkeit variiert u. a. mit Art und Schwere des traumatischen Ereignisses. Nach einer Vergewaltigung, bei Kriegs-, Vertreibungs- und Folteropfern liegt sie bei 50 %. Bei Soldat*innen nach Kriegseinsätzen beträgt die Häufigkeitsrate 10–20 %, bei Verkehrsunfallopfern und bei schweren Organerkrankungen 10 %. Etwa ein Drittel der Betroffenen entwickelt chronische Beschwerden.

Untersuchungen

  • Die Diagnose setzt voraus, dass die betroffene Person einer extremen Belastung oder einer Bedrohung für Leib und Leben ausgesetzt war.
  • Die Symptome treten wenige Wochen bis Monate nach dem Trauma auf.
  • Die Diagnose sollte nicht für Reaktionen auf kleinere Belastungen angewandt und nicht für Personen genutzt werden, die schwächere Reaktionen nach schweren Traumata erlebt haben. 
  • Zur Unterstützung der Diagnose werden psychometrische Tests und strukturierte klinische Interviews eingesetzt.
  • Eine körperliche Untersuchung ist in der Regel nicht erforderlich, außer z. B. bei chronischen Schmerzen oder Hinweisen auf sexuellen Missbrauch oder andere Gewaltdelikte.

Behandlung

  • Ziel der Behandlung ist, Symptome zu lindern und einem chronischen Verlauf vorzubeugen.
  • Zunächst werden die Betroffenen über die posttraumatische Belastungsstörung (PTBS) aufgeklärt.

Psychotherapie

  • Die behandelnden Psychotherapeut*innen sollten über eine traumatherapeutische Qualifikation verfügen.
  • Die empfohlene Behandlung wird als traumafokussierte kognitive Verhaltenstherapie bezeichnet. Dabei gehen die Therapeut*innen im Gespräch vom eigentlichen Trauma und den Erlebnissen der Betroffenen aus. Die Erfahrungen und körperlichen Reaktionen werden bearbeitet und interpretiert, sodass sie allmählich als ungefährlich empfunden werden und mit ihnen gelebt werden kann.
  • Beim sog. EMDR (Eye Movement Desensitization and Reprocessing, Desensibilisierung und Verarbeitung durch Augenbewegung) konzentrieren sich die Patient*innen auf bestimmte Teile der traumatischen Erinnerung und bewegen gleichzeitig, den Fingerbewegungen der Therapeut*innen folgend, die Augen. Diese Behandlung führt bei vielen Patient*innen innerhalb kurzer Zeit zu einer emotionalen Entlastung.
  • Als ergänzende Verfahren können Ergotherapie, Kunst- und Musiktherapie, Körper- und Bewegungstherapie, Physiotherapie sowie Entspannungsverfahren wie achtsamkeitsbasierte Stressreduktion (MBSR) angewendet werden.

Medikamente

  • Eine medikamentöse Behandlung wird nicht als alleinige Therapie empfohlen. Sie ersetzt keine traumaspezifische Psychotherapie, kann aber zur Unterstützung hilfreich sein.
  • Bei Kindern und Jugendlichen sollten keine Medikamente zur Behandlung der posttraumatischen Belastungsstörung eingesetzt werden.
  • In erster Linie werden selektive Serotonin-Wiederaufnahmehemmer (SSRI) wie Paroxetin und Sertralin verordnet, aber auch andere Antidepressiva scheinen wirksam zu sein.
  • Bei Schlafstörungen kann ein niedrig dosiertes beruhigendes Antidepressivum (z. B. Doxepin) angewendet werden.

Vorbeugung

  • Die meisten Menschen erholen sich nach belastenden Erlebnissen von alleine oder mit Unterstützung in ihrem sozialen Umfeld.
  • Einige Zeit lang wurden allen Personen nach traumatischen Ereignissen individuelle Gespräche mit medizinischen Fachkräften angeboten. Forschungen zufolge ist dies nicht hilfreich und wird daher nicht mehr empfohlen.
  • Bei leichten Symptomen in den ersten Wochen nach dem Ereignis wird zunächst abgewartet und der Verlauf beobachtet.
  • Wenn ein erhöhtes Risiko für die Entwicklung einer posttraumatischen Belastungsstörung besteht, kann eine Psychotherapie helfen.

Prognose

Der Verlauf einer posttraumatischen Belastungsstörung unterliegt Schwankungen. Doch im Laufe der Zeit tritt in den meisten Fällen eine Besserung ein. In wenigen Fällen nimmt die Störung über viele Jahre einen chronischen Verlauf und geht dann in eine andauernde Persönlichkeitsänderung über.

Häufig treten Suchterkrankungen und andere psychische Begleiterkrankungen auf. Personen mit PTBS haben ein 5- bis 10-fach erhöhtes Risiko für einen vollendeten Suizid. Nach einem schweren Trauma ist ein Teil der Betroffenen erwerbsunfähig. Aktive Erwerbstätigkeit scheint sich jedoch günstig auf die Prognose auszuwirken.

Weitere Informationen

Autorin

  • Martina Bujard, Wissenschaftsjournalistin, Wiesbaden

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Literatur

Dieser Artikel basiert auf dem Fachartikel Posttraumatische Belastungsstörung. Nachfolgend finden Sie die Literaturliste aus diesem Dokument.

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