Obstipation bei Kindern

Zusammenfassung 

  • Definition:Erschwerte oder verzögerte Stuhlentleerung im Verhältnis zur altersabhängigen physiologischen Stuhlfrequenz des Kindes. Im Säuglingsalter häufig organisch bedingt, später meist funktionell.
  • Häufigkeit:1/3 aller Klein- und Schulkinder sind betroffen.
  • Symptome:Seltene und schmerzhafte Darmentleerung, Appetitminderung, Gedeihstörung, Bauchschmerzen, Enkopresis, großes Stuhlvolumen, harter Stuhl.
  • Befunde:Tastbare Skyballa, geblähter Bauch, Fissuren, Hämorrhoiden, Entzündungen, stuhlgefülltes Rektum, ggf. Zeichen der zugrunde liegenden organischen Erkrankung.
  • Diagnostik:Klinische Untersuchung, Anamnese. Weiterführende Diagnostik nur bei Hinweis auf organische Ursache: Labordiagnostik, Bildgebung.
  • Therapie:Information und Aufklärung, Toilettentraining, initiale Desimpaktion, medikamentöse Therapie.

Allgemeine Informationen

Definition

  • Funktionelle Obstipation (Definition gemäß Rome-IV-Kriterien)1
    • Ausschluss organischer Ursachen und Zutreffen von mindestens 2 der folgenden Kriterien mindestens 1 x pro Woche über einen Zeitraum von 1 Monat:
      • ≤ 2 Defäkationen/Woche bei Kindern ab 4 Jahren
      • > 1 Episode mit Stuhlschmieren/Inkontinenz pro Woche nach Sauberwerden
      • (willkürliche) Stuhlretention
      • schmerzhafte Defäkation und harte Stühle
      • palpable Stuhlmassen im Rektum
      • großvolumige Stühle
  • Organisch bedingte Obstipation
    • entsprechend den Rome–IV–Kriterien mit Nachweis einer organischen Grunderkrankung

Häufigkeit

  • Die weltweite Prävalenz liegt bei schätzungsweise 3–15 %.2-4
  • 1/3 aller Klein- und Schulkinder sind betroffen5-6, in 17–40 % der Fälle Symptombeginn im ersten Lebensjahr.
  • Häufiger Vorstellungsgrund mit Anteil von 3 % der Fälle in allgemeinen und 25 % der Fälle in gastroenterologischen pädiatrischen Ambulanzen5

Ätiologie und Pathogenese

  • 90–95 % der Fälle funktionell, 5 % organisch bedingt4,6

Ursachen funktioneller Obstipation7

  • Wahrscheinlich liegt eine multifaktorielle Genese mit konstitutionellen, genetischen, Lifestyle-bedingten und psychologischen Anteilen vor.8
  • Nicht selten kann ein mit dem Stuhlgang assoziiertes unangenehmes Ereignis (lokale Entzündungen, Nichtverfügbarkeit einer Toilette, anale Manipulation z. B. beim Einführen eines Zäpfchens) ein Auslöser sein.4,8
    • Es kommt in der Folge zu einem bewussten Anspannen des externen analen Sphinkters und der glutäalen Muskulatur bei Stuhldrang, Verzögerung der Defäkation, zunehmende Dehnung des Rektums, abnehmende Propulsivität, letztlich geringere Wahrnehmung des Stuhldrangs.4
    • Die Folge ist ein Circulus vitiosus mit einer konsekutiven chronischen Obstipation.8
    • Oft zeigen sich zudem psychosoziale Faktoren als Auslöser (Einschulung, Trennungen).9
  • Prädisponierende Faktoren
    • konstitutionelle Faktoren
    • positive Familienanamnese für Obstipation

 Ursachen organischer Obstipation1,4,7-8

Ursachen akuter Obstipation

  • Fieber
  • Reisen
  • Änderungen der Lebenssituation
  • Analfissur
  • Mangelnde Verfügbarkeit oder inakzeptable Verhältnisse von Toiletten

ICPC-2

  • D12 Verstopfung

ICD-10

  • K59.0 Obstipation

Diagnostik

Diagnostische Kriterien

  • ≤ 2 Defäkationen/Woche
    • Achtung: bei gestillten Säuglingen normale Stuhlfrequenz zwischen 1 x in 10–14 Tagen bis zu 12 x pro Tag, bei Kleinkindern alle 2 Tage bis mehrmals täglich9
  • > 1 Episode mit Stuhlschmieren/Inkontinenz pro Woche nach Sauberwerden
  • Stuhlretention
  • Schmerzhafte Defäkation und harte Stühle
  • Palpable Stuhlmassen im Rektum
  • Großvolumige Stühle

