Osteopetrose

Zusammenfassung

  • Definition: Infolge einer reduzierten Osteoklastenaktivität kommt es zu einer pathologischen Knochenstruktur mit erhöhter Knochendichte und -brüchigkeit bei gleichzeitiger Anhäufung von Knochengewebe. Synonyme: Marmorknochenkrankheit, Albers-Schönberg-Krankheit.
  • Epidemiologie: Es handelt sich um eine heterogene Gruppe von erblichen Krankheiten und tritt insgesamt selten auf.
  • Symptome: Je nach Form der Osteopetrose: Kleinwüchsigkeit, hämatopoetische Störungen, ZNS-Symptome, Knochendeformitäten, Frakturen, Schmerzen, Neuropathien infolge einer Einklemmung der Nerven 
  • Diagnose: Bei benigne verlaufenden Formen ist das Röntgen das am meisten genutzte diagnostische Verfahren und zeigt eine generalisierte Osteosklerose und eine Dichtezunahme der Knochen.
  • Therapie: Bei der infantilen Osteopetrose ist die allogene Stammzelltransplantation das Mittel der Wahl. Im Erwachsenenalter auftretende Skelettprobleme werden in der Regel schmerzmedizinisch, wenn nötig chirurgisch behandelt.

Allgemeine Informationen

Definition

  • Die Osteopetrose ist charakterisiert durch eine verringerte Knochenresorption infolge einer genetisch bedingten Unterfunktion der Osteoklasten, die zu einer gestörten Mikroarchitektur des Knochens und einer erhöhten Knochendichte führt.
  • Durch die gestörte Knochenbildung kommt es trotz einer Anhäufung von Knochengewebe zu einer erhöhten Knochenbrüchigkeit.
  • Die Erkrankung wurde erstmals 1904 von dem deutschen Radiologen Albers-Schönberg beschrieben.1

Epidemiologie

  • Es handelt sich um eine seltene Erkrankung.
  • Die Inzidenz liegt schätzungsweise bei 1:20.000 für die adulte Form (ADO) und 1:250.000 für die schwerwiegendere infantile Form (ARO)2

Ätiologie und Pathogenese

  • Ausgehend von unterschiedlichen Gendefekten umfasst die Erkrankung  verschiedene Krankheitsbilder, die eine Reihe von molekularen Veränderungen  umfassen und ein breites Spektrum an klinisch-phänotypischen Manifestationen bei den Betroffenen zeigen.3
  • Es gibt drei Hauptformen. Sie werden nach Alter und klinischen Anzeichen eingeteilt. Molekulargenetisch existieren allerdings noch weitere Unterteilungen, deren Besonderheiten für den individuellen Patienten relevant sein können. Diese Feinheiten werden in Spezialkliniken behandelt.

Beginn im Jugendlichen-oder Erwachsenenalter, autosomal-dominante Form (ADO)

  • Die Erkrankung beginnt zwischen dem 10. und 40. Lebensjahr und wird auch benigne Osteopetrose oder Albers-Schönberg-Krankheit genannt.
  • Betroffene Gene sind  LRP5 (Typ I) oder CLCN7 (Typ II)4
  • Kein beeinträchtigtes Längenwachstum der Knochen
  • Der gestörte Knochanabbau führt zu massiven Kalziumeinlagerungen und einer Zunahme der Knochendichte.

Beginn im Säuglingsalter, autosomal-rezessive Osteopetrose (ARO)

  • Diese Form wird als infantile maligne Osteopetrose bezeichnet.
  • Betroffene Gene sind TCIRG1 oder CLCN7, die jeweils für den extrazellulären niedrigen pH-Wert sorgen, der für die Osteoklastenaktivität erforderlich ist
  • Die Krankheit manifestiert sich in den ersten Lebensmonaten und führt unbehandelt innerhalb der ersten Lebensjahre in vielen Fällen zum Tod4.

Intermediäre Form

  • Rezessiv vererbter Defekt in den Genen CLCN7, CA2 oder CTSK
  • Manifestierung im ersten bis zweiten Lebensjahr4
  • Zerebrale Verkalkungen, mentale Retardierung, Kleinwüchsigkeit, mit oder ohne renale tubuläre Azidose aufgrund gleichzeitiger Enzymdefekte

Prädisponierende Faktoren

  • Genetik

ICPC-2

  • L82 Angeb. Anomalie muskuloskelet.

