Skoliose

Zusammenfassung

  • Definition:Strukturelle Deformität der Wirbelsäule in 3 Ebenen mit seitlicher Verbiegung und Rotationskomponente. Unterscheidung von funktioneller und struktureller, idiopathischer und sekundärer Skoliose.
  • Häufigkeit:Prävalenz weltweit 1 % für idiopathische Skoliosen und etwa 0,3–0,5 % für strukturelle Skoliosen. Häufigkeit variiert für verschiedene Subtypen in Abhängigkeit von Geschlecht und Altersgruppe.
  • Symptome:Im Anfangsstadium oftmals symptomlos, Zufallsbefund bei Vorsorgeuntersuchungen, im Verlauf Ausbildung von Rippenbuckel, Lendenwulst oder Thoraxdeformitäten.
  • Befunde:Ausbildung von Rippenbuckel oder Lendenwulst im Vorbeugetest, radiologischer Nachweis einer Wirbelsäulendeformität, ggf. weitere Befunde im Rahmen einer zugrunde liegenden Erkrankung.
  • Diagnostik:Klinisch und radiologisch. Definition einer Skoliose ab Cobb-Winkel > 10 Grad.
  • Therapie:Konservativ mit Korsett, Gipsredression und begleitender Physiotherapie oder operativ mit Fusions- oder Nicht-Fusions-Operationstechniken.

Allgemeine Informationen

Definition

  • Seitliche Drehverbiegung der Wirbelsäule1-3
    • 3-dimensionale Deformität der Wirbelsäule in Form einer seitlichen Ausbiegung mit Rotationskomponente und Cobb-Winkel > 10 Grad
    • Wirbelkörper zur konvexen Seite hin- und von konkaver Seite weggedreht
    • im Thoraxbereich Entstehung eines bei Vorbeugung sichtbaren Rippenbuckels durch Drehung der Rippen mit den Wirbelkörpern
  • Fehlender Konsens
    • International herrscht Uneinigkeit über Diagnose, Screening und Therapie.4

Klassifikation

Funktionelle Skoliosen1

  • Keine radiologisch nachweisbaren Struktur- oder Formveränderungen der Wirbelsäule
  • Einfache Biegung der Wirbelsäule ohne Rotationskomponente der Wirbelkörper
  • Meist reversibler Zustand
  • Formen
    • Schmerzskoliosen
    • statische Haltungsskoliosen (z. B. bei Beckenschiefstand)

Strukturelle Skoliosen

  • Fixierte Skoliose, nicht reversibel
  • Formen
    • idiopathische Skoliose (Anteil > 80 %)
      • infantile Skoliose (0–3 Jahre)
      • juvenile Skoliose (4–10 Jahre)
      • Adoleszentenskoliose (> 10 Jahre)
    • sekundäre Skoliose2
      • osteopathische/osteogene/Fehlbildungsskoliosen
      • neuropathische Skoliosen
      • myopathische Skoliosen
      • fibrotische Skoliosen (z. B. nach Radiatio, Thoraxoperationen)
      • Skoliosen bei Systemerkrankungen (Kollagenosen, seltenen Erkrankungen)

Lenke-Klassifikation5

  • 6 Krümmungstypen und Einteilung in strukturell oder nicht-strukturell
  • Dient als Hilfe zur Therapiefestlegung.