 Anamnese

  • Der gesamte Abschnitt basiert auf dieser Referenz.8
  • Erfragen von Stuhlfrequenz, -konsistenz, -aussehen (ggf. Mithilfe von Bildern zur Beschreibungshilfe, Nutzung Bristol Stool Scale, Stuhlprotokoll führen lassen)
  • Symptombeginn, erster Stuhlgang nach Geburt (verzögerter Mekoniumabgang als Hinweis auf z. B. M. Hirschsprung)
  • Ernährungsanamnese
  • Sauberkeitsanamnese
  • Medikamentenanamnese
  • Psychosoziale Situation
  • Auch die Frage nach unangenehmen und unangemessenen Berührungen im Afterbereich sollte Kindern ab einem entsprechenden Alter in Abhängigkeit der Erfahrung und Befähigung der Untersuchenden gestellt werden.
  • Begleitsymptome
  • Hinweise auf eine organische Ursache können sein:
    • sehr früher Beginn der Obstipation, ggf. bereits mit verzögertem Mekoniumabgang > 48 h
    • bleistiftartiger Kaliber des Stuhls
    • begleitende anhaltende Harninkontinenz
    • Gedeihstörung
    • Fieber, Inappetenz
    • Polyurie, Polydipsie
    • positive Familienanamnese für M. Hirschsprung
    • blutige Stühle ohne anale Fissuren
    • galliges Erbrechen

 Klinische Untersuchung

  • Der Abschnitt basiert auf dieser Referenz.8
  • Erfassung von Körpergröße und Gewicht, Beurteilung von Perzentilkurven im Verlauf
  • Palpation Abdomen, Inspektion Anus und Lumbosakralregion, evtl. digital-rektale Untersuchung (nicht routinemäßig!)9
  • Orientierende neurologische Untersuchung (Gangbild, Reflexe)
  • Untersuchung der Schilddrüse

Ergänzende Untersuchungen in der Hausarztpraxis

  • Bei eindeutiger Anamnese und unauffälliger körperlicher Untersuchung ohne Hinweise auf eine organische Ursache, ist in den meisten Fällen eine weiterführende Diagnostik nicht zwingend notwendig.8
  • Ggf. Labordiagnostik: Blutbild, CRP, Elektrolyte (Na, K, Ca), Schilddrüsenhormone (TSH), Gewebstransglutaminase IgA–AK und Gesamt–IgA im Serum, Pankreaselastase im Stuhl, okkultes Blut im Stuhl, Urinstatus8-9
  • Ggf. Sonografie des Abdomens mit Messung des Rektumdiameters8

Diagnostik bei Spezialist*innen

  • Je nach vermuteter Genese stehen verschiedene weitere diagnostische Mittel zur Verfügung:
    • Biopsie
    • Rektomanometrie
    • Kolontransitzeitbestimmung
    • MRT der Wirbelsäule
    • ggf. Durchführung von Nahrungsmittelunverträglichkeitstestungen
  • Die Durchführung dieser Untersuchungen wird, ebenso wie eine abdominelle Röntgenuntersuchung, nicht routinemäßig empfohlen.8-9

Indikationen zur Überweisung

  • Bei Hinweisen auf das Vorliegen einer organischen Ursache
  • Entwicklungsstörung, psychische Komorbidität
  • V. a. Missbrauch (perianale Kondylome)

Therapie

Therapieziel

  • Schmerzfreie, regelmäßige Darmentleerung

Allgemeines zur Therapie

  • Es fehlen evidenzbasierte Therapiekonzepte, die kindliche Obstipation wird tendenziell untertherapiert.9
  • Die Therapie basiert meist auf einer initialen Deimpaktion, einer anschließenden Erhaltungstherapie sowie einer ausführlichen Aufklärung der Eltern und des Kindes.1,4
  • Es sollte eine zügige Therapieeinleitung erfolgen.8

 Aufklärung

  • Beraten und informieren über die Ursachen, insbesondere auch über den negativen Effekt des Zurückhaltens.4
  • Toilettentraining (postprandiales Toilettensitzen), angenehme Situation, entspanntes Sitzen, Lob6

Initiale Desimpaktion (komplette Entleerung)

  • Die orale Gabe von Polyethylenglykol ist (auch zur Vermeidung einer Traumatisierung durch anale Manipulationen) Mittel der ersten Wahl.8
  • Makrogol (Polyethylenglykol 3350) 1.000–1.500 mg/kg KG/d über 3–4 Tage oral8-9
  • Bei unzureichender Wirkung
    • 3 ml/kg KG Sorbitolklysma, bis zu 2-mal wiederholen.

