Onkologische Notfälle

Allgemeine Informationen

Definition

  • Ein onkologischer Notfall ist eine lebensbedrohliche Störung, die unmittelbar oder mittelbar mit einer Neubildung in Zusammenhang steht.1
    • Ohne sofortige Hilfeleistung drohen erhebliche gesundheitliche Schäden oder Tod.2
  • Er kann hervorgerufen werden durch:1
    • eine Manifestation des malignen Grundleidens
    • Komplikationen der Therapie
    • eine im weiteren Sinne nichtonkologische Erkrankung, die durch das maligne Leiden oder die Therapie begünstigt wird.
  • Mögliche Klassifikation der Ursachen3

Problemstellung für Hausärzt*innen

  • Aufgrund der verbesserten Überlebensraten und der zunehmend ambulanten Behandlung sind onkologische Notfallsituationen trotz ihrer relativen Seltenheit auch für die hausärztliche Versorgung relevant.
    • Zu berücksichtigen ist dabei auch, dass bei einigen Patient*innen der onkologische Notfall die Erstmanifestation eines bis dahin noch nicht bekannten Grundleidens ist.4
  • Für das weitere Vorgehen in der Notfallsituation sollten die onkologische Gesamtsituation (Art des Leidens, Prognose), aber auch die Wünsche der Betroffenen berücksichtigt werden.5
  • Bei guter Prognose ist rasches Handeln inklusive der Veranlassung intensivmedizinischer Maßnahmen angezeigt.1
    • Eine im Einzelfall schwierig abzuschätzende Prognose sollte Maßnahmen nicht verzögern.5
    • Das Vorliegen eines onkologischen Notfalls schließt die Heilung von der Grunderkrankung nicht aus.6
    • Insgesamt nimmt die Zahl kritisch kranker Tumorpatient*innen mit prinzipiell notwendiger intensivmedizinischer Versorgung zu.7
  • In der terminalen Phase einer malignen Erkrankung hingegen kann es sinnvoll sein, nicht mit allen modernen Möglichkeiten zu intervenieren.1
    • Bei der Versorgung solcher Notfälle steht die Palliation im Vordergrund:6
      • Symptomlinderung
      • Verbesserung der Lebensqualität
      • evtl. Lebensverlängerung.

Metabolische Störungen

Hyperkalzämie

  • Eine Hyperkalzämie ist die häufigste lebensbedrohliche metabolische Entgleisung bei onkologischen Patient*innen.8
    • Tritt bei ca. 20 % der Patient*innen mit einer malignen Erkrankung auf.9
    • Eine ausgeprägte, therapiebedürftige Hyperkalzämie ist aber deutlich seltener.10
  • Pathophysiologie
    • am häufigsten (ca. 80 %) durch humorale Störung mit paraneoplastischer Bildung von Parathormon-related Peptid (PTHrP)11
    • Zweithäufigste Ursache sind osteolytische Metastasen.11
    • seltener verursacht durch Mehrsekretion von 1,25-Dihydroxycholecalciferol11
  • Grunderkrankungen
  • Klinisches Bild
  • Diagnostik
    • Für die Symptomatik entscheidend ist das nicht proteingebundene Kalzium, bei Hypalbuminämie kann dieser Anteil unterschätzt werden.12
    • Erste Symptome treten in der Regel ab Serumkalziumwerten > 2,7 mmol/l auf, schwere Symptome ab > 3,5 mmol/l.11
  • Therapie
    • Die Basistherapie besteht aus:5
      • Hydratation
      • Gabe von Biphosphonaten.
    • Ergänzend können verabreicht werden:5
      • Calcitonin
      • Kortikosteroide
      • Furosemid.
    • Neben der symptomatischen Senkung des Kalziumspiegels ist vor allem auch eine effektive Tumortherapie als kausale Maßnahme entscheidend.8

