Tendopathie des M. tibialis posterior

Zusammenfassung

  • Definition:Pathologische Veränderungen der Sehne des M. tibialis posterior.
  • Häufigkeit:Prävalenz bei übergewichtigen, älteren Frauen bis zu 10 %. 
  • Symptome:Zu den Frühsymptomen zählen anhaltende dumpfe Schmerzen und ggf. eine Schwellung am Innenknöchel. Im weiteren Verlauf kann es zu Schwierigkeiten beim Gehen durch eine abgeschwächte Plantarflexion und Sehnenruptur kommen.
  • Befunde:Sehne in gereiztem Zustand verdickt und schmerzhaft zwischen Malleolus medialis und Sustentaculum tali palpabel. Bei Insuffizienz der Sehne Plattfuß-Deformität.
  • Diagnostik:Andere Untersuchungen sind in der Regel nicht erforderlich; mithilfe einer MRT-, Ultraschall- oder CT-Untersuchung können jedoch pathologische Veränderungen erkannt werden.
  • Therapie:Die Behandlung erfolgt in erster Linie konservativ und umfasst eine Entlastung, physiotherapeutische Maßnahmen und ggf. die Anwendung von NSAR. Bei konservativem Therapieversagen oder Totalrupturen wird eine Operation nötig.

Allgemeine Informationen

Definition

  • Die Tendopathie des M. tibialis posterior umfasst alle pathologischen Veränderungen der Sehne, von beginnender Reizung über degenerative Veränderungen bis zur Ruptur.
  • Für die Tibialis-posterior-Dysfunktion (erworbener Plattfuß) siehe Artikel Tibialis-posterior-Dysfunktion, erworbener Plattfuß.
  • Der Diagnose der Tendinopathie des M. tibialis posterior kommt eine große Bedeutung zu, da die chronische Degeneration der Sehne zu einer Ruptur und einer zunehmenden Plattfuß-Deformität führen kann, wenn keine geeignete Therapie eingeleitet wird.1-3

Klassifikation nach Johnson und Strom

  • Diese Referenz4 bezieht sich auf den gesamten Abschnitt.
  • Stadium I
    • entzündete Sehne, jedoch intakt und ohne klinische Deformität des Fußes 
  • Stadium II
  • Stadium III
    • fixierte Plattfuß-Fehlstellung mit Arthrose im Subtalar-Gelenk (unteres Sprunggelenk)
  • Stadium IV (ergänzt durch Myerson)
    • zusätzlich arthrotische Veränderungen im oberen Sprunggelenk

Häufigkeit

  • Die mit Abstand am häufigsten rupturierte Sehne des Rückfußes5
  • Am häufigsten sind übergewichtige Frauen betroffen. 
    • Tendopathien des M. tibialis posterior treten in dieser Gruppe bei fortgeschrittenem Alter bei bis zu 10 % auf.6

Klinische Anatomie

  • Verlauf direkt hinter dem Malleolus medialis
  • Ansatz an der Tuberositas des Os naviculare (auf der medialen Seite des Fußes) und den mittleren Teilen der plantaren Bereiche des Tarsus (Mittelfuß)
  • Wichtigster dynamischer Stabilisator für das mediale Längsgewölbe7
    • Kontraktion der Sehne führt zu Inversion und Plantarflexion des Fußes und trägt zur Anhebung des medialen Fußgewölbes bei.
    • Stabilisierung der Knochen des Rück- und Mittelfußes

Ätiologie und Pathogenese

  • Am häufigsten entsteht eine Tendopathie durch repetitive Mikrotraumata.8
  • Schlechter vaskularisierte Bereiche der Sehne, insbesondere jene in der Nähe des Malleolus medialis, sind besonders empfindlich.
  • Bei lang anhaltenden Beschwerden kommt es zu einer Entzündungsreaktion, ggf. auch zu degenerativen Veränderungen des Gewebes. Eine solche chronische Tendinopathie begünstigt Rupturen.
  • Ursächlich für eine Ruptur ist häufig ein akutes Trauma, z. B. eine Sprunggelenksdistorsion.

