Allgemeine Informationen
Definition
- Der gesamte Abschnitt basiert, sofern nicht anders gekennzeichnet, auf dieser Referenz.1
- Subjektives Empfinden von Müdigkeit, das in verschiedenen Formulierungen von Patient*innen vorgetragen wird: Schlappheit, Mangel an Energie, Erschöpfung, Ermüdung, frühe Ermüdbarkeit, Schläfrigkeit, Einschlafneigung tagsüber etc.
- Verschiedene qualitative Komponenten sind zu berücksichtigen:
- emotionale (Unlust, Motivationsmangel, enge Verbindung zu Traurigkeit bzw. niedergedrückter Stimmung, verminderte affektive Schwingungsfähigkeit)
- kognitive (verminderte geistige Aktivität bzw. Leistungsfähigkeit)
- Verhaltensaspekte („Leistungsknick“)
- körperliche Aspekte (z. B. muskuläre Schwäche).
- Eine große Anzahl von biologischen, seelischen und sozialen Ursachen kommt infrage, oft in Kombination.
- darunter eindeutige seelische und körperliche Störungen oder Belastungen
- Oft lässt sich jedoch keine definitive Ursache definieren.
- Das chronische Müdigkeitssyndrom (Chronic Fatigue Syndrom, CFS)/myalgische Enzephalomyelitis (ME) ist nicht mit dem Symptomkomplex „Müdigkeit“ gleichzusetzen und betrifft einen kleinen Anteil von Betroffenen, die über Müdigkeit/Erschöpfung klagen.2
- Müdigkeit/Erschöpfung kann ein Symptom fast jeder Erkrankung sein.2
Häufigkeit
- Der folgende Abschnitt basiert auf dieser Referenz.1
- In Deutschland liegt die Prävalenz von Patient*innen mit unerklärter, über mindestens einen Monat anhaltender Müdigkeit bei ca. 11 %.
- Nach einem Jahr persistiert die Symptomatik bei 33–51 % der Betroffenen.
- Müdigkeit ist eine häufige Konsultationsursache in der Hausarztpraxis. In mehreren internationalen Studien wurde festgestellt, dass sie bei 1,1–10,2 % der Konsultationen die Hauptursache ist.
- Frauen sind häufiger betroffen.
Diagnostische Überlegungen
- Der folgende Abschnitt basiert auf dieser Referenz.1
- Eine große Zahl von biologischen, seelischen und sozialen Ursachen kommt infrage, oft in Kombination. Darunter sind eindeutig diagnostizierbare seelische und körperliche Störungen oder Belastungen; oft lässt sich jedoch keine definitive Ursache identifizieren.
- Behandelbare schwere körperliche Erkrankungen sind selten und praktisch immer mit Auffälligkeiten in Anamnese und/oder körperlicher Untersuchung verbunden.1,3
- Auf biologische Ursachen fixierte Diagnostik führt zu unnötiger Belastung der Patient*innen und/oder Somatisierung einer Befindlichkeitsstörung.
Diagnostische Fehlermöglichkeiten
- Der gesamte Abschnitt basiert auf dieser Referenz.1
- Vorschnelles Akzeptieren pathologischer Laborwerte als ausreichende Erklärung
- Bearbeitung des psychosozialen Bereichs erst nach Ausschluss körperlicher Ursachen – Gefahr der somatischen Fixierung
- Bei bekannten chronischen Erkrankungen die Müdigkeit vorschnell auf den Krankheitsprozess selbst beziehen.
- Vorschnelle Etikettierungen
- Bei unspezifischen Befindensstörungen, die ohne pathologische somatische Befunde oft mit starker Beeinträchtigung einhergehen, ist für Patient*in und Ärzt*in die Versuchung groß, sich vorschnell auf unzureichend belegte (Pseudo-)Diagnosen zu einigen.
- Diese Etikettierungen entsprechen z. B. biologischen (Eisen- oder Vitamin-D-Mangel, Hypotonie, Hypoglykämie), umweltmedizinischen (MCS, Amalgambelastung, Unverträglichkeiten), infektiösen (Darmmikrobiom, Candida) und anderen Hypothesen.
- Ihnen ist gemeinsam, dass die entsprechenden Zusammenhänge wissenschaftlich nicht dokumentiert oder sogar widerlegt, nicht plausibel und/oder im Einzelfall nicht nachgewiesen sind.
