Palliative Schmerztherapie

Allgemeine Informationen

Definition

Palliative Schmerztherapie1

  • Die Palliation ist die aktive Behandlung, Pflege und Betreuung unheilbar erkrankter Patient*innen, bei denen das primäre Therapieziel die Verbesserung der Lebensqualität ist.
  • Drei Phasen der palliativmedizinischen Behandlung
    1. Phase der zeitbegrenzten Rehabilitation
      • Die letzten Monate, selten Jahre, in denen trotz der Erkrankung ein weitgehend normales Leben möglich ist.
      • Wiederherstellung oder langfristige Erhaltung der Mobilität der Patient*innen wird angestrebt.
      • ganzheitlicher Therapieansatz mit psychosozialer und spiritueller Begleitung
    2. Terminalphase
      • Die letzten Wochen, manchmal Monate, in denen trotz guter Schmerztherapie und Symptomkontrolle die Aktivität der Menschen durch die Erkrankung zunehmend eingeschränkt wird.
    3. Finalphase (Sterbephase)
      • die letzten Stunden und (3–7) Tage des Lebens

Schmerz2

  • Als Schmerz wird eine unangenehme sensorische und emotionale Empfindung definiert, die infolge einer tatsächlichen oder potenziellen Gewebezerstörung auftritt. Schmerzwahrnehmung ist stets subjektiv.
  • In der Palliativmedizin wird häufig der Begriff des „Total Pain“ verwendet. Damit ist das multidimensionale Leid des Menschen am Lebensende gemeint, das die körperliche, psychische, soziale und spirituelle Dimension des Menschen betrifft.

Schmerzklassifikation

Nach Entstehungsmechanismus4

  • Nozizeptiver Schmerz
    • somatischer nozizeptiver Schmerz
    • viszeraler nozizeptiver Schmerz
  • Neuropathischer Schmerz
  • Neuroplastischer Schmerz
    • Wird auch häufig als somatoformer, funktioneller oder idiopathischer Schmerz bezeichnet.
  • Mischformen sind die Regel.
    • Eine scharfe Grenzziehung ist letztlich nie möglich.
    • Bei allen Schmerz-Patient*innen ist eine integrale, biopsychosoziale Sicht notwendig.

Nach Dauer5

  • Akute Schmerzen: Dauer von weniger als 3 Monaten
    • Durchbruchschmerzen
      • Akute und vorübergehende Schmerzspitzen, die trotz einer ausreichenden und kontinuierlichen Schmerztherapie auftreten.
  • Chronische Schmerzen: Dauer von mehr als 3 Monaten

Häufigkeit

  • Der Abschnitt basiert auf dieser Referenz.1
  • Bei etwa 50 % der Patient*innen, die eine maligne Erkrankung haben, bestehen belastende Schmerzen.
  • Im fortgeschrittenen Stadium maligner Erkrankungen haben etwa 70 % der Patient*innen behandlungsbedürftige Schmerzen.
  • 90–95 % der Patient*innen, die palliativ behandelt werden, sind Menschen mit einem Malignom.

Pathophysiologie

  • Der Abschnitt basiert auf dieser Referenz.3

Zentrale und periphere Sensibilisierung

  • Eine anhaltende Stimulation von Nervenfasern entlang der Schmerzbahn kann sich klinisch in Form einer erhöhten Schmerzempfindlichkeit, also einer Sensibilisierung im zentralen und peripheren Nervensystem, äußern.

Schmerzursachen

  • Tumorbedingte Schmerzen
    • Etwa 70 % der Schmerzsyndrome bei malignen Erkrankungen sind tumorbedingt.
    • Änderungen des Schmerzmusters sind in der Regel auf das Wachstum von Primärtumor oder Metastasen zurückzuführen.
  • Therapiebedingte Schmerzen
    • etwa 20 % der Fälle
    • durch Strahlentherapie, Operation oder systemische Therapie, z. B. Hormon- oder Chemotherapie
  • Schmerzen aufgrund von:
  • Nichttumorbedingte Schmerzen
    • ischämische Herzkrankheit
    • Arthrose und sonstige degenerative Erkrankungen
    • neuroplastische Schmerzen
  • Faktoren, die Schmerzen verstärken:
    • psychosoziale Belastungen
    • Depression
    • längere unzureichende Schmerzkontrolle

Diagnostik

Diagnostische Strategie

  • Der Abschnitt basiert auf dieser Referenz.3
  • Die Intensität der Diagnostik orientiert sich an dem
    • Krankheitsstadium und dem
    • potenziellen Nutzen und Schaden der Behandlung.
  • Aufwändige und unangenehme Untersuchungen, die lediglich zu kleineren Anpassungen der Therapie beitragen, sollten den Patient*innen erspart werden.

Schmerzanamnese

Basisinformationen

  • Erfassung von:
    • Schmerzintensität
    • Ausbreitung und Dynamik der Schmerzen
    • Schmerzursache
      • tumorbedingt
      • therapiebedingt
      • andere Ursachen
    • Schmerztyp
      • nozizeptiv
      • neuropathisch
  • Schmerzintensität
    • Wie stark war der Schmerz in den vergangenen 24 Stunden und/oder der vergangenen Woche im Durchschnitt?
    • numerische Schmerzskala von 0–10 (NRS-10, numerische Rating-Skala) von „kein Schmerz“ bis „stärkste vorstellbare Schmerzen“
  • Schmerzlokalisation
    • Anhand einer Zeichnung des Körpers erfassen.
  • Schmerzmuster
    • Ruheschmerz?
    • Zusammenhang mit Aktivität?
    • Zirkadiane Schwankungen?
    • Lindernde Faktoren?
    • Andere auslösende Faktoren?
  • Begleitsymptome (Paresen, sensible Ausfälle, Körperfunktionen)
  • Psychische Belastung
    • z. B. DepressionAngst
    • evtl. Erhebung mit HADS-D (Hospital Anxiety and Depression Scale, deutsche Version) oder PHQ-D (Gesundheitsfragebogen für Patient*innen)

Weitere Informationen

  • Art und Ausbreitung des Tumors
  • Frühere und etwaige aktuelle Tumortherapie
  • Frühere und aktuelle Schmerztherapie, Wirkung der Therapie
  • Komorbidität
  • Allgemeine Situation der Betroffenen
    • psychosoziale Verhältnisse
    • körperliche und kognitive Funktionen
    • früherer oder aktueller Gebrauch von Alkohol und/oder sonstigen Suchtmitteln

Patient*innen mit kognitiven Einschränkungen

  • Selbstauskünfte über Schmerzen sind oft nicht ausreichend möglich.
    • In diesem Fall sollte eine Fremderfassung der Schmerzintensität erfolgen, entweder durch die Angehörigen oder durch das medizinische Personal.
  • Mögliche nonverbale Hinweise auf Schmerzen:
    • Mimik
    • Unruhe
    • Lautäußerungen
    • vegetative Reaktionen, z. B.:
      • Schwitzen
      • Tachykardie
      • Blutdruckentgleisungen
  • Hilfestellung bei der Fremdeinschätzung bieten strukturierte Beobachtungsbögen, z. B.:
    • Beobachtungsinstrument für die Schmerzerfassung bei älteren Menschen mit Demenz BISAD
    • Beurteilung von Schmerzen bei Demenz BESD
  • Näheres siehe Artikel Schmerzbewertung und Schmerzbehandlung bei Demenz.

