Enkopresis (funktionelle Stuhlinkontinenz)

Zusammenfassung

  • Definition: Funktionelle Stuhlinkontinenz, definiert durch mindestens 1 x pro Monat auftretendes willkürliches oder unwillkürliches Absetzen von Stuhl an nicht adäquaten Orten bei Kindern > 4 Jahre über mindestens 6 Monate nach Ausschluss einer organischen Ursache.
  • Häufigkeit: Altersabhängige Inzidenz, mit zunehmendem Alter oft Spontanremission. Bei 7- bis 8-Jährigen etwa 1,5–3,1 % betroffen.
  • Symptome: Reicht von geringem Stuhlschmieren bis zum Absetzen größerer Mengen geformten Stuhlgangs, oft in Kombination mit Obstipation, Auftreten meist nur tagsüber.
  • Befunde: Meist unauffällig, teils palpable Skybala, häufig psychische Komorbidität.
  • Diagnostik: Klinische Untersuchung, ausführliche Anamnese, Erhebung des psychopathologischen Befundes.
  • Therapie: Meist ambulante Therapie mit Aufklärung und Information, Stuhltraining, Verhaltenstherapie, ggf. Laxanzien.

Allgemeine Informationen

Definition

  • Der Abschnitt basiert auf dieser Referenz.1
  • Funktionelle Stuhlinkontinenz, definiert durch mindestens 1 x pro Monat auftretendes willkürliches oder unwillkürliches Absetzen von Stuhl an nicht adäquaten Orten bei Kindern > 4 Jahre über mindestens 6 Monate nach Ausschluss einer organischen Ursache
  • Häufig in Kombination mit Enuresis
    • primäre Enkopresis: Auftreten nach einer kontinenten Phase von weniger als 6 Monaten
    • sekundäre Enkopresis: Auftreten nach einer kontinenten Phase von mindestens 6 Monaten  
    • Enkopresis mit Obstipation
      • 16–70 % der Kinder mit Enkopresis sind obstipiert.
      • seltener Stuhlgang, große Stuhlmengen, harter und schmerzhafter Stuhl, tastbare Skybala, harte Stuhlmassen bei der rektalen
      • Untersuchung, Defäkations- und Bauchschmerzen sowie typische Ultraschallbefunde, Wirksamkeit von Laxanzien, hohe psychische Komorbidität1
    • Enkopresis ohne Obstipation
      • täglicher Stuhlgang, kleine Stuhlmengen, normale Stuhlkonsistenz, Verschlechterung durch Laxanzien, hohe psychische Komorbidität
    • Toilettenverweigerungssyndrom
      • Kleinkindesalter, Verlangen nach Windel für Defäkation, Miktionieren aber auf Toilette
    • Toilettenphobie
      • weder Miktion noch Defäkation auf Toilette
      • phobische Symptome

Häufigkeit

  • Der Abschnitt basiert auf diesen Referenzen.1-3
  • Inzidenz altersabhängig mit Tendenz zur Spontanremission bei zunehmendem Alter
  • Bei 7- bis 8-Jährigen sind etwa 1,5–3,1 % betroffen
  • Bei 10-Jährigen sind 0,3 % Mädchen und 1,2 % Jungen betroffen.
  • Mehrfaches Einkoten pro Woche bei 0,3 % der 8-Jährigen
  • Gelegentliches Einkoten < 1/Woche bei 3,5 % der 8-Jährigen
  • Jungen sind etwa 3–4 x häufiger betroffen als Mädchen.

Ätiologie und Pathogenese

Ursachen1,3-5

  • Multifaktoriell bedingt
  • Kontrolle der Kontinenz verlangt Kombination aus physiologischen Reifungsvorgängen und Lernerfahrungen
  • 30–50 % der Kinder mit Enkopresis haben zusätzlich psychische Störungen wie z. B.:
  •  Nichtorganische Ursachen
    • extreme oder vernachlässigte Sauberkeitserziehung
    • Belastungssituationen
    • situative Umstände (in der Schule, im öffentlichen Raum, generell außerhalb der Häuslichkeit)
    • positive Familienanamnese
    • Entwicklungsstörungen