- Scheinassoziationen und selbsterfüllende Prophezeiungen
- Beispielsweise Bestimmung eines erniedrigten Vitamin-D-Spiegels bei müden Patient*innen, der keinen nachweisbaren Zusammenhang mit Müdigkeit hat und Placeboeffekt einer Vitamin-D-Substitution.
ICPC-2
- A04 Abgeschlagenheit/Müdigkeit
ICD-10
- R53 Unwohlsein und Müdigkeit
- G93.3 CFS inkl. postvirales Müdigkeitssyndrom
- F 48.0 Neurasthenie/Ermüdungssyndrom
- R 54 Senilität, inklusive Altersschwäche
- G 47.1 organisch bedingte Tagesschläfrigkeit (krankhaft erhöhtes Schlafbedürfnis)
- F 51.1. nicht organisch bedingte Hypersomnie
- U 09.9! für Post-COVID-19-Zustand
- U 10.9 für multisystemisches Entzündungssyndrom in Verbindung mit COVID-19
Differenzialdiagnosen
Äußere Umstände und Lebensweise
- Der folgende Abschnitt basiert auf dieser Referenz.1
Stress
- Erschöpfung durch langanhaltenden Druck bei der Arbeit, Probleme am Arbeitsplatz, finanzielle Probleme, familiäre Probleme
- Belastende Lebensereignisse wie Krankheit oder Tod von Verwandten oder Freund*innen, Auflösung der Familie, Verlust der Arbeitsstelle usw.
- Sonstige psychische, familiäre, soziale oder finanzielle Belastungen
Bewegungsmangel/Übergewicht
- Bevölkerungsstudien legen einen Zusammenhang von Bewegungsmangel und Müdigkeit nahe.
- Unklar ist, wie häufig und in welchem Ausmaß Bewegungsmangel bestimmende Ursache für das Symptom Müdigkeit ist.
Umwelteinflüsse
- Gehäufte Tagesschläfrigkeit bei hoher nächtlicher Verkehrslärmbelastung
- Berufsbedingter Schlafmangel, Überstunden, überlange Arbeitszeiten, gestörtes Arbeitsklima, unzureichende Erholungszeiten, sonstige psychosoziale Einflüsse
- Kohlenmonoxid: Vorübergehende leichtere Vergiftungen äußern sich in Müdigkeit, Kopfschmerzen, Schwindel und Übelkeit.
- starker Tabakrauch, Gebrauch von Kohleöfen
- Arbeits- und umweltmedizinische Abklärung
- Besteht eine biologische Plausibilität für den vermuteten Zusammenhang (vor allem bei Lärm, Blei, Quecksilber, Kohlenmonoxid, Schwefelwasserstoff, Halogenkohlenwasserstoffen, Benzol, Toluol, Xylole, Styrol, Lösungsmitteln und Lösungsmittelgemischen)?
- Leiden Arbeitskolleg*innen oder Familienmitglieder, d. h. potenziell Mitexponierte, ebenfalls unter Müdigkeit bzw. anderen bisher nicht erklärten Symptomen?
- Besteht beim Patient*innen oder Arbeitskolleg*innen bzw. Familienmitgliedern eine Dosis-Wirkungs-Beziehung zwischen Müdigkeit und möglicher Noxe?
- Verdichten sich die Hinweise auf eine toxische Ursache der Müdigkeit, sollte bei sonst unauffälliger Abklärung zur Müdigkeitsgenese an eine arbeits- bzw. umweltmedizinische Einrichtung überwiesen werden.
- Besteht ein begründeter Verdacht auf eine relevante berufliche Exposition, ist eine Berufskrankheitenanzeige erforderlich.
Psychische Störungen
Angst
- Siehe Artikel Generalisierte Angststörung.
- Angst, oft allgemeiner Art und anhaltend, nicht auf bestimmte Situationen oder Umstände beschränkt
- Die Hauptsymptome wechseln, umfassen aber Beschwerden wegen anhaltender Nervosität, Zittern, Muskelverspannungen, Schweißausbrüche, Verwirrung, Herzklopfen, Schwindel und Beschwerden im Epigastrium.
- Folgende Fragen sind zur ersten Abklärung einer Angststörung geeignet:1
- Fühlten Sie sich im Verlauf der letzten 4 Wochen deutlich beeinträchtigt durch:
- Nervliche Anspannung, Ängstlichkeit, das Gefühl aus dem seelischen Gleichgewicht zu sein?
