Zusammenfassung
- Definition:Vorhandensein von schmerzhaften Triggerpunkten, die über längeren Zeitraum vorliegen (kein Konsens, meist Dauer von 3 Monaten genannt).
- Häufigkeit:Häufigste lokalisierte Form von Muskelschmerzen.
- Symptome:Tief sitzende, lokalisierte Muskelschmerzen.
- Befunde:Druckempfindliche Triggerpunkte als Verhärtungen der Muskulatur/Faszien palpabel. Bei Druck Ausstrahlung der Schmerzen in Umgebung.
- Diagnostik:Klinische Diagnose durch körperliche Untersuchung.
- Therapie:Multimodale Therapie mit manueller Therapie, Selbstdehnungsübungen und Entspannungsübungen. Ergänzung durch medikamentöse Schmerztherapie und verschiedene Techniken wie „Dry Needling“ und Akupunktur möglich.
Allgemeine Informationen
Definition
- Klinisch definiert durch den sog. Triggerpunkt, der folgende Charakteristika besitzt:1
- lokale schmerzhafte Druckempfindlichkeit, hierbei die größte lokale schmerzhafte Druckempfindlichkeit in einem sog. „Taut Band“ (gestrafftes und damit verkürztes Muskelbündel)
- „Twitch Response“ (sichtbare lokale Zuckungen des Muskels bei Palpation)
- fortgeleiteter Schmerz bei Palpation des Triggerpunkts.
- Primäre und sekundäre Form (siehe Abschnitt Ätiologie und Pathogenese)
Häufige myofasziale Schmerzzustände
- Nacken- oder Schulterschmerzen mit Spannungskopfschmerz
- Chronische Rückenschmerzen
- Schulterschmerzen
- Chronische Unterbauchschmerzen bei Frauen (Beckenmuskulatur) 2
Häufigkeit
- Häufigste lokalisierte Form von Muskelschmerzen1
Ätiologie und Pathogenese
- Über Ätiologie und Pathophysiologie der Erkrankung besteht kein Konsens.3
- Wahrscheinlich wird die Erkrankung durch eine Kombination aus individueller Anfälligkeit und äußerer Beanspruchung ausgelöst.
- Primäre Form1
- durch Überlastungen der Muskulatur (wahrscheinlich Mikrotraumata)
- mögliche auslösende Faktoren
- Fehlbelastung des Muskels oder wiederholte, einseitige Belastung
- schlechte/ungünstige Arbeitshaltungen
- Stress, Anspannung, Unfähigkeit zu entspannen.
- Sekundäre Form1
- unbekannte Ursache
- Pathogenese
- in der Regel durch akute Ereignisse (wie Trauma oder Überdehnung) und chronische Faktoren (wie monotone Bewegungsabläufe oder stressbedingt) bedingte Bildung von Triggerpunkten2
- in den Faszien Äußerung als Verhärtung mit Fibrosierung, in den Muskeln als Sarkomerkontrakturen mit knotenförmigen Verhärtungen4
- In den Triggerpunkten Reizung bzw. Sensibilisierung von Nozizeptoren, die lokale Schmerzempfindlichkeit bedingen.2
- neurogene Entzündung mit Erniedrigung der Schmerzdruckschwelle4
- in der Regel durch akute Ereignisse (wie Trauma oder Überdehnung) und chronische Faktoren (wie monotone Bewegungsabläufe oder stressbedingt) bedingte Bildung von Triggerpunkten2
- Diese initial nur funktionelle Verkürzung der Muskeln/Faszien kann durch Bildung von sog. pathologischen „Crosslinks“ im Bindegewebe zu einer strukturellen Verkürzung mit Einbuße der elastischen Eigenschaften werden.2
Disponierende Faktoren
- Monotone alltägliche Tätigkeiten mit einseitiger Belastung
ICPC-2
- L18 Muskelschmerzen
ICD-10
- M79.1 Myalgie
ICD-11 (ab 01.01.2022)
- MG30.02 Chronic primary musculoskeletal pain
Diagnostik
Diagnostische Kriterien
- Rein klinische Diagnose durch Nachweis von Triggerpunkten1
- Siehe Definition der Triggerpunkte.