ICD-10

  • Q78 Sonstige Osteochondrodysplasien
    • Q78.2 Marmorknochenkrankheit

Diagnostik

Diagnostische Kriterien

  • Typisches Krankheitsbild und radiologische Bestätigung

Differenzialdiagnosen

Anamnese

Adulter Krankheitsbeginn

  • Etwa 50 % dieser Patienten sind asymptomatisch. Die Diagnose wird oft zufällig gestellt.
  • Radiologische Veränderungen treten ab der Kindheit auf und werden im Zusammenhang mit Frakturen oder einer Osteomyelitis, die typischerweise im jugendlichen Alter auftreten kann, erkannt.
  • Bei entsprechender Familienanamnese kann die Diagnose auch eher gestellt werden.
  • Knochenveränderungen können zu einer Neuropathie infolge einer Einklemmung der Nerven führen und Taubheit oder z.B. eine Fazialisparese verursachen.
  • Knochenschmerzen können auftreten.
  • Die Knochen sind spröde und können leicht brechen. Bei ca. 40 % der Betroffenen kommt es zu wiederholten Frakturen.
  • Die Funktion des Knochenmarks ist nur selten in Form einer milden Anämie und/oder Thrombozytopenie beeinträchtigt.
  • Selten können Lähmungen der Gesichtsnerven aufgrund einer Kompression durch das Knochengewebe auftreten.

Beginn im Säuglingsalter oder intermediär7

  • Generalisierte Osteosklerose
  • Hepatosplenomegalie aufgrund extramedullärer Hämatopoese bei Knochenmarkinsuffizienz mit Anämie und Thrombozytopenie
  • Hypokalzämie mit nicht selten schon im Neugeborenenalter auftretenden hypokalzämischen Krampfanfällen
  • hyperostotische Veränderungen der Schädelkalotte mit Makro-, gelegentlich Hydrozephalus
  • Choanalstenose und frühzeitiges Auftreten von Sehstörungen aufgrund der Kompression der Sehnerven
  • Knochenveränderungen können zu einer Neuropathie infolge einer Einklemmung der Nerven führen und Taubheit oder z.B. eine Fazialisparese verursachen.
  • Es kommt zu einer Wachstumshemmung.
  • Typische Anzeichen sind eine hervortretende Stirn, großer Kopf, Nystagmus und Genu valgum.
  • Bei Mitbeteiligung des Enzyms Carboanhydrase kann es bei der intermediären Form zu renaler tubulärer Azidose, zerebralen Verkalkungen und milder mentaler Retardierung kommen.

Diagnostik in der Hausarztpraxis bzw. Kinderarztpraxis

  • Adulter Krankheitsbeginn
    • Laborchemisch können eine D-Hypovitaminose und eine Erhöhung der Alkalischen Phosphatase festgestellt werden, Anämie und Thrombzytopenie treten selten und nur in milder Form auf.
  • Beginn im Säuglingsalter oder intermediär
    • Die Laborwerte bei einer infantilen Osteopetrose können eine Hypokalzämie und erhöhtes Parathormon (sekundärer Hyperparathyreoidismus, hohe saure Phosphatasen und CK) zeigen.3

Ergänzende Untersuchungen bei Spezialist*in

  • Röntgen in zwei Ebenen ist das Diagnoseverfahren der Wahl, ergänzend können CT und MRT eingesetzt werden
    • Der Schädel ist in der Regel verdickt und verdichtet, insbesondere an der Schädelbasis. In den Nasennebenhöhlen und Mastoidhöhlen befindet sich zu wenig Luft.
    • Bei einer Röntgenuntersuchung des Rückens zeigen sich vom Knocheninneren ausgehende Knochengeschwülste (Enostose), Schichtungen und Sklerosen der Endplatte (Sandwichwirbel).
    • Auch andere Knochenanteile können sklerotisch sein. Im Becken und an den Enden der Röhrenknochen sind die Bänder abwechselnd sklerotisch und dünn.
    • Es können sich Anzeichen früherer Frakturen bzw. von Osteomyelitis zeigen.
  • Molekulargenetische Untersuchung