Prädisponierende Faktoren

  • Es sind zahlreiche Risikofaktoren bekannt:
  • Prädisponiert sind auch Läufer*innen, die auf harten Untergründen trainieren.
  • Als biomechanische Faktoren begünstigen eine Valgusdeformität der Ferse und eine Überpronation des Vorderfußes die Tendinopathie.

ICPC-2

  • L87 Bursitis/Tendinitis/Synovitis NNB

ICD-10

  • M76.8 Sonstige Enthesopathien der unteren Extremität mit Ausnahme des Fußes, inkl. Tendinitis des M. tibialis posterior

Diagnostik

Diagnostische Kriterien

  • Typische Anamnese und klinische Befunde

Differenzialdiagnosen

Anamnese

  • Die Symptome richten sich nach dem Grad der Sehnenverletzung.1-2
  • In der frühen Phase
    • Häufig liegen im betroffenen Bereich über längere Zeit dumpfe Schmerzen, ggf. auch eine Schwellung hinter dem Malleolus medialis und entlang des Fußgewölbes vor.
    • Bei schmerzhaften Krankheitsausprägungen treten als Hauptsymptom belastungsabhängige Schmerzen im Sehnenverlauf auf, und zwar entweder hinter dem Malleolus medialis oder am Sehnenansatz am Mittelfuß.
  • In der späteren Phase
    • Liegt eine fortgeschrittene Verletzung der Sehne vor, klagen die Patient*innen über eine verminderte Plantarflexion und sind nicht in der Lage, auf den Zehenspitzen zu stehen.
    • Es kann zu einem Abflachen des Fußgewölbes (Plattfuß), einer Eversionsstellung des Vorfußes oder einer Valgusstellung des Rückfußes kommen.2
  • Eine vollständige Ruptur kann akute Beschwerden auslösen und zu einem Druckschmerz über der Ruptur führen.

Klinische Untersuchung

  • Inspektion
    • bei Insuffizienz der Sehne (z. B. bei Ruptur) „akuter" Plattfuß mit Valgusstellung des Rückfußes
    • Schwellung im Bereich des Malleolus medialis?
  • Palpation
    • Als knöcherne Landmarke kann das Sustentaculum tali knapp unterhalb vom Malleolus medialis getastet werden.
      • Durch forcierte Eversion kommt es noch prominenter hervor.
      • Zwischen Sustentaculum und Malleolus kann die Sehne palpiert werden: in normalem Zustand in der Regel nicht palpabel, bei Tendopathie verdickt und schmerzhaft, bei Ruptur kann ggf. ein Defekt getastet werden.
    • Zusätzlich kann der Sehnenansatz an der Tuberositas des Os naviculare palpiert werden.
  • Körperliche Untersuchung
    • Die Kraft der Tibialis-posterior-Sehne mit isometrischen Tests im Seitenvergleich überprüfen: Fuß gegen Widerstand invertieren und plantar flektieren.
    • Single Heel Rise Sign: Patient*in soll im Einbeinstand die Ferse jeder Seite jeweils 10 x anheben. Positiv bei Unvermögen, deutet auf Schädigung der Tibialis-posterior-Sehne hin (DD u. a. Schädigungen der Achillessehne oder S1-Symptomatik bei Bandscheibenvorfall)

Diagnostik bei Spezialist*innen

  • Weitere Untersuchungen sind normalerweise nicht erforderlich.
  • Die Bildgebung kann bei unklaren Diagnosen helfen.
  • Röntgen
    • Aufnahmen von Fuß und Sprunggelenk in 2 Ebenen9
    • Aufnahmen sollten im Stehen angefertigt werden.10
    • Hilfreich für:
      • Ausmaß der Deformität/Abflachung des Längsgewölbes bestimmen.
      • Degenerative Veränderungen im Subtalargelenk und Sprunggelenk erkennen.
      • Ausschluss anderer Ursachen, z. B. Fraktur.
  • Ultraschall11
    • Vorteile 
      • kostengünstig 
      • schnell durchgeführt
      • Beurteilung von Sehne und möglicher peritendinöser Flüssigkeitsansammlung bei Entzündungsreaktion
    • Nachteil
      • stark benutzerabhängige Ergebnisse
  • MRT
    • Kann bereits im Frühstadium entzündliche Veränderungen der Sehne detektieren.

