Spondylitis tuberculosa

Zusammenfassung

  • Definition:Extrapulmonale Manifestation der Tuberkulose mit Kombination aus Osteomyelitis und Arthritis der Wirbelsäule.
  • Häufigkeit:In Deutschland traten im Jahr 2021 3.896 Fälle von Tuberkulose auf. Weltweit über 10 Mio. Fälle pro Jahr.
  • Symptome:Klassisch: schleichend einsetzende Rückenschmerzen, auch in Ruhe, bei immunsupprimierten Patient*innen.
  • Befunde:Bei etwa 50 % der Patient*innen treten neurologische Ausfälle auf, bei pathologischen Wirbelkörperfrakturen Kyphose, Klopfschmerz über betroffenem Wirbelsäulenabschnitt.
  • Diagnostik:Quantiferon-Test zur laborchemischen Diagnostik auf Tuberkulose.
    MRT ist die bildgebende Diagnostik der Wahl bei Verdacht auf spinale Beteiligung.
    Diagnosesicherung per Punktion oder offener Biopsie.
  • Therapie:Medikamentöse Kombinationstherapie über mindestens 9 Monate. In schweren Fällen ggf. zusätzlich operatives Vorgehen mit chirurgischer Fokussanierung und Stabilisierung der Wirbelsäule.

Allgemeine Informationen

Definition

Häufigkeit

  • Inzidenz der Tuberkulose generell 
    • weltweit: geschätzt jährlich 10,6 Mio. Neuerkrankungen; eine der weltweit bedeutendsten Infektionskrankheiten3
    • Deutschland: Im Jahr 2021 wurden 3.896 Fälle von Tuberkulose registriert, entsprechend 4,7 Neuerkrankungen pro 100.000 Einw.4
  • Ossäre Manifestation der Tuberkulose5
    • bei immunkompetenten Menschen nur in 3–5 % aller Tuberkulose-Fälle
    • bei immunsupprimierten Menschen deutlich häufiger, bei HIV-positiven Patient*innen in bis zu 60 % der Fälle
    • Spondylitis tuberculosa macht etwa die Hälfte dieser ossären Infektionen aus.6 

Ätiologie und Pathogenese

  • Typischerweise extraspinale Infektion mit Tuberkulose und anschließend hämatogene Dissemination in die Wirbelsäule1
    • Vor allem immungeschwächte Personen sind betroffen (s. u. prädisponierende Faktoren).
  • Die Infektion breitet sich meist über die vorderen Längsbänder entlang der Bandscheiben aus.5
    • nahezu spiegelbildlichen Destruktion im Knochengewebe ober- und unterhalb der Bandscheibe
    • Bei rascher Einschmelzung kann es zu Wirbelkörperkompressionsfrakturen mit Gibbusbildung kommen.
    • Bei Infektionen der Lendenwirbelsäulen ist eine Abszessbildung im Psoas typisch.
    • Eine neurologische Symptomatik bei Mitbeteiligung des Spinalkanals ist möglich.

Prädisponierende Faktoren

  • Eine ossäre Manifestation der Tuberkulose ist bei immungeschwächten Personen deutlich häufiger, z. B. bei5
    • HIV
    • Diabetes mellitus
    • Tumorerkrankungen
    • Alkohol-/Drogenabhängigkeit
    • hohem Alter
    • medikamentös induzierter Immunsuppression (z. B. Biologika, insbesondere TNF-alpha-Inhibitoren).
  • Orte mit Überbevölkerung6
  • Niedriger sozioökonomischer Status mit Mangelernährung6

ICPC-2

  • A70 Tuberkulose

ICD-10

  • A18 Tuberkulose sonstiger Organe
    • A18.0 Tuberkulose der Knochen und Gelenke

Diagnostik

Diagnostische Kriterien

  • Wegen unspezifischer Symptomatik und sehr seltener Inzidenz besteht häufig eine lange Latenz bis zur Diagnosestellung.5
    • Wichtig: Bei immunsupprimierten Patient*innen mit Rückenschmerzen Differenzialdiagnose Spondylitis tuberculosa in Betracht ziehen!
  • Quantiferon-Test zur laborchemischen Diagnostik auf Tuberkulose5
  • MRT ist die bildgebende Diagnostik der Wahl bei Verdacht auf eine spinale Beteiligung.5
  • Eine Diagnosesicherung per Punktion oder offener Biopsie soll angestrebt werden.2

