Fieber bei Säuglingen und Kleinkindern

Red Flags und abwendbar gefährliche Verläufe1-2

Red Flags

Abwendbar gefährlicher Verlauf

Neugeborene

Immer Klinikeinweisung! Pneumonie, Sepsis

Vergiftungssymptome, V. a. Vergiftung

Immer Klinikeinweisung!

Meningeale Zeichen

Vorgewölbte Fontanelle

Meningitis

Purpura, Petechien

systemische Meningokokken-Infektion, HUS

Dyspnoe, Tachypnoe (Atemfrequenz > 60/min), Nasenflügeln, intrakostale Einziehungen

Bronchiolitis, obstruktive Bronchitis, Asthma, Pneumonie, Sepsis

Stridor

Laryngitis, AspirationEpiglottitis

Auffälliger Urinstix

Harnwegsinfektion

Schluckschwierigkeiten, Speichelfluss

Anaphylaxie, Epiglottitis

Schwer zu wecken

Meningitis, Pneumonie, Sepsis

Anhaltendes Schreien

Pyelonephritis, Meningitis, Pneumonie, Sepsis

Blasse Hautfarbe, Zyanose

Meningitis, Pneumonie, Sepsis

Verminderter Hautturgor, trockene Schleimhäute, verminderte Urinproduktion (trockene Windel)

Hypovolämie

Galliges Erbrechen

Volvulus, Invagination

Allgemeine Informationen

Definition

  • Normale Körpertemperatur: 35,6–38,0 °C3
  • Fieber
    • rektal gemessene Temperatur von > 38 °C3-5
    • Goldstandard ist die rektale Temperaturmessung.
      • Die axilläre Temperatur ist um 0,5–1 °C zu niedrig.
      • Die sublinguale Temperatur ist um 0,3–0,6 °C zu niedrig.
      • Cave: Rektale Messung ist bei neutropenen Patient*innen kontraindiziert!3
  • Fieber ohne Fokus/Fieber unklarer Genese
    • Bezeichnung für Fieber ohne einen in der klinischen Untersuchung und Urinanalyse zu identifizierenden Fokus; teils wird ergänzend ein unauffälliger Röntgen-Thorax gefordert.4
    • Dauer ≥ 8 Tage6

Häufigkeit

  • Fieber gilt als einer der häufigsten Vorstellungsgründe in der allgemeinmedizinischen und pädiatrischen Praxis und macht Schätzungen zufolge bis zu 70 % aller Konsultationen aus.5,7 
  • Anamnese und klinische Untersuchung führen bei 1 von 5 akut erkrankten Kindern ohne Anzeichen einer Vergiftung zu keiner Identifizierung einer Ursache für das Fieber.8-9
  • Bei den meisten dieser Kinder liegt eine selbstlimitierende Viruserkrankung vor.8-9
  • Aus Studien geht jedoch hervor, dass 7–13 % der Kinder unter 3 Jahren mit Fieber ohne Fokus und Warnsymptome eine okkulte Bakteriämie und eine schwere bakterielle Infektion aufweisen.4

Diagnostische Überlegungen

  • Die Herausforderung besteht darin, die febrilen Kinder mit einem geringen Risiko einer schweren bakteriellen Infektion, bei denen keine spezielle Untersuchung oder Behandlung erforderlich ist, von den selteneren Fällen zu unterscheiden, in denen eine schwere bakterielle Infektion vorliegt.
  • Es besteht die Gefahr einer Sepsis.

Physiologie

  • Der gesamte Abschnitt basiert auf dieser Referenz.3
  • Fieber zeigt eine erhöhte immunologische Aktivität und Inflammation an, es geht mit einer erhöhten metabolischen Aktivität, gesteigertem O2-Bedarf und erhöhter CO2-Produktion einher und führt zu einer Belastung des kardiopulmonalen Systems insbesondere bei kardiopulmonalen Grunderkrankungen, Schock oder Stoffwechseldefekten.
    • Moderate Temperaturerhöhungen bis < 40 °C scheinen die Immunantwort zu fördern.

ICPC-2

  • A03 Fieber

ICD-10

  • R50.9 Fieber, nicht näher bezeichnet

Differenzialdiagnosen

Fieber bei Infektionskrankheiten (Auswahl)

  • Die Höhe und Dauer des Fiebers korrelieren nicht mit der Schwere der Infektion.

