Rückenschmerzen

Red Flags und abwendbar gefährliche Verläufe1-2

Red Flags

Abwendbar gefährlicher Verlauf

Höhergradige Lähmungen, Blasen-Mastdarmstörung, perianale Gefühlsstörung, Reithosenanästhesie, komplett Lähmungen

Konus-Kauda-Syndrom

Wandernde Schmerzen, Ausstrahlung in die Brust

Aortendissektion

Trauma (auch Bagatelltrauma oder „Verheben“), bekannte Osteoporose, systemische Steroidtherapie, lokaler Klopfschmerz

Fraktur der Wirbelsäule

Fieber > 38,5 °C, nächtliche Schmerzen, Auslandsaufenthalt, Immunsuppression, konsumierende Grunderkrankung, i. v.-Drogenabusus

Infektion, intraspinale Phlegmone, intraspinaler Abszess, Spondylodiszitis, Pyelonephritis

Positive Tumoranamnese, höheres Alter, Nachtschweiß, Gewichtsabnahme, starker nächtlicher Schmerz, lokaler Klopfschmerz

Tumor, Metastasen, pathologische Fraktur der Wirbelsäule

Miktionsbeschwerden

Pyelonephritis

Allgemeine Informationen

Definition

  • Definitionen gemäß der Nationalen Versorgungsleitlinie3
  • Schmerzen < 6 Wochen Dauer: akute Rückenschmerzen
  • Schmerzdauer 6–12 Wochen: subakute Rückenschmerzen
  • Schmerzen > 12 Wochen: chronische Rückenschmerzen
  • Rezidivierende Rückenschmerzen: wiederholt auftretende Rückenschmerzen nach einem symptomfreien Intervall von 6 Monaten
  • Spezifische Rückenschmerzen: feststellbare Ursache, z. B. Infektion, Tumor, Osteoporose, Fraktur, Bandscheibenvorfall
  • Nichtspezifische Rückenschmerzen: keine Hinweise auf spezifisch zu behandelnde Ursache

Häufigkeit

  • Rückenschmerzen gehören zu den häufigsten Konsultationsgründen in der Hausarztpraxis.
  • Lebenszeitprävalenz von etwa 80 %4
  • Alter und Geschlecht3
    • Frauen sind etwas häufiger betroffen.
      • 1-Jahres-Prävalenz: 25 % der Frauen und 17 % der Männer
    • Anstieg mit zunehmendem Alter
      • chronische Kreuzschmerzen: < 30 Jahre 11 %, > 65 Jahre 30 %
  • Kreuzschmerz führt seit Jahren die Statistiken der Anlässe für Arbeitsunfähigkeit und medizinische Rehabilitation an.3

Ätiologie

  • Somatische Faktoren (z. B. degenerative Veränderungen der Wirbelsäule oder Bandscheibenvorfall)
  • Psychische (z. B. Problemlösekompetenz, Selbstwirksamkeitserwartung)
  • Soziale Faktoren (z. B. soziale Netze, Versorgungsstatus, Arbeitsplatz)
    • In allen Altersgruppen geben Personen mit niedrigem Sozialstatus (gemessen an Bildung, beruflicher Stellung und Einkommen) häufiger Kreuzschmerzen an als Personen mit mittlerem oder hohem Sozialstatus.3

