Zusammenfassung
- Definition:Erste Pubertätszeichen bei Mädchen vor vollendetem 8. Lebensjahr bzw. erste Regelblutung vor dem 9. Lebensjahr. Erste Pubertätszeichen bei Jungen vor vollendetem 9. Lebensjahr.
- Häufigkeit:Selten.
- Symptome:Vorzeitiges Brustwachstum, zunehmende Schambehaarung, vorzeitiges Hodenwachstum, verstärkter Schweißgeruch.
- Befunde:Klinische Untersuchung der Pubertätszeichen.
- Diagnostik:Wachstumsdaten, FSH, LH, Östradiol/Testosteron, LHRH-Test, Röntgen-Skelettalter, Ultraschall der inneren Genitalien bei Mädchen.
- Therapie:Kausale Behandlung, evtl. GnRH-Analogon zur Hemmung der Sekretion von LH/FSH.
Allgemeine Informationen
- Der Abschnitt basiert, sofern nicht anders gekennzeichnet, auf diesen Referenzen.1-2
Definition
- Bei Mädchen: Erste Pubertätszeichen vor dem vollendeten 8. Lebensjahr bzw. erste Regelblutung vor dem 9. Lebensjahr
- Jungen: erste Pubertätszeichen vor dem vollendeten 9. Lebensjahr
- Eine zentrale Pubertas praecox (ZPP) ist Gonadotropin-abhängig (FSH und LH).
- Eine periphere Pubertas praecox (Pseudopubertas praecox, PPP) ist Gonadotropin-unabhängig.
Häufigkeit
- Zentrale Pubertas praecox
- relative seltene Erkrankung (1:5.000 bis 1:10.000)
- große Überrepräsentation bei Mädchen mit der Geschlechterverteilung Mädchen zu Jungen von etwa 10:13
- Periphere Pubertas praecox
- Selten, Zahlen für das Vorkommen fehlen.
- Ethnische Unterschiede werden diskutiert.
Physiologische Pubertät
- Die Pubertät tritt ein, wenn die zyklische Sekretion des Gonadotropin freisetzenden Hormons (GnRH) beginnt und die hypothalamisch-hypophysär-gonadotrope Achse aktiviert wird.
- Tanner-Stadien werden verwendet, um die pubertäre Entwicklung zu klassifizieren.
- Die beginnende Pubertät wird durch die Brustentwicklung bei Mädchen (Tanner-Stadium 2) und die Hodenvergrößerung bei Jungen (Hodenvolumen 4 ml mit dem Orchidometer gemessen) markiert.4-5
- Eine verfrühte Pubertät kann zu einer verfrühten Menarche sowie reduzierter endgültiger Körpergröße aufgrund des frühen Epiphysenverschlusses führen.
Ätiologie und Pathogenese
- Die Pubertas praecox wird in zentral (FSH-/LH-abhängig) und peripher (FSH-/LH-unabhängig) unterteilt.
Zentrale Pubertas praecox
- Vorzeitige Ausschüttung von Gonadotropin Releasing Hormon (GnRH) und somit GnRH-abhängige vorzeitige Pubertätsentwicklung
- In bis zu 90 % der Fälle bei Mädchen ist die Ursache unbekannt (idiopathisch).
- Bei Jungen sind organische Ursachen häufiger, ein geringerer Anteil als bei Mädchen ist idiopathisch.
- Organische Ursachen schließen eine Bestrahlung des ZNS, durchlaufene ZNS-Infektionen, Hydrozephalus und Tumoren in und nahe der Hypophyse/des Hypothalamus ein.
- Die zentrale Pubertas praecox kann zu einer verringerten endgültigen Körpergröße führen.
- abhängig vom Alter bei Beginn der Pubertät sowie der Geschwindigkeit der Pubertätsentwicklung
Periphere Pubertas praecox
- Kann verschiedene Ursachen haben.
- periphere Gonadotropinsekretion (LHRH- oder hCG-produzierendes Teratom)
- erhöhte primäre Geschlechtshormonsekretion (Tumoren der Eierstöcke, Hoden oder Nebennieren)
- aktivierende Rezeptormutationen (McCune-Albright-Syndrom oder familiäre Testotoxikose bei Jungen)
Prädisponierende Faktoren
- Die Pubertät tritt früher auf bei Mädchen mit Müttern, die eine frühe Menarche hatten.