Tumorlysesyndrom

  • Pathophysiologie
  • Grunderkrankungen
    • Klassische Risikoerkrankungen sind akute lymphatische Leukämien oder fortgeschrittene Burkitt-Lymphome.10
      • Kann auch spontan bei hochproliferativen Erkrankungen auftreten.
    • seltener bei soliden Tumoren mit hoher Tumorlast und gutem Ansprechen auf die Therapie6
  • Laborchemisches und klinisches Bild
    • Auftreten 12–72 h nach Behandlungsbeginn mit Chemotherapeutika, Antikörper-/Immuntherapie, Radiotherapie, im Einzelfall auch nach Glukokortikoiden14
    • Es wird zwischen laborchemischem und klinischem TLS unterschieden (Cairo-Bishop-Definition).15
    • Laborchemisches TLS bei mindestens 2 pathologisch erhöhten oder > 25 % des Ausgangswertes angestiegenen Serumparametern:15
    • Klinisches TLS liegt vor, wenn zusätzlich mindestens 1 der folgenden Kriterien erfüllt ist:
  • Prävention
    • Eine gute Hydrierung ist die wichtigste präventive Maßnahme.13
    • Allopurinol bei Patient*innen mit niedrigem oder mittlerem Risiko für ein TLS vermindert die Inzidenz einer Uratnephropathie.14
    • Bei Hochrisikopatient*innen für TLS kann das Urolytikum Rasburicase den Harnsäurespiegel effizient senken.14
  • Therapie
    • intensivmedizinische Behandlung mit:14
      • Flüssigkeitsbilanzierung
      • Management der Elektrolytstörungen
      • ggf. Nierenersatzverfahren.

SIADH 

  • Pathophysiologie
    • inadäquate Produktion von antidiuretischem Hormon durch Tumorgewebe (SIADH = Syndrom der inadäquaten Produktion von antidiuretischem Hormon)
    • vermehrte renale Rückresorption von Wasser im Sammelrohr mit hypotoner Hyponatriämie6
    • zur Erhaltung der Normovolämie vermehrte Ausscheidung von Natrium und Wasser mit Verstärkung der Hyponatriämie6
  • Grunderkrankungen
    • vor allem kleinzellige Bronchialkarzinome, Karzinome des Gastrointestinal- und des HNO-Bereichs, bei zentralnervöser Metastasierung durch jedes Malignom12
    • Auch Chemotherapeutika (z. B. Cisplatin, Vincristin, Ifosfamid) können eine erhöhte ADH-Produktion der Hypophyse auslösen.12
  • Klinisches Bild
  • Diagnostik
    • Bei Tumorpatient*innen mit normovolämischer Hyponatriämie sollte ein SIADH erwogen werden.4
    • Im Labor wegweisend sind Hyponatriämie, verminderte Serumosmolalität (< 275 mOsm/kg) sowie erhöhte Harnosmolalität (> 100 mOsm/kg) und erhöhtes Harnnatrium (> 40 mmol/l).12
  • Therapie
    • Eine kausale Therapie ist die Behandlung der Tumorerkrankung.
    • Zur symptomatischen Behandlung langsames Anheben des Natriumspiegels, bei zu schneller Korrektur besteht die Gefahr der zentralen pontinen Myelinolyse.