Diagnostische Überlegungen

  • Am Anfang stehen eine genaue Anamnese und körperliche Untersuchung.
    • In den meisten Fällen gehen die Beschwerden innerhalb einiger Wochen spontan zurück.
  • Finden sich bei Patient*innen mit Kreuzschmerzen durch Anamnese und körperliche Untersuchung beim Erstkontakt keine Hinweise auf gefährliche Verläufe oder andere ernstzunehmende Pathologien, sollen vorerst keine weiteren diagnostischen Maßnahmen durchgeführt werden.3
  • Alarmsymptome (Red Flags) dienen als Warnsignale für eine spezifische Ursache und sollten dringlich abgeklärt werden.5-6
    • Frakturverdacht
      • Trauma, entweder schwer oder auch Bagatelltrauma
      • systemische Steroidtherapie
    • Verdacht auf Tumor/Metastase
      • positive Karzinom-Anamnese
      • höheres Alter
      • Nachtschweiß, Gewichtsabnahme
      • starker nächtlicher Schmerz
    • Verdacht auf Infektion
      • Fieber
      • nächtliche Schmerzen
      • Auslandsaufenthalt
      • Immunsuppression
      • konsumierende Grunderkrankung
      • i. v. Drogenabusus
    • Verdacht auf Konus-Kauda-Syndrom
      • höhergradige Lähmungen
      • Blasen-Mastdarmstörungen
      • perianale Gefühlsstörungen, Reithosenanästhesie
      • komplette Lähmungen (Nerventod)
  • Bereits zu Beginn einer Rückenschmerzepisode sollten Risikofaktoren für eine Chronifizierung abgeklärt werden (sog. Yellow Flags):
    • Neigung zur Somatisierung
    • Depressivität
    • geringer Bildungsstand
    • ausgeprägtes Schon- und Vermeidungsverhalten
    • ausgeprägtes Krankheitsgefühl und Erleben der Krankheit
    • schlechte Schmerzverarbeitung
    • anhaltende Belastungen im beruflichen und privaten Alltag
    • Rentenwunsch.
  • Es ist sehr wichtig, am Anfang den übertriebenen Einsatz von Diagnostik zu vermeiden, um einer Chronifizierung keinen Vorschub zu leisten.3

ICPC-2

  • L02 Rückensymptomatik/-beschwerden BWS
  • L03 Untere Rückensymptomatik/-beschwerden

ICD-10

  • M54 Rückenschmerzen
  • F45.40 Psychogener Rückenschmerz

Differenzialdiagnosen

Nichtspezifische Rückenschmerzen

  • Bei nichtspezifischen lumbalen Rückenschmerzen besteht kein sicherer Kausalzusammenhang zwischen Beschwerdeangabe, klinischem Befund und bildgebender Diagnostik.
  • Entsprechende Zurückhaltung sollte bei der Veranlassung diagnostischer und therapeutischer Maßnahmen bestehen.6
    • Bildgebung soll erst nach 4–6 Wochen anhaltender Schmerzen trotz leitliniengerechter Therapie erwogen werden.3
  • Ein Großteil der Ursachen der Rückenschmerzen sind Funktionsstörungen, die nur anhand klinischer Befunde und nicht oder nur unzureichend durch bildgebende Verfahren nachweisbar sind.6
    • segmentale Dysfunktionen (z. B. „Blockierungen“)
    • Iliosakralgelenk-Syndrom
    • veränderte Wirbelsäulenstatik (z. B. Hyperlordose, Steilstellung der Lendenwirbelsäule)
    • gestörte Muskelfunktion (z. B. gekreuzte Syndrome nach Janda, Muskelverkürzungen, Triggerpunkte, Piriformis-Syndrom)
    • Bindegewebsveränderungen (z. B. Verquellungen, Faszien-Hypomobilität)
    • systemische Probleme (wie Koordinationsstörungen, Insuffizienz der Tiefenstabilität oder konstante Hypermobilität)
  • Die Therapie besteht aus medikamentöser Schmerzlinderung und möglichst frühzeitiger Aufnahme der üblichen körperlichen Aktivität.

Spezifische Rückenschmerzen mit weniger dringlichem Handlungsbedarf

Bandscheibenvorfall

  • Klinisch relevante Bandscheibenvorfälle sind mit einer Prävalenz von 1–3 % nur selten Ursache akuter Rückenschmerzen.7
    • Leitsymptom ist der radikuläre Beinschmerz mit oder ohne sensomotorische Defizite.
    • Therapie meist konservativ, selten operativ bei persistierenden Paresen oder Schmerzen