Häufigkeit

  • Prävalenz
    • 3–5 Promille aller Kinder und Jugendlichen haben strukturelle Skoliose, aber nur bei etwa 3 Promille ist eine Therapie erforderlich.7-8
    • idiopathische Skoliose
      • 70–90 % der Fälle1-2,6-7
      • Prävalenz weltweit etwa 1 %
      • infantile idiopathische Skoliose (IIS) (0–3 Jahre, Anteil < 1 %)
      • juvenile idiopathische Skoliose (JIS) (4–10 Jahre, Anteil 12–21 %)
      • idiopathische Adoleszentenskoliose (AIS) (> 10 Jahre, 1 % aller Jugendlichen betroffen, Anteil ca. 90 %)
  • Geschlecht
    • idiopathische Skoliose insgesamt etwa 7 x häufiger bei Mädchen als bei Jungen, jedoch je nach Ausprägung unterschiedlich häufig9
      • Verhältnis w:m beträgt für kleine Kurven 1:1, für Kurven > 20 Grad 4:1, für behandlungsbedürftigen Kurven 7:1.1
      • unterschiedliche Angaben zur Häufigkeit von infantiler Skoliose von ausgeglichenem Geschlechterverhältnis bis hin zu 2- bis 3-mal häufiger bei Jungen1-2
      • juvenile Skoliose im Alter von 3–7 Jahren bei Jungen und Mädchen gleich häufig, ab 7–10 Jahre mehr Mädchen betroffen1
      • Von Adoleszentenskoliose sind überwiegend Mädchen betroffen, insbesondere bei Cobb-Winkeln > 20 Grad.1-2
  • Prävalenz von Krümmungen3
    • über 30 Grad bei 0,2 %
    • über 40 Grad bei 0,1 %

Ätiologie und Pathogenese

  • Der Abschnitt basiert auf dieser Referenz.1
  • Idiopathische Skoliose
    • Ätiologie unbekannt
    • möglicher Einfluss von genetischen Komponenten, muskulären Dysbalancen, neurologischen Ursachen, Bindegewebsveränderungen, verminderter Knochendichte, asymmetrischem Wachstum, Stoffwechselstörungen, Hormonstörungen10
    • Praktische Relevanz zur Verlaufseinschätzung scheinen lediglich genetische Faktoren zu haben.1,4,8
  • Osteopathische/osteogene Skoliose
    • kongenitale oder erworbene Wirbelsäulendeformitäten
    • bei Halbwirbeln, Segmentationsdefekten, Fusionswirbeln, Rippenabnormitäten, systemischen Skeletterkrankungen etc.
  • Neuropathische Skoliosen
  • Myopathische Skoliosen
    • Vorkommen bei progressiver Muskeldystrophie und kongenitalen Muskelerkrankungen
  • Fibrotische Skoliose
    • bei Pleuraschwarten, Narbenkontrakturen, Empyem, Traumafolgen oder OP-Folgen
  • Skoliosen bei Systemerkrankungen

Prädisponierende Faktoren

  • Vererbung
    • Genetische Faktoren spielen eine Rolle in der Ätiologie der idiopathischen Skoliose.
  • Geschlecht
    • Mädchen sind deutlich häufiger von Adoleszentenskoliose betroffen als Jungen.
  • Grunderkrankung
    • Neurologische, muskuläre, ossäre oder Systemerkrankungen können eine Skoliose bedingen.

ICPC-2

  • L85 Erworb. Deformierung Wirbelsäule
  • L82 Angeb. Anomalie muskuloskelet.

ICD-10

  • M41 Skoliose Inkl.: Kyphoskoliose Exkl.: Angeborene Skoliose: durch Knochenfehlbildung (Q76.3) lagebedingt (Q67.5) o.n.A. (Q67.5) Kyphoskoliotische Herzkrankheit (I27.1) Nach medizinischen Maßnahmen (M96.-)
    • M41.0 Idiopathische Skoliose beim Kind
    • M41.1 Idiopathische Skoliose beim Jugendlichen
    • M41.2 Sonstige idiopathische Skoliose
    • M41.3 Thoraxbedingte Skoliose
    • M41.4 Neuromyopathische Skoliose
    • M41.5 Sonstige sekundäre Skoliose
    • M41.8 Sonstige Formen der Skoliose
    • M41.9 Skoliose, nicht näher bezeichnet