- Andere prädisponierende Faktoren
- niedriges Geburtsgewicht
- starke Gewichtszunahme als Säugling oder in der frühen Kindheit
- Exposition gegenüber östrogen-hormonaktiven Chemikalien
ICPC-2
- T99 Endo./metab./ernäh. Erkrank., andere
ICD-10
- E22.8 Sonstige Überfunktion der Hypophyse
- E30.1 Vorzeitige Pubertät [Pubertas praecox]
Diagnostik
- Der Abschnitt basiert, sofern nicht anders gekennzeichnet, auf diesen Referenzen.1-2
Diagnostische Kriterien
- Tanner-Stadium 2 zeigt an, dass die pubertäre Entwicklung begonnen hat.
- Vorzeitige Pubertät ist:
- pubertäre Entwicklung vor dem vollendeten 8. Lebensjahr bei Mädchen
- pubertäre Entwicklung vor dem vollendeten 9. Lebensjahr bei Jungen
Differenzialdiagnosen
- Unterscheidung einer vorzeitigen Pubertät von der physiologischen Pubertät
- Unterscheidung zwischen den verschiedenen Ursachen für eine vorzeitige Pubertät
- Cave: Malignität/ZNS-Läsionen, die eine vorzeitige Pubertät verursachen!
Varianten der vorzeitigen Pubertät
Vorzeitige Thelarche
- Vorzeitige Thelarche ist ein ein- oder beidseitiges Wachstum der Brust, jedoch ohne die Entwicklung anderer Pubertätsanzeichen.
- Es wird gelegentlich ein leicht erhöhtes FSH gemessen.
- Einige der Betroffenen zeigen Fluktuationen in der Größe der Brust (Zyklus häufig ca. 4–6 Wochen).
- Klinische Beobachtung
- regelmäßige Messungen der Körpergröße und Brustgröße
- Evtl. Röntgen-Skelettalter, da das Wachstum der Brust ein Anzeichen für eine beginnende Pubertät sein kann.
Vorzeitige Pubarche/vorzeitige Adrenarche
- Im Allgemeinen definiert als Wachstum der Scham- und Achselbehaarung vor dem Alter von 7–8 Jahren, häufig mit Schweißgeruch wie bei Erwachsenen
- Die Wachstumsgeschwindigkeit und das Skelettalter können leicht erhöht sein.
- Der Zeitpunkt der Menarche und die endgültige Körpergröße werden wenig beeinflusst.
- Eine vorzeitige Pubarche kann mit niedrigem Geburtsgewicht in Verbindung gebracht werden.
- Differenzialdiagnosen
- adrenogenitales Syndrom
- Tumor der Nebennierenrinde
- Abklärung
- Röntgen-Skelettalter
- Blutuntersuchungen: DHEAS, Testosteron, Androstendion, SHBG, 17-OH-Progesteron, 11-Deoxycortisol
- Behandlung
- Eine gutartige vorzeitige Adrenarche/Pubarche ist eine Ausschlussdiagnose und bedarf keiner weiteren Behandlung.
Anamnese
- Bei Verdacht auf eine vorzeitige Pubertät:
- Ist die pubertäre Entwicklung ungewöhnlich früh?
- Hinweise für zugrunde liegende Erkrankungen?
- Evtl. intrakranielle Erkrankung?
- Familienanamnese?
- Frühe Pubertät bei Eltern oder Geschwistern?
- Progression der Erkrankung?
- Entwicklung von Pubertätsanzeichen: Thelarche → Pubarche → Menarche
- Symptome einer zentralnervösen Dysfunktion?
- z. B. Kopfschmerzen, vergrößerter Kopfumfang, Sehstörungen, Krampfanfälle
- Die Vorhersage der Menarche
- Es ist schwierig, die Menarche vorherzusagen, die Zeit ab den ersten Pubertätsanzeichen variiert stark.
- Im Allgemeinen dauert die Zeit von der Thelarche bis zur Menarche länger bei Mädchen mit früher Pubertät.
Klinische Untersuchung
- Größe und Gewicht verglichen mit früheren Wachstumsdaten und Perzentilenkurve.
- Tanner-Stadium?
- Entwicklung der Brust und der Schambehaarung bei Mädchen
- Bei Mädchen deutet eine Schambehaarung ohne Brustentwicklung auf Störungen der Nebennierenfunktion, vorzeitige Pubarche oder Exposition gegenüber Androgene hin.
- Entwicklung von Penis, Hodensack und Schambehaarung bei Jungen.
- Entwicklung der Brust und der Schambehaarung bei Mädchen
- Andere Anzeichen
- Hyperpigmentierte Haut kann auf Neurofibromatose oder McCune-Albright-Syndrom hinweisen.