Differenzialdiagnosen

Anamnese

  • Klassisch: Rückenschmerzen in Ruhe bei immunsupprimierten Patient*innen5-6
    • Die Erkrankung kann über mehrere Monate inapparent oder mit nur diskreten Schmerzen verlaufen, bis sie aufgrund neurologischer Komplikationen oder Deformierungen manifest wird.5
      • durchschnittliche Schmerzdauer bis zur Diagnosestellung: 4 Monate1
      • in 50 % der Fälle neurologische Symptome7
  • Über 1/4 der Patient*innen mit Spondylitis tuberculosa hat auch Lungentuberkulose.1
    • lang anhaltender Husten, sukzessiv mit Auswurf
    • Gewichtsabnahme und Verschlechterung des Allgemeinzustands
    • Fieber und Nachtschweiß
  • Anamnestische Fragen, um die Wahrscheinlichkeit einer Tuberkulose abzuschätzen:
    • Langer Kontakt zu erkrankten Personen/Risikogruppen?
    • Bereits durchgemachte Tuberkulose (Re-Aktivierung)?
    • Ist das Herkunftsland ein Risikogebiet für Tuberkulose?
    • Immunsuppression?
      • sowohl durch Medikamente als auch Vorerkrankungen
    • Alkohol- oder Drogenabusus?

Klinische Untersuchung

  • Beim klinischen Vollbild Pott-Trias5
    • Kyphose
    • Abszessbildung
    • neurologische Symptomatik durch Rückenmarkkompression
  • Inspektion
    • Deformität der Wirbelsäule, Kyphose
  • Palpation
    • Klopfschmerz über den betroffenen Wirbelkörpern
  • Funktionsprüfung
    • neurologische Defizite, z. B. radikuläre Symptomatik oder Cauda-equina-Syndrom bei Beteiligung des Spinalkanals

Weitere Untersuchungen in Hausarztpraxis

  • Labor
    • Meist ist nur eine geringe entzündliche Aktivität nachweisbar.5
      • BSG mäßig erhöht
      • Ein Anstieg des CRP kann fehlen.
      • nur selten Leukozytose, dafür häufiger Lymphozytose
  • Testverfahren, ob sich das Immunsystem mit Tuberkulose-Bakterien auseinandergesetzt hat.2
    • Interferon-gamma Release Assays (IGRA) und Tuberkulin-Hauttest
      • Beide Tests erlauben keine Unterscheidung zwischen aktiver und latenter Infektion.
      • Für Erwachsene und Jugendliche ab 15 Jahren wird wegen der höheren Spezifität ein IGRA empfohlen.

Diagnostik bei Spezialist*innen

  • Bildgebung5
    • Röntgen der Wirbelsäule
      • Basisdiagnostik bei unspezifischen Rückenschmerzen
    • MRT mit Kontrastmittel
      • Bildgebung der Wahl wegen hoher Sensitivität (96 %) und hoher Spezifität (94 %)
  • Biopsie2
    • Zur Diagnosesicherung bei Spondylitis tuberculosa soll immer eine Biopsie angestrebt werden.
    • Aufarbeitung der Probe: Histologie, Mikroskopie, Nukleinsäureamplifikationstest und Kultur aus unfixiertem Material

Indikationen zur Klinikeinweisung

  • Bei Verdacht auf die Erkrankung Einweisung in ein Krankenhaus

Therapie

Therapieziele

  • Die Infektion beseitigen.
  • Schmerzen lindern.
  • Die Struktur bzw. Funktion der Wirbelsäule wiederherstellen und bewahren.5

Allgemeines zur Therapie

  • Eine medikamentöse Therapie wird bei allen Patient*innen durchgeführt.6
  • Die Gesamtdauer der medikamentösen Therapie soll mind. 9 Monate betragen.8
    • 2 Monate Initialphase mit 4 Antituberkulotika, 7 Monate Kontinuitätsphase mit 2 Antituberkulotika
  • Sobald schmerzbedingt möglich, erfolgt die Mobilisation im Korsett.5
  • Bei neurologischen Ausfällen, Deformitäten, Instabilitäten oder Versagen der medikamentösen Therapie Operation zur chirurgischen Herdsanierung und Stabilisierung der Wirbelsäule5

Medikamentöse Therapie

  • Die deutsche Leitlinie zur Tuberkulose empfiehlt bei der Spondylitis tuberculosa sowie sonstigem Knochenbefall folgendes Therapieregime:8
    • 2 Monate Initialphase mit 4er-Kombination aus:
      • Isoniazid
      • Rifampicin
      • Pyrazinamid
      • Ethambutol
    • 7 Monate Kontinuitätsphase mit 2er-Kombination aus:
      • Isoniazid
      • Rifampicin
  • Für mehr Informationen und Anwendungshinweisen zu den eingesetzten Medikamenten siehe den Artikel Tuberkulose.

