Zusammenfassung
- Definition:Verschleißerscheinung der knöchernen Verbindung zwischen Klavikula und Akromion (Akromioklavikulargelenk = ACG).
- Häufigkeit:Arthrotische Veränderungen lassen sich im Laufe des Lebens bei fast allen Menschen nachweisen, jedoch bleiben die meisten asymptomatisch.
- Symptome:Punktueller Schmerz über dem ACG, vor allem bei Überkopfarbeiten.
- Untersuchung:Druckschmerz, horizontaler Kompressionsschmerz, schmerzhafter „hoher Bogen" (bei Abduktion > 120 Grad).
- Diagnostik:Diagnostische Infiltration mit Lokalanästhetikum ins ACG führt zu Schmerzlinderung. Röntgen der Schulter in 3 Ebenen mit ACG-Zielaufnahme.
- Therapie:Initial konservativer Therapieversuch mit Entlastung und Meidung schmerzhafter Bewegungen. Bei refraktären Schmerzen arthroskopische ACG-Resektion.
Allgemeine Informationen
Definition
- Verschleißerscheinung des Akromioklavikulargelenks (Schultereckgelenk, AC-Gelenk, laterales Schlüsselbeingelenk)
- radiologische Zeichen für Arthrose:
- Gelenkspaltverschmälerung
- Osteophyten
- subchondrale Sklerosierung
- Geröllzysten.
- radiologische Zeichen für Arthrose:
- Primäre Arthrose: keine eindeutige Ursache eruierbar
- Sekundäre Arthrose: Folge einer Vorerkrankung
- häufig posttraumatisch
- Gelenkinstabilität
- Z. n. Arthritis
Häufigkeit
- Eine der am häufigsten vorkommenden Arthrose des menschlichen Körpers1
- Grund ist der rezidivierende Wechsel an Kompressions- und Scherkräften.
- Bei den meisten Menschen liegen bereits in der 4. Lebensdekade ein schmalerer Gelenkspalt und evtl. weitere degenerative Veränderungen vor.2
- Meistens bleiben die Patient*innen jedoch asymptomatisch.
Klinische Anatomie
- Das Akromioklavikulargelenk (ACG) verbindet die laterale Klavikula und das Akromion der Skapula.
- Das ACG wird durch eine klavikuläre und eine akromiale Gelenkfläche gebildet, wobei unterschiedliche Gelenkphänotypen (vertikal, schräg, konkav/konvex) mit unterschiedlichem Kongruenzausmaß existieren.1
- Ausgleich der Inkongruenzen durch hyalinen Knorpelüberzug und einen Discus articularis
- Stabilisierung des Gelenks durch umliegende Gelenkkapsel und korakoklavikuläre (Lig. conoideum und Lig. deltoideum), akromioklavikuläre und korakoakromiale Bänder.3
Ätiologie und Pathogenese
- Einzige knöcherne Verbindung zwischen Arm und Thorax
- Dadurch großen mechanischen Belastungen (Druck, Rotation) ausgesetzt und prädestiniert für degenerative Veränderungen.1
- Bei sekundärer Arthrose Folge von vorangehenden Verletzungen bzw. Erkrankungen, die die physiologische Biomechanik verändern.
Prädisponierende Faktoren
- Anatomische Veränderungen, die die Inkongruenz der Gelenkpartner verstärken, z. B. Frakturen.
- Instabilität des Gelenks, z. B. durch Bandverletzungen
ICPC-2
- L91 Arthrose, andere
ICD-10
- M19.91 Arthrose, nicht näher bezeichnet: Schulterregion (Clavicula, Scapula, Acromioclavicular-, Schulter-, Sternoclaviculargelenk)
Diagnostik
Diagnostische Kriterien
- Lokaler Druckschmerz, Krepitation
- Klinische Tests
- Positives Ansprechen auf die Injektion lokaler Anästhetika (diagnostische Infiltration)
- Radiologischer Nachweis arthrotischer Veränderungen
Differenzialdiagnosen
- Tendopathien der Schulter
- Bursitis der Schulter
- Kapsulitis der Schulter (Entzündung der Gelenkkapsel)
- Zervikaler Diskusprolaps
- Muskuläre Dysbalance im Schultergürtel
- Symptomatisches Os acromiale
- Fusionsstörung der Knochenkerne des Acromions, in der Regel asymptomatische Normvariante
Anamnese
- Bei älteren Menschen
- Die Schmerzen beginnen meist schleichend ohne vorangehendes Trauma auf und verstärken sich nach Belastung.