Kompressionsfraktur/Sinterungsfraktur

  • Siehe Artikel Fraktur der Wirbelsäule.
  • Ursachen
    • in der Regel bei Menschen mit Osteoporose
    • häufig nach Bagatelltraumen
  • Epidemiologie
    • am häufigsten bei älteren Frauen
  • Symptome und Beschwerdebilder
    • akute, anhaltende Rückenschmerzen, häufig lokal begrenzt
  • Klinische Untersuchung
    • schmerzhafte Bewegungseinschränkung
    • Druck- und Klopfschmerz über dem betroffenen Wirbelsäulenabschnitt
    • positiver Fersenfalltest
  • Diagnostik bei Spezialist*in
    • Röntgen, Knochendichtemessung
  • Therapie

Entzündlich-rheumatische Rückenschmerzen

  • Ursachen
  • Epidemiologie
    • Tritt bei Männern häufiger und früher auf als bei Frauen.
    • Prävalenz in Deutschland etwa 2 %8
  • Symptome und Beschwerdebilder
    • allmählich zunehmende Schmerzen und Steifheit im unteren Rücken und Gesäß
    • Lokalisation des Schmerzes in der Regel in der gesamten Wirbelsäule und dem Iliosakralgelenk
    • Nachtschmerz und anhaltende Morgensteifigkeit dominieren.
    • tagsüber und durch körperliche Bewegung Verbesserung der Symptome
  • Klinische Untersuchung
    • eingeschränkte Mobilität in einem oder mehreren Bereichen der Wirbelsäule
    • Druckempfindlichkeit über den Wirbelkörpern und dem Iliosakralgelenk
    • häufig Enthesiopathien, z. B. der Achillessehne
  • Diagnostik bei Spezialist*in
    • Spondylitis ankylosans korreliert mit HLA-B-27.

Spondylolyse/Spondylolisthesis

  • Siehe Artikel Spondylolyse und Spondylolisthesis.
  • Ursachen
    • Wirbelgleiten, erworben oder angeboren
    • Symptome in erster Linie bei Jugendlichen (15–19 Jahre) und im Zusammenhang mit Sportarten mit Hyperlordose (Gymnastik, Stabhochsprung)
  • Epidemiologie
    • Prävalenz in der erwachsenen Bevölkerung etwa 7 % (Spondylolyse), Symptome nur bei 10 % der Betroffenen
  • Symptome und Beschwerdebilder
    • Schmerzen im unteren Rücken mit Ausstrahlung in Glutealmuskulatur und Oberschenkel
    • häufig Verschlimmerung der Schmerzen im Laufe des Tages
  • Klinische Untersuchung
    • Schmerz verschlimmert sich bei Hyperextension, nicht jedoch bei Flexion.
    • Hyperextension der Wirbelsäule im Stehen oder Liegen kann Schmerzen auslösen.
  • Diagnostik bei Spezialist*in
    • Röntgen zur Diagnosesicherung
    • Einteilung nach Schweregrad des Gleitens nach Meyerding
  • Therapie
    • Physiotherapie mit Kräftigung der Rumpfmuskulatur, ggf. Rumpforthese.
    • bei höhergradigen Formen operative Therapieverfahren7

Scheuermann-Krankheit

  • Siehe Artikel Scheuermann-Krankheit.
  • Ursachen
    • wahrscheinlich verursacht durch aseptische Knochennekrose mit reduzierter Blutversorgung der Wachstumszone
    • Nekrose ist nach vorne am ausgeprägtesten, führt zu keilförmigen Wirbeln.
    • Vor allem die Brustwirbelsäule ist betroffen.
  • Epidemiologie
    • Tritt in der Regel während des Wachstumsschubs in der Pubertät auf.
    • Ist bei Jungen häufiger als bei Mädchen.
  • Symptome und Beschwerdebilder
    • Mäßige Veränderungen im Bereich der Brustwirbelsäule sind häufig schmerzlos, bei lumbaler Beteiligung kommt es häufiger zu Schmerzen.
  • Klinische Untersuchung
    • erhöhte Kyphose im Bereich der Brustwirbelsäule
  • Diagnostik bei Spezialist*in
    • Röntgen zur Diagnosesicherung
  • Therapie (je nach Schweregrad)
    • Bewegungstherapie, -übungen
    • ggf. Orthesen
    • ggf. chirurgische Intervention