- Sorgen über vielerlei Dinge?
- Hatten Sie während der letzten 4 Wochen eine Angstattacke (plötzliches Gefühl der Angst oder Panik)?
- Fühlten Sie sich im Verlauf der letzten 4 Wochen deutlich beeinträchtigt durch:
Depression
- Siehe Artikel Depression.
- Diagnostik in der Hausarztpraxis1
- zwei Screeningfragen (Bezug: in den letzten 4 Wochen)
- Haben Sie sich oft niedergeschlagen/schwermütig/hoffnungslos gefühlt?
- Haben Sie wenig Interesse/Freude an Tätigkeiten gehabt?
- Werden beide Fragen verneint, kann eine ausgeprägte Depression mit hoher Sicherheit als ausgeschlossen gelten.
- Wird mindestens eine Frage bejaht, sollten Zusatzsymptome erfragt werden:
- verminderte Konzentration und Aufmerksamkeit
- vermindertes Selbstwertgefühl und Selbstvertrauen
- Schuldgefühle und Gefühle von Wertlosigkeit
- negative und pessimistische Zukunftsperspektiven
- Suizidgedanken, erfolgte Selbstverletzung oder Suizidhandlungen
- Schlafstörungen
- verminderter Appetit.
- Daraus folgt die Schweregradbestimmung:
- Leichte Depression: Es liegen 2 Zusatzsymptome vor.
- Mittelgradige Depression: 3 oder 4 Zusatzsymptome sind gegeben.
- Schwere Depression: Alle 3 Hauptkriterien und mindestens 4 Zusatzkriterien sind erfüllt.
- zwei Screeningfragen (Bezug: in den letzten 4 Wochen)
Sucht
Chronisches Müdigkeitssyndrom (CFS)
- Siehe Artikel Chronisches Erschöpfungssyndrom.1
- Gemeinsam ist das neue, nicht durch andere Erkrankungen, Substanzen oder Belastung erklärbare Auftreten von Müdigkeit.
- Weiter wird gefordert: definierter Beginn der Symptomatik, starke Beeinträchtigung im privaten, beruflichen oder sozialen Bereich sowie bestimmte Zusatzsymptome bzw. Befunde (hierzu gibt es Unterschiede in verschiedenen Klassifizierungen).
Endokrinologische Erkrankungen
Diabetes mellitus, Typ 1/Diabetes mellitus, Typ 2
- Siehe die Artikel Typ-1-Diabetes und Typ-2-Diabetes.
- Selten Müdigkeit als einziges Symptom; selten alleinige Ursache von Müdigkeit1
Hypothyreose
- Siehe Artikel Hypothyreose.
- Selten Müdigkeit als einziges Symptom; selten alleinige Ursache von Müdigkeit1
- Bezüglich subklinischer Hypothyreose ist die Behandlungsschwelle und der Behandlungsnutzen unklar.1
Vitamin-D-Mangel
- Siehe Artikel Vitamin-D-Mangel.
- Keine Korrelation mit Müdigkeit1
Infektionen
Hepatitis
- Ohne weitere anamnestische oder klinische Hinweise als Ätiologie von primär als Symptom präsentierter Müdigkeit sehr selten1
Infektionsbedingte und postinfektiöse Müdigkeit
- Der gesamte Abschnitt basiert auf dieser Referenz.1
- Infekte sind eine wichtige Ursache von Müdigkeit, besonders bei:
Chronische somatische Erkrankungen
Anämie
- Anämie kann bei etwa 3 % die Ursache von Müdigkeit sein. Allerdings ist ein eindeutiger Zusammenhang von Müdigkeit und Anämie nicht nachweisbar.1
Eisenmangel
- Siehe Artikel Eisenmangelanämie.
- Es besteht Unsicherheit darüber, ob Eisenmangel/niedriges Ferritin ohne Anämie Müdigkeit verursachen kann.
- Ohne explizite Klage über Müdigkeit, gibt es bei ansonsten gesunden Personen mit Eisenmangel keinen Nachweis des Nutzens einer Eisensubstitution.1
Zöliakie
- Der gesamte Abschnitt basiert auf dieser Referenz.1
- Siehe Artikel Zöliakie.