ICPC-2

  • P13 Enkopresis / Stuhlkontrollproblem

ICD-10

  • F98.1 Nichtorganische Enkopresis
  • R15 Stuhlinkontinenz

Diagnostik

Kriterien der nichtorganischen (gemäß ICD-10, Funktionsstörung) und obstipationsbedingten Enkopresis

  • Wiederholtes willkürliches oder unwillkürliches Absetzen von Stuhl normaler oder fast normaler Konsistenz an Stellen, die im soziokulturellen Umfeld des Betroffenen nicht dafür vorgesehen sind.
  • Die Störung kann eine anomale Verlängerung der normalen infantilen Inkontinenz oder einen Kontinenzverlust nach bereits vorhandener Darmkontrolle darstellen.
  • Bei der Enkopresis kann es sich darüber hinaus auch um ein absichtliches Absetzen von Stuhl an dafür nicht vorgesehenen Stellen trotz normaler physiologischer Darmkontrolle handeln.
  • Das Zustandsbild kann als monosymptomatische Störung oder als Teil einer umfassenderen, insbesondere emotionalen Störung (F93.-) oder einer Störung des Sozialverhaltens (F91.-) auftreten.
  • Beinhaltet funktionelle Enkopresis, nichtorganische Stuhlinkontinenz und psychogene Enkopresis.
  • Soll die Ursache einer evtl. gleichzeitig bestehenden Obstipation angegeben werden, ist eine zusätzliche Schlüsselnummer zu benutzen.

Differenzialdiagnosen

Anamnese

  • Stuhl mit normaler Konsistenz ist ein Hinweis auf eine funktionelle Enkopresis.
  • Folgende Symptome begründen den Verdacht auf Obstipation:
    • weniger als 3 vollständige Darmentleerungen pro Woche (gilt nicht für gestillte Säuglinge im Alter von über 6 Wochen)
    • harte und große Stuhlballen
    • kleine, köttelähnliche Stuhlballen
    • weicher und sehr schlecht riechender Stuhl
    • keine Wahrnehmung der Darmentleerung durch das Kind
    • Wenig Appetit, der sich nach dem Stuhlgang steigert.
    • Unterschiedlich starke Bauchschmerzen, die nach dem Stuhlgang nachlassen.
    • grundsätzlich während der Mahlzeit auftretender Drang zur Darmentleerung
    • offensichtliche Schmerzen beim Stuhlgang
    • Übellaunigkeit/Reizbarkeit
    • ältere Wunden oder Fissuren
    • offensichtliche Auslöser wie z. B. Auftreten der Symptome in Verbindung mit Töpfchentraining, Verlassen des vertrauten Umfelds oder medikamentöser Behandlung

Erfragen Sie insbesondere Folgendes

  • Stuhlgewohnheiten sowie Konsistenz, Aussehen und Geruch des Stuhls
  • Tritt häufig weicher Stuhl in Verbindung mit Diarrhö oder Obstipation auf?
  • Treten Perioden mit Stuhlinkontinenz nur in bestimmten Situationen auf?
  • Familiäre und soziale Verhältnisse
  • Enkopresis in der Familie
  • Töpfchentraining, bisherige Maßnahmen und Einstellung der Eltern zum Störungsbild
  • Psychomotorische Entwicklung des Kindes im Allgemeinen
  • Trink- und Essgewohnheiten

Klinische Untersuchung

  • Bei funktioneller Enkopresis meist unauffällig, ggf. tastbare Skybala

Ergänzende Untersuchungen in der Hausarztpraxis

  • Sonografie Abdomen, inklusive Blase und retrovesikalem Raum
  • Bei Hinweis auf eine organische Ursache entsprechende weitere Abklärung

Indikationen zur Überweisung

  • Evtl. ist eine Zusammenarbeit mit der Kinder- und Jugendpsychiatrie in Erwägung zu ziehen.
  • Wenn Darmentleerung, Umstellung der Ernährung und Toilettengewohnheiten und/oder Beratung keine Besserung bringen.
  • Bei Verdacht auf Misshandlung oder mangelnde Fürsorge ist eine Kontaktaufnahme mit Einrichtungen der ambulanten Jugendhilfe, bei akuter Gefährdung mit dem Jugendamt zu erwägen.