Diagnostik

Diagnostische Kriterien

  • Die Diagnose wird in der Regel durch eine Kombination aus Anamnese, klinischer Untersuchung und Röntgen der Wirbelsäule gestellt.
  • Eine frühzeitige Diagnose der Skoliose ist wichtig, da in diesem Fall eine Korsettbehandlung angeboten werden kann, um die Fehlstellung zu reduzieren, bevor die Schiefstellung der Wirbelsäule zu ausgeprägt wird.
  • Allerdings rät die American Academy of Family Physicians im Rahmen der Choosing-Wisely-Initiative davon ab, Jugendliche auf Skoliose zu screenen, da es unzureichende Belege gibt, dass dadurch Fehlstellungen der Wirbelsäule tatsächlich früher entdeckt werden, und die Gefahr psychischer Belastungen aufgrund einer hohen Falsch-Positiv-Rate groß ist.9
  • Diagnostische Herausforderung
    • Wie groß ist die Wahrscheinlichkeit, dass die Erkrankung fortschreitet?
    • Die 3 wichtigsten Prädiktoren sind:
      1. Geschlecht
      2. verbleibendes Wachstumspotenzial
      3. das Ausmaß der Krümmung zum Zeitpunkt der Diagnose.10-11

Differenzialdiagnosen

Angeborene Erkrankungen

  • Nichtstrukturelle Skoliose

Erworbene Erkrankungen

  • Tumor cerebri und Rückenmarkstumor
    • Können zu neuromuskulärer Skoliose führen.
    • Rückenmarkstumoren können Schmerzen lokal im Rücken verursachen.
  • Rheumatische Erkrankungen/Bindegewebserkrankungen
    • Auswirkungen auf Gelenke und Weichteile der Wirbelsäule im Rahmen einer systemischen Erkrankung
  • Skoliose tritt häufig bei Neurofibromatose und Marfan-Syndrom auf.

Anamnese

  • Kinder mit struktureller Skoliose leiden in der Regel nicht mehr unter Rückenschmerzen als ihre Altersgenossen.
  • Erhöhte Ermüdbarkeit tritt auf, insbesondere bei einseitigen Belastungen. Das beruht auf der unterschiedlichen Aktivität der Muskulatur auf der Konkav- und der Konvexseite der Skoliose.
  • Alter
    • Skoliose tritt oft während Wachstumsschüben auf und/oder verschlimmert sich in dieser Zeit.
    • Zeitpunkt der ersten Menstruation: wichtiger Indikator für das Restwachstum
  • Psychosoziale Anamnese
    • Schwere Skoliose kann psychosoziale Konsequenzen haben, z. B. Mobbing, soziale Isolation, Schwierigkeiten bei der Arbeitssuche.
  • Familienanamnese für Systemerkrankungen

Klinische Untersuchung

  • Der Abschnitt basiert auf diesen Referenzen.1-2
  • Oberkörper und Beine sollen vollständig entkleidet sein.
  • Ältere Kinder
    • Werden stehend untersucht, stets einschließlich einer Untersuchung in nach vorne gebeugter Stellung.
  • Kleinkinder
    • Kinder, die nicht laufen können, werden in Bauchlage, in Rückenlage und im Sitzen untersucht.
  • Erhebung von Körpergröße und Körpergewicht
  • Allgemeine klinische Untersuchung mit Augenmerk auf mögliche Systemerkrankungen oder Fehlbildungssyndrome
  • Erhebung von Muskelkraft und Sensibilität, neurologische Untersuchung
  • Inspektion
    • Kopfhaltung
    • Symmetrie von Schulten, Taille und Becken, Schulterhöhe
    • Rumpfkontur, sagittales Profil (Kyphose, Lordose), Ausbildung der Taillendreiecke
    • Beckenstellung
    • Beinlängendifferenz
    • Hinweise auf Neuralrohrdefekte (lumbale Grübchen, Nävi)
    • sichtbare Prominenzen
  • Vorbeugetest
    • Ausbildung eines Rippenbuckels oder Lendenwulstes in nach vorne gebeugter Stellung mit gestreckten Beinen
    • Funktionelle Skoliose wird spontan korrigiert, wenn man sich die Person nach vorne beugt oder wenn die Ursache behoben wird (z. B. durch Ausgleich eines Beckenschiefstands).
    • Ausmessung mit Skoliometer/Inklinometer, Werte > 5 Grad sind pathologisch. Anwendung:
      • Funktionsweise wie Wasserwaage
      • Auflegen des Skoliometers bei max. Inklination der Wirbelsäule am max. ausgeprägten Rippenbuckel/Lendenwulst in Transversalebene
      • Ablesen des Neigungswinkels des Rückens in Bezug auf Horizontalebene
      • Grundsätzlich sehr einfach Funktionsweise und Anwendung, Messung sollte jedoch im Verlauf immer vom selben Untersucher vorgenommen werden, um Abweichungen so gering wie möglich zu halten.
  • Funktionsprüfung
    • Finger-Boden-Abstand
    • mögliche manuelle Korrektur
    • Kniestreckdefizit bei 90-Grad-Hüftbeugung
    • aktive Seitneigung mit Gegenhalt am Becken zur Einschätzung des Grads der bereits bestehenden Fixierung bzw. des noch erhaltenen Ausgleichpotenzials
  • Beschreibung der Skoliose
    • Lotbestimmung der Wirbelsäule
      • Lot vom Hinterhaupt/HWK-7-Dornfortsatz bis Rima ani
    • Ausmaß und Anordnung der Krümmung
    • Grad der Abweichung des Körpers von der Mitte des Beckens, Ungleichgewicht von Schultern und Becken und Asymmetrie des Rumpfes
    • juvenile und adoleszente Skoliosen meist rechtskonvex thorakal ausgeprägt
    • Mobilität und evtl. Schmerzprovokation beurteilen.