- Mit dem Symptom Müdigkeit assoziiert
- Möglicherweise leiden 2–3 % der Patient*innen mit Müdigkeit unter Zöliakie.
Krebserkrankung
- Abgeschlagenheit kann ein frühes Symptom einer nicht diagnostizierten malignen Erkrankung sein.
- Haben Anamnese und körperliche Untersuchung keine Hinweise erbracht, sind bösartige Erkrankungen als Ursache von Müdigkeit sehr selten.1
- Eine Tumordiagnostik nur aufgrund des Symptoms Müdigkeit ohne zusätzliche Hinweise in Anamnese, Befund oder Basislabor ist nicht gerechtfertigt.1
- Müdigkeit kann allerdings ein sehr belastendes Symptom bei ca. 65 % der Betroffenen mit einem bekannten Malignom sein.1
Weitere chronische somatische Erkrankungen
- Müdigkeit ist ein häufiges, sehr belastendes Symptom bei bereits länger bestehenden und bekannten Erkrankungen:1
- chronische Herzinsuffizienz
- multiple Sklerose
- Parkinson
- rheumatoide Arthritis
- Sarkoidose
- Malignome
- chronische Niereninsuffizienz
- COPD2
- Vorhofflimmern2
- chronische Lebererkrankungen2
- Nykturie mit Tagesschläfrigkeit bei Prostatahyperplasie
- chronisch entzündliche Prozesse.
- Müdigkeit muss nicht (ausschließlich) durch Krankheitsprozess selbst verursacht sein. Vielfach bedeutender sind:1
- erschöpfte psychosoziale Kompensationsmöglichkeiten (reaktive Depression)
- Schmerz
- gestörter Schlaf
- Folgen körperlicher Inaktivität (Dekonditionierung)
- und deren Wechselwirkungen untereinander.
Schlafstörungen
- Der gesamte Abschnitt basiert auf dieser Referenz.1
Insomnie
- Jede Schlafstörung kann Tagesmüdigkeit verursachen.
- Prävalenz des nicht erholsamen Schlafs in Deutschland: 15,5 %
- Prävalenz in der Hausarztpraxis: 20–26 %
Schlafapnoe-Syndrom
- Siehe Artikel Schlafapnoe-Syndrom.
- Prävalenz von etwa 4 % behandlungsbedürftigen Störungen
- Kausal mit verminderter Vigilanz, Müdigkeit, Depression, Verkehrsunfällen und arteriellem Hypertonus verbunden.
- Mit den drei Kriterien Schnarchen, beobachtete Atempausen („Erstickungsanfälle“), Einschlafen als Autofahrer*in/sonstige imperative Einschlafneigung tagsüber kann auf der Ebene der allgemeinärztlichen Praxis die Indikation für weitere schlafmedizinische Diagnostik eingegrenzt werden.
Narkolepsie
- Siehe Artikel Narkolepsie.
- Ausgeprägte Tagesmüdigkeit mit mit plötzlichen Einschlafattacken
Restless-Legs-Syndrom
- Siehe Artikel Restless-Legs-Syndrom.2
- Führt zu Ein- und Durchschlafstörungen mit Tagesmüdigkeit.
Medikamentennebenwirkungen
- Häufig verordnete Medikamente mit Müdigkeit als Nebenwirkung
- Benzodiazepine
- Antidepressiva
- besonders Trizyklika und Mirtazapin
- Neuroleptika
- besonders niedrigpotente Neuroleptika, wie Levomepromazin, Melperon, Pipamperon sowie
- Olanzapin, Qietiapin und Clozapin
- Antihistaminika
- besonders Substanzen der ersten Generation, wie Diphenhydramin, Dimenhydrinat, Demetinden
- Antihypertensiva
- Betablocker, seltener Alphablocker und ACE-Hemmer
- Migränemittel
- Triptane, Dimenhydrinat, Topiramat
- Opiate
- Parkinson-Mittel
- Antiarrhythmika
- Antiemetika2
- Kortikosteroide2
- Diuretika2
- Viele weitere Arzneimittel, wie Zytostatika, Interferon alpha, antivirale Substanzen etc.