Hämatologische Störungen

Febrile Neutropenie

  • Definition
    • Febrile Neutropenie (FN) ist definiert als Kombination aus:16
      • einmalig erhöhter oraler Körpertemperaturmessung ≥ 38,3 °C oder anhaltender Temperaturerhöhung ≥ 38,0 °C über einen Zeitraum von 1 h – und –
      • neutrophilen Granulozyten < 500/μl bzw. < 1.000/μl mit zu erwartendem Abfall auf < 500/μl innerhalb der nächsten 48 h.
  • Risikostratifizierung vor Chemotherapie und Prophylaxe mit G-CSF
    • Abhängig vom Risiko durch das spezifische Tumortherapieregime für eine FN und von individuellen Risikofaktoren für FN ergibt sich ggf. die Indikation für eine prophylaktische Gabe von G-CSF (Granulozyten-Kolonie-stimulierende Faktoren).17
    • Vor der Chemotherapie sollten daher patientenindividuelle Risikofaktoren evaluiert werden.17
      • Alter > 65 Jahre
      • niedriger Performancestatus (z. B. Karnofsky-Index)
      • Komorbiditäten (COPD, Herzinsuffizienz, HIV-Infektion, Autoimmunerkrankung, Niereninsuffizienz)
      • fortgeschrittene, symptomatische Tumorerkrankung
      • St. n. Chemotherapie
      • Labor: Anämie, Lymphozytopenie < 700/μl, Hypalbuminämie, Hyperbilirubinämie
  • Klinik
    • zunehmendes Risiko für neutropenisches Fieber mit dem Schweregrad und zunehmender Dauer der Neutropenie18
    • auch bei nur leichtem Fieber lebensbedrohlicher Zustand wegen der Gefahr der raschen Entwicklung einer Sepsis
    • initial häufig unspezifische Allgemeinveränderungen wie körperliche Schwäche, Gliederschmerzen als Hinweis auf generalisierte Infektion10
    • Bei einem Großteil der Patient*innen ist kein konkreter Infektfokus nachweisbar.10
    • Mortalitätsraten bis 18 % für gramnegative und 5 % für grampositive Infektionen19
    • Knapp die Hälfte der Krebspatient*innen mit Sepsis sind neutropen und/oder St. n. Chemotherapie.20
  • Diagnostik
    • Neben der körperlichen Untersuchung sollten durchgeführt werden:16
      • Blutuntersuchung: (Differenzial-)Blutbild, Nieren- und Leberwerte, Gerinnung, CRP
        • Der Tiefstwert der Granulozytenzahl tritt überwiegend nach 1–2 Wochen auf, je nach verwendetem Chemotherapeutikum nach 4–42 Tagen.18
      • Blutkulturen (aerob/anaerob) einschließlich Kulturen aus venösen Kathetern
      • Urinanalyse und -kultur
      • Mikroskopie und Kultur von Sputum und Stuhl bei V. a. entsprechenden Fokus
      • Röntgen-Thorax
      • evtl. weitere Untersuchungen wie bronchoalveoläre Lavage und CT bei anhaltender Neutropenie/Fieber
  • Therapie
    • Rasches Handeln ist entscheidend, Patient*innen mit V. a. febrile Neutropenie sollten umgehend zur weiteren Abklärung und antibiotischen Therapie hospitalisiert werden.
    • Das Risiko für Komplikationen und damit die Prognose kann stratifiziert werden, z. B. mit dem MASCC-Score.21
    • Patient*innen mit niedrigem Risiko können z. T. oral antibiotisch behandelt und zeitnah wieder aus der Klinik entlassen werden.16
      • Eine orale Therapie ist die Alternative vor allem bei hämodynamisch stabilen Patient*innen ohne Organversagen, Pneumonie, Venenkatheterinfektion oder schwerer Weichteilinfektion.22
    • Patient*innen mit hohem Risiko werden intravenös antibiotisch behandelt.16
    • Die erste Verabreichung der antibiotischen Therapie sollte innerhalb 1 Stunde nach stationärer Aufnahme erfolgen.16

Hyperviskositätssyndrom

  • Pathophysiologie
    • Hohe Konzentration zirkulierender Immunglobuline führt zu erhöhter Viskosität des Blutes und Hypoperfusion.4
  • Grunderkrankungen 
  • Klinisches Bild
  • Therapie
    • Plasmapherese, u. U. auch wiederholt4