- Bei jüngeren Menschen
- Bei jüngeren Personen entsteht die Arthrose meist infolge eines Traumas, das zu einer Bänderverletzung, einer Luxation oder einer Gelenkfraktur geführt hat.
- Schmerzen
- dumpfer Schmerz im anterosuperioren Bereich der Schulter
- Entspricht Dermatom C4 (cave: DD zervikale Radikulopathie!).
- typischerweise punktuelles Zeigen der Schmerzlokalisation mit Finger möglich, „positives Fingerzeichen"1
- Schmerzhaft sind vor allem Überkopfarbeiten.1
- nächtliche Schmerzen, insbesondere beim Liegen auf der betroffenen Schulter1
- dumpfer Schmerz im anterosuperioren Bereich der Schulter
Klinische Untersuchung
- Es sollte eine systematische Untersuchung der Schulter mit Dokumentation der aktiven und passiven Bewegungsausmaße durchgeführt werden.
- Palpation
- Im Bereich des ACG lässt sich häufig ein eindeutiger Druckschmerz auslösen (sensitiver, aber nicht sehr spezifischer Befund).4
- ggf. Schwellung
- ggf. Krepitation
- bei Instabilität Höhenunterschied zwischen Clavicula und Acromion im Seitenvergleich
- Klinische Tests
- Cross-body-Test1
- Die betroffene Schulter wird in 90-Grad-Anteflexion und dann in maximale Adduktion gebracht.
- Bei hierdurch auslösbarem Kompressionsschmerz im ACG gilt der Test als positiv.
- Adduktions-Widerstands-Test5
- Forcierte Adduktion des 90 Grad flektierten Arms gegen Widerstand der Patient*innen provoziert Schmerzen im ACG.
- O'Brien-Test5
- Patient*in wird aufgefordert, den 90 Grad flektierten und 15 Grad adduzierten Arm zunächst in maximaler Innenrotation gegen Widerstand der untersuchenden Person zu halten.
- Der gleiche Test wird anschließend in Außenrotation durchgeführt.
- Positiv, wenn während des ersten Teils Schmerzen ausgelöst wurden, die bei Außenrotation gelindert oder verschwunden sind.
- Sollten alle diese 3 Tests positiv sein, haben sie zusammen eine Genauigkeit von 93 % für die Diagnose einer ACG-Arthrose.1
- häufig auch „hoher schmerzhafter Bogen" (Schmerzen bei > 120-Grad-Abduktion)5
- Cross-body-Test1
- Injektion eines Lokalanästhetikums
Bildgebung
- Röntgen gehört zur Standarddiagnostik.1
- Darstellung der Schulter in 3 Ebenen (true a. p., Y-View und axial)
- ACG-Zielaufnahme nach Zanca
- 10–15 Grad kaudal-kranial geneigter Strahlengang
- hierdurch exaktere Beurteilung des Gelenkspalts
- Zum Ausschluss von Instabilitäten können noch bilaterale Wasserträger- und Alexander-Aufnahmen durchgeführt werden.
- Zur Erfassung möglicher Begleitpathologien, insbesondere von Weichteilstrukturen wie Sehnen, Bändern und Schleimbeuteln, kann eine MRT durchgeführt werden.
Indikationen zur Überweisung
- Bei refraktären Schmerzen unter konservativer Therapie Überweisung an orthopädische Praxis mit der Frage nach arthroskopischer ACG-Resektion
Therapie
Therapieziel
- Symptomlinderung
Allgemeines zur Therapie
- Prinzipiell Beginn mit konservativer Therapie
- Bei frustraner Therapie ggf. arthroskopische Resektion des ACG
Empfehlungen für Patient*innen
- Bewegungen, die die Schmerzen hervorrufen, sollten vermieden werden.
- In der Regel sind es Überkopfarbeiten und Liegen auf der betroffenen Seite.