- Bei begründetem Verdacht auf Müdigkeit als Medikamentennebenwirkung und nach individueller Risiko-/Nutzenabwägung Umstellung auf andere Substanz
Seltene Erkrankungen
- Nach Ansicht der DEGAM-Leitlinien-Autor*innen ist davon auszugehen, dass die folgenden Erkrankungen im Kontext der Müdigkeitsabklärung in der Hausarztpraxis extrem selten sind:1
- Morbus Addison
- Conn-Syndrom
- Cushing-Syndrom
- Hypopituitarismus
- Gilbert-Meulengracht-Syndrom
- Hyperkalzämie
- Tuberkulose
- Toxoplasmose
- Brucellose
- Malaria
- andere Tropenkrankheiten
- AIDS
- Borreliose
- systemischer Lupus erythematodes
- Endokarditis
- Hirntumor
- schizophrene Psychose
- weitere psychische Störungen
- prämenstruelles Syndrom
- Ergänzung laut BMJ BestPractice:2
- Fibromyalgie
- primär biliäre Cholangitis
- MS
- Myokardinfarkt: Müdigkeit/Erschöpfung als Prodromalsymptom, vor allem bei Frauen
Diagnostik
Anamnese
DEGAM-Leitlinie: Müdigkeit1
- In der Anamnese sollen erfasst werden:
- Charakteristika des Symptoms
- assoziierte sowie vorausgegangene Beschwerden
- Müdigkeit neu/ungewohnt
- Beeinträchtigung durch Müdigkeit im Alltag
- Vorstellungen der Betroffenen zu Ätiologie und Behandlung (A).
- Depression, Angst und psychosoziale Belastungen sowie kommunikative Einschränkungen sind häufige ursächliche Faktoren oder Begleiterscheinungen bei Personen mit Müdigkeit (Ia).
- Bei primär ungeklärter Müdigkeit sollen anhand von Screeningfragen eine Depression oder Angststörung eruiert werden (Ia).
- Bei primär ungeklärter Müdigkeit sollen außerdem erfasst werden (Ia–IV):
- Vorerkrankungen, insbesondere vorausgegangene Infektionserkrankungen, Fieber
- Schlafverhalten, insbesondere Schnarchen und Atemaussetzer im Schlaf, ungewolltes Einschlafen am Tage und (habitueller) Schlafmangel
- Verlauf des Körpergewichts, Tabakkonsum
- kardiale, respiratorische, gastrointestinale, urogenitale und ZNS-Funktion
- post-exertionelle Malaise (PEM, Belastungsintoleranz)
- Zufuhr von Medikamenten und psychotropen Substanzen
- soziale, familiäre, berufliche Situation
- chemische oder Lärmbelastung sowie Auftreten ähnlicher Symptome bei Personen im privaten/beruflichen Umfeld.
- Bei mindestens seit 3 Monaten anhaltender bisher ungeklärter Müdigkeit sollten die ME/CFS-Kriterien nach Institute of Medicine (IOM) eruiert werden, um eine Verdachtsdiagnose zu stellen, die nach 6 Monaten zu reevaluieren wäre.
- Ein Symptomtagebuch kann bei der Abklärung und Therapie hilfreich sein (III).
- Siehe auch DEGAM-Patientenfragebogen zur Anamnese – Müdigkeit.
- Der gesamte Abschnitt basiert auf dieser Referenz.1
- Mangel an Energie bzw. allgemeine Erschöpfung sind zu differenzieren von Schläfrigkeit bis hin zum Einnicken während des Tages.
- Achten Sie auf Alarmsymptome (Red Flags):
- Gewichtsabnahme
- Lymphadenopathie
- Anzeichen für Malignome
- fokale neurologische Defizite
- Anzeichen für entzündliche/immunologische Erkrankung
- Anzeichen für Herzinsuffizienz
- Anzeichen einer schweren Depression mit Suizidgefahr.
- Weitere wichtige Anamnesefragen
- Abklärung der Kraftfahreignung bei Tagesschläfrigkeit
Klinische Untersuchung
DEGAM-Leitlinie: Körperliche Untersuchung1
- Bei primär ungeklärter Müdigkeit sollen körperlich untersucht werden (II–V):
- Schleimhäute
- Atemwege
- Herz
- Puls und Blutdruck
- Lymphknoten
- Abdomen
- orientierend neurologisch.*
- Weitere Elemente der körperlichen Untersuchung sollten bei speziellen Hinweisen auf behandelbare Ursachen in der Anamnese oder orientierenden körperlichen Untersuchung erfolgen (II–V).