Durchbruchschmerzen

  • Definition
    • Plötzlich einsetzende Schmerzen, die häufig im Zusammenhang mit Bewegungen, der Nahrungsaufnahme, dem Wasserlassen, der Defäkation oder aber spontan auftreten, z. B. paroxysmale neuropathische Schmerzen oder viszerale Kolikschmerzen.
  • Lokalisation
    • Meist an der Stelle, an der auch die konstanten Schmerzen der Betroffenen auftreten.
  • Fragen
    • Ist der konstante Schmerz ausreichend beherrscht (NRS ≤ 3 für mehr als 12 Stunden pro Tag)?
    • Intensität der Durchbruchschmerzen (NRS)?
    • Lokalisation?
    • Auslösende und lindernde Faktoren?
    • Wie oft im Laufe eines Tages?
    • Dauer der Attacken?

Neuropathische Schmerzen4

  • Diagnostische Kriterien
    1. Der Schmerz zeigt eine neuroanatomisch plausible Ausbreitung.
    2. Anamnestisch ist eine Affektion des peripheren oder zentralen Nervengewebes wahrscheinlich.
    3. In der klinischen Untersuchung (sensorische Tests) ist eine eindeutig neuroanatomische Ausbreitung des Schmerzes nachweisbar. Das trifft auch auf evtl. Hyperalgesie/Allodynie zu.
    4. In einer ergänzenden Untersuchung (z. B. MRT) wird eine Manifestation der Tumorerkrankung nachgewiesen, die einen neuropathischen Schmerz erklären kann, z. B. Wurzelkompression bei Wirbelsäulenmetastasen.
    • Möglicher neuropathischer Schmerz: Kriterium 1 und 2 sind erfüllt.
    • Wahrscheinlicher neuropathischer Schmerz: Kriterium 3 und 4 sind erfüllt.
    • Gesicherter neuropathischer Schmerz: Alle 4 Kriterien sind erfüllt.
  • Pluszeichen, z. B.:
    • Hyperalgesie (kann auch als Opioid-Nebenwirkung auftreten)
    • Allodynie
  • Minuszeichen, z. B.:
    • Hypästhesie
    • Paresen
  • Begleitsymptome
    • sensible Ausfälle im Versorgungsgebiet zentraler oder peripherer Nervenstrukturen
    • Parästhesien
    • Paresen
    • Reflexauffälligkeiten
    • vegetative Symptome
  • Schmerzcharakter
    • brennend
    • „elektrisierend“ 
    • einschießend
  • Siehe Tabelle Neuropathische Schmerzen – Symptome und Beschwerdebilder.
  • Näheres zur Abgrenzung neuropathischer Schmerzen von anderen Schmerzarten siehe Artikel Neuropathische Schmerzen.

Klinische Untersuchung

  • Der Abschnitt basiert auf dieser Referenz.3
  • Bei der körperlichen Untersuchung sollte gezielt die schmerzhafte Region untersucht werden, um pathologische Veränderungen zu erfassen.
  • Die Extremitäten sollten aktiv und passiv bewegt werden, um Bewegungsdefizite zu erkennen.
  • Im Bereich ossärer Strukturen sollte an die Möglichkeit von Metastasen/an pathologische Frakturen gedacht werden.
  • Allgemeine klinische Untersuchung
  • Neurologische Untersuchung

Fragebögen

  • Der Abschnitt basiert auf dieser Referenz.1
  • Bei Palliativ-Patient*innen in eingeschränktem Allgemeinzustand nur bedingt anwendbar
  • Für die Mehrzahl der Betroffenen ist ein Screening mit einem Symptomfragebogen sinnvoll, der neben Schmerzen auch andere körperliche Symptome und psychosoziale oder spirituelle Probleme erfasst, z. B.:
    • Symptomcheckliste der Hospiz- und Palliativ-Erfassung HOPE
    • Palliative Care Outcome Scale POS
    • Edmonton Symptom Assessment Scale ESAS
    • Minimales Dokumentationssystem MIDOS
  • Zur neurophysiologischen Evaluation neuropathischer und nozizeptiver Schmerzen bei Krebskranken:
  • Screening-Fragebögen bei Verdacht auf neuropathische Schmerzen (für neuropathische Schmerzen bei Tumorschmerz-Patient*innen nicht validiert):
    • painDETECT

Ergänzende Untersuchungen

  • Der Abschnitt basiert auf dieser Referenz.5
  • Basislabor
  • Ggf. Bildgebung, z. B.:
    • Röntgenuntersuchung des Skeletts
    • CT/MRT 
      • Thorax
      • Abdomen
      • Schädel
      • Wirbelsäule
    • Sonografie, z. B.:
      • Pleura
      • Perikard
      • Gallenwege
      • Harnwege
    • ggf. nuklearmedizinische Diagnostik
  • Ggf. neurophysiologische Untersuchung
  • Falls sich das Schmerzmuster ändert, kann eine Wiederholung von Untersuchungen indiziert sein.

Therapie

Nichtmedikamentöse Maßnahmen

  • Der Abschnitt basiert auf dieser Referenz.2
  • Das Wohlbefinden und die Lebensqualität der Patient*innen sowie deren Vorlieben stehen bei der Auswahl geeigneter Maßnahmen (z. B. Aromatherapie) im Vordergrund.
  • Aktivierende nichtmedikamentöse Maßnahmen sind in der Palliativsituation oft nur eingeschränkt und nur in der Phase der zeitbegrenzten Rehabilitation (s. o.) möglich.