Kurzzeitiges Fieber, meist über weniger als 4 Tage

Mittlere Dauer, 4–14 Tage

Lang anhaltendes Fieber

Maligne Erkrankung

Systemische Inflammationsreaktionen und immunologische Erkrankungen

Andere Ursachen für Hyperthermie

  • Der Abschnitt basiert auf dieser Referenz.3
  • Transfusionsassoziierte Fieberreaktionen
  • Medikamentenas­soziiertes Fieber (sog. „Drug Fever“)
    • Ausschlussdiagnose
    • Biologika, Ampho­tericin B, Zytostatika (u. a. Bleomy­cin, Cisplatin, Streptozotocin, 5-Fluorour­acil) u. a.
  • Hyperthyreose
  • Vergiftungen
    • Lebensmittel-, Pilz- oder Medikamenten­vergiftungen (Amphetamine, Serotonin, Neuroleptika wie Haloperidol, Chlorpro­mazin), Rauschmittel (z. B. Ecstasy) u. a.
  • Maligne Hyperthermie
    • schwere Komplikation, Auftreten bei 1:4.000–1:250.000 Narkosen
    • genetisch bedingte Überempfindlichkeit gegenüber verschiede­nen Anästhetika und Succinylcholin (Suxa­methonium)
    • extrem ge­steigerte Stoffwechselaktivität, Rhabdomyolyse, Hyperkaliämie, Hyperpy­rexie und Nierenversagen
  • Externe Wärmezufuhr
  • Zentrale Störung der Wärmeregulation
  • Münchhausen-Syndrom

Anamnese

  • Beschreibung des Fiebers
    • Höhe und Dauer
    • tageszeitabhängige Schwankungen, undulierendes Fieber über längere Zeiträume (Fiebertagebuch auswerten)
  • Impfungen
  • Geburt und Schwangerschaft
    • Infektionen/Besiedlungen (positiver Streptokokken-Gruppe-B-Abstrich der Mutter während der Schwangerschaft, Herpes-simplex-Infektion der Mutter etc.)
  • Begleitsymptome4
    • Schmerzen
    • Schnupfen
    • Husten
    • Tachypnoe
    • Übelkeit, Erbrechen
    • Durchfall, Miktionsstörung
    • Krampfanfall
    • Exanthem
    • Auffälligkeiten von Harn oder Stuhl
    • Haarausfall
    • trockene Augen
    • Schluckbeschwerden
    • Verhaltensauffälligkeiten
    • B-Symptomatik
  • Grunderkrankung, vorausgegangene Operationen (Fremdmaterialien im Körper?), Vorerkrankungen
  • Umgebungsinfektionen, Erkrankungen bzw. Keimausscheider in der Umgebung
  • Haustiere, Tierkontakt, Zeckenexposition (Erythema migrans), Insektenstiche
  • Auslandsreisen, Reisen in Endemiegebiete bzw. Kontakt zu Person aus solchen Gebieten
  • Anzahl, Schwere und Art von Infektionen
  • Familienanamnese, Ethnizität (Familiäres Mittelmeerfieber)
  • Entwicklung
  • Medikamente, Drogenkonsum
  • Ernährungsgewohnheiten, Genuss von roher Milch bzw. rohem Fleisch8

