Zusammenfassung
- Definition:Bruch der Kniescheibe.
- Häufigkeit:Häufig bei Verkehrsunfällen („Dashboard Injury“), sonst eher selten.
- Symptome:Schmerzen, Schwellung und Bewegungseinschränkung des Kniegelenks.
- Befunde:Schmerzhafte und meist eingeschränkte Knieextension. Druckschmerz und Krepitationen über der Patella, meist Hämarthros.
- Diagnostik:Sicherung der Diagnose durch Röntgen, ggf. ergänzt durch CT.
- Therapie:Bei erhaltener aktiver Extensionsfähigkeit des Kniegelenks und fehlenden Gelenkstufen konservativ, ansonsten operativ anatomische Rekonstruktion.
Allgemeine Informationen
Definition
- Bruch der Kniescheibe
Häufigkeit
- Macht ca. 1 % aller Frakturen des menschlichen Körpers aus.1
- Alter und Geschlecht2
- Beim Alter gibt es 2 Häufigkeitsgipfel:
- Querfrakturen bei jüngeren Patient*innen im Alter um 20 Jahre
- Trümmerfrakturen treten überwiegend bei Älteren (um 60 Jahre) auf.
- Männer sind doppelt so häufig betroffen wie Frauen.
- Beim Alter gibt es 2 Häufigkeitsgipfel:
Klinische Anatomie
- Anatomie gemäß nachfolgender Referenz1
- Die Patella ist das größte Sesambein des menschlichen Körpers.
- Verstärkt die Muskelkraft des Musculus quadriceps femoris um etwa 30 % und erhöht das Drehmoment zum Ende der Streckung.
- Der Widerstand bei der Kniebeugung gleicht einer Bremsbacke, und Zugkräfte werden in Kompressionskräfte umgewandelt.
Ätiologie und Pathogenese
- Häufigster Unfallmechanismus: direktes Anpralltrauma („Dashboard Injury“) im Rahmen von Verkehrsunfällen1-2
- Kombination eines direkten und indirekten Traumas, z. B. Sturz auf das gebeugte Kniegelenk1
- vor allem Arbeitsunfälle und Stürze im häuslichen Umfeld
- Sportverletzungen sind eher selten.
- Iatrogene Patellafraktur bei Knie-TEP mit Inzidenz von 0,68 %2
Prädisponierende Faktoren
ICPC-2
- L76 Fraktur, andere
ICD-10
- S82.0 Fraktur der Patella
Diagnostik
Diagnostische Kriterien
- Anamnese, körperliche Untersuchung und Röntgen des Kniegelenks1
Differenzialdiagnosen
- Patellaluxation
- Patella bi-/multipartita (angeborene Fehlbildung)
- Prellung der Patella
Anamnese
- Unfallmechanismus
- in den meisten Fällen Verkehrsunfall mit Anprall der Patella gegen Armatur oder Sturz auf das gebeugte Knie
- Vorherige Verletzungen der Patella bzw. des Kniegelenks?
- Funktionsanspruch an Knie
- berufliche Belastung
- sportliche Aktivitäten
- Symptomatik1
- Schmerzen
- Gelenkerguss, Schwellung
- Instabilitätsgefühl
Klinische Untersuchung
Leitlinie: Patellafraktur1
Obligate Inspektion und klinische Untersuchung im Vergleich zum unverletzten Knie
- Hautverletzung und -beschaffenheit
- Kontusionsmarken
- Vorbestehende Narben
- Typische, ventrale ballonartige Schwellung (Weichteilschwellung)
- Intraartikulärer Erguss (Hämarthros)
- Palpation der Patella (bei Dislokation „Delle“ tastbar)
- Palpation der Kniebandansätze
- Muskelstatus (Vergleich rechts/links als Hinweis auf Vorschaden)
- Aktive und passive Bewegungsprüfung (soweit schmerzbedingt möglich)
- Untersuchung der Kniebandstabilität (soweit schmerzbedingt möglich, evtl. erst intraoperativ prüfbar)
- Gefäßstatus arteriell und venös
- Neurologischer Status peripher der Verletzung
- Patellahochstand/-tiefstand
Ergänzende Untersuchungen
- Röntgen1
- obligat: Kniegelenk in 2 Ebenen
- fakultativ: Patella-Tangentialaufnahme (schmerzbedingt oft nicht möglich)
- CT1
- bei multifragmentären Frakturen, Trümmerfrakturen oder Normabweichungen (z. B. unklare Frakturausläufer) im primären Röntgenbild
Indikationen zur Überweisung
- Bei Verdacht auf eine Fraktur Überweisung an Unfallchirurg*in
Therapie
Therapieziele
- Wiederherstellung bzw. der Erhalt der anatomischen Form der Patella, einer glatten Gelenkfläche sowie eines funktionsfähigen Streckapparates1
Allgemeines zur Therapie
- Es gibt zahlreiche operative und konservative Interventionen zur Behandlung einer Patellafraktur bei Erwachsenen, doch nur wenige Qualitätsstudien über die Wirkungen der unterschiedlichen Maßnahmen.3
- Bei erhaltener aktiver Streckhebefähigkeit des betroffenen Beines und fehlender relevanter Dislokation oder Gelenkstufe ist eine konservative Therapie indiziert, ansonsten gilt die operative Therapieempfehlung.1
- Beachtung finden sollen zudem der Funktionsanspruch ans Knie sowie der Allgemeinzustand der Patient*innen (bei multimorbiden, alten Patient*innen kritisches Abwägen der OP-Indikation).