Operative Therapie

  • Durch die o. g. medikamentöse Chemotherapie ist ein operatives Vorgehen nur noch in folgenden Situationen notwendig:1,5-6
    • neurologische Ausfälle
    • Deformitäten
    • Instabilitäten
    • Versagen der medikamentösen Therapie, Rezidive
    • nicht ertragbare Schmerzen
    • große paraspinale Abszesse
  • Vorgehen1
    • radikales Débridement
    • dorsale Instrumentierung zur Stabilisierung der Wirbelsäule

Verlauf, Komplikationen und Prognose

Verlauf

  • Unbehandelt schreitet die Erkrankung in der Regel langsam fort.

Komplikationen

  • Abszesse
  • Wirbelsäulendeformitäten, insbesondere Kyphose
    • damit einhergehend funktionelle Einschränkungen, chronische Schmerzen5
  • Neurologische Ausfälle

Prognose

  • Bei frühzeitig eingeleiteter Therapie sind die medikamentösen Therapiemaßnahmen sehr effektiv und führen zu einer guten Prognose.1
  • Bei später Diagnosestellung Letalität bis zu 12 %5
  • Negative prognostische Faktoren neben der späten Diagnosestellung umfassen:6
    • > 3 Wirbel betroffen, Kyphose > 60 Grad
    • neurologische Defizite
    • hohes Alter
    • Immundefizienz
    • medikamentöse Resistenzen
    • Compliance der Patient*innen

Verlaufskontrolle

  • Langfristige Verlaufskontrollen sind empfohlen, da auch im späten Verlauf Komplikationen wie eine Re-Aktivierung der Tuberkulose oder eine Instabilität der Wirbelsäule auftreten können.1

Quellen

Leitlinie

  • Deutsche Gesellschaft für Pneumologie und Beatmungsmedizin e. V. (DGP). S2k-Leitlinie Tuberkulose im Erwachsenenalter. AWMF-Leitlinie Nr. 020-019, Stand 2022. register.awmf.org
  • Deutsche Wirbelsäulengesellschaft e. V. Deutsche Gesellschaft für Orthopädie und Orthopädische Chirurgie e. V. (DGOOC). S2k-Leitlinie Diagnostik und Therapie der Spondylodiszitis. AWMF-Leitlinie Nr. 151-001, Stand 2020. register.awmf.org

Literatur

  1. Hidalgo JA. Pott Disease (Tuberculous Spondylitis). Medscape, last updated Feb 18, 2022. emedicine.medscape.com
  2. Deutsche Wirbelsäulengesellschaft e. V. Deutsche Gesellschaft für Orthopädie und Orthopädische Chirurgie e. V. (DGOOC). S2k-Leitlinie Diagnostik und Therapie der Spondylodiszitis. AWMF-Leitlinie Nr. 151-001, Stand 2020. register.awmf.org
  3. RKI. Epidemiologisches Bulletin. 11/2023. Stand 16.03.2023. Letzter Zugriff 04.09.2023. www.rki.de
  4. RKI. Bericht zur Epidemiologie der Tuberkulose in Deutschland. Stand 19.01.2023. Letzter Zugriff 04.09.2023. www.rki.de
  5. Peters KM, Seppel T. Knocheninfektionen und HIV. Orthopädie & Rheuma 2019; 22: 24-27. link.springer.com
  6. Viswanathan VK, Subramanian S . Pott Disease. Treasure Island: StatPearls Publishing, 2019. europepmc.org
  7. Liu Z, Wang J, Chen GZ, et al. Clinical Characteristics of 1378 Inpatients with Spinal Tuberculosis in General Hospitals in South-Central China. BioMed Research International 2019. www.hindawi.com
  8. Deutsche Gesellschaft für Pneumologie und Beatmungsmedizin e. V. (DGP). S2k-Leitlinie Tuberkulose im Erwachsenenalter. AWMF-Leitlinie Nr. 020-019, Stand 2022. register.awmf.org

Autor*innen

  • Lino Witte, Dr. med., Arzt in Weiterbildung Allgemeinmedizin, Münster
  • Die ursprüngliche Version dieses Artikels basiert auf einem entsprechenden Artikel im norwegischen hausärztlichen Online-Handbuch Norsk Elektronisk Legehåndbok (NEL, https://legehandboka.no/).

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