Ergänzende Untersuchungen in der Hausarztpraxis

  • Keine

Diagnostik bei Spezialist*innen

  • Der Abschnitt basiert auf diesen Referenzen.4,8
  • Standardisierte Röntgen-Aufnahme im Stehen in 2 Ebenen
  • Zweck
    • Bestimmung von Schweregrad und Art der Krümmung
    • Ausschließen von angeborenen Ursachen (Halbwirbel, Wirbelfusion) oder erworbenen Ursachen (Infektionen, Folgen von Brüchen).
    • Bewertung des Wachstumspotenzials
    • Beurteilung der Progredienz im Verlauf
  • Ausmaß der Krümmung
    • Angabe als Cobb-Winkel2
      • Winkel zwischen Tangenten der Deckplatte des oberen und der Bodenplatte des unteren Neutralwirbels (Wirbel am oberen und unteren Wendepunkt der Verkrümmung)
    • Mehta-Winkel zur Einschätzung des Progressionsrisikos
      • Differenz der Winkel zwischen senkrechter durch Wirbelkörper und Achsen der Rippen auf konvexer und konkaver Seite
      • Progredienz in 85 % bei Mehta-Winkel > 20 Grad12
  • Wachstumspotenzial
    • Beurteilung des Wachstumspotenzials nach Methoden von Tanner oder Risser4,8
      • Risser-Zeichen: Grad der Ossifikation der Iliumapophyse von lateral nach medial13
    • besonders schnelles Wachstum der Wirbelsäule Th1-S1 in den ersten 5 Lebensjahren mit 2 cm/Jahr und im pubertären Wachstumsschub mit 1,8 cm/Jahr14
  • Ergänzende präoperative Traktions- und Krümmungsaufnahmen
    • Einschätzung der passiven Korrigierbarkeit

Weitere Diagnostik

  • MRT Wirbelsäule, Spinalkanal und ZNS
    • bei progredienten Skoliosen mit Cobb-Winkel > 20 Grad zum Ausschluss intraspinaler Pathologien wie Arnold-Chiari-Malformation, Tethered Cord, Syrinx, Split Cord13
  • CT der Lunge/Lungenfunktionsprüfung
    • Thoraxdeformität kann relevante Einschränkung der Lungenentwicklung und -funktion nach sich ziehen.2
    • Risiko von 34 % für die Entwicklung einer moderaten oder schweren restriktiven Lungenerkrankung bei progredienter Skoliose im Alter < 10 Jahre14
  • Kardiologische Diagnostik
    • kardiopulmonale Beeinträchtigungen ab Cobb-Winkel > 70 Grad sehr wahrscheinlich

Indikationen zur Überweisung

  • Bei klinischem Verdacht auf eine strukturelle orthopädische Erkrankung das Kind für eine gezielte Röntgenuntersuchung überweisen.
  • Wenn sich der Verdacht durch die Röntgenaufnahme bestätigt, wird das Kind an eine Fachärztin/einen Facharzt für Orthopädie oder Pädiatrie überwiesen, um die therapeutischen Maßnahmen zu beurteilen und die Planung für die Überwachung und Kontrolle während der gesamten Zeit des Längenwachstums zu erstellen.

