Hepatorenales Syndrom (HRS)

Zusammenfassung

  • Definition:Potenziell reversible Nierenfunktionsstörung bei Patient*innen mit fortgeschrittener Leberzirrhose und Aszites.
  • Häufigkeit:Häufig bei fortgeschrittener Zirrhose mit Aszites.
  • Symptome:Wie bei einer fortgeschrittenen Zirrhose und einer Niereninsuffizienz.
  • Befunde:Wie bei einer fortgeschrittenen Zirrhose und einer Niereninsuffizienz.
  • Diagnostik:Ausschlussdiagnose anderer Ursachen einer Niereninsuffizienz. Kreatinin im Serum kann bei Patient*innen mit niedriger Muskelmasse falsch-niedrig sein.
  • Therapie:Bei akutem hepatorenalem Syndrom Vasokonstriktoren (Terlipressin) und Albumingabe. Therapie von Infektionen und Blutungen. Prävention durch Vermeidung nephrotoxischer Substanzen.

Allgemeine Informationen

Definition

  • Potenziell reversible Nierenfunktionsstörung bei Patient*innen mit fortgeschrittener Leberzirrhose und Aszites oder bei Patient*innen mit alkoholischer Steatohepatitis1

Leitlinie: Komplikationen der Leberzirrhose1

Definition

  • Das hepatorenale Syndrom (HRS) ist definiert als potenziell reversible Nierenfunktionsstörung bei Patient*innen mit Leberzirrhose und Aszites oder bei Personen mit alkoholischer Steatohepatitis.
  • Es werden zwei Formen unterschieden:
    1. HRS Typ I ist charakterisiert durch rasches Nierenversagen, definiert als Verdoppelung des Serumkreatinins auf über 2,5 mg/dl (226 mmol/l) in weniger als 2 Wochen.
    2. HRS Typ II ist oft mit refraktärem Aszites vergesellschaftet und zeigt ein moderates Nierenversagen mit Serumkreatinin-Werten zwischen 1,5 und 2,5 mg/dl (133–226 mmol/l) bei stabilem oder langsam fortschreitendem Verlauf.
  • HRS Typ 1 hat eine ungünstige Prognose.
  • HRS Typ 2 zeigt einen stabileren, langsamer fortschreitenden Verlauf, die Prognose ist besser. 
  • Cave: Bei Patient*innen mit Leberzirrhose und niedriger Muskelmasse kann ein Nierenversagen auch bei niedrigeren Serumkreatinin-Werten vorliegen, Kreatinin ist daher nicht der zuverlässigste diagnostische Marker.1

Häufigkeit

  • Selten bei Leberzirrhose ohne Aszites, häufig bei fortgeschrittener Zirrhose mit Aszites und Ödemen.2
  • Bei Patient*innen, die wegen aktuer Dekompensation einer Leberzirrhose stationär aufgenommen werden, haben zu 20–50 % ein akutes Nierenversagen.3
  • Die Wahrscheinlichkeit für Patient*innen mit Zirrhose und Aszites, ein HRS zu entwickeln, liegt bei 40 % in 5 Jahren.4
  • Nierenversagen ist die häufigste Manifestation (> 50 %) eines akut-auf-chronischen Leberversagens.1

Ätiologie und Pathogenese

  • Der Abschnitt basiert auf dieser Referenz.5
  • Das HRS ist ein funktionelles Geschehen.
    • Es ist prinzipiell reversibel.
  • Eine Vasodilatation im Splanchnikus-Gebiet infolge Überproduktion von vasodilatierenden Substanzen (NO, Kohlenmonoxid, Endocannabinoide) wird als der hauptsächlich auslösende Mechanismus gesehen.
    • Der peripher-vaskuläre Widerstand sinkt.
    • Kompensatorische Mechanismen (Sympathikusaktivierung, RAAS-Aktivierung, Freisetzung von Vasopressin) führen zu einer peripheren Vasokonstruktion und Minderdurchblutung der Nieren mit Abfall der GFR.
    • Wird dieser Kreislauf nicht unterbrochen, kommt es zu Schäden des Nierenparenchyms mit akuter tubulärer Nekrose.