Skoliose

  • Siehe Artikel Skoliose.
  • Definition
    • dreidimensionale Verkrümmung der Wirbelsäule
    • Skoliosen kommen idiopathisch oder degenerativ vor.
  • Epidemiologie
    • Prävalenz liegt bei 3 %, aber behandlungsbedürftige Skoliosen machen lediglich 3 ‰ aus.
    • idiopathische Skoliose viel häufiger bei Mädchen
  • Symptome und Beschwerdebilder
    • Normalerweise leiden Personen mit leicht- bis mittelgradiger Skoliose nicht häufiger unter Rückenschmerzen als andere Menschen.
    • Der Rücken kann jedoch leichter ermüden.
  • Klinische Untersuchung
    • Vorbeugetest
      • Beurteilung von Rippenbuckel, Lendenwulst, Torsion und Asymmetrie
    • im Stehen Beurteilung von Schulterstand und Taillendreiecken
  • Diagnostik bei Spezialist*in
    • Bestätigung und Einteilung der Erkrankung mittels Röntgen
  • Therapie (je nach Schweregrad und Beschwerden)
    • Physiotherapie, Korsettbehandlung, Operation

Spondylose

  • Siehe Artikel Spondylose.
  • Definition
    • arthrotische Veränderungen der Wirbelsäule
  • Epidemiologie
    • Die meisten Personen über 40 Jahre weisen eine Spondylose auf, aber nur wenige zeigen Symptome.
  • Symptome und Beschwerdebilder
    • meist kein Zusammenhang zwischen Spondylose und anderen Rückenproblemen
    • Bei lumbaler Spondylose können sich die Schmerzen bei körperlicher Belastung verschlimmern.
  • Klinische Untersuchung
    • evtl. eingeschränkte Mobilität, sonst normaler klinischer Befund
  • Diagnostik bei Spezialist*in
    • Röntgen zur Diagnosesicherung
  • Therapie
    • intermittierende symptomatische Behandlung bei Rückenschmerzen

Spinalstenose

  • Siehe Artikel Spinalstenose.
  • Ursachen
    • In der Regel Degeneration der Bandscheiben und Facettengelenke mit Verkalkungen, die zu einer Verengung des Wirbel- oder Nervenwurzelkanals führen.
    • Beitragende Ursachen können ossifizierte, hypertrophe Veränderungen in den Facettengelenken, Verdickung des Ligamentum flavum, Spondylolisthesis, frühere Frakturen oder Rückenoperationen sein.
  • Epidemiologie
    • Tritt normalerweise bei älteren Personen (> 60 Jahre) auf.
  • Symptome und Beschwerdebilder
    • in die Beine ausstrahlende Schmerzen, Parästhesien und schnelle Ermüdung bei Aktivitäten
    • Leitsymptom ist verringerte Laufdistanz (Claudicatio spinalis).
    • Häufig nehmen die Schmerzen beim Vorbeugen ab.
      • hierdurch „Öffnen“ des Spinalkanals
  • Klinische Untersuchung
    • Der klinische Untersuchungsbefund ist häufig unauffällig.
  • Diagnostik bei Spezialist*in
    • MRT zur Diagnosesicherung
  • Therapie9
    • Sofern keine neurologischen Defizite bestehen: Bewegungstherapie, physikalische Maßnahmen und medikamentöse Therapie, ggf. als multimodales ambulantes oder stationäres Behandlungsprogramm.
    • bei schwerer Symptomatik, neurologischen Defiziten und fehlendem Ansprechen auf konservative Therapien: spinale Dekompression

Spezifische Rückenschmerzen mit dringendem Handlungsbedarf

Kauda-Syndrom

  • Ursachen
    • Kompression der Cauda equina, S2–S4
  • Epidemiologie
    • selten
  • Symptome und Beschwerdebilder
    • Störungen des Darms und der Blase
    • Harnverhalt mit Überlaufinkontinenz
    • ungewollter Stuhl-/Urinabgang
    • bei Männern Erektionsstörung
  • Klinische Untersuchung
    • Reithosenanästhesie
    • verminderter Sphinktertonus
  • Therapie
    • absolute OP-Indikation (Neurochirurgie)