Morphologische Störungen

Vena-cava-superior-Syndrom

  • Pathophysiologie
    • teilweise oder vollständige Einschränkung des Blutflusses durch die V. cava superior in den rechten Vorhof
    • Das Vena-cava-superior-Syndrom kann ausgelöst werden durch:10
      • Kompression von außen durch den Tumor
      • Einwachsen des Tumors
      • Thrombosierung.
    • Entwicklung meist über Wochen mit Entstehung eines Kollateralkreislaufs, daher besteht in diesen Fällen keine akute Lebensgefahr.5
      • in seltenen Fällen plötzlicher Verschluss mit intrakraniellem Druckanstieg und Hirnödem5
    • Streng genommen handelt es sich daher nur bei Patient*innen mit rascher Progredienz der klinischen Symptomatik und schwerem Leidensdruck um eine Notfallsituation.2
  • Grunderkrankungen
  • Klinisches Bild
    • Das klinische Bild zeichnet sich vor allem aus durch:2
      • Zunahme des Halsumfangs
      • Schwellung des Gesichts und u. U. auch der Arme
      • venöse Stauung
      • Zyanose des Oberkörpers mit Ausbildung von Kollateralen
      • Zunahme der Beschwerden bei flachem Liegen.
    • Bei schneller Entstehung mit Hirnödem auch Kopfschmerzen, Vigilanzstörungen
  • Diagnostik
    • primär klinische Diagnose
    • ergänzende Bildgebung mit CT oder MRT zur genauen Beurteilung des Pathomechanismus
  • Therapie
    • Behandlung der Grunderkrankung durch Chemotherapie und/oder Bestrahlung
    • durch Stenting der V. cava komplette Symptomfreiheit innerhalb von 3 Tagen bei 83 % der Betroffenen, partielle Besserung bei 15 % der Patient*innen25
    • nur selten Indikation zu chirurgischem Vorgehen aufgrund der zumeist begrenzten Lebenserwartung26
    • Der Evidenzlevel zu den verschiedenen Therapieoptionen ist gering, die Entscheidung ist abhängig von der klinischen Symptomatik, Histologie und Tumorausdehnung, aber auch von den zur Verfügung stehenden Ressourcen und Expertisen.25

Epidurale Rückenmarkskompression

  • Pathophysiologie
    • Ein Kompressionssyndrom wird hauptsächlich durch Metastasen verursacht.25
    • Es gibt 4 mögliche Mechanismen, die zur Kompression der neuronalen Strukturen führen können:25
      1. Tumor in Wirbelkörper oder Bogenwurzeln mit Wachstum in Richtung des Rückenmarks
      2. Tumor, der die mechanische Stabilität der Wirbelsäule zerstört.
      3. intraduraler oder intraspinaler Tumor ohne Beteiligung des Achsenskelettes
      4. Tumorinvasion durch die Foramina intervertebralia.
  • Grunderkrankungen
  • Klinisches Bild
    • Tritt am häufigsten im Bereich der thorakalen, gefolgt von der lumbosakralen Wirbelsäule auf.27
    • Schmerzen durch Knocheninfiltration können bereits Monate vor den neurologischen Ausfällen auftreten.5
    • klinische Zeichen einer malignen Kompression27
      • neue oder progrediente Schmerzen im Bereich der Wirbelsäule
      • Schmerzen in der Wirbelsäule beim Husten, Niesen, Pressen
      • Gehschwäche
      • radikuläre Schmerzen
      • Schwäche in den Extremitäten
      • sensible Ausfälle
      • Verlust von Blasen- und/oder Stuhlkontrolle.28
    • Typisch ist auch eine Schmerzverstärkung beim Hinlegen.28
  • Diagnostik
    • klinische neurologische Untersuchung
    • bei klinischem Verdacht Abklärung mittels MRT innerhalb von 48 h5,28
  • Therapie
    • Ziel der therapeutischen Maßnahmen ist:25
      • Normalisierung des neurologischen Status
      • lokale Tumorkontrolle
      • Achsenstabilität
      • Schmerzfreiheit.
    • Bereits durch die Hausärztin/den Hausarzt kann die Gabe von hochdosiert Dexamethason erfolgen (20–40 mg Bolus i. v. oder p. o.).27
    • anschließend sofortige Einweisung in ein Zentrum der Maximalversorgung27
    • Der Nachweis einer symptomatischen epiduralen Kompression in der MRT muss zu sofortigen weiteren Therapiemaßnahmen führen.17
    • bei gutem Allgemeinzustand und ausreichender Prognose notfallmäßige Dekompression zur Vermeidung bleibender neurologischer Defizite17
    • Die chirurgische Behandlung hat den größten Effekt in kürzester Zeit.2
    • Alternativ kann in der palliativen Situation eine Strahlentherapie durchgeführt werden.2

