Zusammenfassung
- Definition:Osteochondrale Läsion, die die Gelenkfläche und/oder den subchondralen Bereich des Talus oder des Tibia-Plafonds betrifft.
- Häufigkeit:In unterschiedlicher Ausprägung bei bis zu 50 % der akuten Distorsionen und Frakturen des Sprunggelenks; daher gehäuft bei Sportler*innen.
- Symptome:Persistierende belastungsabhängige Schmerzen nach Sprunggelenksverletzung, ggf. mit Schwellneigung.
- Untersuchung:Lokalisierter Druckschmerz im Gelenkspalt im Bereich der Knorpelläsion, häufig an anteriomedialer Talusschulter. Bei freiem Gelenkkörper Blockierung der Sprunggelenksbeweglichkeit.
- Diagnostik:Röntgen und MRT.
- Therapie:Bei kleinen Läsionen mit stabiler Knorpelsituation abwartendes Prozedere mit Entlastung und MRT-Kontrollen möglich. Bei größeren und/oder persistierend symptomatischen Läsionen verschiedene operative Optionen, abhängig von Art und Größe der Läsion.
Allgemeine Informationen
Definition
- Osteochondrale Läsion (OCL) beschreibt eine Läsion jeglicher Herkunft, die die Gelenkfläche und/oder den subchondralen Bereich des Talus oder des Tibia-Plafonds betrifft.1
ICRS-Klassifikation (International Cartilage Repair Society)
- Internationale Standardklassifikation für arthroskopisch beurteilte Knorpelschäden2
- 0: keine erkennbaren Defekte
- 1a: intakte Oberfläche, Fibrillationen und/oder leichte Erweichung
- 1b: zusätzlich oberflächliche Risse/Fissuren
- 2: Läsionstiefe < 50 % der Knorpeldicke (anomaler Knorpel)
- 3a: > 50 % Tiefe der Knorpeldicke, nicht bis zur kalzifizierenden Schicht (schwer abnormaler Knorpel)
- 3b: > 50 % Tiefe der Knorpeldicke, bis zur kalzifizierenden Schicht
- 3c: > 50 % Tiefe der Knorpeldicke, bis zur subchondralen Platte
- 3d: > 50 % Tiefe der Knorpeldicke, mit Blasenbildung
- 4a/b: vollständige Knorpelläsion mit Durchbruch der subchondralen Platte
Häufigkeit
- OCL kommen in unterschiedlicher Ausprägung bei bis zu 50 % der akuten Distorsionen und Frakturen des Sprunggelenks vor.3
- Sportler*innen sind daher gehäuft betroffen.
Ätiologie und Pathogenese
- Ursachen1
- akutes Trauma
- chronische Mikrotraumen
- endokrine oder metabolische Faktoren
- degenerative Gelenkerkrankung
- Gelenkfehlstellung
- genetische Prädisposition
- lokale avaskuläre Nekrosen (Osteochondrosis dissecans)
- Knorpelschäden vornehmlich im Bereich der talaren Gelenkfläche4
- Knorpel nur mit sehr geringem Potenzial zur Regeneration, da die Blutversorgung fehlt.
- Durch Veränderung der Gelenkmechanik stellt der Knorpelschaden eine präarthrotische Deformität dar.
Prädisponierende Faktoren
- Sport
ICPC-2
- L81 Verletzung muskuloskelettär NNB
ICD-10
- M24.07 Freier Gelenkkörper: Knöchel und Fuß
- M24.17 Sonstige Gelenkknorpelschädigungen: Knöchel und Fuß
- M93 Sonstige Osteochondropathien
- M93.2 Osteochondrosis dissecans
- M93.8 Sonstige näher bezeichnete Osteochondropathien
Diagnostik
Diagnostische Kriterien
- Klassischerweise Anamnese mit Trauma in der Vorgeschichte
- Sicherung der Diagnose durch Bildgebung
Differenzialdiagnosen
- Chronische Instabilität des Sprunggelenks
- Anterolaterales Impingement des Sprunggelenks
- Dorsales Impingement des Sprunggelenks
- Sprunggelenksarthrose
- Fraktur
Anamnese
- Klassischerweise persistierende belastungsabhängige Schmerzen nach Sprunggelenksverletzung
- Rezidivierende Schwellneigung
- Evtl. Gelenkblockierung (Hinweis auf freie Gelenkkörper)
Klinische Untersuchung
- Inspektion
- ggf. Schwellung
- Stellung des Rückfußes (Calcaneus varus/valgus) beurteilen.