Tumoren

  • Metastasen sind die häufigste Manifestation von Tumoren an der Wirbelsäule.
  • Erhöhte Wahrscheinlichkeit bei positiver Tumoranamnese und höherem Alter
  • Symptome und Beschwerdebilder
    • starke Schmerzen
    • Nachtschmerz und in Ruhe
    • lokaler Klopfschmerz
    • B-Symptomatik
    • Appetitlosigkeit, rasche Ermüdbarkeit
  • Eine weiterführende Diagnostik ist zwingend erforderlich.
    • ggf. Labor: BSG, Blutbild
    • Bildgebung: Röntgen, CT, MRT

Spondylodiszitis10

  • Definition 
    • Osteomyelitis der Wirbelsäule
    • spezifische Spondylodiszitis: endogene Infektion bei Tuberkulose, Brucellose oder Pilzinfektionen
    • nichtspezifische (pyogene) Spondylodiszitis: andere eiterbildende bakterielle Erreger, am häufigsten S. aureus
  • Epidemiologie
    • spezifische und nichtspezifische Spondylodiszitis zusammen: Inzidenz 30:250.000 
  • Diagnostik
    • Labor (Leukozyten und CRP, Mikrobiologie zum Erregernachweis)
    • Bildgebung: Röntgen und MRT
    • Diagnosesicherung mittels Probebiopsie
  • Therapie
    • erregerspezifische Antibiotika über mehrere Monate
    • Orthesenbehandlung kann erwogen werden; nach Ausschluss von Kontraindikationen oder Instabilitäten soll eine achsgerechte Mobilisation erfolgen und rückengerechtes Verhalten geschult werden.
    • notfallmäßiges operatives Vorgehen bei neurologischen Ausfällen und Sepsis

Weitere extravertebrale Ursachen von Rückenschmerzen

Anamnese

  • Abfragen von Red Flags und Yellow Flags
  • Dauer der Beschwerden (akut/subakut/chronisch)
  • Ausstrahlung
    • radikulär (dermatombezogen bei Affektion von Spinalnerv)
    • pseudoradikulär (z. B. nur gluteal oder bis in proximalen Oberschenkel bei Blockierung vom Sakroiliakalgelenk)
  • Vorerkrankungen/Voroperationen der Wirbelsäule
  • Subjektive Krankheitstheorie
  • Bereits durchgeführte Therapiemaßnahmen

Klinische Untersuchung

Allgemeines

  • Patient*in entkleidet, am besten nur in Unterwäsche, untersuchen.
    • Inspektion
      • Asymmetrien: Schulter- oder Beckenschiefstand, Skoliose
      • Haltung: ausgeprägte Kyphose oder Lordose?
      • Muskelatrophien
      • Rötungen, Schwellungen als Zeichen für Infektion
      • Tannenbaumphänomen: charakteristische Faltenbildung bei (osteoporotischen) Sinterungsfrakturen
      • OP-Narben
  • Lokalisation der Beschwerden
    • Patient*in soll auf schmerzenden Bereich zeigen: z. B. Sakroiliakalgelenk, betroffener Bereich der Wirbelsäule, Nierenlager
  • Sicherheitstests, u. a.:
    • Fersenfalltest
      • Patient*in steht auf Zehenspitzen und lässt sich auf die Fersen fallen.
      • positiv: Schmerzauslösung als Anhalt für Fraktur
    • Klopfschmerz über der Wirbelsäule.
  • Funktionsuntersuchung der angrenzenden Gelenke, insbesondere bei LWS-Schmerzen
    • Hüftgelenk, Sakroiliakalgelenk
  • Neurologische Untersuchung
    • Sensibilität, Motorik und Reflexe
    • Lasègue-Test
      • Anheben des gestreckten Beins in Rückenlage
      • positiv: einschießende Schmerzen durch Dehnungsschmerz bei Affektion der Nervenwurzeln L4–S2