- Diagnostischer Algorithmus gemäß Leitlinie (Seite 7 und 8).
Laboruntersuchungen
- Meistens bei Endokrinolog*in oder Pädiater*in
- Bluttests für FSH, LH, Östradiol/Testosteron: Die Probe sollte am Morgen entnommen werden.
- LHRH-Test ist wichtig, um zwischen zentraler (ZPP) und peripherer Pubertas praecox (PPP) zu unterscheiden.
- Testosteron
- Die meisten Jungen mit Pubertas praecox haben Morgenwerte im Pubertätsbereich.
- Östradiol
- Bei Mädchen variiert das Serum-Estradiol, und es hat daher eine geringe Sensitivität bei der Diagnose von Pubertas praecox.
- Sehr hohe Werte (> 367 pmol/l) deuten auf eine Ovarialzyste oder einen Tumor hin.
- LH
- Scheint eine hohe Spezifität zu haben, aber ein Stimulationstest ist erforderlich.
- FSH
- Ist weniger nützlich, wenig Veränderung in der Pubertät.6
Diagnostik bei Spezialist*innen
- Röntgen-Skelettalter
- Röntgenuntersuchung der linken Hand zur Berechnung der endgültigen Körpergröße.
- Das Skelettalter bei Kindern mit Pubertas praecox ist in der Regel höher als das chronologische Alter.6
- Ultraschall der Genitalia interna bei Mädchen
- birnenförmiger Uterus, endometriales Signal
- Kann Ovarialzysten oder -tumoren erkennen.
- Testikulärer Ultraschall
- Kann nicht tastbare Tumoren der Leydig-Zellen erkennen und sollte bei asymmetrischem Hodenvolumen oder peripherer Pubertas praecox durchgeführt werden.7
- MRT des Gehirns
- Bei der Möglichkeit einer organischen Ursache wird ein Spezialquerschnitt des Hypothalamus/der Hypophyse aufgenommen.
- Ultraschall des Abdomens
- Bei Verdacht auf periphere Pubertas praecox sollten Erkrankungen der Nebennierenrinde und der Gonaden mit einem Ultraschall des Abdomens (evtl. zusätzlich CT/MRT) ausgeschlossen werden.
- Ggf. bei positiver Familienanamnese gezielte molekulargenetische Diagnostik diskutieren.
Indikationen zur Überweisung
- Bei Verdacht auf das Syndrom
Therapie
- Der Abschnitt basiert, sofern nicht anders gekennzeichnet, auf diesen Referenzen.1-2
Therapieziele
- Folgeschäden vermeiden.
- Möglichst physiologische Pubertätsentwicklung
Allgemeines zur Therapie
- Medikamentöse Therapie durch Endokrinolog*in oder Pädiater*in
- Es kann schwierig sein zu bestimmen, ob eine Behandlungsindikation vorliegt, insbesondere bei Mädchen zwischen 6 und 8 Jahren.
Behandlung einer zentralen Pubertas praecox
- Kausale Therapie nur möglich, wenn die zugrunde liegende Pathologie identifiziert ist (in < 10 % der Fälle), ansonsten:
- Behandlung (Spezialistenaufgabe)
- Besteht aus monatlichen Injektionen von GnRH-Analogon in Depotform (Procren-Depot).
- Wird verabreicht, um die Sekretion von LH/FSH zu hemmen.
- Der optimale Zeitpunkt für die Beendigung der Behandlung ist immer noch unklar, scheint aber etwa um das Alter von 11 Jahren zu liegen.
- Die Entwicklung der Pubertät beginnt im Laufe einiger Monate nach dem Absetzen, und die durchschnittliche Zeit bis zur Menarche beträgt 16 Monate.
- GnRH-Agonist
- Leuprorelinazetat Depot 3,75 mg s. c. alle 28 Tage
- Dosis bei Kindern < 20 kg KG 1,88 mg (1/2 Dosis), bei > 20 kg KG 3,75 mg (gesamte Dosis)
- Triptorelin acetat Depot 3,75 mg s. c. oder i. m. alle 28 Tage
- Dosis: bei Kindern < 20 kg KG 1,875 mg (1/2 Dosis), bei 20–
30 kg KG: 2,5 mg (2/3 Dosis), bei > 30 kg KG: 3,75 mg (gesamte Dosis)
- Dosis: bei Kindern < 20 kg KG 1,875 mg (1/2 Dosis), bei 20–
- Leuprorelinazetat Depot 3,75 mg s. c. alle 28 Tage
- Wirkung
- In Anbetracht der endgültigen Körpergröße hat eine Behandlung mit GnRH-Analogon bei Mädchen weniger Effekte, wenn der Pubertätsbeginn nach einem Alter von 8 Jahren einsetzt.