Therapie

Therapieziele

  • Ausscheidungskontrolle erlangen.

Allgemeines zur Therapie

  • Unabdingbar ist eine Zusammenarbeit zwischen Kind, Familie und Behandler.
  • Meist ist eine ambulante Behandlung möglich, bei komplizierten oder therapieresistenten Fällen oder ausgeprägter psychischer Komorbidität ggf. stationäre Therapie.

Bei Enkopresis mit Obstipation

  • Der Abschnitt basiert auf diesen Referenzen.1,4-5
  • Psychoedukation von Kind und Eltern
  • Initiales Abführen
  • Erhaltungstherapie
    • Stuhltraining
      • 3 x /Tag nach den Mahlzeiten für 5–10 min, wichtig dabei positive Situation mit bequemer Position (ggf. Fußbänkchen o. Ä.), Spielzeug, Beschäftigung, Lob, Zuwendung etc.
      • Protokoll/Tagebuch mit Belohnungssystem
    • Verhaltenstherapie
    • Laxanzien

Bei Enkopresis ohne Obstipation

Verlauf, Komplikationen und Prognose

Verlauf

  • Variabel

Komplikationen

  • Verhaltensstörungen und andere psychische Auffälligkeiten
  • Stigmatisierung in der Schule, z. B. durch Mobbing
  • Verlust von Freunden

Prognose

  • Remissionsraten zwischen 35–76 %
  • Behandlung von Obstipation und psychischen Begleiterkrankungen ist relevant für Behandlungserfolg.3,5

Verlaufskontrolle

  • Auch nach Erreichen der Sauberkeit sollte die Behandlung (Toilettentraining und ggf. Laxanzien) für einen langfristigen Erfolg fortgesetzt werden.
  • Regelmäßige monatliche Nachkontrollen über einen Zeitraum von 6–24 Monaten.5

Patienteninformationen

Patienteninformationen in Deximed

Quellen

Leitlinien

  • Deutsche Gesellschaft für Kinder- und Jugendpsychiatrie und -psychotherapie. Enkopresis. AWMF-Leitlinie Nr. 028-027, Stand 2006. www.awmf.org

Literatur

  1. Deutsche Gesellschaft für Kinder- und Jugendpsychiatrie, Psychosomatik und Psychotherapie. Enkopresis. AWMF-Leitlinie Nr. 028-027, Stand 2006. www.awmf.org
  2. Bongers ME, Tabbers MM, Benninga MA. Functional nonretentive fecal incontinence in children. J Pediatr Gastroenterol Nutr 2007; 44: 5-13. PubMed
  3. Sonnenmoser M. Enkopresis: Hoher Leidensdruck. Deutsches Ärzteblatt 2006; PP 5, Ausgabe April: 173. www.aerzteblatt.de
  4. Zeller T, Cissarek T, Kroeger K et al. Lehrbuch der Klinischen Psychologie und Psychotherapie bei Kindern und Jugendlichen. Stuttgart: Georg Thime Verlag KG, 2011.
  5. Mehler-Wex C, Schweuerpflug P, Peschke N et al. Enkopresis – Prognosefaktoren und Langzeitverlauf. Zeitschrift für Kinder- und Jugendpsychiatrie und Psychotherap 2005; 33(4): 285-293. doi:DOI 10.1024/1422-4917.33.4.285 econtent.hogrefe.com
  6. Loening-Baucke V. Prevalence rates for constipation and faecal and urinary incontinence. Arch Dis Child 2007; 92: 486-9. PubMed
  7. Claßen M. Obstipation. CME Zertifizierte Fortbildung. Monatsschrift Kinderheilkunde 2015; 163: 269-282. doi:10.1007/s00112-014-3264-9 DOI

Autoren

  • Anne Strauß, Ärztin in Weiterbildung Pädiatrie, Zentrum für Kinder- und Jugendmedizin, Universitätsklinikum Freiburg
  • Karl Kappinen, överläkare, Barn- och ungdomskliniken, Sundsvalls sjukhus
  • Kurt Østhuus Krogh, specialist på barnsjukdomar, Barne- og ungdomsklinikken, St. Olavs Hospital, Trondheim

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