Klinische Untersuchung

  • Vitalparameter
  • Temperaturmessung
  • körperlicher und geistiger Entwicklungszustand (Perzentilen)
  • Allgemeinzustand
    • Vigilanz
    • Wirkt das Kind krank?
    • Wirkt das Kind verändert laut Angaben der Eltern? Nehmen Sie den Eindruck der Eltern sehr ernst („Das ist nicht mein Kind“).
    • Verminderte Nahrungsaufnahme oder herabgesetztes Aktivitätsniveau?
    • Schwaches, hochfrequentes oder anhaltendes Schreien?
    • Reduzierte Spontanaktivität?
    • Schonhaltung?
  • Haut
  • Atmung
    • Dyspnoe, Hyper- oder Hypoventilation, Einziehungen, Nasenflügeln
  • Herz und Lunge
    • Herzgeräusch
    • pulmonale Rasselgeräusche, Nebengeräusche, verschärftes Atemgeräusch, abgeschwächtes oder fehlendes Atemgeräusch
  • HNO
    • Konjunktiven, Trommelfell, Naseneingang, Mund und Rachen, Tonsillen
  • Abdomen
    • Darmgeräusche, Resistenzen, Hepatosplenomegalie, Schmerzen
  • Neurologische Untersuchung
    • insbesondere Meningismus (Kernig-Zeichen, Brudzinski-Zeichen, Lasègue-Zeichen)
    • Cave: Meningismuszeichen bei Kindern < 15 Monate unzuverlässig!5
  • Extremitäten
  • Lymphknotenstatus
    • Hinweis auf lokale oder systemische Inflammation oder maligne Genese
  • Symptome einer Vergiftung
    • Zyanose, verminderte Aktivität, Hyper- oder Hypoventilation, fehlende Interaktion mit den Eltern und der Umgebung, Reizbarkeit, Abgeschlagenheit, schlechter Muskeltonus, Zeichen einer verminderten Durchblutung, Tachykardie oder mangelnder Blickkontakt4,10,12
  • Anzeichen einer Bakteriämie oder bakteriellen Meningitis12
    • Temperatur von mindestens 39,4 °C
    • Tendenziell schlechter Allgemeinzustand
    • Achtung! Es gibt kein einzelnes Merkmal, anhand dessen sich alle Kinder mit einer schweren bakteriellen Infektion identifizieren lassen.13
  • Warnsignale2
    • Somnolenz
    • anhaltendes Schreien, schwaches oder hochfrequentes Schreien
    • blasse/bläuliche Hautfarbe, Zyanose, schlechte periphere Durchblutung
    • verminderter Hautturgor, trockene Schleimhäute, verminderte Urinproduktion
    • Petechien
    • rektale Temperatur > 40 °C
    • galliges Erbrechen
    • interkostale Einziehungen, Nasenflügeln
    • Tachypnoe, Atemfrequenz von mehr als 60/min
    • vorgewölbte Fontanelle

In der Hausarztpraxis

Bei Spezialist*innen

Maßnahmen und Empfehlungen

Symptomatische Therapie

  • Allgemeines
    • Es bestehen verschiedene Empfehlungen zur symptomatischen Therapie von Fieber bei Kindern.10
    • Fieber an sich hat keinen Krankheitswert und muss nicht therapiert werden.
    • Die Ursache des Fiebers soll identifiziert und ggf. behandelt werden.
    • Es besteht kein nachweisbarer Nutzen eines prophylaktischen Einsatzes von fiebersenkenden Medikamenten nach Impfung oder zur Vermeidung von Fieberkrämpfen bei disponierten Kleinkindern.3
  • Indikation
    • starkes Unwohlsein, schweres Krankheitsgefühl
    • Störungen des Wasser- und Elektrolythaushalts
    • Unzureichende Flüssigkeits-/Nahrungsauf­nahme, Dehydratation
    • gesteigerter Umsatz (Fieber und hyperdynamer Herz-Kreislauf-Status)
  • Therapieoptionen
    • Antipyretika
    • physikalische Maßnahmen
    • supportive Maßnahmen

Antipyretika

  • Der Abschnitt basiert auf diesen Referenzen.3,5,11
  • Allgemeines
    • Sämtliche Antipyretika wirken bei Überdosierung hepato- und nephrotoxisch.
    • gastrointestinale Nebenwirkungen bei 5–15 % der Patient*innen
  • Paracetamol
    • analgetisch, antipyretisch, kaum antiphlogistisch
    • ab Säuglingsalter zugelassen
  • Ibuprofen
    • analgetisch, antipyretisch, antiphlogistisch
    • ab 6 Monate bzw. 5 kg Körpergewicht zugelassen
  • Me­tamizol
    • Einsatz in Ausnahmefällen, aufgrund des Nebenwirkungsprofils im Rahmen stationärer Behandlung bei schweren Schmerzen oder hohem Fieber und Versagen anderer Therapien
    • analgetisch, antipyretisch, wenig antiphlogistisch
    • Cave: Agranulozytose in 1:6.000–1:10.000  Anwendungen, Blutdruckabfall und Schock nach i. v. Gabe!12
  • Azetyl­salizylsäure

Physikalische Maßnahmen

  • Senkung der Körpertemperatur durch Konvektion und Verdunstung
    • Entkleiden, Wadenwickel, nur leichtes Zudecken etc.
    • Geringe Evidenz, primäres Ziel ist Verbesserung des subjektiven Wohlbefindens.