Therapie

Therapieziele

  • Aufhalten oder Verzögerung der Progredienz
  • Prävention und Therapie von Sekundärkomplikationen
  • Schmerzlinderung
  • Korrektur der Deformität
  • Erhalt der Funktionsfähigkeit

Allgemeines zur Therapie

  • Multidisziplinäre Patientenbetreuung durch Neuropädiatrie, Sozialpädiatrie, Orthopädietechnik und Kinderorthopädie
  • Indikation durch multiple Faktoren bestimmt2
    • Ätiologie
    • Alter
    • Wachstumspotenzial/Menarche
    • Ausprägungsgrad der Skoliose
    • Risiko der Progredienz
    • Sozialanamnese
  • Negative Risikofaktoren für Progredienz2
    • Krümmungsfaktor und Lokalisation
      • S-förmige Krümmung, Winkel > 30 Grad
    • Alter
      • frühes Auftreten
    • Menarche
      • noch nicht eingetretene Menarche
    • Wachstumspotenzial
      • Auftreten vor oder während des pubertären Wachstumsschubs

Empfehlungen für Patient*innen

  • Das Kind sollte an körperlichen Aktivitäten mit Gleichaltrigen teilnehmen.
  • Keine schweren Rucksäcke tragen.
  • Es ist nicht möglich, die Spontanverlauf der idiopathischen Skoliose mit körperlichem Training zu beeinflussen.

Konservative Therapie

  • Der Abschnitt basiert auf diesen Referenzen.2,13-14

Korsett-Therapie

  • Allgemeines
    • Einsatz von Rumpforthesen bzw. Skoliokorsetten
    • evtl. Gipsvorbehandlung (Redressionsbehandlung mit Gipsverbänden) bei infantiler Skoliose, da Korsetts im ersten Lebensjahr nicht eingesetzt werden können.
    • Einsatz immer in Kombination mit Physiotherapie
    • Ziel ist die Reduktion des initialen Krümmungswinkels um 50 %.
  • Indikation
    • Krümmung > 20–25 Grad, Progredienz von mind. 5 Grad in 6 Monaten
    • zu erwartendes Restwachstum
      • Einleitung der Therapie bei Mädchen innerhalb von 2 Jahren nach der ersten Menstruation
    • Einsatz nicht sinnvoll nach Abschluss des Wachstums oder bei Cobb-Winkeln > 45 Grad
  • Korsetttyp
    • Grundprinzip ist die Aufrichtung der Wirbelsäule durch zirkuläre Kräfte.
    • Der stabile Beckenteil des Korsetts ist mit dem Rumpfteil verbunden, Korrekturpolster sind in die Orthese eingearbeitet.
    • Wirkung bis zur mittleren Brustwirbelsäule möglich, darüber ist Einbindung von HWS und Kopf in die Orthese notwendig (Milwaukee-Orthese).
    • kein standardisierter Einsatz bestimmter Korsetttypen
    • Typen
      • 3-dimensional wirkende Rumpforthesen (aktives Korsett)
      • passiv aufrichtende zirkuläre Orthese (passives Korsett)
      • Rumpforthese in Überkorrekturstellung als nächtliche Lagerungsorthese (passives Korsett)
  • Tragezeit
    • Es wird empfohlen, das Korsett täglich 23 Stunden zu tragen.
  • Kontrollen
    • regelmäßige Anpassung des Korsetts
    • klinische und radiologische Kontrollen im Abstand von 4–6 Monaten
  • Behandlungsdauer
    • bei infantiler Skoliose Versuch des Abschulens nach 1 Jahr
    • Die Behandlung wird bei Mädchen nach der ersten Menstruation 2 Jahre lang fortgesetzt, danach schrittweises Abschulen, meist noch nächtliches Tragen über 3–6 Monate.
  • Wirkung
    • Wirksamkeit in verschiedenen Studien gut belegt, jedoch abhängig von Patienten-Compliance (Tragedauer)
      • Eine norwegische Studie fand heraus, dass bei 4 von 5 Patient*innen, die mit Korsett behandelt wurden, eine erste Korrektur mit anschließendem allmählichem Anstieg der strukturellen Veränderungen erreicht wurde.13
      • Eine amerikanische Studie zeigt, dass das Korsett wirksam ist und die Notwendigkeit einer Operation vermindert. Das Ausmaß der Wirkung korreliert mit der Zahl der Stunden, die das Korsett täglich angelegt wird (II).15
      • Der Effekt ist am deutlichsten beim Cobb-Winkel und der lateralen Verschiebung des apikalen Wirbels.
      • Trotz Korsettbehandlung entwickelt 1 von 5 Patient*innen progressive Skoliose.