Differenzialdiagnosen
- Tendinitiden
- Komplexes regionales Schmerzsyndrom
- Rheumatische Erkrankungen
- Fibromyalgiesyndrom
- häufigste Ursache von generalisierten Muskelschmerzen1
Anamnese
- Tief sitzender Schmerz in einem Muskel
- Anhaltend (chronisch), Schmerzen nehmen oft mit der Zeit zu.
- Muskulatur fühlt sich angespannt an.
- Die Schmerzen sind häufig von Stress, Anspannung, Angst und gestörtem Schlaf begleitet.
Klinische Untersuchung
- Druckempfindliche Verhärtung in Muskel oder Faszie palpabel
- Durch Druck Schmerzprovokation, häufig mit Ausstrahlung in Umgebung
- Oft entstehen bei Druckapplikation lokale Muskelzuckungen („Twitch Response“).
- Aktives Bewegungsausmaß umliegender Gelenke häufig schmerzbedingt eingeschränkt
- passive Beweglichkeit bei Entspannung der Patient*innen nicht eingeschränkt
Ergänzende Untersuchungen in der Hausarztpraxis
- Nur zur Differenzialdiagnostik notwendig, z. B. Labor bei V. a. rheumatische Erkrankung
Diagnostik bei Spezialist*innen
- Nachweis und Lokalisierung von Triggerpunkten durch Strain-Elastografie (spezielle Sonografie) möglich4
- Erniedrigung der Schmerzdruckschwelle durch Algometer nachweisbar4
- Diese Untersuchungen sind jedoch fakultativ und in der Regel nicht notwendig.
Indikationen zur Überweisung
- Bei ausbleibender Wirkung der Therapie
- Bei Unsicherheit bzgl. der Diagnose
Therapie
Therapieziele
- Heilung, d. h. Durchbrechen der Schmerzentstehung und -aufrechterhaltung und Wiedererlangen der normalen Funktion
Allgemeines zur Therapie
- Es gibt keine eindeutige Ursache und damit auch nicht die eine Therapie, die bei allen Betroffenen anschlägt.
- Ausführliche Aufklärung über die Harmlosigkeit der Erkrankung ist wichtig und kann zur Linderung beitragen.
- Zentrale Komponenten der Therapie in der Regel manualtherapeutische Behandlung der betroffenen Muskulatur/Faszien und Unterweisung der Patient*innen in Eigendehnungsübungen2
- Die Begleittherapie umfasst zudem Muskelentspannungstechniken wie das autogene Training.
- In der Literatur werden u. a. noch folgende Therapien genannt:
- Physiotherapie: verschiedene Ansätze zur Dehnung und Entspannung der Muskulatur sowie zur Kräftigung
- Übungen oder Training: aerobes Training in Kombination mit Krafttraining
- Triggerpunkt-Injektionen
- mit Nadeln („Dry Needling“) in die druckempfindlichen Punkte
- Injektion von Lokalanästhetika oder Kochsalzlösung („Wet Needling“)
- Injektion von Botulinumtoxin A (bisher ohne Wirkungsnachweis)5
- transkutane elektrische Nervenstimulation (TENS)
- (Laser-)Akupunktur
- Kognitive Verhaltenstherapie: Kann auch bei begleitender Angst oder Schlafstörungen helfen.
Empfehlungen für Patient*innen
- Aerobes Training zur allgemeinen Verbesserung der Durchblutung
- Krafttraining
- Dehnungsübungen der betroffenen Muskeln
- Erlernen von Entspannungstechniken6
- Bei manchen Personen helfen lokale Wärmeanwendungen, bei anderen Kältepackungen.
- Individuelles Ansprechen ausprobieren.
- Rezeptfreie Analgetika sollten nur über kürzere Zeiträume angewendet werden.