Medikamentöse Dauertherapie

  • Der Abschnitt basiert auf diesen Referenzen.8-9
  • Makrogol (Polyethylenglykol 3350) individuell austritriert, beginnend mit 400 mg/kg KG/d bis zu 800–1.000 mg/kg KG/d – oder –
  • Laktulose 1–2 ml/kg KG/d in 1–3 Dosen – oder –
  • Paraffinöl 1–3 ml/kg KG/d

 Weitere Therapien

  • Zeitweise Begrenzung der Trinkmenge für Milch7-8
  • Behandlung relevanter psychischer Komorbiditäten7
  • Keine Evidenz für Effekt von zusätzlicher Ballaststoffaufnahme, Bewegung, Probiotika, erhöhte Flüssigkeitsaufnahme, Psychotherapie8-9

Verlauf, Komplikationen und Prognose

Verlauf

  • Eine chronische Obstipation kann im Sinne eines Circulus vitiosus zu verstärkter Stuhlretention, Distension des Rektums und abnehmender Wahrnehmung des Stuhldrangs führen.1
  • Die Erhaltungstherapie sollte für mindestens 6 Monate durchgeführt und dann schrittweise reduziert werden.8

Komplikationen

  • Chronifizierung, Verhaltensauffälligkeiten, psychische Auffälligkeiten

Prognose

  • Oft ist eine langfristige Therapie mit enger ärztlicher Begleitung notwendig.8
    • Studien zeigen, dass nach 1 Jahr nur etwa 50 % der Betroffenen erfolgreich von Laxanzien entwöhnt werden konnten.1,9
  • Hohe Rezidivrate, mindestens 1 Rückfall innerhalb von 5 Jahren bei 50 % der Betroffenen9

Patienteninformationen

Patienteninformationen in Deximed

Quellen

Literatur

  1. Hyams JS, Di Lorenzo C, Saps M, et al. Childhood functional gastrointestinal disorders:child/adolescent. Gastroenterology. 2016;150:1456–68 theromefoundation.org
  2. van den Berg MM, Benninga MA, Di Lorenzo C. Epidemiology of childhood constipation: a systematic review. Am J Gastroenterol 2006; 101: 2401-2409. doi:10.1111/j.1572-0241.2006.00771.x DOI
  3. Koppen IJN, Vriesman MH, Saps M, et al. Prevalence of Functional Defecation Disorders in Children: A Systematic Review and Meta-Analysis. J Pediatr. 2018;198:121–130. pubmed.ncbi.nlm.nih.gov
  4. Tran DL, Sintusek P. Functional constipation in children: What physicians should know. World J Gastroenterol. 2023 Feb 28;29(8):1261-1288 www.ncbi.nlm.nih.gov
  5. Loening-Baucke V. Constipation in Children. N Engl J Med 1998; 339: 1155-1156. doi: 10.1056/NEJM199810153391610 DOI
  6. Hauer AC. Funktionelle Obstipation im Kindesalter. Monatsschr Kinderheilkd 2007; 155: 971-982. doi:10.1007/s00112-007-1605-7 DOI
  7. Claßen M. Obstipation. CME Zertifizierte Fortbildung. Monatsschr Kinderheilkd 2015; 163: 269-282. doi:10.1007/s00112-014-3264-9 DOI
  8. Gesellschaft für pädiatrische Gastroenterologie und Ernährung & Deutsche Gesellschaft für Kinder– und Jugendpsychiatrie, Psychosomatik und Psychotherapie: Funktionelle (nicht-organische) Obstipation und Stuhlinkontinenz im Kindes- und Jugendalter, S2-Leitlinie 068/019, Stand: 5.4.2022. register.awmf.org
  9. Tabbers MM, DiLorenzo C, Berger MY, et al. Evaluation and Treatment of Functional Constipation in Infants and Children: Evidence-Based Recommendations From ESPGHAN and NASPGHAN. JPNG 2014; 58: 258-274. doi:10.1097/MPG.0000000000000266 DOI

Autor*innen

  • Bonnie Stahn, Dr. med., Fachärztin für Allgemeinmedizin, Hamburg
  • Die ursprüngliche Version dieses Artikels basiert auf einem entsprechenden Artikel im norwegischen hausärztlichen Online-Handbuch Norsk Elektronisk Legehåndbok (NEL, https://legehandboka.no/).

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