Andere konservative Maßnahmen

  • Physiotherapie ist eine wichtige Komplementärmaßnahme, jedoch sind keine Daten zur Wirksamkeit vorhanden.
    • Optimierung der Haltung
    • Unterstützung der Korsettwirkung
    • Verbesserung der Atemfunktion
    • Stärkung der Muskulatur
    • Prävention/Therapie von Kontrakturen
    • Erlernen der Funktionsfähigkeit im Alltag mit Orthese
  • Serielle Gipsdression (Casting)
    • Einsatz bei frühkindlicher idiopathischer Skoliose bis zum 5. Lebensjahr möglich
    • Derotation und Begradigung der Wirbelsäule durch in Narkose angelegten Gips, der 3-mal jeweils 1 Monat getragen und dann angepasst wird.
    • im Anschluss Korsetttherapie
    • ggf. zusätzliche Versorgung mit orthopädietechnischen Hilfsmitteln wie Sitz- und Lagerungshilfen
  • Die Wirksamkeit von Elektrostimulation ist nicht belegt.

Operative Therapie

  • Der Abschnitt basiert auf diesen Referenzen.2,13-14
  • Allgemeines
    • OP-Techniken werden ständig weiterentwickelt, um insbesondere die Beweglichkeit und Funktionsfähigkeit sowie ein normales Wachstum zu ermöglichen.
  • Indikation
    • weitgehender Konsens über OP-Indikation bei Cobb-Winkel > 40–50 Grad und progredienter Skoliose
      • Eine OP-Indikation ist nicht allein abhängig vom Cobb-Winkel, sondern auch vom Risiko für Progredienz und von der Ausbildung einer Thoraxdeformität.
    • Die konservative Therapie sollte ausgeschöpft oder nicht indiziert sein.
    • progrediente neuromuskläre Skoliosen
  • Methode
    • Versteifung und Stabilisierung der Wirbelsäule durch Fusion von Bewegungssegmenten (Bezeichnung als Spondylodese, Wirbelkörperverblockung, Versteifung)
      • dorsale, ventrale oder dorso-ventrale Versteifungstechniken
    • Fusionsstrecke so kurz wie möglich, um Einschränkungen der Beweglichkeit (verminderte Seitausbiegung der Wirbelsäule) so gering wie möglich zu halten.
    • Bei neuromuskulären Skoliosen sind jedoch eher langstreckige Versteifung notwendig, außerdem oft zusätzliche operative Eingriffe an Becken, Knien und Füßen.
    • Neue nicht versteifende OP-Techniken können Zeit bis zur definitiven Versteifung überbrücken.
      • Implantation eines Wachstumsstabs, Begradigung der gesamten Wirbelsäule von dorsal, keine Versteifung
      • Verlängerung des Instrumentariums etwa 2 x pro Jahr durch kleine operative Eingriffe
    • ggf. postoperativer Einsatz eines Korsetts über einige Monate
    • Komplikationen
      • Wachstumsstörungen
      • Einschränkung der Beweglichkeit bei langstreckigen Fusionen
      • Crank-shaft-Phänomen: ventrales Weiterwachsen der Wirbelkörper bei dorsaler Versteifung und damit weitere Deformität – ist durch ventrodorsale Therapieverfahren vermeidbar.
  • Kontrollen
    • 6-monatige klinische und 9- bis 12-monatige radiologische Kontrollen bei Progredienzrisiko und im Wachstumsalter
  • Wirkung
    • Vergleichbare evidenzbasierte Studien größerer Kohorten liegen zur Skoliose im Kindesalter nicht vor, sodass keine generellen Schlüsse zu Therapie und Outcome gezogen werden können.16-17
      • Langzeitbeobachtungen für Nicht-Fusions-Operationen mit Wachstumsstäben liegen noch nicht vor.