Disponierende Faktoren

  • Fortgeschrittene Zirrhose mit Aszites6
  • Hyponatriämie bei Menschen mit Leberzirrhose6
  • Auch die alkoholische Steatohepatitis begünstigt die Entstehung eines HRS.
  • Zu den Auslösern zählen Hypovolämie (durch radikale Aszites-Therapie, GI-Blutungen, Diarrhö, vermehrte Diuratika-Gabe), nephrotoxische Medikamente und bakterielle Infekte.4

ICPC-2

  • D97 Leberkrankheit IKA

ICD-10

  • K76 Sonstige Krankheiten der Leber
    • K76.7 Hepatorenales Syndrom

Diagnostik

Diagnostische Kriterien 

  • Der Abschnitt basiert auf dieser Referenz.1
  • Fortgeschrittene Zirrhose mit Aszites
  • Serumkreatinin > 1,5 mg/dl (> 133 mmol/l)
  • Keine Besserung des Serumkreatinins auf Werte < 1,5 mg/dl (< 133 mmol/l) nach mindestens zweitägiger Pausierung aller Diuretika und Volumenexpansion mit Albumin
  • Ausschluss eines Schockgeschehens
  • Keine laufende oder kürzlich erfolgte Therapie mit nephrotoxischen Medikamenten
  • Ausschluss einer parenchymatösen Nierenerkrankung
    • keine Proteinurie > 500 mg/d
    • keine Mikrohämaturie > 50 Erythrozyten/HPF
    • unauffälliges Urin-Sediment
    • unauffällige Nierensonografie

Differenzialdiagnosen

  • Andere Ursachen für eine akute Niereninsuffizienz bei Patient*innen mit Zirrhose
  • Andere Ursachen für eine kombinierte Einschränkung der Nieren- und Leberfunktion

Anamnese

Klinische Untersuchung

  • Vitalparameter
  • Befunde einer Leberzirrhose/chronischen Leberinsuffizienz
  • Beurteilung des Hydrierungsgrades (Blutdruck, Hauttemperatur und -turgor, halonierte Augen, trockene Schleimhäute, verzögerte Rekapillarisierungszeit)
  • Beurteilung des Füllungsgrades der Harnblase durch Palpation und Perkussion
  • Beurteilung des Aszites durch Palpation und Perkussion

Diagnostik bei Spezialist*innen

  • Blut
    • BB, CRP, Elektrolyte (Na, K und ggf. Ca), NFP, LFP, Gerinnung (Quick, PTT), Albumin, OsmolalitätCholinesteraseCystatin C
      • Bei akuter Dekompensation einer chronischen Lebererkrankung kann Cystatin C im Serum oder Plasma zur Beurteilung zur Beurteilung einer akuten Nierenschädigung bzw. der Prognose bestimmt werden.1
      • Ein Nierenversagen kann aufgrund der niedrigen Muskelmasse von Patient*innen mit Leberzirrhose auch bei einem niedrigeren Kreatinin vorliegen.1
  • Harn
  • Bilanzierung (Ein- und Ausfuhr)
  • Nierensonografie
  • Nierenbiopsie
    • Kann zur differenzialdiagnostischen Abklärung hilfreich sein, u. a. um eine Glomerulonephritis oder eine akute tubuläre Nekrose auszuschließen.
    • Bei HRS lassen sich keine histopathologischen Veränderungen feststellen.

Indikationen zur Klinikeinweisung

  • Großzügige Einweisung von Patient*innen mit fortgeschrittener Leberzirrhose bei Zuständen, die mit einer Hypovoolämie einhergehen (Infekt, Blutung, Diarrhö etc.).
  • Bei jeglicher AZ-Verschlechterung und (auch geringgradiger) Erhöhung der Nierenwerte
  • Bei manifestem hepatorenalem Syndrom nach Diagnosekriterien immer sofort

Therapie

Therapieziele

  • Leber- und damit Nierenfunktion verbessern.
  • Einen irreversiblen Nierenparenchymschaden vermeiden. 
  • Ggf. bis zur Lebertransplantation überbrücken.
    • Bei Dialysepflicht Leber- und Nierentransplantation erwägen.

Allgemeines zur Therapie

  • Die Behandlungsprinzipien unterscheiden sich bei HRS Typ 1 und HRS Typ 2.1
    • Typ 1 wird mit Terlipressin (alternativ Noradrenalin) und Albumin behandelt.
    • Typ 2 in Analogie zur Aszites-Therapie bei Leberzirrhose.
  • Nierenschädigende Medikamente vermeiden.