*Prüfung der klassischen Muskeleigenreflexe, Muskeltonus, Erfassung von Parästhesien, Paresen oder Muskelatrophien, Gleichgewicht und Koordination, erheblichen Seh-, Hör-, Geschmacks- und Riechstörungen
Ergänzende Untersuchungen in der Hausarztpraxis
- Der folgende Abschnitt basiert auf dieser Referenz.1
- Bei Frauen im gebärfähigen Alter kann ergänzend eine Ferritin-Bestimmung durchgeführt werden.
- Nur bei weiteren auf eine Nierenerkrankung hinweisenden Symptomen, Befunden oder Vorerkrankungen (wie Diabetes mellitus, arterielle Hypertonie, potenziell nephrotoxische Medikamente, familiäre Nierenerkrankungen): Kreatinin, eGFR
- Alle Zusatzuntersuchungen ohne klare Indikation beinhalten die erhebliche Gefahr falsch positiver Befunde und/oder einer Fehlleitung in der Patientenkarriere.
Maßnahmen und Empfehlungen
Indikationen zur Überweisung
- Der gesamte Abschnitt basiert auf dieser Referenz.1
- Zur Abklärung definierter zusätzlicher Beschwerden oder Befunde (z. B. Schlafmedizin bei V. a. schlafbezogene Atemstörung, Gastroenterologie bei Gewichtsverlust und chronischen Durchfällen zusätzlich zum Symptom Müdigkeit).
- Zum Management definierter Erkrankungen, sofern nicht ausreichend eigene Kompetenz auf diesem Gebiet besteht.
- Bei Verdacht auf eine Berufskrankheit oder schädigende Umgebungsexposition.
DEGAM-Leitlinie: Therapeutisches Vorgehen1
- Es sollte beachtet werden, dass häufig mehrere ursächliche Gesundheitsprobleme anzunehmen und zu behandeln sind (B).
- Bei ungeklärter Müdigkeit und/oder Hinweisen auf relevante psychosoziale Belastungen sollen feste Folgetermine angeboten werden (A).
- Bei Substanzabusus/schädlichem Gebrauch, insbesondere von Tabak, Cannabis oder Alkohol soll eine Kurzintervention und ggf. Entwöhnungsbehandlung angeboten werden (A).
- Die Behandlung potenziell ursächlicher Erkrankungen soll optimiert werden (A).
- Bei einer großen Zahl von zugrunde liegenden Störungen oder Erkrankungen verbessern Verhaltenstherapie oder/und symptomorientierte aktivierende Maßnahmen die Müdigkeit und das Allgemeinbefinden und sollen in diesen Fällen angeboten werden (A).*
- Bei ungeklärter Müdigkeit können Verhaltenstherapie oder/und symptomorientierte aktivierende Maßnahmen angeboten werden.*
- Hierbei sind die individuelle Reaktion darauf zu beobachten und ggf. die Maßnahmen anzupassen oder zu beenden.*
* Dies betrifft nicht ME/CFS einschließlich Verdachtsdiagnose.
- Abwartendes Offenhalten (4 Wochen) kann bei Fehlen von Red Flags in Betracht gezogen werden.3
Patienteninformationen
Patienteninformationen in Deximed
Weitere Informationen
- DEGAM-Patienteninformation: Müdigkeit
Quellen
Leitlinien
- Deutsche Gesellschaft für Allgemeinmedizin und Familienmedizin. Müdigkeit. AWMF-Leitlinie Nr. 053-002. S3, Stand 2022. www.awmf.org
Literatur
- Deutsche Gesellschaft für Allgemeinmedizin und Familienmedizin. Müdigkeit. AWMF-Leitlinie Nr. 053-002, Stand 2022. www.awmf.org
- BMJ BestPractice. Assessment of fatique. Stand 18.12.2022(letzter Zugriff am 18.01.2023). bestpractice.bmj.com
- Wilson J, Morgan S, Magin PJ, van Driel ML. Fatigue--a rational approach to investigation. Aust Fam Physician. 2014 Jul;43(7):457-61. PMID: 25006608. pubmed.ncbi.nlm.nih.gov
Autor*innen
- Marlies Karsch-Völk, Dr. med., Fachärztin für Allgemeinmedizin, München
- Die ursprüngliche Version dieses Artikels basiert auf einem entsprechenden Artikel im norwegischen hausärztlichen Online-Handbuch Norsk Elektronisk Legehåndbok (NEL, https://legehandboka.no/).