Sensibilität, Motorik und Reflexe

  • Wichtig: 98 % der klinisch signifikanten Schädigungen der Bandscheiben treten im Bereich L4–L5 oder L5–S1 auf, d. h. in den Wurzeln von L5 und S1.
  • Mögliche Auswirkungen bei L4-Beteiligung
    • Schmerzen und Sensibilitätsstörungen vorn am Oberschenkel und medial am Bein
      beier.jpg
      Dermatome
    • geschwächte Kniestreckung (Kennmuskel M. quadriceps femoris)
    • Patellarsehnenreflex ggf. geschwächt
  •  Mögliche Auswirkungen bei L5-Beteiligung
    • Schmerzen und Sensibilitätsstörungen an der lateralen Seite von Oberschenkel/Bein, am Fußrücken, medial am Fußrand sowie bis in die Großzehe hinein
    • geschwächter Großzehenheber (Fersengang erschwert)
    • Tibialis-posterior-Reflex ggf. geschwächt
  • Mögliche Auswirkungen bei S1-Beteiligung
    • Schmerzen und Sensibilitätsstörungen an der Rückseite von Oberschenkel/Bein, lateral am Fußrand sowie bis in die Ferse und die 5. Zehe hinein
    • Fußsenkerschwäche (Zehengang erschwert)
    • Achillessehnenreflex ggf. geschwächt oder ausbleibend

Ergänzende Untersuchungen

In der Hausarztpraxis

  • Bei akuten Rückenschmerzen und fehlenden Red Flags ist keine weitere Diagnostik erforderlich.
  • Bei subakuten und chronischen Rückenschmerzen kommen folgende Untersuchungen ggf. zum Einsatz:
    • psychosoziale Risikofaktoren: Erhebung anhand standardisierter Instrumente wie STarT Back Tool oder Örebro-Kurzfragebogen3
      • geringes Risiko einer Chronifizierung: Gesamtpunktzahl ≤ 3
      • mittleres Risiko: Gesamtpunktzahl ≥ 4 und ein Teilergebnis (Fragen 5–9) von ≥ 3
      • hohes Risiko: Gesamtpunktzahl ≥ 4 und Teilergebnis (Fragen 5–9) von ≥ 4
    • ggf. Labor (je nach Verdacht), z. B. Hb, BSG, Leukozyten, CRP, HLA-B27
  • Ggf. Urinuntersuchung
    • bei Verdacht auf Harnwegserkrankung

Diagnostik bei Spezialist*in

Multidisziplinäres Assessment

  • Ein multidisziplinäres Assessment zur weiteren Therapieempfehlung soll durchgeführt werden:3
    • nach 6 Wochen Schmerzdauer, alltagsrelevanten Aktivitätseinschränkungen und unzureichendem Therapieerfolg trotz leitliniengerechter Therapie sowie dem Vorliegen von psychosozialen und/oder arbeitsplatzbezogenen Risikofaktoren zur Chronifizierung
    • nach 12 Wochen Schmerzdauer, alltagsrelevanten Aktivitätseinschränkungen und unzureichendem Therapieerfolg trotz leitliniengerechter Therapie
    • bei chronischen nichtspezifischen Kreuzschmerzen mit erneuter therapieresistenter Exazerbation.

Bildgebung

  • Die Bilddiagnostik hat eine niedrige Spezifität, und viele pathologische Befunde sind ohne klinische Bedeutung.
  • Bildgebung soll erst nach 4–6 Wochen anhaltender Schmerzen trotz leitliniengerechter Therapie erwogen werden.3
  • Ändert sich das klinische Beschwerdebild der Patient*innen nicht, ist keine erneute Bildgebung nötig. 3

Indikationen zur Überweisung bzw. Einweisung

  • Überweisung an Spezialist*in
    • Liegen Red Flags vor, sollen je nach Verdachtsdiagnose und Dringlichkeit weitere bildgebende oder Laboruntersuchungen und/oder Überweisungen in spezialisierte ärztliche Behandlung eingeleitet werden.3
  • Einweisung ins Krankenhaus
    • Siehe oben spezifische Rückenschmerzen mit dringendem Handlungsbedarf: Spondylodiszitis, Tumoren, Kauda-Syndrom.