Auswahl einzelner Verfahren

  • Lagerungstechniken
    • Beispielsweise bei Rasselatmung Seiten- oder Oberkörperhochlagerung; die Überstreckung des Kopfes sollte vermieden werden.
  • Ggf. Funktionstraining
    • Physiotherapie
    • Ergotherapie
  • Entlastende und ermutigende Gespräche, ggf. auf Wunsch spirituelle Begleitung
  • Psychotherapie (Psychoonkologie), z. B.:2
    • psychodynamische Verfahren
    • Hypnotherapie
    • Körperpsychotherapie
    • kreative Verfahren: Musiktherapie, Kunsttherapie
  • Entspannung und Stressreduktion, z. B.:
    • Muskelrelaxation nach Jacobson
    • autogenes Training
    • Mindfulness-based Stress Reduction (MBSR)
    • Imagination
    • Meditation
    • Feldenkrais-Methode
    • Biofeedback
  • Physikalische Therapien
    • Kälte
    • Wärme
    • Reizbehandlung (z. B. Akupunktur/Akupressur, Reflexzonenmassage)
    • Massage und manuelle Therapie
    • Elektrotherapien
      • Galvanisation (z. B. Stangerbäder)
      • Iontophorese (z. B. mit Lokalanästhetika oder NSAR)
      • Niederfrequenzströme (z. B. diadynamisch, TENS, invasive Elektrostimulationsverfahren)
  • Aktivierende Maßnahmen bei ausreichender Fitness, z. B.:
    • Gymnastik
    • Pilates
    • Yoga
    • Qigong
    • Aqua-Fitness

Medikamentöse Therapie – Tumorschmerz

  • Der Abschnitt basiert auf dieser Referenz.1
  • Sofern nicht anders gekennzeichnet, basiert der gesamte Abschnitt auf der S3-Leitlinie Palliativmedizin für Patient*innen mit einer nicht heilbaren Krebserkrankung.1
    • Bei anderen palliativmedizinischen Indikationen sind die Empfehlungen ggf. individuell anzupassen.
    • Zur Pharmakotherapie bei nichttumorbedingten Schmerzen siehe die Artikel zu den jeweiligen Krankheitsbildern und Schmerzbehandlung, Grundsätze.

Leitlinie: Dosierungsübersicht1

  • Dosierung gängiger Medikamente zur palliativmedizinischen Schmerztherapie bei einer nicht heilbaren Krebserkrankung

Nicht-Opioide

  • Paracetamol 0,5–1 g (pädiatrische Dosis 10–15 mg/kg) alle 4–6 Stunden
  • Ibuprofen 400 mg (pädiatrische Dosis 10 mg/kg) alle 4–6 Stunden oder 800 mg alle 8 Stunden
  • Metamizol 1–8 x 500 mg oder 1–4 x 1.000 mg (max. 4.000 mg/d)
    • Laut Hersteller sollen 5.000 mg tgl. nicht überschritten werden (Anm. d. Red.).

Opioide

  • Stufe-II-Opioide
    • Tramadol 50–400 mg/d
    • Tilidin/Naloxon 100–400 mg/d
    • Quasi Stufe II (niedrig dosiertes Opioid der Stufe III), z. B.:
      • Oxycodon 10–20 mg/d
      • Morphin 10–30 mg/d
      • Hydromorphon 4 mg/d
  • Morphin (Off-Label-Use)
    • Startdosis bei opioidnaiven Erwachsenen:
      • 2,5–5 mg alle 4 Std. p. o.
      • 1–2,5 mg alle 4 Std. s. c.
    • Startdosis bei opioidnaiven Kindern und Jugendlichen bis 16 Jahre:
      • 0,25 mg/kg alle 4 Stunden
    • Startdosis bei vorbestehender Opioid-Therapie:
      • Erhöhung um 25 % der vorbestehenden Opioid-Dosen
    • In der Palliativsituation geben Angaben zu maximalen Opioiddosierungen lediglich einen groben Anhaltspunkt und können je nach individueller Situation deutlich überschritten werden (Off-Label-Use).
      • Die Tagesdosis bei Tumorerkrankten liegt meist im Bereich 60–180 mg/d. Eine Dosis von mehr als 360 mg/d ist nur selten erforderlich.
  • Andere Stufe-III-Opioide

Analgetikatherapie, Prinzipien

  • Das WHO-Stufenschema (s. u.) bildet das grundlegende Prinzip für die Behandlung tumorbedingter nozizeptiver Schmerzen.
  • Analgetika möglichst oral verabreichen.
  • Anwendung nach festem Zeitplan
  • Dosierung
    • Individuell einstellen.
    • Wirkung bewerten.
    • Anwendung kontinuierlich überwachen.
    • Bei Bedarf anpassen.
  • Rescue-Medikament
    • Schmerzmittel mit verständlicher Dosierungsanweisung für die Behandlung von Durchbruchschmerzen bereitstellen.
  • Laxanzien
    • Bei Behandlung mit starken Opioiden sollen immer prophylaktisch Laxanzien gegeben werden.
  • Neuropathischer Schmerz oder gemischt nozizeptiv-neuropathischer Schmerz?
    • Sind Koanalgetika angezeigt?

Palliative Tumortherapie 

  • Eine palliative, gegen die Tumorerkrankung gerichtete Therapie kann auch schmerztherapeutisch indiziert sein, z. B. bei unzureichender Wirksamkeit anderer therapeutischer Verfahren.
  • Näheres zur palliativen Tumortherapie im Abschnitt Tumorgerichtete Therapie und in den Artikeln zu den einzelnen Tumorerkrankungen

Stufenschema 

  • WHO-Stufe I
    • Paracetamol + ggf. Koanalgetikum (bei neuropathischen Schmerzen)
    • alternativ oder als Koanalgetikum ein NSAR, z. B. Ibuprofen
      • bei erhöhtem Ulkusrisiko: Protonenpumpenhemmer
      • Bei Nichtansprechen nach 1–2 Wochen absetzen.
      • evtl. Paracetamol + NSAR
      • alternativ: Metamizol (Novaminsulfon), ggf. + Opioid
  • WHO-Stufe II
    • schwaches Opioid wie Tilidin oder Tramadol + Paracetamol + ggf. Koanalgetikum
    • alternativ: niedrigdosiertes Stufe-III-Opioid
  • WHO-Stufe III
    • 1. Wahl: Morphin, Oxycodon, Hydromorphon, ggf. Fentanyl + ggf. Paracetamol + Metamizol, ggf. Koanalgetikum
    • ggf. + NSAR (Cave: bei älteren Menschen und besonders bei Nieren-, Leber- oder Herzinsuffizienz!)
    • alternativ: Buprenorphin (partieller µ-Agonist)
      • möglicher Vorteil: Ceiling-Effekt vermutlich nur hinsichtlich Nebenwirkungen7
  • KEINE Kombination von WHO Stufe II + WHO Stufe III3
    • Bedarfsmedikation immer mit dem Medikament, das als Basismedikation eingesetzt wird.
    • ggf. Änderung der Basismedikation
  • Ggf. Wechsel auf ein anderes Stufe-III-Opioid
    • Die Anfangsdosierung dabei sollte niedriger sein als die nach publizierten Äquipotenztabellen berechnete!
    • Dosis danach anhand des klinischen Ansprechens titrieren.