- Keine Immobilisierung der Schulter (cave: Kapselverkleinerung mit resultierenden Bewegungseinschränkungen!)
- Verzicht auf Kontaktsportarten
Konservative Therapie
- Es existieren verschiedene konservative Therapieoptionen, die vor einer chirurgischen Therapie ausgereizt werden sollten:1
- NSAR (oral oder topisch)
- Physiotherapie
- Belastungsanpassung (insbesondere Vermeidung von Überkopf- und Kompressionsbelastungen)
- ggf. temporäre Ruhigstellung
- physikalische Therapie
- Injektionsverfahren (Lokalanästhetika, ggf. auch Glukokortikoide).
Chirurgische Therapie
- Indikation
- Versagen der konservativen Therapie
- Schmerzen, die Patient*innen im Alltag einschränken.
- Arthroskopische bipolare (akromiale und klavikuläre) ACG-Resektion1
- (maximal 1 Shaverbreite/ca. 6 mm)7
Verlauf, Komplikationen und Prognose
Verlauf
- Bei den meisten Menschen entwickelt sich im Laufe des Lebens durch die hohe Belastung im ACG eine Arthrose, die jedoch nur bei wenigen Patient*innen symptomatisch wird.
Komplikationen
- Therapierefraktäre Schmerzen mit signifikanten Einschränkungen bei Aktivitäten des täglichen Lebens, z. B. Haare kämmen.
- Infektionen nach Infiltration
- Hohe Rate an postoperativer Instabilität des AC-Gelenks bei zu großzügiger arthroskopischer Resektion7
Prognose
- Die Prognose ist unter adäquater Therapie günstig.
- Gute bis sehr gute Ergebnisse nach arthroskopischer Resektion bei > 90 % der Patient*innen.8
- In den meisten Fällen reicht es aus, Arbeiten über Kopfniveau zu meiden, um eine deutliche Schmerzlinderung zu erzielen.
Patienteninformationen
Worüber sollten Sie die Patient*innen informieren?
- Die Patient*innen sollten beruhigt und über die Ursache der Schmerzen sowie die Therapiemöglichkeiten aufgeklärt werden.
Illustrationen
Quellen
Leitlinie
- Deutsche Gesellschaft für Orthopädie und Orthopädische Chirurgie (DGOOC). Rotatorenmanschette. AWMF-Leitlinie Nr. 033-041. S2e, Stand 2017. www.awmf.org
Literatur
- Karvouniaris N, Wagner FC, Jaeger M, et al. Update zu Indikation und Operationstechnik der Akromioklavikulargelenkresektion. Obere Extremität 2020; 15: 93-102. link.springer.com
- Montellese P, Dancy T. The acromioclavicular joint. Prim Care 2004; 31:857. PubMed
- Kishner S. Acromioclavicular Joint Injection. Medscape, last updated Dec 10, 2019. emedicine.medscape.com
- Walton J, Mahajan S, Paxinos A, et al. Diagnostic values of tests for acromioclavicular joint pain. J Bone Joint Surg Am 2004; 86-A:807. pubmed.ncbi.nlm.nih.gov
- Scheibel M, Habermeyer P. Aktuelle klinische Untersuchung der Schulter. Orthopäde 2005; 34: 267-84. link.springer.com
- Peck E, Lai JK, Pawlina W, Smith J. Accuracy of ultrasound-guided versus palpation-guided acromioclavicular joint injections: a cadaveric study. PM R 2010; 2:817. PubMed
- Deutsche Gesellschaft für Orthopädie und Orthopädische Chirurgie (DGOOC). S2e-Leitlinie Rotatorenmanschette. AWMF-Leitlinie Nr. 033-041. Stand 2017. www.awmf.org
- Pensak M, Grumet RC, Slabaugh MA, et al. Open versus arthroscopic distal clavicle resection. Arthroscopy 2010; 26: 697-704. pubmed.ncbi.nlm.nih.gov
Autor*innen
- Lino Witte, Dr. med., Arzt in Weiterbildung, Innere Medizin, Frankfurt
- Die ursprüngliche Version dieses Artikels basiert auf einem entsprechenden Artikel im norwegischen hausärztlichen Online-Handbuch Norsk Elektronisk Legehåndbok (NEL, https://legehandboka.no/).