Rehabilitation

Ziel

  • Selbstbestimmung und gleichberechtigte Teilhabe am Leben in Schule, Alltag und Beruf ermöglichen.
  • Benachteiligungen durch Funktionseinschänkungen vermeiden oder ihnen entgegenwirken.
  • Leistungseinschränkungen beseitigen und Leistungsfähigkeit wiederherstellen.
  • Prävention von Sekundärprozessen und Verbesserung der Langzeitprognose
  • Integration bzw. Reintegration in Beruf, Schule, Ausbildungsprozess, Familie und Gesellschaft
  • Verbesserung der Lebensqualität durch angemessenen Umgang mit der Erkrankung und mit den bestehenden Funktionseinschränkungen

Inhalt

  • Krankengymnastische Behandlung im Sinne einer deformitätsspezifischen Rückenschule (tägliches Heimübungsprogramm)
  • Schulung der Patient*innen und deren Begleitpersonen im Umgang mit der chronischen Erkrankung und Unterstützung des erkrankten Kindes auch beim täglichen Übungsprogramm zu Hause unter Einschluss der Complianceförderung
  • Korsettversorgung und Gebrauchsschulung bei ungünstiger Prognose im Wachstumsalter

Verlauf, Komplikationen und Prognose

Verlauf

  • Abhängig von Ursache und Ausprägung der Skoliose gibt es eine große Varianz zwischen spontan remittierenden Skoliosen und schnell progredienten schweren Skoliosen, die komplexe operative Interventionen erfordern.
  • Die Progressionsgeschwindigkeit nimmt ab, wenn das Wachstum aufhört.
  • Risiko der Progression bei einer ausgewachsenen Person3
    • Krümmungen unter 30 Grad bei ausgewachsenen Patient*innen progredieren nicht.
    • Krümmungen zwischen 30 und 50 Grad nehmen im Laufe des Lebens durchschnittlich um 10–15 Grad zu.
    • Thorakale Krümmungen zwischen 50 und 75 Grad nehmen durchschnittlich jährlich um etwa 1 Grad zu.
    • Lumbale Krümmungen zwischen 50 und 75 Grad nehmen durchschnittlich jährlich um etwa 0,5 Grad zu.

Komplikationen

  • Eine Skoliose verursacht häufig keine relevanten medizinischen Komplikationen, kann jedoch zu sichtbaren Deformitäten und psychosozialen Problemen führen.1,4
  • Wesentliche Komplikationen sind Einschränkungen der Atem- Sitz-, Steh- und Gehfunktion sowie des Wachstums, die als Sekundärfolge der Erkrankung, aber auch nach längerstreckigen Fusions-Operationen auftreten können.2
    • Früh auftretende Skoliosen mit Thoraxdeformität oder frühe Fusionsoperationen führen zu Einschränkung der strukturellen und quantitativen Reifung der Lunge, zur Verringerung der Vitalkapazität und in der Folge einem erhöhten Risiko für restriktive Lungenerkrankungen.14