- Die Behandlung mit einem GnRH-Analogon gilt als sicher und wirksam.
- Nebenwirkungen sind selten (lokales Erythem, weniger Infiltrate, Kopfschmerzen, Hitzewallungen).
- Therapieüberwachung
- Bewertung der Tanner-Stadien sowie der Längen – und Gewichtsentwicklung sollte in 3- bis 6-monatigen Abständen erfolgen.
- Eine gelegentliche Knochenalterbestimmung kann sinnvoll sein.
- Bei Fortschreiten der Pubertätsentwicklung, meist in Zusammenhang mit Fortschreiten des Knochenalters, kann ein GnRH-Test zur Überprüfung der Suppression der HHG-Achse durchgeführt werden.
- Bei eindeutigem klinischem Stopp der Pubertätsachse ist ein GnRH-Test nicht unbedingt erforderlich.
Behandlung einer peripheren Pubertas praecox
- Behandlung der Krankheitsursache
- Eine PPP im Rahmen des McCune-Albright-Syndromes wird gegenwärtig mit Antiöstrogenen (Tamoxifen) bei Mädchen und Spironolakton bei Jungen behandelt.
- Tumoroperation bei Karzinomen (Hoden, Nebenniere oder Ovar)
- Defekte der Steroidbildung in der Nebenniere können mit Glukokortikoiden behandelt werden.
- Behandlung meist durch erfahrene Spezialist*innen im Bereich Pädiatrie und/oder Endokrinologie
Verlauf, Komplikationen und Prognose
- Der Abschnitt basiert, sofern nicht anders gekennzeichnet, auf diesen Referenzen.1-2
Verlauf
- In etwa der Hälfte der Fälle kommt es zu einem spontanen Übergang in eine physiologische Pubertätsentwicklung.
Komplikationen
- Das polyzystische Ovarialsyndrom ist häufiger bei Mädchen mit einer vorzeitigen Adrenarche.
- Vermindertes Längenwachstum
Prognose
- Abhängig von evtl. Grunderkrankungen bei PPP
- Gute Prognose bei rechtzeitiger Behandlung der ZPP
Patienteninformationen
Patienteninformationen in Deximed
Illustrationen
Quellen
Leitlinien
- Deutsche Gesellschaft für Kinderendokrinologie und -diabetologie (DGKED) e. V. Pubertas praecox. AWMF-Register Nr. 174-015. S1, Stand 2019. www.awmf.org
Literatur
- Deutsche Gesellschaft für Kinderendokrinologie und -diabetologie (DGKED) e. V. Pubertas praecox. AWMF-Register Nr. 174-015. S1, Stand 2019. register.awmf.org
- Harrington J, Palmert MR. Definition, etiology, and evaluation of precocious puberty. Uptodate. Last updated: Nov 29, 2022. www.uptodate.com. www.uptodate.com
- Brämswig J, Dübbers A. Störungen der Pubertätsentwicklung. Dtsch Arztebl Int 2009; 106(17): 295-304; DOI: 10.3238/arztebl.2009.0295. www.aerzteblatt.de
- Marshall WA, Tanner JM. Variations in the pattern of pubertal changes in boys. Arch Dis Child 1970; 45: 13-24. www.ncbi.nlm.nih.gov
- Marshall WA, Tanner JM. Variations in the pattern of pubertal changes in girls. Arch Dis Child 1969; 44: 291-303. www.ncbi.nlm.nih.gov
- Carel J-C, Léger J. Precocious puberty. N Engl J Med 2008; 358: 2366-77. pubmed.ncbi.nlm.nih.gov
- Liu G, Duranteau L, Carel J-C, Monroe J, Doyle DA, Shenker A. Leydig-cell tumors caused by an activating mutation of the gene encoding the luteinizing hormone receptor. N Engl J Med 1999; 341: 1731-6. PubMed
Autor*innen
- Moritz Paar, Dr. med., Facharzt für Allgemeinmedizin, Münster
- Die ursprüngliche Version dieses Artikels basiert auf einem entsprechenden Artikel im norwegischen hausärztlichen Online-Handbuch Norsk Elektronisk Legehåndbok (NEL, https://legehandboka.no/).