Alternative systemische Applikationsformen

  • S. c. Injektion
    • erste Alternative, wenn orale oder tansdermale Applikation nicht möglich (Ib/A)
  • I. v. Injektion
    • wenn s. c. kontraindiziert (Ib/A)
    • Zur Opioidtitration, wenn eine schnelle Schmerzkontrolle erforderlich ist (Ib/A).
  • Infusion i. v. oder s. c.
    • z. B. für patientenkontrollierte Analgesie (III/C)
  • Rektal
    • 2. Wahl, oft niedrige Akzeptanz der Behandelten (III/B)
  • Peridural oder intrathekal
    • Reserveoption, Opioide in Kombination mit Lokalanästhetika oder Clonidin (off label) rückenmarknah (Ic/C)

Nicht-Opioide3

  • Paracetamol
    • bei leichten bis mittelschweren Schmer­zen ohne entzündliche Genese
    • bei Patient*innen mit erhöhtem Ulkus- und Blutungsrisiko unproblematisch
    • nur zur kurzfristigen Behandlung geeignet
    • Überdosierung vermeiden (hepatotoxisch).
    • kritisch bei:
  • NSAR einschließlich COX-2-Hemmer
    • besonders bei entzündlicher Schmerzkomponente
    • nur zur kurzfristigen Behandlung geeignet
      • möglichst nicht länger als 7 Tage
      • maximal 4 Wochen
    • Niedrig dosieren, ggf. in Kombination mit anderen Schmerzmitteln.
    • kritisch bei:
      • Herzinsuffizienz
      • erhöhtem kardiovaskulärem Risiko
      • Gerinnungsstörungen
      • eingeschränkter Nieren- oder Leberfunktion
      • gastrointestinalen Ulzera bzw. Ulkusanamnese
    • leicht unterschiedliches Risikoprofil bei den einzelnen Substanzen8
      • Das Herzinfarktrisiko ist unter Diclofenac vermutlich höher als unter Ibuprofen oder Naproxen.
      • Das gastrointestinale Risiko ist vermutlich unter Ibuprofen geringer als unter anderen NSAR.
    • PPI reduzieren das Risiko für Magen-, nicht aber für Darmblutungen.
    • Ab einer eGFR < 30 ml/min oder einem Serumkreatininwert > 2,5 mg/dl sollten NSAR oder COX-2-Hemmer nicht verordnet werden.
  • Metamizol3,9
    • analgetische, antipyretische und spasmolytische, aber kaum antiphlogistische Wirkung
    • Bei akuten starken Schmerzen, die mit anderen Mitteln nicht verringert werden können.
    • potenziell letale Nebenwirkungen
      • Agranulozytose (Die Inzidenz wird auf 1/3.000–1/1.000 geschätzt und ist somit viel größer als vom Hersteller angegeben.10)
      • Blutdruckabfall (vor allem bei i. v. Gabe)
      • allergische Reaktionen
    • Blutbildkontrollen vor und innerhalb der ersten 7 Tage nach Beginn einer Metamizol-Therapie
      • Wiederholung: alle 1–3 Monate
    • Vorsicht bei i. v. Applikation (Blutdruckabfall)!
      • Sehr langsam injizieren oder besser als Kurzinfusion über 30–45 min unter Blutdrucküberwachung.
      • Die i. m. Injektion (auch im Notfalldienst) ist obsolet.

Stufe-II-Opiode

  • Tilidin/Naloxon
    • retardierte Form: 12-stündliche Gabe
  • Tramadol
    • Übelkeit häufiger als unter Tilidin
    • Serotonin-Syndrom: erhöhtes Risiko bei Kombination mit anderen Medikamenten, z. B. Antidepressiva, Triptanen

Stufe-III-Opioide

  • Individuelle Dosierung
    • Der Effekt und die Verträglichkeit aus Sicht der Patient*innen bestimmen die Dosis.3
    • Mit unretardierten Morphintabletten titrieren, dann auf ein Retardpräparat umstellen.
    • Zur Umrechnung der morphinäquivalenten Dosierung anderer Opioide siehe Stufe-III-Opioide: Wirkstoffe.
  • Initialdosis
    • Siehe Textkasten Dosierungsübersicht.
    • bei älteren und multimorbiden Patient*innen evtl. nur 25–50 % der üblichen Startdosis3
  • Bewertung der Wirksamkeit und Erhöhung der Dosis
    • Wirkung täglich beurteilen.
    • Ziel: angemessenes Gleichgewicht zwischen Schmerzlinderung und Nebenwirkungen
    • ggf. Dosissteigerung tgl. um 30–50 %
    • Zieldosis bei starken Schmerzen meist bei 60–180 mg
    • > 360 mg nur selten erforderlich
  • Wechsel zu einem Morphin-Retardpräparat
    • Nach Abschluss der Dosistitration mit nichtretardiertem Morphin: gleiche Tagesdosis aufgeteilt auf 2 Dosen, also alle 12 Stunden, in Form von Morphin-Retardtabletten geben.
  • Bei eingeschränkter Nierenfunktion (GFR < 30 ml/min)
    • Opioide vorsichtig einsetzen (III/B).
    • Opioide der 1. Wahl: Fentanyl oder Buprenorphin
    • Start low, go slow!
    • Bei Morphingabe ggf. Dosis reduzieren oder Dosierungsintervall verlängern.