Maligner Perikarderguss

  • Pathophysiologie
    • Behinderung der kardialen Füllung durch den Erguss mit Verminderung der Vorlast
    • konsekutiv Verminderung des Schlagvolumens und letztlich auch des Herzminutenvolumens trotz kompensatorischer Tachykardie
    • Sich langsam entwickelnde Perikardergüsse können erst bei großer Ergussmenge symptomatisch werden.
    • Bei rascher Entwicklung des Ergusses genügen bereits kleinere Mengen für eine hämodynamische Wirksamkeit mit dem Bild der Tamponade.
  • Grunderkrankungen
    • Bronchialkarzinom häufigster zugrunde liegender Tumor
    • Andere häufiger zugrunde liegende Tumoren sind Mammakarzinom, gastrointestinale Karzinome, Melanome, Lymphome und Leukämien10
    • Ein maligner Perikarderguss ist definiert durch den Nachweis maligner Zellen (in Ergussflüssigkeit, Perikard oder Epikard) in Abgrenzung zum malignomassoziierten Perikarderguss.26
      • Bei ca. 2/3 der Patient*innen mit Malignom ist der Erguss durch nichtmaligne Ursachen, z. B. Bestrahlung oder opportunistische Infektionen verursacht.29
  • Klinisches Bild
  • Diagnostik
    • Diagnosesicherung erfolgt durch Echokardiografie
      • Abschätzung der Ergussmenge
      • Beurteilung der hämodynamischen Wirksamkeit des Ergusses
    • Bei V. a. malignen Erguss sollte eine Punktion des Ergusses mit zytologischer Analyse erfolgen.
  • Therapie
    • Eine Perikardtamponade soll zur Symptomlinderung und hämodynamischen Stabilisierung möglichst rasch durch Punktion behandelt werden.29
    • Bei großen Ergüssen wird wegen der hohen Rezidivrate (40–70 %) eine Drainage mit Katheter empfohlen.29
      • Zur Verhinderung von Rezidiven sollte die intraperikardiale Installation von sklerosierenden Medikamenten erwogen werden.29
    • Bei schwierig zu punktierenden Ergüssen ist die chirurgische Perikardfensterung eine Alternative.

Maligne Atemwegsobstruktion

  • Pathophysiologie
    • Einengung der Atemwege durch Primärtumoren oder Metastasen
    • Die Art der Kompression der Atemwege kann klassifiziert werden in:
      • extraluminal
      • endoluminal
      • gemischt.
    • eine häufige Definition der malignen zentralen Atemwegsobstruktion: ≥ 50 % Einengung des Querschnitts von Trachea oder Bronchien30
      • Entscheidend ist letztlich, ob die Obstruktion symptomatisch ist.
  • Grunderkrankungen
  • Klinisches Bild
  • Diagnostik
    • CT: Darstellung auch der umgebenden Strukturen  
    • Bronchoskopie: Möglichkeit zur Biopsie und Intervention
  • Therapie
    • Medikamentös: Patient*innen mit nicht heilbarer Krebserkrankung und Atemwegsobstruktion durch den Tumor können zur Linderung von Atemnot mit Kortikosteroiden behandelt werden.32
      • z. B. 8 mg Dexamethason tgl. morgens für 1 Woche, anschließend schrittweise Reduktion um 2 mg alle 3 Tage bis zur niedrigst möglichen Erhaltungsdosis
    • Bronchoskopische Intervention: für die interventionelle Akutbehandlung bei mechanischer Atemwegsobstruktion stehen verschiedene Techniken zur Verfügung.
      • Optionen zur Behandlung der obstruhierenden Raumforderung sind z. B. mechanisches Debridement, thermische Behandlung mit Laser oder Elektrokauter und Kryotherapie.31
      • Stentimplantation ist eine Option zum Offenhalten der Atemwege ohne direkte Behandlung der Raumforderung31,33
    • Eine maligne Atemwegsobstruktion stellt einen Risikofaktor für das Versagen einer nichtinvasiven Beatmung dar.34

Hirndruck

  • Pathophysiologie
    • Hirndruckerhöhung bei Krebspatient*innen35
      • ganz überwiegend verursacht durch Tumorwachstum (vor allem Metastasen, primärer Hirntumor < 10 % der Fälle)
      • seltener verursacht durch Blutungen
    • Durch rasches Tumorwachstum entsteht ein interstitielles Ödem.35
  • Grunderkrankungen
  • Klinisches Bild
  • Diagnostik
    • zerebrale Bildgebung mit MRT
    • Funduskopie: Papillenödem
  • Therapie
    • Dexamethason zur Linderung des Hirndrucks, schrittweise Dosisreduktion sobald wie möglich, weitere Gabe mit niedrigster noch effektiver Dosis17
      • bei moderaten Beschwerden meist Dosierungen von 4–8 mg/d ausreichend
      • bei ausgeprägter Symptomatik initial einmalige Dosis von 50–100 mg i. v. unter Magenschutz, für weitere 2–3 Tage 24–32 mg i. v., dann Erhaltungsdosis von 4–8 mg/d p. o.
    • bei einzelner Hirnmetastase evtl. chirurgische oder stereotaktische radiochirurgische Behandlung5
    • bei fortgeschrittener Erkrankung bevorzugt Ganzhirnbestrahlung5