Prognose

  • Allgemeines
    • Die Prognose ist grundsätzlich eher abhängig von einem frühem oder späten Beginn als von der Form (idiopathisch vs. sekundär).13
    • Frühzeitig einsetzende Skoliosen sind oftmals schnell progredient und gehen mit relevanten kardiopulmonalen Komplikationen einher.13
    • Langstreckige operative Fusionen bis in die Lendenwirbelsäule hinein gehen mit einem erhöhten Risiko für Rückenschmerzen und Bandscheibendegeneration einher.13
    • Skoliosen und ihre Therapie haben sekundäre Auswirkungen auf die Atem-, Sitz-, Steh- und Gehfunktion.2
  • Infantile Skoliose
    • spontane Remissionsrate von 80 %
      • Die hohe Remissionsrate ist möglicherweise durch fälschliche Einordnung von Säuglingsasymmetrien als Skoliosen bedingt.
    • Progrediente Form hat unbehandelt eine sehr schlechte Prognose aufgrund hoher Morbidität (kardiopulmonal) und Mortalität und erfordert eine agressive Therapie.13-14
    • Konservative Therapie ist selten erfolgreich.1
    • „Benigne“ Form: Die Skoliose ist flexibel, harmonisch und C-förmig.
    • „Maligne“ (progrediente) Form: Die Skoliose ist kurzstreckig, strukturell und progredient.14
    • Mehta-Winkel > 20 GRad geht mit einem hohen Progredienzrisiko einher.13
  • Juvenile Skoliose13
    • Progredienz in 70 % der Fälle
    • schlechtere Prognose bei früherem Auftreten
    • Etwa 50 % der Fälle müssen im Verlauf operativ behandelt werden.
  • Adoleszentenskoliose
    • Tendenz zur Progredienz der Skoliose während des Wachstums, jedoch sind nur bei 10 % der betroffenen Jugendlichen therapeutische Maßnahmen notwendig.3
    • geringes Progredienzrisiko bei Cobb-Winkel von 10–20 Grad
    • höheres Progredienzrisiko vor Einsetzen der Menarche

Verlaufskontrolle

  • Verlaufskontrolle nach Maßgabe des behandelnden Spezialisten
  • 6-monatige klinische und etwa 9- bis 12-monatige radiologische Kontrollen bei Korsett- und operativer Therapie sowie in Abhängigkeit von Progredienzrisiko und Wachstumspotenzial.
  • Siehe Tabelle Skoliose – Amerikanische Empfehlungen.

Patienteninformationen

Patienteninformationen in Deximed

Quellen

Literatur

  1. Matussek J. Kinderorthopädie und Kindertraumatologie. Berlin Heidelberg: Springer-Verlag, 2013.
  2. Multerer C, Döderlein L. Skoliose im Kindes- und Jugendalter. Aktuelle Grundlagen der Diagnostik und Therapie. Monatsschr Kinderheilkd 2009; 157: 273-288. link.springer.com
  3. Horne JP, Flannery R, Usman S. Adolescent idiopathic scoliosis: diagnosis and management. Am Fam Physician. 2014 Feb 1;89(3):193-198. www.ncbi.nlm.nih.gov
  4. Reamy BV, Slakey JB. Adolescent idiopathic scoliosis: review and current concepts. Am Fam Physician 2001; 64: 111-6. www.ncbi.nlm.nih.gov
  5. Lenke LG, Betz RR, Harms J et al. Adolescent idiopathic scoliosis: a new classification to determine extent of spinal arthrodesis. J Bone Joint Surg Am 2001; Aug;83-A(8): 1169-81. pmid: 11507125 PubMed
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  8. Roach JW. Adolescent idiopathic scoliosis. Orthop Clin North Am 1999; 30: 353-65. www.ncbi.nlm.nih.gov
  9. American Academy of Family Physicians. Scoliosis. 2004 [zit. 22.11.2016]. www.aafp.org
  10. Harrop JS, Birknes J, Shaffrey CI. Noninvasive measurement and screening techniques for spinal deformities. Neurosurgery 2008;63(3 suppl):46-53. www.ncbi.nlm.nih.gov
  11. Miller NH. Cause and natural history of adolescent idiopathic scoliosis. Orthop Clin North Am 1999; 30: 343-52. www.ncbi.nlm.nih.gov
  12. Bernstein P, Seifert J. Die Skoliose im Wachstumsalter. Orthopädie und Unfallchirurgie up2date 2015; 10(04): 259-276. doi:10.1055/s-0041-101843 DOI
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Autor*innen

  • Anne Strauß, Ärztin in Weiterbildung Pädiatrie, Zentrum für Kinder- und Jugendmedizin, Universitätsklinikum Freiburg
  • Die ursprüngliche Version dieses Artikels basiert auf einem entsprechenden Artikel im norwegischen hausärztlichen Online-Handbuch Norsk Elektronisk Legehåndbok (NEL, https://legehandboka.no/).

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