Dauertherapie3

  • Retardpräparate
    • Vorteile
      • gleichmäßigere therapeutischen Dosis
      • Vermeidung passagerer Überdosierung (Nebenwirkungen)
      • Vermeidung passagerer Unterdosierung („End of Dose Failure“ mit Wirkungsabfall und Entzugserscheinungen)
      • niedrigeres Risiko für Toleranzentwicklung
  • Transdermale Applikation3
    • nur bei stabiler Schmerzsituation mit wenigen Schwankungen der Schmerzintensität
    • Die transdermale Applikation ist eine parenterale Anwendung!
    • Auch nach Entfernen des Pflasters können erhöhte Serumkonzentrationen für 24–48 Stunden persistieren.
    • unsichere Resorption (Fieber, Schwitzen)
    • Zusätzlich zu den opioidtypischen Nebenwirkungen können Hautreaktionen auftreten.
    • Wie bei anderen Medikamenten auf sichere Entsorgung achten (Cave: akzidentelle Vergiftungen!).
  • Kontinuierliche i. v. oder s. c. Infusion
    • Patientengesteuerte Analgesiepumpen, die neben einer Basisinfusion auch die Verabreichung von Bolusdosen ermöglichen, erlauben einen schnellen Wirkeintritt nach 5–20 min.

Durchbruchschmerzen1

  • Durchbruchschmerzen bei einer Krebserkrankung sollen mit schnell freisetzenden oralen/enteralen Klasse-III-Opioiden oder mit sehr schnell freisetzenden transmukosalen (bukkalen, sublingualen oder transnasalen) Applikationsformen von Fentanyl behandelt werden (Ib/A).
    • Üblich ist bei den schnell freisetzenden oralen/enteralen Applikationsformen etwa 1/6 der Gesamttagesdosis des Retardpräparats.
    • Nach ≥ 30 min ggf. wiederholen.
    • bei Anwendung von Fentanylpflastern
    • Behandlung von Durchbruchschmerzen z. B. mit schnell freisetzenden Morphintabletten in einer Dosis von 1/6 der äquianalgetischen Tagesdosis

Opioid-Nebenwirkungen1

  • Obstipation
    • Allgemeines zur opioidbedingten Obstipation
      • sehr häufige Nebenwirkung
      • Kann selbst bei kleinen Dosen auftreten.
      • unter Fentanylpflaster vermutlich weniger häufig als unter Morphin
    • nichtmedikamentöse Maßnahmen (Prophylaxe und Therapie)
      • physiotherapeutische Verfahren, z. B. Kolonmassage
      • Einläufe, Suppositorien, Klysmen
      • manuelle Ausräumung als Ultima Ratio
    • Therapieplanung Pharmakotherapie
      • Obstipationsprophylaxe bei jeder Opioidtherapie
      • seltene Ausnahme: Diarrhö unter Opioiden
    • Stufenplan Pharmakotherapie
      • Stufe 1: osmotisches oder propulsives Laxans
      • Stufe 2: osmotisches und propulsives Laxans
      • Stufe 3: Stufe 2 und Opioidantagonist
      • Stufe 4: Stufe 3 und weitere Medikamente als Therapieversuch, z. B. mit Rizinusöl, Erythromycin (off label), Amidotrizoe-Essigsäure (off label)
    • Wirkstoffklassen
      • osmotische Laxanzien (1. Wahl zur Prophylaxe): Macrogrol (Polyethylenglykol) 3350/Elektrolyte, Lactitol, Sorbitol, Laktulose
      • propulsive (stimulierende) Laxanzien: Natriumpicosulfat, Bisacodyl, Anthrachinone
      • peripher wirksame Opioidantagonisten (PAMORA, Peripherally Acting μ-Opioid Receptor Antagonists): Methylnaltrexon, Naldemedin, Naloxegol oder die Kombination von Oxycodon mit dem Opioidantagonisten Naloxon (off label)
  • ZNS-Nebenwirkungen
    • Allgemeines zu zentralnervösen Opioidnebenwirkungen
      • häufig Sedierung mit Müdigkeit, Benommenheit oder Verwirrtheit, selten bis hin zum Delir
      • in den ersten Tagen der Therapie und nach Dosiserhöhungen meist am stärksten ausgeprägt
      • Für ausreichende Flüssigkeitszufuhr sorgen.
      • ggf. Dosisreduktion oder Wechsel des Opioids
    • ggf. Methylphenidat (off label) zur Behandlung opioidinduzierter Sedierung
      • Bei der Dosierung die geringe therapeutische Breite der Substanz beachten!
      • Dosierungsvorschlag: initial 5–10 mg morgens, ggf. Dosissteigerungen auf 40–60 mg/d, aufgeteilt auf eine morgendliche und eine mittägliche Gabe
    • Hypnotika oder Tranquilizer nach Möglichkeit vermeiden.
  • Übelkeit und Erbrechen
    • Allgemeines zur opioidbedingten Übelkeit
      • in den ersten Tagen der Therapie und nach Dosiserhöhungen am stärksten ausgeprägt
      • häufiger bei Dehydratation
    • Therapieplanung
      • medikamentöse Prophylaxe bereits in der ersten Phase der Behandlung
      • Nach etwa 2–4 Wochen Indikation für die antiemetische Therapie überprüfen, ggf. absetzen.
    • Wirkstoffe der 1. Wahl
      • Medikamente mit antidopaminergen (z. B. Haloperidol) bzw. antidopaminergen und weiteren Wirkungsmechanismen (z. B. Metoclopramid) sollten verwendet werden.
    • Antiemetikaklassen
      • Neuroleptika, z. B. Haloperidol 0,2–1,0 mg oral alle 8 Stunden oder Levomepromazin1–5 mg oral (Tropfen) alle 12 Stunden
      • Prokinetika, z. B. Metoclopramid: 10 mg oral alle 4–6 Stunden oder Domperidon 10 mg alle 8–12 Stunden (Domperidon wirkt nur auf die opioidinduzierte Magenentleerungsstörung, nicht auf die zentralnervös induzierte Übelkeit – cave: Verlängerung der QT-Zeit mit Risiko Torsade de Pointes!)
      • Antihistaminika, z. B. Diphenhydramin bis zu 50 mg alle 8 Stunden (sedierende Wirkung)
      • Setrone, z. B. Ondansetron 4–8 mg oral alle 12 Stunden (Off-Label-Use)
      • Dexamethason bei erhöhtem Hirndruck durch Hirnmetastasen (Off-Label-Use)
      • Cannabinoide (s. u.)
    • Applikation über Morphinpumpe
      • Wird eine Morphininfusion angewendet, können diese Mittel hinzugefügt und per Pumpe verabreicht werden, z. B. 0,5–2 mg Haloperidol oder 20–50 mg Metoclopramid pro Tag.
  • Atemdepression und Bronchospasmus
    • selten
    • Können durch folgende Maßnahmen vermieden werden:
      • Wahl einer niedrigen Anfangsdosis
      • sorgfältiges Auftitrieren (s. o.)
      • Komedika­tion mit anderen zentral wirksamen Arzneistoffen (z. B. Hypnotika oder Tranquilizer) vermeiden.
      • Begleiterkrankungen beachten, z. B. Asthma oder COPD.
      • Vorsicht bei Patient*innen mit Niereninsuffizienz!
  • Weitere Nebenwirkungen, z. B.:
    • Pruritis
    • Appetitlosigkeit
    • Blasenentleerungsstörungen
    • Schlafstörungen (meist aber schlaffördernde Wirkung)
    • Albträume
    • Depression
    • Libidoverlust
  • Alle Opioide können zu körperlicher Abhängigkeit sowie Toleranzentwicklung führen.
    • Bei einer Toleranzentwicklung kann eine Dosiserhöhung, ein Opioidwechsel oder ein Opioidentzug erwogen werden.
  • Um Entzugssymptome zu vermeiden:
    • Nicht abrupt absetzen, sondern langsam reduzieren.
    • „End of Dose Failure“ durch zu lange Dosierungsintervalle vermeiden.
    • Retardierte Präparate bevorzugen.
  • Opioidinduzierte Hyperalgesie
    • paradoxer Effekt von Opioiden
      • Zunahme der Schmerzempfindlichkeit für neu auftretende Schmerzen – oder –
      • Zunahme von bestehenden Schmerzen
      • oft mit Kältehyperalgesie
      • weitgehend opioidresistente Schmerzen
    • Bei Hinweisen auf die Entwicklung einer opioidinduzierten Hyperalgesie soll eine schrittweise Opioidreduktion und/oder ein Opioidentzug durchgeführt werden.
    • NMDA-Antagonisten (s. u.) können opioidinduzierte Hyperalgesie mildern oder aufheben.