Supportive Maßnahmen

  • Vermeidung von Dehydratation
    • Flüssigkeitsbedarf des Kindes steigt pro °C über der normalen Körpertemperatur um etwa 10–15 %.3
    • ggf. Ersatz weiterer Verluste bei Diarrhö oder Erbrechen13
    • Anpassung des Bedarfs bei relevanten Grunderkrankungen

Indikationen zur Überweisung/Klinikeinweisung

  • Einweisung ins Krankenhaus bei Fieber
    • Neugeborene5
    • Säuglinge bis 3 Monate mit Risikofaktoren/Warnsignale, ggf. großzügige Einweisung bei Unsicherheit5
    • schwere begleitende Allgemeinsymptome
    • Fieber unklarer Ursache
    • Dehydratation und unzureichende orale Flüssigkeitszufuhr
    • Vergiftungssymptome
    • entsprechende Grunderkrankung
  • Ambulante Behandlung von Fieber ohne Fokus in klinischer Untersuchung und Urinanalyse
    • Kinder ab 3 Monaten mit geringem Risiko4
      • kein Vorliegen einer die Abwehr beeinträchtigenden Grundkrankheit oder Behandlung
      • kein Vorliegen eines angeborenen oder erworbenen Immundefekts
      • bisher gesundes, sich normal entwickelndes Kind
      • verständige Eltern/Sorgeberechtigte
      • gesicherte rasche Wiedervorstellung bei Verschlechterung oder neuen Symptomen
      • Transportmöglichkeit gesichert
      • kinderärztliche Wiedervorstellung am nächsten Tag gesichert
      • Verschlechtert sich der Zustand des Kindes oder besteht das Fieber mehr als 48 Stunden, sollte eine Kontrolluntersuchung erfolgen.4,6

Patienteninformationen

Patienteninformationen in Deximed

Quellen

Literatur

  1. Schaufelberger, M, Meer, A, Derkx, H, et al. Red Flags - Expertenkonsens - Alarmsymptome der Medizin. Neuhausen am Rheinfall, Schweiz: Editions D&F, 2018.
  2. Fleischmann T. Fälle Klinische Notfallmedizin - Die 100 wichtigsten Diagnosen. München, Deutschland: Elsevier, 2018.
  3. Kowalzik F, Zepp F. Das fiebernde Kind. Grundlagen der Behandlung. Monatsschr Kinderheilkd 2013; 161: 196-203. doi:10.1007/s00112-012-2780-8 DOI
  4. Huppertz HI. Fieber ohne Fokus. Monatsschr Kinderheilkd 2013; 161: 204-210. doi:10.1007/s00112-012-2782-6 DOI
  5. Niehues T. Das fiebernde Kind: Diagnostisches Vorgehen und Behandlung. Dtsch Arztebl Int 2013; 110(45): 764–774. doi:10.3238/arztebl.2013.0764 DOI
  6. Deutsche Gesellschaft für Kinder- und Jugendmedizin. Fieber unklarer Genese. AWMF-Leitlinie Nr. 027-053, Stand 2013. www.awmf.org
  7. Hamilton JL, John SP. Evaluation of fever in infants and young children. Am Fam Physician 2013; 87: 254-60. American Family Physician
  8. Kallinich T. Handlungsempfehlung nach der Leitlinie „Fieber unklarer Genese“. Monatsschr Kinderheilkd 2014; 161: 644-648. doi:10.1007/s00112-013-3063-8 DOI
  9. Chien YL, Huang FL, Huang CM, et al. Clinical approach to fever of unknown origin in children. J Microbiol Immunol Infect. 2017 Dec;50(6):893-898. pubmed.ncbi.nlm.nih.gov
  10. Green C, Krafft H, Guyatt G, et al. Symptomatic fever management in children: A systematic review of national and international guidelines. PLoS One. 2021 Jun 17;16(6). pubmed.ncbi.nlm.nih.gov
  11. Huppertz HI. Das fiebernde Kind. Pädiatrie. 2019:281–5 www.ncbi.nlm.nih.gov
  12. Lübow C, Rotthauwe J, Behles C (BfArM). Metamizol: schwerwiegende Nebenwirkungen – Update. BULLETIN ZUR ARZNEIMITTELSICHERHEIT Informationen aus BfArM und PEI 2022; 4: 24-8. www.bfarm.de
  13. Misurac JM, Knoderer CA, Leiser JD, et al. Nonsteroidal Anti-Inflammatory Drugs Are an Important Cause of Acute Kidney Injury in Children. J Pediatr 2013. pmid:23360563 PubMed

Autor*innen

  • Bonnie Stahn, Dr. med, Fachärztin für Allgemeinmedizin, Hamburg
  • Die ursprüngliche Version dieses Artikels basiert auf einem entsprechenden Artikel im norwegischen hausärztlichen Online-Handbuch Norsk Elektronisk Legehåndbok (NEL, https://legehandboka.no/).

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