Medikamentöse Therapie
- In der Regel sprechen myofaszial bedinge Schmerzen gut auf einfache Schmerzmittel wie orale NSAR an.7
- in der akuten Phase z. B. Ibuprofen 400 mg 1–1–1 über einige Tage
- Cave: Gastrointestinale Nebenwirkungen und Kontraindikationen beachten!
- in der akuten Phase z. B. Ibuprofen 400 mg 1–1–1 über einige Tage
- Topische Anwendung von Diclofenac-Gel oder Lidocain-Pflastern kann ebenfalls zu Schmerzreduktion führen.8
- Trizyklische Antidepressiva
- Botulinumtoxin A (BTX-A)
- laut Cochrane-Review bislang kein Nachweis für die Wirksamkeit der Injektion von BTX-A in Triggerpunkte5
- Opioide sollten angesichts des chronischen Verlaufs der Erkrankung gemieden werden.
Nichtmedikamentöse Therapie
- Manuelle Therapie und Physiotherapie
- viele verschiedene Techniken, u. a. Triggerpunktmassage und Muskeldehnung
- moderater Nachweis für Wirksamkeit vorhanden9
- Needling von Triggerpunkten
- Hypothese zur Wirksamkeit: Lokales Trauma durch die Nadel führt zur Ausschüttung von Entzündungsmediatoren und endogenen Opioiden, die zur Unterdrückung des nozizeptiven Dauerreizes im Zentrum des Triggerpunkts führen.7
- „Wet Needling“: Injektion von Lokalanästhetika
- „Dry Needling“
- Akupunkturähnliche Nadeln, die in Triggerpunkte gestochen werden.
- Wird in Übersichtsarbeit als Teil einer multimodalen Therapie neben der manuellen Therapie empfohlen.10
- Eine andere Übersichtsarbeit sieht keine signifikante Überlegenheit gegenüber Placebo.9
- bei Triggerpunkten am oberen Körperviertel (Nacken, Schultergürtel, oberer Rücken) signifikante Schmerzreduktion direkt und 4 Wochen nach Behandlung11
- Akupunktur
- in einer Metaanalyse Hinweis auf Schmerzreduktion und Verbesserung der Funktionalität durch Akupunktur als Bestandteil der Therapie12
- Die Laserakupunktur hat wahrscheinlich bei manchen Personen eine schmerzlindernde Wirkung, die Belege sind jedoch von geringer Qualität, und es gibt keine Vorgaben für die Dosierung.13
Prävention
- Auf ergonomischen Arbeitsplatz achten.
- Regelmäßige Dehnübungen und aerobes Training
- Sich ständig wiederholende körperliche Belastungen meiden.
Verlauf, Komplikationen und Prognose
Verlauf
- Die Triggerpunkte treten in der Regel nach und nach in Erscheinung.
- Der Beginn kann auch mit einer akuten/kurzzeitigen Belastung in Zusammenhang stehen.
- Als myofasziales Schmerzsyndrom werden die Symptome erst bezeichnet, wenn sie über längere Zeit anhalten. Als Grenze werden häufig 3 Monate genannt.
- Typisch ist, dass die Schmerzen allmählich zunehmen, und dass mit der Zeit immer geringere Belastungen oder weniger Druck ausreichen, um den Schmerz auszulösen.
Komplikationen
- Eingeschränkte Lebensqualität aufgrund der chronischen Schmerzen
- Gestörter Schlaf
- Depressive Beschwerden
- Viele Betroffene werden schließlich krankgeschrieben oder sogar berufsunfähig.
- Manche Autor*innen sind der Ansicht, dass die lokalisierten Beschwerden zu generalisierten Muskelverspannungen und zur Entwicklung eines Fibromyalgiesyndroms führen können.14
Prognose
- Die Prognose ist gut, wenn es gelingt, die Schmerzentstehung und -aufrechterhaltung frühzeitig zu durchbrechen.
Verlaufskontrolle
- Die Verlaufskontrolle findet in der Hausarztpraxis statt.
- Es ist wichtig, eine Chronifizierung zu verhindern.
- Anpassungen am Arbeitsplatz und evtl. ein Wechsel der Tätigkeit sollten in Betracht gezogen werden.