Koanalgetika (Adjuvanzien) bei neuropathischen Schmerzen1

  • In Kombination mit Opioiden, evtl. auch als Monotherapie
    • Cave: ZNS-Nebenwirkungen bei Kombination von Amitriptylin, Pregabalin oder Gabapentin mit Opioiden – beide Komponenten vorsichtig eintitrieren!
  • Empfohlene Koanalgetika
    • trizyklische Antidepressiva (TZA)
      • Amitriptylin
      • Nortriptylin
    • Serotonin-Noradrenalin-Wiederaufnahmehemmer (SSNRI)
      • Duloxetin
      • Venlafaxin (off label)
    • Antikonvulsiva
      • Gabapentin
      • Pregabalin
  • Antidepressiva
    • TZA
      • Werden am häufigsten verwendet.
      • Cave: anticholinerge Nebenwirkungen, teilweise dosisabhängig, z. B. Sedierung und Mundtrockenheit!
      • Bei älteren Menschen und bei Patient*innen mit Herzkrankheiten oder Demenz meiden!
      • Können den Schlaf verbessern.
      • Dosierungsbeispiel: 10 mg Amitriptylin abends, schrittweise Erhöhung um 25 mg pro Woche bis zum Erreichen einer Linderung, Höchstdosis: 150 mg pro Tag
      • Dauer des Behandlungsversuchs: 6–8 Wochen, davon mindestens 2 Wochen bei maximaler Dosierung
    • Alternative: SNRI (Serotonin-Noradrenalin-Wiederaufnahmehemmer)
      • schmerztherapeutische Wirksamkeit bei chronisch Schmerzkranken ohne Depression: für Duloxetin von allen Antidepressiva am besten belegt11
    • Cave: Serotonin-Syndrom bei Kombination mit Tramadol!
      • Das betrifft sowohl TZA als auch SNRI.
  • Antikonvulsiva
    • Gabapentin, Pregabalin
      • krampflösend und analgetisch
      • leicht sedierend und schlaffördernd
    • Dosierungsbeispiel Gabapentin
      • Initialdosis 100–300 mg abends, ggf. verteilt auf 3 Dosen; bei Bedarf 1 x wöchentlich Erhöhung um 100–300 mg tgl.; Höchstdosis: 3.600 mg

NMDA-Antagonisten3

  • Wirkstoffe
    • Ketamin (Racemat)
    • S-Ketamin
    • Dextromethorphan (off label, nur als Antitussivum zugelassen)
    • Memantin (off label, nur zur Behandlung von Demenz zugelassen)
  • Indikationen
    • Reservemedikamente mit insgesamt niedrigen Ansprechraten und geringer Langzeitwirksamkeit
    • am ehesten als Koanalgetikum bei starken neuropathischen Schmerzen, in Kombination mit Opioiden
    • evtl. bei schneller Toleranzentwicklung gegenüber Opioiden oder Opioidhyperalgesie
  • Wegen zahlreicher potenzieller Nebenwirkungen und Kontraindikationen soll die Therapie unter Leitung von Spezialist*innen oder stationär erfolgen.

Kortikosteroide

  • Indikationen
    • neuropathische Schmerzen durch tumorassoziierte Nervenkompression oder Infiltration
    • z. B. Nervenwurzelschmerzen, Schmerzen durch Leberexpansion
  • Dosierung abhängig von der Indikation
    • Dexamethason
      • Dosierungsbeispiel: 2–4 x 4 mg p. o. (Kinder: 4 x 0,1 mg/kg), Verringerung bis zur geringsten noch wirksamen Dosis
    • Appetitanregung: geringere Dosierung
      • bei Erwachsenen z. B. Prednisolon 2 x 5–10 mg p. o.

Cannabinoide

  • Näheres siehe Artikel Cannabinoid-haltige Arzneimittel.
  • Wirkstoffe aus Cannabis sativa (Hanf)
    • Δ9-Tetrahydrocannabinol (THC)
    • Cannabidiol (CBD)
  • Schwache Beweislage zur Wirksamkeit12 
  • Wirksamkeit von THC, evtl. in Kombination mit CBD bei neuropathischen Schmerzen am ehesten bei4
    • zentralem Schmerz bei Multipler Sklerose
    • HIV-assoziierter sensorischer Neuropathie
    • neuropathischen Schmerzen aufgrund anderer Nervenschädigungen.