- möglicher therapeutischer Ansatzpunkt zum Ausgleich von Fußfehlstellungen
- Palpation
- lokalisierter Druckschmerz im Gelenkspalt im Bereich der Knorpelläsion
- häufig anteriomediale Talusschulter
- lokalisierter Druckschmerz im Gelenkspalt im Bereich der Knorpelläsion
- Funktionsprüfung
- Bewegungsausmaß im Seitenvergleich
- Anhalt für Blockierung durch freie Gelenkkörper?
- Vermehrte seitliche Aufklappbarkeit als Anhalt für Instabilität bzw. zurückliegende ligamentäre Läsion
- Bewegungsausmaß im Seitenvergleich
Diagnostik bei Spezialist*innen
- Röntgenuntersuchung des Fußes unter Belastung (im Stehen)1
- Darstellung in 2 Ebenen (anterior–posterior und lateral) zum Ausschluss von Frakturen
- korrekte Abbildung der Sprunggelenksgabel in „Mortise View“ (Fuß in 15- bis 20-Grad-Innenrotation) zur Beurteilung der Gelenkkongruenz
- Cave: Der Zustand des Knorpels kann nicht direkt beurteilt werden!
- MRT1
- Bei persistierenden Sprunggelenksbeschwerden, insbesondere nach Distorsion, um OCL auszuschließen.
- SPECT-CT1
- szintigrafische Lokalisierung der Osteoblastenaktivität in Kombination mit der anatomischen Auflösung eines CT-Scans
- Ermöglicht zusätzlich zur Morphologie auch eine Aussage zur Biologie der OCL.
- Sollte jedoch Einzelfällen bei unklarer Symptomatik vorbehalten sein.
Indikationen zur Überweisung
- Überweisung an Spezialist*in insbesondere bei jungen Patient*innen mit nachgewiesener OCL, um Läsion optimal zu behandeln und Arthrose zu verhindern.
Therapie
Therapieziele
- Symptomfreiheit
- Erhalt der Gelenkfunktion bzw. Verhindern einer Arthrose
Allgemeines zur Therapie
- Asymptomatische OCL des Talus können prinzipiell konservativ behandelt werden.1
- Bei stabiler Knorpelsituation im MRT ohne osteochondralen Flake oder in Ablösung befindliches Dissektat ist ein konservatives, beobachtendes Prozedere möglich.5
- Wechsel auf eine operative Behandlung, wenn sich die Symptome trotz konservativer Therapie nicht innerhalb von 3 Monaten bessern.1
- OP-Indikation bei Nachweis einer osteochondralen Läsion mit angrenzendem Knochenmarködem und eindeutigem Zurückführen der klinischen Symptomatik auf die Läsion5
Konservative Therapie
- Siehe auch Abschnitt zur konservativen Therapie bei Sprunggelenksarthrose.
- Insbesondere bei nachgewiesenen Läsionen im Kindes- und Jugendalter mit fehlendem Knochenmarködem ist auch konservatives Vorgehen möglich.5
- abwartendes konservatives Beobachten mit Entlastung/Immobilisation der betroffenen Extremität empfohlen
Chirurgische Therapie
- Die Studienlage für die verschiedenen Therapieverfahren ist gering, sodass keine eindeutigen Empfehlungen ausgesprochen werden können.1
- Ziel: Revaskularisation der knöchernen Läsion sowie Rekonstruktion des Knorpel- und/oder Knochendefekts1
- Therapie der Wahl bei kleineren Knorpelabscherungen (< 15 mm) mit intaktem subchondralem Knochen: Mikrofrakturierung1
- Bildung von fibrokartilaginärem Ersatzgewebe durch punktuelles Durchbrechen der subchondralen Knochenplatte
- Therapie der Wahl bei Defekten > 15 mm: autologe matrixassoziierte Knorpelzelltransplantation (MACT) mit Spongiosaplastik1
- Zweizeitiges Verfahren, bei dem im
- 1. Schritt Knorpel-Knochen-Biopsat entnommen
- dann in vitro angezüchtet und vermehrt und
- im 2. Schritt in einer OP reimplantiert wird.