Indikationen zur Überweisung

  • Wenn die konservative Behandlung nicht erfolgreich ist.
  • Bei Verdacht auf eine Ruptur

Therapie

Therapieziele

  • Abheilung, Symptomfreiheit und Wiederherstellung der Funktion

Allgemeines zur Therapie

  • Fast alle Patient*innen sollten erst konservativ behandelt werden, bevor eine Operation in Erwägung gezogen wird.
    • Cave: Viele Patient*innen erfahren die Therapie als umständlich und halten sich nicht immer an die Anweisungen!12
  • Eine Operation kann durchgeführt werden, wenn die Schmerzen sehr stark sind und die Patient*innen nicht gut auf die konservative Therapie ansprechen.
  • Bei Totalrupturen der Sehne ist ebenfalls eine Operation indiziert.13

Empfehlungen für Patient*innen

  • Entlastung und Ruhe
  • Bei Schmerzen Kühlung
  • Hochlagerung des Fußes bei Ruhe
  • Vorsichtige Dehnübungen
  • Anpassung des Schuhwerks mit Unterstützung des Längsgewölbes (Plattfuß vermeiden)

Konservative Therapie

Stadium I und II 

  • Eine akute Entzündung der Sehnenscheide sollte erst behandelt werden, bevor langfristige Maßnahmen eingeleitet werden.
  • Akuttherapie
    • PECH-Routine (Pause, Eis, Compression, Hochlegen)
    • ggf. 4–8 Wochen Gips vom Knie abwärts bzw. Orthese (starrer Stiefel)10 in leicht supinierter Stellung
    • NSAR in Kombination mit Physiotherapie (Dehnung Achillessehne und Kräftigung M. tibialis posterior) sowie Gewichtsabnahme sind hilfreich.14
    • Steroidinjektionen sind kontraindiziert, da sie zu einer Sehnenruptur führen können.13
  • Die Wahl der Schuhe ist wichtig.
    • Empfehlung: flache Schuhe mit Schnürung
  • Orthopäd*in und orthopädische Werkstatt sollten zusammenarbeiten.
  • Falls nach 4 Monaten keine Besserung erzielt wurde, sollte ein operativer Eingriff evaluiert werden.9

Stadium III und IV 

  • Die Entzündung führt nur selten zu Problemen.
  • Die Therapie zielt eher darauf, mit der Fehlstellung des Plattfußes zu leben als sie mithilfe von orthopädischen Schuhen zu korrigieren.

Operative Therapie

  • In Stadium I und II ist das Ziel die Verhinderung von arthrotischen Veränderungen und anderen Langzeitschäden.
  • In Stadium III und IV sind bereits arthrotische Veränderungen aufgetreten, und Ziel ist die Schmerzreduktion.9
  • In einer 5-jährigen Verlaufsstudie waren die Ergebnisse einer Operation bei mehr als 80 % der Patient*innen gut.10
    • postoperative Rehabilitation jedoch langwierig
      • bei den meisten Eingriffen postoperativ für 2–3 Monate Gips
      • Etwa eine Dauer von 1 Jahr planen, bis voller Funktionsumfang wiedererlangt ist.12
      • Das Ergebnis ist abhängig vom Stadium der Dysfunktion.
  • Stadium I
    • Patient*innen, die schlecht auf die konservative Therapie ansprechen, können eine Synovektomie/Debridement der Sehne erhalten.15
  • Stadium II
    • Es können ein Sehnentransfer und eine korrigierende Osteotomie durchgeführt werden.5
  • Stadium III
    • Der Eingriff zielt darauf ab, mittels 3-facher Arthrodese der Subtalar-, Kalkaneokuboid- und Talonavikulargelenke die Fehlstellung zu korrigieren und die Schmerzen zu lindern.9
  • Stadium IV
    • Der Eingriff besteht in der Regel aus einer pantalaren Arthrodese von Sprung- und Subtalargelenk sowie von Kalkaneokuboid- und Talonavikulargelenk.9

