Fraktur des Humerusschaftes

Zusammenfassung

  • Definition:Fraktur des Humerusschafts ohne Beteiligung der angrenzenden Gelenke.
  • Häufigkeit:Inzidenz von 15 Fällen pro 100.000 Personen.
  • Symptome:Schmerzen und Bewegungseinschränkungen am Oberarm nach Trauma.
  • Befunde:Schwellung, Hämatom, ggf. Fehlstellung, Krepitationen und Instabilität.
  • Diagnostik:Körperliche Untersuchung mit Augenmerk auf neurologische Defizite (Cave: Radialisläsion!). Röntgen zur Sicherung der Diagnose.
  • Therapie:Abhängig von Frakturtyp und Patientencharakteristika konservative oder operative Therapie.

Allgemeine Informationen

Definition

  • Fraktur des Humerusschafts ohne Beteiligung der angrenzenden Gelenke1
    • zwischen Oberrand des Ansatzes des M. pectoralis major und knapp oberhalb der Fossa olecrani (2/6 bis 5/6 des Humerusschafts)2

Häufigkeit

  • Seltene Fraktur
    • Macht etwa 3 % aller langen Röhrenknochenfrakturen aus.2
  • Inzidenz 
    • 15 Fälle pro 100.000 Personen3
  • Alter
    • Es gibt zwei Häufigkeitsgipfel:3
      1. Gipfel 20.–30. Lebensjahr (Hochenergie-Traumata)
      2. Gipfel Alter > 60 Jahre (Sturz aus Körperhöhe)

Ätiologie und Pathogenese

  • Dieser Abschnitt beruht auf nachfolgender Referenz.2
  • Die Art der Fraktur ist abhängig vom Unfallmechanismus. 
    • indirekte Gewalteinwirkung (z. B. Armdrücken): Spiralfraktur
    • direkte Gewalteinwirkung: Quer- oder Schrägfraktur
  • Bei normaler Knochenstruktur sind in der Regel hochenergetische Traumata für die Fraktur notwendig, z. B. Verkehrsunfall. 
  • Bei osteoporotischen Knochen ist auch ein Bagatelltrauma, z. B. ein Sturz im häuslichen Umfeld, ausreichend für eine Fraktur.
  • Tumorbedingte Osteolysen machen etwa 10 % der Fälle aus.

Prädisponierende Faktoren

ICPC-2

  • L76 Fraktur, andere

ICD-10

  • S.42.3 Fraktur des Humerusschafts

Diagnostik

Diagnostische Kriterien

  • Sicherung der Diagnose durch ein Röntgenbild

Differenzialdiagnosen

Anamnese

  • Analyse des Unfallhergangs
    • adäquates Trauma oder V. a. pathologische Fraktur
  • Vorherige Verletzungen des Arms
  • Medikamente
  • Vorerkrankungen
  • Bei offenen Wunden Tetanusstatus

Klinische Untersuchung

  • Die Angaben basieren auf nachfolgender Referenz.2
  • Inspektion
    • Schonhaltung des verletzten Armes
    • Prellmarke und Hämatom
    • Wunden im Frakturbereich
    • Schwellung, Spannungsblasen
    • offene Fraktur mit Hautdurchspießung
    • Kontamination im späteren Operationsgebiet/Axilla (Akne, Acne inversa)
  • Palpation
    • druckschmerzhafter Oberarmschaft
    • Krepitation
      • Cave: Um eine Verletzung des N. radialis zu vermeiden, nur mit großer Vorsicht untersuchen.
  • Funktionsprüfung
    • Schmerzen bei aktiver und passiver Bewegung
    • Bewegungsausmaß der gesunden Seite als Referenz
    • periphere Durchblutung
    • neurologische Ausfälle, bei bis zu 12 % der Fälle Radialisläsion3
      • Motorik: Fallhand
      • Sensibilität: autonomes Gebiet des N. radialis am radialen Handrücken und im Spatium interosseum I
  • Begleitverletzungen überprüfen, insbesondere bei Rasanztraumata.