Krankschreibung/Arbeitsunfähigkeit
- Eine vorübergehende Krankschreibung kann indiziert sein, um Anpassungen am Arbeitsplatz zu fördern.
- In Phasen mit Schmerzen und Funktionseinschränkungen kann eine kurzfristige Krankschreibung für bis zu 1–2 Wochen nötig sein.
- Die Krankschreibung sollte am besten schrittweise erfolgen, und es kann von Vorteil sein, ein Ziel zu vereinbaren, wann die Krankschreibung beendet werden soll.
- Wenn sich ein chronischer Verlauf abzeichnet, ist die Zusammenarbeit mit der Arbeitsstätte, Betriebsärzt*innen und Versicherungsträgern besonders wichtig.
Patienteninformationen
Worüber sollten Sie die Patient*innen informieren?
- Aufklärung über die Harmlosigkeit der Erkrankung
Patienteninformationen in Deximed
Quellen
Leitlinie
- Deutsche Gesellschaft für Neurologie e. V. Diagnostik und Differenzialdiagnose bei Myalgien. AMWF-Leitlinie Nr. 030-051. S1, Stand 2020. www.awmf.org
Literatur
- Deutsche Gesellschaft für Neurologie e.V. Diagnostik und Differenzialdiagnose bei Myalgien. S1-Leitlinie AMWF-Nr. 030-051. Stand 2020. www.awmf.org
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- Bauermeister W, Raßmann P. Nachweis von Neurogenen Entzündungen beim Myofaszialen Schmerzsyndrom mittels Strain-Elastografie und Validierung durch Algometrie. Ultraschall Med 2017; 38: 1-65. www.thieme-connect.com
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- Wigers SH, Finset A. Rehabilitering ved kroniske myofascielle smertetilstander. Tidsskr Nor Legeforen 2007; 127: 604-8. pubmed.ncbi.nlm.nih.gov
- Pescatore R. What to D.O. Myofascial Pain Easily Diagnosed, Simply Treated. Emergency Medicine News 2020; 42(1): 17. journals.lww.com
- Galasso A, Urits I, An D, et al. A Comprehensive Review of the Treatment and Management of Myofascial Pain Syndrome. Current Pain and Headache Reports 2020. link.springer.com
- Charles D, Hudgins T, MacNaughton J, et al. A systematic review of manual therapy techniques, dry cupping and dry needling in the reduction of myofascial pain and myofascial trigger points. Journal of Bodywork and Movement Therapies 2019; 23(3): 539-46. www.sciencedirect.com
- Barbero M, Schneebeli A, Koetsier E, et al. Myofascial pain syndrome and trigger points: evaluation and treatment in patients with musculoskeletal pain. Current Opinion in Supportive and Palliative Care 2019; 13(3): 270-76. journals.lww.com
- Kietrys DM, Palombaro KM, Azzaretto E, et al. Effectiveness of Dry Needling for Upper-Quarter Myofascial Pain: A Systematic Review and Meta-analysis. Journal of Orthopaedic & Sports Physical Therapy 2013; 43(9): 620-39. www.jospt.org
- Li X, Wang R, Xing X, et al. Acupuncture for Myofascial Pain Syndrome: A Network Meta-Analysis of 33 Randomized Controlled Trials. Pain Physician 2017; 20: 883-902. marilynemtc.com
- Hung YC, Lin PY, Chiu HE, et al. The Effectiveness of Laser Acupuncture for Treatment of Musculoskeletal Pain: A Meta-Analysis of Randomized Controlled Studies. J Pain Res. 2021 Jun 14;14:1707-1719. www.dovepress.com
- Bourgaize S, Janjua I, Murnaghan K, et al. Fibromyalgia and myofascial pain syndrome: Two sides of the same coin? A scoping review to determine the lexicon of the current diagnostic criteria. Musculoskeletal Care 2019. pubmed.ncbi.nlm.nih.gov
Autor
- Lino Witte, Dr. med., Arzt in Weiterbildung Allgemeinmedizin, Frankfurt a. M.