Verlauf, Komplikationen und Prognose

Komplikationen

  • Sehnenruptur
  • Arthrotische Veränderungen durch progrediente Fußdeformität und damit einhergehende Fehlbelastung

Prognose

  • Eine frühzeitige Diagnose und Therapie können die Entwicklung einer Arthrose aufhalten oder verlangsamen und eine fortschreitende Invalidität verhindern.
  • In Stadium I und II ist durch die adäquate Therapie eine hohe Patientenzufriedenheit zu erreichen.7

Patienteninformationen

Patienteninformationen in Deximed

Quellen

Literatur

  1. Simpson MR, Howard TM. Tendinopathies of the foot and ankle. Am Fam Physician 2009; 80:1107. American Family Physician
  2. Gluck GS, Heckman DS, Parekh SG. Tendon disorders of the foot and ankle, part 3: the posterior tibial tendon. Am J Sports Med 2010; 38:2133. PubMed
  3. Rees JD, Wilson AM, Wolman RL. Current concepts in the management of tendon disorders. Rheumatology (Oxford) 2006; 45:508. PubMed
  4. Johnson KA, Strom DE. Tibialis posterior tendon dysfunction. Clin Orthop Relat Res 1989; 239: 196-206. pubmed.ncbi.nlm.nih.gov
  5. Wassef S. Tibialis posterior tendon injury imaging. Medscape, last updated Oct 16, 2019. emedicine.medscape.com
  6. Kohls-Gatzoulis JA, Singh D. Tibialis posterior dysfunction as a cause of flatfeet in elderly patients. Foot 2004; 14: 207-9. www.researchgate.net
  7. Berlet GC. Pes Planus (Flatfoot). Medscape, last updated Jun 18, 2019. emedicine.medscape.com
  8. Mosier SM, Lucas DR, Pomeroy G, Manoli A II. Pathology of the posterior tibial tendon in posterior tibial tendon insufficiency. Foot Ankle Int 1998; 19: 520-4. pubmed.ncbi.nlm.nih.gov
  9. Bubra PS, Keighley G, Rateesh S, et al. Posterior Tibial Tendon Dysfunction: An Overlooked Cause of Foot Deformity. J Family Med Prim Care 2015; 4(1): 26-29. www.ncbi.nlm.nih.gov
  10. Pomeroy GC, Pike RH, Beals TC, Manoli A II. Current concepts review. Acquired flatfoot in adults due to dysfunction of the posterior tibial tendon. J Bone Joint Surg 1999; 81A: 1173-82. www.ncbi.nlm.nih.gov
  11. Kong A, Van Der Vliet A. Imaging of tibialis posterior dysfunction. Br J Radiol 2008; 81(970): 826-36. www.ncbi.nlm.nih.gov
  12. Kohls-Gatzoulis J, Angel JC, Singh D, Haddad F, Livingstone J, Berry G. Tibialis posterior dysfunction: a common and treatable cause of adult acquired flatfoot. BMJ 2004; 329: 1328-33. pubmed.ncbi.nlm.nih.gov
  13. Van Dijk PAD, Van Dijk CN. Ankle Joint Arthroscopy : Springer, Cham, 2020. link.springer.com
  14. Miniaci-Coxhead SL, Flemister AS Jr. Office-based management of adult-acquired flatfoot deformity. Med Clin North Am 2014; 98(2): 291-9. www.ncbi.nlm.nih.gov
  15. Arangio GA, Salathe EP. A biomechanical analysis of posterior tibial tendon dysfunction, medial displacement calcaneal osteotomy and flexor digitorum longus transfer in adult acquired flat foot. Clin Biomech (Bristol, Avon) 2009; 24(4): 385-90. www.ncbi.nlm.nih.gov

Autor*innen

  • Lino Witte, Dr. med., Arzt in Weiterbildung, Innere Medizin, Frankfurt
  • Die ursprüngliche Version dieses Artikels basiert auf einem entsprechenden Artikel im norwegischen hausärztlichen Online-Handbuch Norsk Elektronisk Legehåndbok (NEL, https://legehandboka.no/).

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