Weitere Untersuchungen in der Hausarztpraxis

  • In der Regel nicht notwendig

Diagnostik bei Spezialist*innen

  • Röntgen2
    • Oberarmschaft und angrenzende Gelenke in zwei Ebenen (Schulter- und
      Ellbogengelenk)
  • CT2
    • bei Verdacht auf Frakturausläufer in den Oberarmkopf oder die supra-/diakondyläre Region
  • Bei Verdacht auf osteoporotische Fraktur Knochendichtemessung

Indikationen zur Überweisung

  • Bei Verdacht auf eine Fraktur Überweisung an eine unfallchirurgische Praxis

Therapie

Therapieziele

  • Wiedererlangung einer guten Funktion des Arms, der Schulter und des
    Ellbogens2

Allgemeines zur Therapie

  • Die Wahl des Behandlungsverfahrens ist abhängig vom Frakturtyp, von der Knochenqualität (Osteoporose), von dem biologischen Alter, dem Funktionsanspruch und den Begleiterkrankungen.2
  • Es stehen konservative sowie operative (intramedullär/Marknägel vs. extramedullär/Plattenosteosynthesen) Verfahren zur Verfügung, wobei für kein Verfahren eine deutliche Überlegenheit nachgewiesen werden konnte.3

Konservative Therapie

  • Indikationen2
    • Schaftfrakturen im mittleren Drittel ohne Diastase (guter Knochenkontakt),
      insbesondere nicht dislozierte oder gering dislozierte Frakturen (lange Schrägbrüche)
    • reponier- und retinierbare Frakturen
    • allgemeine oder lokale Kontraindikationen gegen eine Operation
  • Vorgehen2
    • kurzfristige Ruhigstellung für 2–3 Wochen (z. B. Gilchristverband)
    • funktionelle Weiterbehandlung mit Sarmiento-Brace (steifer Gips- oder Kunststoffverband, Anm. d. Red.) für 8–10 Wochen
    • passive und aktive Bewegungsübungen bis zur Schmerzgrenze
    • Analgetika
      • z. B. Ibuprofen 400 mg 1–1–1 (Anm. d. Red.)

Operative Therapie

  • Indikationen2
    • offene Frakturen
    • drohendes Kompartmentsyndrom (Notfallindikation)
    • Defektfraktur
    • persistierende Diastase/Interponatbildung
    • Serienverletzung der Extremität (zusätzlich Fraktur des Unterarms, „Floating Elbow“)
    • begleitende Gefäßschäden
    • Nervenschaden (sekundärer Radialisschaden nach Manipulation)
      • Eine primäre Radialisläsion ist keine absolute Operationsindikation wegen der hohen spontanen Erholungsrate.
  • Derzeit gängige und akzeptierte Verfahren2
    • Plattenosteosynthese
    • intramedulläre Nagelungen
    • Implantatkombinationen
    • Fixateur externe (bei schwerem Weichteiltrauma oder Polytrauma)
  • Implantatentfernung2
    • möglich, aber nicht zwingend notwendig
    • Die Indikationsstellung ist im Einzelfall zu prüfen.

Verlauf, Komplikationen und Prognose

Verlauf

  • Unbehandelt kann es zu einer Ausheilung der Fraktur in Fehlstellung oder unter Ausbildung einer Pseudarthrose kommen.

Komplikationen

  • Achs-/Rotationsfehlstellungen3
  • Pseudarthrosen3
  • Radialisparesen3
  • Bewegungseinschränkung der Schulter und der peripheren Gelenke (posttraumatische Arthrofibrose, Schultersteife)2
  • Bei OP generelle Risiken wie Blutung, Wundheilungsstörungen, Infektion oder Implantatversagen

Prognose

  • In über 90 % der Fälle wird eine zufriedenstellende Frakturheilung mit gutem Bewegungsausmaß und Belastungsfähigkeit erreicht.1

Verlaufskontrolle

  • Bei konservativer Therapie radiologische Verlaufskontrollen nach Maßgabe der mitbehandelnden Spezialist*innen

Illustrationen

Humerus, häufigste Bruchstellen
Humerus, häufigste Bruchstellen

Quellen

Leitlinie

  • Deutsche Gesellschaft für Orthopädie und Unfallchirurgie.S1-Leitlinie Oberarmschaftfraktur. AWMF-Leitlinie Nr. 187-038, Stand 2021. register.awmf.org

Literatur

  1. Lawless M. Midshaft humerus fractures. Medscape, last updated Nov 08, 2022. emedicine.medscape.com
  2. Deutsche Gesellschaft für Orthopädie und Unfallchirurgie.S1-Leitlinie Oberarmschaftfraktur. AWMF-Leitlinie Nr. 187-038, Stand 2021. register.awmf.org
  3. Mäder M, Tille E, Nowotny J, et al. Therapie von Humerusschaftfrakturen. Z Orthop Unfall 2023; 161(4): 455-72. www.thieme-connect.com

Autor*innen

  • Lino Witte, Dr. med., Arzt in Weiterbildung Allgemeinmedizin, Münster
  • Die ursprüngliche Version dieses Artikels basiert auf einem entsprechenden Artikel im norwegischen hausärztlichen Online-Handbuch Norsk Elektronisk Legehåndbok (NEL, https://legehandboka.no/).

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