Indikationen zur Überweisung

Therapie

  • Benigne Osteopetrose (adulter Krankheitsbeginn)
    • Eine Therapie ist nur dann erforderlich, wenn Beschwerden auftreten.
    • Skelettprobleme werden schmerzmedizinisch behandelt, wenn notwendig, erfolgt eine chirurgische Therapie
    • Vitamin D-Substitution
  • Infantile Osteopetrose
    • Eine Therapie ist aufgrund des schwerwiegenden Krankheitsverlaufes notwendig, wobei eine Abwägung der Komplikationen und Risiken erfolgen muss.7
    • Die Therapie der Wahl besteht in einer frühzeitigen Übertragung gesunder hämatopoetischer Stammzellen (HSCT). Die Erfolgsaussichten liegen, auch abhängig vom Spender, zwischen 40 und 85%.

Empfehlungen für Patienten

  • Vermeiden Sie Aktivitäten mit einem erhöhten Risiko für Knochenbrüche.

Weitere Therapien

  • Bei der Behandlung von Frakturen wurden mit der internen und externen Fixierung gute Ergebnisse erzielt.
  • Frakturen heilen normal aus, auch, wenn die Unterfunktion der Osteoklasten zu osteopetrotischen Knochen führt.

Verlauf, Komplikationen und Prognose

Verlauf

  • Eine erhöhte Knochenbrüchigkeit begünstigt Frakturen sowie Osteomyelitis.

Komplikationen

  • Frakturen
  • Osteomyelitis

Prognose

  • Tritt die Osteopetrose erst im Erwachsenenalter auf, ist die Prognose gut. Die Prognose bei der infantilen und intermediären Form ist schlechter.
  • Erwachsene mit Osteopetrose sind in 50 % der Fälle asymptomatisch und haben eine normale Lebenserwartung.
  • Bei einer unbehandelten infantilen Osteopetrose sterben die meisten Patienten innerhalb von zehn Jahren infolge schwerer Anämie, Blutungen oder Infektionen. Die Prognose nach einer Knochenmarkstransplantation ist abhängig von den individuellen Komplikationen. Es kann eine Heilung erzielt werden. Vorher bereits bestehende Sehstörungen, neurologische Komplikationen sowie der Kleinwüchsigkeit sind irreversibel.

Verlaufskontrolle

Plan

  • Die Verlaufskontrolle sollte durch einen Spezialisten erfolgen.

Patienteninformationen

Patienteninformationen in Deximed

Quellen

Referenzen

  1. Albers-Schonberg H. Roentgenbilder einer seltenen Knochenerkrankung. Munch Med Wochenschr 1904; 51: 365. PubMed
  2. A. B. Ozer. Osteopetrosis. OrphanAnesthesia 2017. doi:10.19224./ai2017.s611
  3. Blank R. Osteopetrosis. Medscape, last updated Dec 17, 2014. emedicine.medscape.com
  4. Kornak, Uwe and Forschergruppe Development. Genetik und Pathophysiologie der Osteopetrose. MEDIZINISCHE GENETIK 2004; 16(1): 39-43. www.medgenetik.de
  5. Whyte MP, Wenkert D, Clements KL, McAlister WH, Mumm S. Bisphosphonate-induced osteopetrosis. N Engl J Med 2003; 349: 457-63. New England Journal of Medicine
  6. Tolar J. Osteopetrosis. N Engl J Med 2004; 351: 2839-49. New England Journal of Medicine
  7. A.S. Schulz, U. Kornak. Osteopetrose – aktuelle Diagnostik und Therapie. Journal für Mineralstoffwechsel & Muskuloskelettale Erkrankungen 2008; 15(4): 174-182. www.kup.at

Autoren

  • Dr. med. Dirk Wetzel, Allgemeinarzt, Zierenberg
  • Andris Kreicbergs, professor emeritus i ortopedi, Karolinska institutet
  • Terje Johannessen, professor i allmänmedicin, Institutt for samfunnsmedisinske fag, Norges teknisk-naturvitenskapelige universitet, Trondheim

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