Finger(poly)arthrose

Zusammenfassung

  • Definition:Degenerativer Verschleiß der Fingergelenke.
  • Häufigkeit:Sehr häufig, Frauen sind deutlich öfter betroffen.
  • Symptome:Schleichender Beginn mit Schmerzen der Fingergelenke und Verstärkung der Symptomatik durch Kälte und Belastung.
  • Befunde:Palpable harte, osteophytäre Verdickungen der Fingergelenke.
  • Diagnostik:Weitere Untersuchungen sind in der Regel nicht notwendig.
  • Therapie:Ergotherapie, Fingerübungen, Schutz vor Kälte und Nässe (Handschuhe tragen!). Bei Schmerzen topische Therapie mit Diclofenac. Falls nicht ausreichend, kurzzeitig Diclofenac oder Etoricoxib oral. Ultima ratio operative Maßnahmen.

Allgemeine Informationen

Definition

  • Degenerativer Verschleiß der Fingergelenke
  • Abgrenzung zu entzündlich-rheumatischen Formen des Fingergelenkbefalls1
    • keine oder nur sehr kurze (wenige Minuten) Morgensteifigkeit
    • Entzündungswerte im Blut nicht oder nur minimal erhöht
    • in der Gelenksonografie keine oder nur geringe Hyperperfusion oder Synovitis
  • In der Regel polyartikuläres Befallsmuster2

Einteilung

  • Je nach Lokalisation Einteilung in verschiedene Formen1
  • Distales Interphalangealgelenk (DIP, Fingerendgelenk): Heberden-Arthrose
  • Proximales Interphalangealgelenk (PIP, Fingermittelgelenk): Bouchard-Arthrose
  • Fingergrundgelenk
  • Daumensattelgelenk: Rhizarthrose

Häufigkeit

  • Prävalenz von Arthrose in mind. 1 Fingergelenk in Deutschland:
    • etwa jede 3. Frau und jeder 7. Mann.3
  • Von Fingerpolyarthrose sind bis zu 10-mal mehr Frauen als Männer betroffen.1-2

Ätiologie und Pathogenese

Primäre Arthrose

  • Genetisch determiniert; insbesondere bei Frauen starke Penetranz, wenn erstgradige weibliche Verwandte betroffen sind.2
  • Zusätzlich sehr wahrscheinlich hormonelle Einflüsse, da viel mehr Frauen als Männer betroffen sind.1
  • Vermehrte Belastung im Alltag oder Beruf spielt nur eine untergeordnete Rolle.4

Sekundäre Arthrose

  • Posttraumatisch: nach Fingerverletzungen mit Gelenkbeteiligungen
  • Postinflammatorisch: klassisch bei rheumatoider Arthritis
  • Bei anderen Grunderkrankungen, z. B. bei Hämochromatose, typischerweise im 2. und 3. Fingergrundgelenk

Prädisponierende Faktoren

  • Positive Familienanamnese1
  • Übergewicht1
  • Weibliches Geschlecht1
  • Zustand nach Gelenkverletzung1

ICPC-2

  • L91 Arthrose, andere

ICD-10

  • M15.1 Heberden-Knoten (mit Arthropathie)
  • M15.2 Bouchard-Knoten (mit Arthropathie)
  • M19.04 Primäre Arthrose sonstiger Gelenke, inkl. Hand
  • M19.14 Posttraumatische Arthrose sonstiger Gelenke, inkl. Hand

Diagnostik

Diagnostische Kriterien

  • Meist ist eine klinische Diagnose durch die typische Anamnese und den klinischen Befund möglich.
  • Zur Differenzialdiagnostik ggf. Labor und Bildgebung

Differenzialdiagnosen

Anamnese

  • Langsamer, schleichender Beginn2
  • Verdickung einzelner Fingergelenke (durch Osteophyten), meist ohne Schmerzen1
  • Am häufigsten ist das Daumensattelgelenk betroffen; an den Langfingern vor allem die Endgelenke, gefolgt von den Mittelgelenken.4
  • Im Verlauf treten Schmerzen nach Belastung oder bei nasskalter Exposition auf.2
  • Phasen aktivierter Arthrose mit Überwärmung, Rötung und Schwellung möglich.
  • Im Endstadium starke Fehlstellungen mit Bewegungseinschränkungen
  • Fingerpolyarthrosen sind oft mit Gonarthrose assoziiert.1-2