Akuttherapie
- Hochlagerung
- Lokale Kühlung
- Analgesie, z. B. mit Ibuprofen 600 mg 1–0–1 und ggf. zusätzlich Novaminsulfon 500 mg 1–1–1
- Unterarm-Gehhilfen
- Thromboseprophylaxe gemäß der Leitlinie unter Berücksichtigung der individuellen Risikofaktoren
Konservative Therapie
- Empfehlungen gemäß der deutschen Leitlinie zur Patellafraktur1
- Ggf. Kniepunktion zur Entlastung des Hämarthros
- Häufigste Verfahren
- (früh-)funktionelle Behandlung (stabile Frakturen ohne wesentliche Dislokation)
- funktionelle Behandlung mit limitierender Sperrorthese
- bei Dislokationstendenz Wechsel auf ein operatives Verfahren
- Begleitende Physiotherapie mit Anleitung zu Eigenübungen, Muskelaufbau- und Koordinationstraining
- Regelmäßige, engmaschige klinisch-radiologische Kontrollen zur Revalvation der Stabilität (Dislokationstendenz) und Knochenbruchheilung
- Cave: Jede Immobilisierung des Kniegelenks sollte wegen des erhöhten Thromboserisikos möglichst vermieden werden!
Operative Therapie
- Empfehlungen gemäß der deutschen Leitlinie zur Patellafraktur1
- Ziel: übungsstabile Osteosynthese
- Häufigste Verfahren
- Zuggurtungs-Osteosynthese
- Schraubenosteosynthese
- kombinierte Schrauben- und Zuggurtungs-Osteosynthese
- patello-tibiale Faden- oder Drahtcerclage
- anteriore Plattenosteosynthese
- Rettungsoperation bei nicht-rekonstruierbarer Patella
- Patellektomie
- Führt in der Regel zu einem funktionell guten, voll belastbaren Ergebnis ohne Schmerzen.
- Ist Osteosynthesen mit verbliebenen Gelenkstufen oder mit Defekten überlegen.
- Patellektomie
- Zur Unterstützung der Osteosynthesen sollte der parapatellare Reserve-Streckapparat genäht werden.
- Eine Metallentfernung an der Patella muss individuell entschieden werden.
- nicht obligat
Verlauf, Komplikationen und Prognose
Verlauf
- Sowohl bei konservativer als auch operativer Therapie wird eine frühfunktionelle Beübung angestrebt, um Funktionseinbußen und thrombembolische Komplikationen zu vermeiden.
Komplikationen
- Sekundäre Dislokation bei konservativer Therapie
- Pseudarthrose
- Retropatellarer Knorpelschaden
- Posttraumatische femoropatellare Arthrose
- Eingeschränkte Beweglichkeit, Funktionsbehinderung
- Chronische Schmerzen
Prognose
- Prognose abhängig von der Art der Fraktur1
- schlechte Prognose bei Trümmerbrüchen und distalen Querbrüchen
- Generell ist in etwa 70 % der Fälle mit einem sehr guten bis guten Ergebnis zu rechnen.1
- In ca. 30 % sind belastungsabhängige oder dauernde Schmerzen, Arthrosebildung und chronische Reizzustände sowie Kraft- und Funktionseinschränkung zu erwarten.
Illustrationen
Quellen
Leitlinien
- Deutsche Gesellschaft für Unfallchirurgie. Patellafraktur. AWMF-Leitlinie Nr. 012-017. S2e, Stand 2020. www.awmf.org
Literatur
- Deutsche Gesellschaft für Unfallchirurgie. Patellafraktur. AWMF-Leitlinie Nr. 012-017, Stand 2020. www.awmf.org
- Pesch S, Kirchhoff K, Biberthaler P, et al. Patellafrakturen. Der Unfallchirurg 2019; 122: 225-237. link.springer.com
- Sayum Filho J, Lenza M, Teixeira de Carvalho R, Pires OGN, Cohen M, Belloti JC. Interventions for treating fractures of the patella in adults. Cochrane Database of Systematic Reviews 2015, Issue 2. Art. No.: CD009651. DOI: 10.1002/14651858.CD009651.pub2. DOI
Autor*innen
- Lino Witte, Dr. med., Arzt in Weiterbildung Allgemeinmedizin, Frankfurt a. M.
- Die ursprüngliche Version dieses Artikels basiert auf einem entsprechenden Artikel im norwegischen hausärztlichen Online-Handbuch Norsk Elektronisk Legehåndbok (NEL, https://legehandboka.no/).