Therapie

Allgemeines zur Therapie

  • Bei einer spezifischen Ursache soll eine zielgerichtete Therapie erfolgen.
  • Die Empfehlungen zur Therapie der Rückenschmerzen beziehen sich auf die Nationale Versorgungsleitlinie.3
  • Meist bessern sich akute Kreuzschmerzen von allein und brauchen keine spezifische Behandlung.
  • Bewegung statt Bettruhe
    • Patient*innen sollen zur Beibehaltung von körperlicher Aktivität aufgefordert und von Bettruhe soll abgeraten werden.
  • Schmerzmittel: So viel wie nötig, so wenig wie möglich.
    • Nicht-steroidale Antirheumatika sind die am ehesten empfohlenen Schmerzmittel.
    • Siehe unten Abschnitt Medikamentöse Therapie.
  • Massage, Akupunktur und andere passive Maßnahmen
    • Alles, was Passivität fördert, soll nicht oder nur in Verbindung mit aktivierenden Maßnahmen eingesetzt werden.
  • Den Schmerz frühzeitig multidisziplinär angehen.
    • Bessern sich Kreuzschmerzen nach einigen Wochen nicht, soll die weitere Therapie multidisziplinär geplant werden.
    • Halten Schmerzen länger als 6 Wochen an, soll Patient*innen eine multimodale Therapie angeboten werden, die Schmerz-, Psycho- und Bewegungstherapien kombiniert.

Medikamentöse Therapie

  • Für detaillierte Therapieempfehlungen/Dosierungen siehe die Artikel Akute Rückenschmerzen und Chronische Rückenschmerzen.
  • Folgende Empfehlungen gemäß der Nationalen Versorgungsleitlinie3
  • Aufklärung, dass Medikamente nur eine unterstützende Therapieoption bei Kreuzschmerzen darstellen.

Medikamentenauswahl 

  • Nicht-steroidale Antirheumatika (NSAR) sind die am ehesten empfohlenen Schmerzmittel.
    • Die Autor*innen der Leitlinie empfehlen eine Tagesdosis von bis zu 1,2 g Ibuprofen, 100 mg Diclofenac oder 750 mg Naproxen nicht zu überschreiten.
    • Bei unzureichender Wirkung kann die Dosis kurzzeitig unter Beachtung und ggf. Prophylaxe der möglichen Nebenwirkungen auf bis 2,4 g Ibuprofen, 150 mg Diclofenac oder 1,25 g Naproxen erhöht werden, aber grundsätzlich gilt, dass NSAR in der niedrigsten effektiven Dosis für die kürzestmögliche Zeit eingesetzt werden.
  • COX-2-Hemmer oder Metamizol können eingesetzt werden, wenn NSAR kontraindiziert sind oder nicht vertragen werden.
  • Paracetamol sollte nicht zur Behandlung nichtspezifischer Kreuzschmerzen angewendet werden.
  • Muskelrelaxanzien sollen nicht angewendet werden.
  • Gabapentin, Pregabalin, Topiramat und Carbamazepin sollten nicht zur Behandlung nichtspezifischer Kreuzschmerzen angewendet werden.
  • Antidepressiva sollten nicht zur Behandlung nichtspezifischer Kreuzschmerzen angewendet werden.
    • Antidepressiva können zur Behandlung chronischer nichtspezifischer Kreuzschmerzen bei Vorliegen einer komorbiden Depression oder Schlafstörung angewendet werden.
  • Opioide können zur Behandlung akuter nichtspezifischer Kreuzschmerzen bei fehlendem Ansprechen oder Vorliegen von Kontraindikationen gegen nichtopioide Analgetika angewendet werden.
    • Opioide können zur Behandlung chronischer nichtspezifischer Kreuzschmerzen als eine Therapieoption für 4–12 Wochen angewendet werden.
    • Die Opioidtherapie soll regelmäßig reevaluiert werden, bei akuten nichtspezifischen Kreuzschmerzen nach spätestens 4 Wochen, bei chronischen Kreuzschmerzen nach spätestens 3 Monaten.

Prävention

  • Körperliche Bewegung/Aktivität
  • Maßnahmen am Arbeitsplatz (ergonomische Gestaltung, Verhaltensprävention, Förderung der Arbeitsplatzzufriedenheit)

Patienteninformationen

Worüber sollten Sie die Patient*innen informieren?