Klinische Untersuchung

  • Palpable harte, osteophytäre Verdickungen der Fingergelenke
  • Meist druckdolent

Ergänzende Untersuchungen in der Hausarztpraxis

Diagnostik bei Spezialist*innen

  • Bildgebung nur bei Unsicherheit bzgl. der Diagnose
  • Im Röntgen typische Veränderungen der Arthrose:
    • Gelenkspaltverschmälerung
    • osteophytäre Anbauten
    • Geröllzysten
    • subchondrale Sklerosierungen
    • ggf. Gelenkfehlstellung.

Indikationen zur Überweisung

  • Bei Versagen der konservativen Therapie und starken Beschwerden Überweisung an Handchirurg*in für mögliche operative Therapie

Therapie

Therapieziele

  • Funktionserhalt
  • Schmerzlinderung

Empfehlungen für Patient*innen

  • Die Empfehlungen beziehen sich auf diese Referenz.1
  • Beim Tragen schwerer Gegenstände beide Hände benutzen.
  • Beim Kochen Töpfe und Pfannen mit 2 Henkeln benutzen.
  • Hilfsmittel nutzen, z. B. zum Öffnen von Schraubverschlüssen, zum Drehen von Schlüsseln oder als Griffverdickung, um Kraft auf Gelenke zu verringern.
  • Benutzen von Wäscheklammern mit Federspannung vermeiden (zu hohe Kraftaufwendung).
  • Auswringbewegungen vermeiden und Auswringhilfe benutzen.
  • Handorthese bei schwerer Tätigkeit und Rhizarthrose tragen.
  • Regelmäßig Fingertraining durchführen.
  • Warme Handbäder
  • Kälte meiden und rechtzeitig Handschuhe tragen.
  • Beim Kartenspielen Kartenhalter benutzen.

Allgemeines zur Therapie

  • Es gibt 3 verschiedene Therapieoptionen, die abhängig von Beschwerdebild angewendet werden:1
    1. nichtmedikamentös konservativ
    2. medikamentös
    3. operativ.
  • Für die Therapie der Arthrose des Daumensattelgelenks siehe auch Artikel Rhizarthrose.

Nicht-medikamentöse konservative Therapie

  • Fingertraining5
    • für alle Patient*innen empfohlen
    • beispielhafte Übungen
      • (Luft-)Klavierspielen
      • Ballen von halben und ganzen Fäusten
      • Zusammenführen von Daumen und den übrigen 4 Fingern
      • abwechselnd Strecken und Spreizen der Finger
  • Physikalische Therapie5
    • zur Schmerztherapie, ähnlich effektiv wie Medikamente
    • bei „kalten" schmerzenden Gelenken: lokale Wärmeanwendungen
    • bei aktivierter Arthrose (Wärme, Rötung und Schwellung): Kälteapplikation
  • Schutz vor Kälte und Nässe2
    • Handschuhe von Oktober–April anziehen.
  • Anstrengende Handarbeit vermeiden.2
  • Ergotherapie1
  • Handorthesen1
    • bei Rhizarthrose während Belastung der Hand

Medikamentöse Therapie

  • NSAR-haltige Gele oder Salben: Mittel der Wahl1
    • Wegen geringerer Nebenwirkungen vor allem bei älteren Patient*innen der systemischen Gabe vorzuziehen.
    • Cochrane-Analyse: Diclofenachaltige Topika sind vergleichbar gut schmerzreduzierend wie orale NSAR.6
    • Beispiel: Diclofenac 10 mg/g Schmerzgel7
      • ab 14. Lebensjahr
      • 3 x täglich dünn auftragen und leicht einreiben.
      • Von der Anwendung eines Okklusivverbands wird abgeraten.
      • max. 9 g pro Tag (entsprechend 90 mg Diclofenac)
  • Systemisch NSAR oder Coxibe
    • Falls die lokale NSAR-Applikation nicht ausreicht.2
    • in niedrigst möglicher Dosis so kurz wie möglich2
    • Laut einer Metaanalyse ist Etoricoxib 60 mg/d oder Diclofenac 150 mg/d am effektivsten bezüglich Schmerzreduktion und Funktion.8
  • Opioide
    • Einsatz wegen starker Nebenwirkungen bei Arthrose nicht indiziert8
  • SADOA (Slow Acting Drugs in Osteoarthritis), z. B. Glucosamin und Chondroitinsulfat
    • in Studien widersprüchliche Ergebnisse ohne sichere Belege für chondroprotektive Wirkung9