Benzodiazepine

  • Zur Linderung von Atemnot (Off-Label-Use), Angst, Unruhe und Schlafstörungen
    • besonders in fortgeschrittenen Krankheitsstadien oder in der Sterbephase
    • Wenn Opioide nicht ausreichen.
    • ggf. mit Opioiden kombinierbar
    • Dosierungsbeispiele
      • Lorazepam 0,5–1,0 mg alle 6–8 Std. per os/sublingual, wobei die Resorption nicht im Mund erfolgt.
      • Midazolam 2,5–5 mg/4 h subkutan, 10–30 mg/24 h subkutan

Führen von Kraftfahrzeugen

  • Die behandelnden Ärzt*innen sind verpflichtet, Führerscheininhaber*innen entsprechend zu warnen, sollten sie bei der Untersuchung feststellen, dass das Führen von Kraftfahrzeugen aus gesundheitlichen Gründen nicht mehr vertretbar ist.
  • Die Voraussetzungen für die Teilnahme am Straßenverkehr sind z. B. in folgenden Situationen nicht erfüllt:
    • innerhalb der 2 Wochen nach Beginn einer Opioidtherapie oder nach einer Dosisanpassung
    • bei Anwendung hoher parenteraler Dosen, z. B. 300 mg Morphin
  • Patient*innen sollen darauf hingewiesen werden, dass sie während der Dosisfindungsphase und bei Dosisänderungen nicht Autofahren sollen (A).13
  • Informationsblatt Fahrsicherheit unter Opioiden.
  • Siehe auch Artikel Beurteilung der Fahreignung.

Knochenschmerzen

  • Der Abschnitt basiert auf dieser Referenz.1

Multimodale Therapie

  • Knochenmetastasen erfordern in der Regel einen multimodalen Ansatz. Dafür kommen verschiedene Therapiemodalitäten infrage:
    • systemische Antitumortherapie
    • Strahlentherapie
    • Chirurgie, z. B.:
      • stabilisierende Eingriffe bei pathologischen Frakturen
      • Entlastung bei Darmobstruktion
      • Anlage von Stents
    • Analgetika, z. B. NSAR, evtl. in Kombination mit Metamizol1
    • antiresorptive Therapie
      • Bisphosphonate1 – oder –
      • Denosumab, ein gegen RANK-L gerichteter monoklonalen Antikörper, allerdings zweifelhaftes Therapieprinzip mit dem Risiko ernster Nebenwirkungen14
  • Näheres zur Behandlung von Knochenmetastasen siehe die Artikel zu den betreffenden Tumorerkrankungen, z. B. Mammakarzinom oder Prostatakarzinom.

Antiresorptive Therapie

  • Die antiresorptive Therapie mit Bisphosphonaten oder Denosumab senkt placebokontrollierten Studien zufolge15-16
    • die Schmerzprävalenz und -intensität und
    • das Risiko für skelettale Komplikationen
      • pathologische Frakturen
      • Notwendigkeit einer Strahlentherapie
      • Notwendigkeit einer Operation
      • Myelokompression
      • Hyperkalzämie.
  • Bei Hyperkalzämie reduzieren Bisphosphonate zudem:
    • Übelkeit
    • Obstipation
    • Verwirrtheit
  • Nach Absetzen von Denosumab kann es zu einem raschen Rückgang der Knochendichte mit Hyperkalzämie und erhöhtem Frakturrisiko kommen.17

Schmerzen durch Ileus

  • Der Abschnitt basiert auf dieser Referenz.18
  • Siehe Artikel Akuter Darmverschluss.
  • Differenzialdiagnose: Obstipation, oft opioidbedingt (ausreichende Laxanziengabe?)
  • Neben einer Operation bei mechanischem Ileus ist auch eine medikamentöse Therapie als alternative Lösung möglich.
  • Ziel: Reduktion von gastrointestinaler Sekretion und Motilität
  • Butylscopolamin, z. B. 40–120 mg/d s. c.
  • Evtl. Somatostatin-Analogon, z. B. Octreotid 2- bis 3-mal 0,05–0,1 mg/d s. c. oder i. v., Steigerung bis 0,6 mg als Tagesdosis
  • Adäquate Analgetikagabe, in der Regel Klasse-III-Opioide
  • Antiemetika (siehe Übelkeit und Erbrechen, palliative Therapie
  • Einstellung der Behandlung mit Abführmitteln
  • Anlage einer Magensonde zur Sekretabfuhr
  • Gute Mundhygiene
  • Mundbefeuchtung mit kleinen Mengen Flüssigkeit zur Linderung des Durstgefühls
    • Evtl. Eisstücke lutschen.
    • Evtl. Fruchtgummis kauen.
  • Flüssige Ernährung

Interventionelle Verfahren

  • Der Abschnitt basiert auf dieser Referenz.3
  • In aller Regel im Rahmen einer stationären Behandlung oder der Mitbehandlung durch ein interdisziplinäres Schmerzzentrum
    • epidurale oder spinale Infusion
    • neurolytische Blockade
    • subarachnoidale Neurolyse
    • epidurale Neurolyse

Operative Therapie

  • Der Abschnitt basiert auf dieser Referenz.3
  • Chirurgische Eingriffe wie die Anlage eines entlastenden Stomas oder Stents können Beschwerden wirksam lindern.
  • Es kann eine orthopädische Stabilisation belasteter Knochen, z. B. mithilfe einer prophylaktischen Marknagelung, indiziert sein.
  • Näheres zur palliativen chirurgischen Therapie siehe die Artikel zu den entsprechenden Tumorerkrankungen.

Tumorgerichtete Therapie

  • Der Abschnitt basiert auf dieser Referenz.1

Strahlentherapie 

  • Führt häufig zu einer deutlichen und schnellen Schmerzlinderung bei meist guter Verträglichkeit.
  • Eine Strahlentherapie kommt z. B. infrage bei:
    • Knochenmetastasen, die Schmerzen hervorrufen (s. o.).
    • drohender Rückenmarkkompression durch Wirbelsäulenmetastasen (Akutmaßnahme)
    • Schmerzen infolge einer Tumorinfiltration eines Nervenplexus (z. B. Axilla, Leiste)
    • Läsionen tragender Röhrenknochen, bei denen die Gefahr einer Fraktur besteht.
  • Näheres zur Strahlentherapie siehe die Artikel zu den betreffenden Tumorerkrankungen, z. B. MammakarzinomProstatakarzinom, Bronchialkarzinom.

Zytostatika

  • Tragen u. U. zur Linderung tumorbedingter Schmerzen bei, z. B. über eine Verkleinerung des Tumors.
  • Näheres siehe die Artikel zu den betreffenden Tumorerkrankungen.