  • Akute Rückenschmerzen sind in der Regel kein Grund zur Beunruhigung und heilen ohne Therapie aus.
  • Längere Bettruhe und Passivität sollten vermieden werden.
  • Abwechslungsreiche körperliche Aktivitäten unterstützen die Heilung.

Patienteninformationen in Deximed

Video

Illustrationen

beier.jpg
Dermatome

Quellen

Leitlinien

  • Deutsche Wirbelsäulengesellschaft e. V. (DWG). Deutsche Gesellschaft für Orthopädie und Orthopädische Chirurgie e. V. (DGOOC). Diagnostik und Therapie der Spondylodiszitis. S2k, AWMF-Leitlinie Nr. 151-001. Stand 2020. www.awmf.org
  • Nationale Versorgungsleitlinie (NVL-Programm) der Bundesärztekammer (BÄK), Kassenärztliche Bundesvereinigung (KBV) und der Arbeitsgemeinschaft der wissenschaftlichen medizinischen Fachgesellschaften (AWMF). Nationale VersorgungsLeitlinie Kreuzschmerz. 2. Auflage. Stand März 2017. www.leitlinien.de

Literatur

  1. Schaufelberger M, Meer A, Furger P, Derkx H et al. Red Flags - Expertenkonsens - Alarmsymptome der Medizin. Neuhausen am Rheinfall, Schweiz: Editions D&F, 2018.
  2. Fleischmann T. Fälle Klinische Notfallmedizin - Die 100 wichtigsten Diagnosen. München, Deutschland: Elsevier, 2018.
  3. Nationale Versorgungsleitlinie (NVL-Programm) der Bundesärztekammer (BÄK), Kassenärztliche Bundesvereinigung (KBV) und der Arbeitsgemeinschaft der wissenschaftlichen medizinischen Fachgesellschaften (AWMF). Nationale VersorgungsLeitlinie Kreuzschmerz. 2. Auflage. Stand 2017. www.leitlinien.de
  4. Bublak R. Unspezifische Kreuzschmerzen: Metaanalyse bestätigt Wirkung der Akupunktur. Schmerzmedizin 2022; 38: 11. link.springer.com
  5. Verhagen AP, Downie A, Popal N, Maher C, Koes BW. Red flags presented in current low back pain guidelines: a review. Eur Spine J. 2016 Sep;25(9):2788-802. www.ncbi.nlm.nih.gov
  6. Casser HR, Seddigh S, Rauschmann M. Acute lumbar back pain—investigation, differential diagnosis and treatment. Dtsch Arztebl Int 2016; 113: 223–34 www.aerzteblatt.de
  7. Hildebrandt J, Pfingsten M. Rückenschmerz und Lendenwirbelsäule. 2. Auf. 2012, Elsevier München, S. 215ff.
  8. Braun, J et al. Prevalence of spondylarthropathies in HLA-B27 positive and negative blood donors. Arthritis Rheum, 1998. 41(1): 58-67. www.ncbi.nlm.nih.gov
  9. Kalff R, Ewald C, Waschke A, Gobisch L, Hopf C. Degenerative lumbar spinal stenosis in older people—Current treatment options. Dtsch Arztebl Int 2013; 110(37): www.aerzteblatt.de
  10. Deutsche Wirbelsäulengesellschaft e. V. (DWG). Deutsche Gesellschaft für Orthopädie und Orthopädische Chirurgie e.V. (DGOOC). Diagnostik und Therapie der Spondylodiszitis. S2k, AWMF-Leitlinie Nr. 151-001. Stand 2020. www.awmf.org

Autor*innen

  • Lino Witte, Dr. med., Arzt in Weiterbildung Allgemeinmedizin, Münster
  • Annette Becker, Prof. Dr. med., Abteilung Allgemeinmedizin, präventive und rehabilitative Medizin Philipps-Universität Marburg (Review) 
  • Die ursprüngliche Version dieses Artikels basiert auf einem entsprechenden Artikel im norwegischen hausärztlichen Online-Handbuch Norsk Elektronisk Legehåndbok (NEL, https://legehandboka.no/).

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