Operative Therapie

  • Bei starken therapierefraktären Schmerzen kommen verschiedene Operationsverfahren in Betracht.1
  • Die Operationstechnik ist abhängig vom Ausmaß der Gelenkzerstörung und von der notwendigen Funktionsfähigkeit des Gelenks.1
    • Beispielsweise ist die Versteifung der Fingerendgelenke mit einem geringen Funktionsverlust der Hand verbunden bei gleichzeitig oft guter Schmerzlinderung.4
    • Endoprothesen für Fingermittelgelenke sind vorhanden, aber in Funktion und Haltbarkeit den Knie- oder Hüftprothesen deutlich unterlagen.4
  • Insbesondere für Rhizarthrose gibt es diverse OP-Verfahren, da die Funktion des Daumens möglichst erhalten werden soll.
    • Siehe für die Beschreibung der Optionen den Artikel Rizarthrose.

Verlauf, Komplikationen und Prognose

Verlauf

  • Schleichender Beginn über viele Jahre
  • Das Fortschreiten der Fingerpolyarthrose kann medikamentös nicht verhindert werden.1

Komplikationen

  • Schwere Deformitäten mit Funktionsverlust der Hand
  • Chronische Schmerzen

Prognose

  • Durch regelmäßige Durchführung der nichtmedikamentösen konservativen Maßnahmen, insbesondere des Fingertrainings, kann der Beginn therapiebedürftiger Schmerzen meist hinausgezögert werden.5
  • Nach Ausschöpfen der konservativen Therapiemaßnahmen kann durch operative Verfahren meist noch Schmerzlinderung erzielt werden.4

Patienteninformationen

Patienteninformationen in Deximed

Illustrationen

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Heberden-Knoten: Verdickung des Fingerendgelenks durch Osteophyten

Quellen

Literatur

  1. Gromnica-Ihle E. Rheuma ist behandelbar. Berlin, Heidelberg: Springer, 2018. link.springer.com
  2. Sautner J. Rheumatologie aus der Praxis. Berlin, Heidelberg: Springer, 2017. link.springer.com
  3. Fuchs J, Kuhnert R, Scheidt-Nave C. 12-Monats-Prävalenz von Arthrose in Deutschland. Journal of Health Monitoring 2017; 2(3): 55-60. www.rki.de
  4. Jung M. Fingerpolyarthrose. Deutsche Rheuma-Liga. Letzter Zugriff 31.10.2021. www.rheuma-liga.de
  5. Grätzel von Grätz P. Was Ärzte bei Polyarthrose der Finger tun können. Geriatrie-Report 2019; 14: 22. link.springer.com
  6. Derry S, Moore RA, Rabbie R. Topical NSAIDs for chronic musculoskeletal pain in adults. Cochrane Database of Systematic Reviews 2021. pubmed.ncbi.nlm.nih.gov
  7. Ratiopharm. Diclo Schmerzgel Fachinformation. Stand 2020. Letzter Zugriff 31.10.2021. www.ratiopharm.de
  8. Da Costa BR, Pereira TV, Saadat P, et al. Effectiveness and safety of non-steroidal anti-inflammatory drugs and opioid treatment for knee and hip osteoarthritis: network meta-analysis. BMJ 2021; 375: 2321. www.bmj.com
  9. Bischoff A. Ihr Arsenal gegen Arthrose. MMW - Fortschritte der Medizin 2019; 161: 10-12. link.springer.com

Autor*innen

  • Lino Witte, Dr. med., Arzt in Weiterbildung Allgemeinmedizin, Frankfurt a. M.
  • Die ursprüngliche Version dieses Artikels basiert auf einem entsprechenden Artikel im norwegischen hausärztlichen Online-Handbuch Norsk Elektronisk Legehåndbok (NEL, https://legehandboka.no/).

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