Endokrine Therapie

  • Bestimmte Hormonrezeptorliganden beeinflussen bei einigen Tumorerkrankungen das Proliferationsverhalten des Tumors.
  • Schmerzlinderung vermutlich durch Verkleinerung des Tumors
  • Systemische Therapie hormonsensitiver Tumoren mit Hormonrezeptorliganden, z. B. GnRH-Analoga, oder Hormonablation durch chirurgische Entfernung der Gonaden, z. B. beim Mammakarzinom oder Prostatakarzinom

Weitere palliative Therapien

Verlauf, Komplikationen und Prognose

  • Der Abschnitt basiert auf dieser Referenz.1

Komplikationen

  • Werden die Schmerzen nicht behandelt, können sich zahlreiche sekundäre Beschwerden entwickeln, z. B.:
    • Übelkeit
    • Angst
    • Depression
    • Appetitlosigkeit
    • Schlafstörungen
    • Kachexie
  • Durch eine erfolgreiche Schmerztherapie lassen oft auch diese Beschwerden lindern.

Patienteninformationen

Patienteninformationen in Deximed

Weitere Informationen

Quellen

Leitlinien

  • Deutsche Gesellschaft für Palliativmedizin. S3-Leitlinie Palliativmedizin für Patienten mit einer nicht heilbaren Krebserkrankung. AWMF-Leitlinie Nr. 128-001OL, Stand 2019. register.awmf.org
  • Deutsche Schmerzgesellschaft. S3-Leitlinie Langzeitanwendung von Opioiden bei chronischen nicht-tumorbedingten Schmerzen (LONTS). AWMF-Leitlinie Nr. 145-003, Stand 2020. register.awmf.org
  • Deutsche Gesellschaft für Neurologie. S2k-Leitlinie Diagnose und nicht interventionelle Therapie neuropathischer Schmerzen. AWMF-Leitlinie Nr. 030-114, Stand 2019. register.awmf.org

Literatur

  1. Deutsche Gesellschaft für Palliativmedizin. S3-Leitlinie Palliativmedizin für Patienten mit einer nicht heilbaren Krebserkrankung. AWMF-Leitlinie Nr. 128-001OL, Stand 2019. register.awmf.org
  2. Kröner-Herwig B, Frettlöh J, Klinger R, Nilges P (Hrsg). Schmerzpsychotherapie. Grundlagen – Diagnostik – Krankheitsbilder – Behandlung. Berlin, Heidelberg, New York, Tokio: Springer 2017
  3. Maier C, Bingel U, Diener HC (Hrsg.). Schmerzmedizin: interdisziplinäre Diagnose- und Behandlungsstrategien. München: Elsevier, Urban & Fischer 2017.
  4. Deutsche Gesellschaft für Neurologie. S2k-Leitlinie Diagnose und nicht interventionelle Therapie neuropathischer Schmerzen. AWMF-Leitlinie Nr. 030-114, Stand 2019. register.awmf.org
  5. Deutsche Gesellschaft für Allgemeinmedizin und Familienmedizin (DEGAM). S1-Leitlinie Chronischer Schmerz. AWMF-Leitlinie Nr. 053-036, Stand 2013 (abgelaufen). www.awmf.org
  6. Schlunk T, Denzlinger C, Dittmann H, et al. Informationen und Empfehlungen für das betreuende Team - Schmerztherapie bei Tumorpatienten. Südwestdeutsches Tumorzentrum - Comprehensive Cancer Center Tübingen, Juni 2016. www.medizin.uni-tuebingen.de
  7. Richardson MG, Raymond BL. Lack of Evidence for Ceiling Effect for Buprenorphine Analgesia in Humans. Anesth Analg 2018;127(1):310–1. doi:10.1213/ANE.0000000000003368 DOI
  8. Arzneimittelkommission der deutschen Ärzteschaft. UAW–News International - Nichtsteroidale Antirheumatika (NSAR) im Vergleich: Risiko von Komplikationen im oberen Gastrointestinaltrakt, Herzinfarkt und Schlaganfall. Deutsches Ärzteblatt 2013; 110:A1447 www.akdae.de
  9. Stammschulte T, Ludwig WD, Mühlbauer B, et al. Metamizole (dipyrone)-associated agranulocytosis. An analysis of German spontaneous reports 1990-2012. Eur J Clin Pharmacol 2015; 71: 1129-38. PMID: 26169297 PubMed
  10. Arznei-Telegramm. Arzneidatenbank. Wirkstoff: Metamizol-Natrium. Datenbankstand: 15.06.2023. www.arznei-telegramm.de
  11. Birkinshaw H, Friedrich CM, Cole P, et al. Antidepressants for pain management in adults with chronic pain: a network meta‐analysis. Cochrane Database od Systematic Reviews 2023. doi:https://doi.org/10.1002/14651858.CD014682.pub2 Cochrane (DOI)
  12. arzneimittel-telegramm 05/2017. www.arznei-telegramm.de
  13. Deutsche Schmerzgesellschaft. S3-Leitlinie Langzeitanwendung von Opioiden bei chronischen nicht-tumorbedingten Schmerzen (LONTS). AWMF-Leitlinie Nr. 145-003, Stand 2020. register.awmf.org
  14. arzneimittel-telegramm: Arzneimitteldatenbank www.arznei-telegramm.de
  15. O'Carrigan B, Wong MH, Willson M, Stockler MR, Pavlakis N, Goodwin A. Bisphosphonates and other bone agents for breast cancer. Cochrane Database Syst Rev. 2017; 2: CD003474. www.cochranelibrary.com
  16. Sun L, Yu S. Efficacy and safety of denosumab versus zoledronic acid in patients with bone metastases: a systematic review and meta-analysis. Am J Clin Oncol 2013; 36:399-403. PMID: 22772430 PubMed
  17. arznei-telegramm. a-t 2017; 48: 16. www.arznei-telegramm.de
  18. Karthaus M, Pohlmann H. Palliativmedizinische Aspekte: Darmobstruktion. ONKODIN Onkologie, Hämatologie - Daten und Informationen. Stand 18.03.2013. www.onkodin.de

Autor*innen

  • Thomas M. Heim, Dr. med., Wissenschaftsjournalist, Freiburg
  • Die ursprüngliche Version dieses Artikels basiert auf einem entsprechenden Artikel im norwegischen hausärztlichen Online-Handbuch Norsk Elektronisk Legehåndbok (NEL, https://legehandboka.no/).

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