Sonstige therapiebedingte Störungen

Paravasate

  • Pathophysiologie
    • Bei einem Paravasat kommt es definitionsgemäß17
      • entweder zu einer versehentlichen Injektion des Tumortherapeutikums in das Gewebe
      • oder zu einem Austritt des Tumortherapeutikums aus einem Gefäß in das umliegende Gewebe.
    • Es handelt sich um eine potenziell schwerwiegende Komplikation mit Gewebeschädigung von lokaler Entzündung bis hin zur Nekrose.17
      • In schweren Fällen mit Zerstörung von Nerven und Muskulatur ist ein vollständiger Funktionsverlust der betroffenen Extremität bis hin zur Amputation möglich.17
    • Die Schwere der Paravasatreaktion ist abhängig vom eingesetzten Therapeutikum (Unterscheidung in 3 Klassen: 
      • gewebenekrotisierender Substanztyp, gewebereizender Substanztyp und nicht gewebeschädigender Substanztyp).36
  • Klinisches Bild
    • klinischer Verlauf am Beispiel einer Anthrazyklininfusion17
      • sofort: brennende, stechende Schmerzen mit lokaler Schwellung und Rötung
      • innerhalb von Stunden: Ödem mit zunehmenden Schmerzen und lokaler Rötung
      • innerhalb von Tagen: Induration mit Thrombosierung von Kapillaren
      • nach mehreren Wochen: evtl. weiterhin Schmerzen, Sklerosierungen, Hautatrophien, evtl. Exulzerationen
      • nach Wochen und Monaten: Stillstand der Ulzerationen, Abheilung beginnt nach ca. 6 Monaten
      • Dauerschäden: Kontrakturen mit Dauerschmerzen; in Ausnahmefällen Amputation der betroffenen Extremität notwendig
  • Therapie
    • Für den Fall eines Paravasats sollte ein Paravasatnotfallset zur Verfügung stehen.17
    • Sofortmaßnahmen17,36
      • Infusion beenden, Kanüle oder Portnadel belassen.
      • Paravasatnotfallset besorgen, Handschuhe anziehen.
      • Keinen Druck auf die Paravasatstelle ausüben.
      • Mit einer 10-ml-Spritze so viel wie möglich des Paravasats aspirieren, anschließend Kanüle oder Portnadel unter Aspiration entfernen.
      • Hochlagerung und Ruhigstellung der betroffenen Extremität, Analgesie, Applikation von trockener Kälte oder Wärme
      • Applikation eines Antidots (falls indiziert, keinesfalls über gleichen Zugang)
      • Konsultation einer Chirurgin/eines Chirurgen (falls indiziert)
      • sorgfältige Dokumentation des Paravasats, wiederholte Kontrollen und Dokumentation
      • keine Okklusivverbände oder Alkoholumschläge
      • Aufklärung der Patient*innen

Quellen

Leitlinien

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  • Deutsche Gesellschaft für Palliativmedizin. Palliativmedizin für Patienten mit einer nicht heilbaren Krebserkrankung. AWMF-Nr.128-001OL. S3, Stand 2019. www.awmf.org
  • European Society for Medical Oncology. Management of febrile neutropaenia. Stand 2016. www.esmo.org

Literatur

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Autor*innen

  • Michael Handke, Prof. Dr. med., Facharzt für Innere Medizin, Kardiologie und Intensivmedizin, Freiburg i. Br.
  • Die ursprüngliche Version dieses Artikels basiert auf einem entsprechenden Artikel im norwegischen hausärztlichen Online-Handbuch Norsk Elektronisk Legehåndbok (NEL, https://legehandboka.no/).

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