- Cave: teuer, keine Kostenübernahme für Knorpeldefekte am Sprunggelenk (bislang nur für Knie- und Hüftgelenk)!
- bei sehr tiefen Defekten > 0,5 cm ggf. mit Transplantation eines osteochondralen Zylinders (aus dem Kniegelenk)
- Zweizeitiges Verfahren, bei dem im
- Therapie der Wahl bei intaktem Knorpel mit Läsion des subchondralen Knochens: retrograde Anbohrung1
- Verbesserung der Perfusion und Stimulation des Reparaturmechanismus der Knochenheilung5
- Therapie der Wahl bei traumatischen osteochondralen Defekten mit solidem Fragment mit intakter Knorpelschicht: Refixation1
- nach arthroskopischer Darstellung des Fragments offene Refixation5
Verlauf, Komplikationen und Prognose
Verlauf
- Im Kindes- und Jugendalter können OCL mit stabiler Knorpelsituation unter MRT-Kontrollen auch durch konservatives Prozedere behandelt und im Verlauf asymptomatisch werden.5
- Bei großen, unbehandelten Knorpelschäden besteht ein hohes Risiko für die frühzeitige Entwicklung einer Arthrose.
- Durch Ablösung von Knorpeldissektaten kann es zu Gelenkblockierungen kommen.
Komplikationen
- Entwicklung einer Sprunggelenksarthrose
Prognose
- Die konservative Therapie zeigt gute Ergebnisse für leichtgradige Knorpelschäden bei Kindern und Jugendlichen, insbesondere in frühen Stadien der Osteochondrosis dissecans.1
- Zur Aussage über die Prognose nach chirurgischer Versorgung von Knorpeldefekten fehlen qualitativ hochwertige Studien.1
Patienteninformationen
Patienteninformationen in Deximed
Quellen
Leitlinien
- Deutsche Gesellschaft für Orthopädie und Orthopädische Chirurgie e. V. (DGOOC). Gonarthrose. AWMF-Leitlinie Nr. 033-004. S2k, Stand 2017. www.awmf.org
Literatur
- Aurich M, Albrecht D, Angele P, et al. Behandlung osteochondraler Läsionen des Sprunggelenks: Empfehlungen der Arbeitsgemeinschaft Klinische Geweberegeneration der DGOU. Z Orthop Unfall 2017; 155(01): 92-99. www.thieme-connect.com
- Deutsche Gesellschaft für Orthopädie und Orthopädische Chirurgie e. V. (DGOOC). Gonarthrose. AWMF-Leitlinie Nr. 033-004. S2k, Stand 2017. www.awmf.org
- Saxena A, Eakin C. Articular talar injuries in athletes: results of microfracture and autogenous bone graft. Am J Sports Med 2007; 35(10): 1680-7. pubmed.ncbi.nlm.nih.gov
- Jerosch J. Konservative Therapie von Knorpelschäden am Sprunggelenk. Arthroskopie 2020; 33: 4-8. link.springer.com
- Sabo D, Rammelt S. Rückfußchirurgie. Berlin, Heidelberg: Springer, 2018. www.springer.com
Autor*innen
- Lino Witte, Dr. med., Arzt in Weiterbildung Allgemeinmedizin, Frankfurt a. M.
- Die ursprüngliche Version dieses Artikels basiert auf einem entsprechenden Artikel im norwegischen hausärztlichen Online-Handbuch Norsk Elektronisk Legehåndbok (NEL, https://legehandboka.no/).