Medikamentöse Therapie

  • Absetzen potenziell nephrotoxischer Medikamente!
    • ACE-Hemmer und Sartane vermindern die GFR weiter und sind kontraindiziert!4
  • Das Vasopressinanalogon Terlipressin wirkt stärker auf die mesenterialen als auf die renalen Gefäße, was die Zirkulation in den Nieren positiv beeinflusst.1,7
    • Cave: Rote-Hand-Brief zu Terlipressin vom 01.12.22!
      • Aufgrund des erhöhten Vorkommens von schwerer oder letaler Ateminsuffizienz sowie des erhöhten Risikos eines septischen Schocks bei Patient*innen mit hepatorenalem Syndrom Typ 1 nach Terlipressin-Gabe wird empfohlen, die Terlipressin-Gabe bei Serum-Kreatinin > 5 mg/dl oder ACLF (Acute-on-Chronic Liver Failure) Grad 3 und/oder einem MELD-Score (Model for End-stage Liver Disease) ≥ 39 zu vermeiden.8
  • Die Kombination aus Vasokonstriktoren und Albumin ist effektiver und Standard.1

Weitere Therapieoptionen

  • TIPS (transjugulärer intrahepatischer portosystemischer Shunt)
    • Kann bei Patient*innen ohne schwere Leberinsuffizienz hilfreich sein, die auf eine Behandlung mit Vasokonstriktor nicht angesprochen haben.
    • Führt sowohl bei Patient*innen mit HRS Typ I als auch Typ II zu einer (längerfristigen) Verbesserung der Nierenfunktion und dadurch möglicherweise auch zu einer Überlebensverlängerung.1
    • TIPS ist kontraindiziert bei vorbestehender Enzephalopathie ≥ Grad 2 oder eingeschränkter Leberfunktion (Bilirubin > 3–5 mg/dl [51–85 µmol/l]).1
  • Nierenersatzverfahren
    • Kann bei Patient*innen zur Überbrückung der Wartezeit auf ein Spenderorgan oder bei Patient*innen mit akuten, potenziell reversiblen Ursachen eingesetzt werden.2 
  • Transplantation
    • Die Lebertransplantation ist die einzige potenziell kurative Therapie des HRS und soll bei geeigneten Patient*innen angestrebt werden.1

Prävention

  • Frühzeitige Diagnosestellung und Behandlung jeglicher Zustände, die mit Hypovolämie einhergehen, z. B. Infektionen, Blutungen.
  • Vermeidung nephrotoxischer Substanzen bei Patient*innen mit Leberzirrhose!
    • NSAR; ACE-Hemmer, Sartane, Aminoglykoside, Diuretika etc.4
  • Die Gabe von Albumin nach Aszites-Punktion senkt das Risiko für ein HRS.6

Verlauf, Komplikationen und Prognose

Verlauf

  • Verlauf bei HRS Typ 1 oft schnell progredient, bei Typ 2 langsamer1

Komplikationen

Prognose

  • Die Mortalität ist vor allem beim HRS Typ 1 sehr hoch.
    • Die mittlere Überlebensrate von HRS Typ 1 ist 2 Wochen, die von Typ 2 6 Monate.9
    • Überlebensrate nach HRS Typ 1:10 36 %9
  • Von allen Komplikationen der Leberzirrhose ist das HRS die mit der höchsten Mortalität.

Patienteninformationen

Worüber sollten Sie die Patient*innen informieren?

  • Es besteht das Risiko für ein HRS bei fortgeschrittener Lebererkrankung.
  • Nierenschädigende Medikamente vermeiden.
  • Über die Symptome eines Nierenversagens

Patienteninformationen in Deximed

Quellen

Leitlinien

  • Deutsche Gesellschaft für Gastroenterologie, Verdauungs- und Stoffwechselkrankheiten e. V. (DGVS). S2k-Leitlinie Komplikationen der Leberzirrhose. AWMF-Leitlinie Nr. 021-017, Stand 2018. register.awmf.org

Literatur

  1. Deutsche Gesellschaft für Gastroenterologie, Verdauungs- und Stoffwechselkrankheiten e. V. (DGVS). S2k-Leitlinie Komplikationen der Leberzirrhose. AWMF-Leitlinie Nr. 021-017, Stand 2018. register.awmf.org
  2. Ginès P, Schrier RW. Renal Failure in Cirrhosis. New England Journal of Medicine 2009. www.nejm.org
  3. Gupta K, Bhurwal A, Law C, Ventre S, Minacapelli CD, Kabaria S, Li Y, Tait C, Catalano C, Rustgi VK. Acute kidney injury and hepatorenal syndrome in cirrhosis. World J Gastroenterol. 2021 Jul 14;27(26):3984-4003. www.ncbi.nlm.nih.gov
  4. Herold G (Hrsg.) Innere Medizin. Köln, 2021.
  5. Ojeda-Yuren AS, Cerda-Reyes E, Herrero-Maceda MR, Castro-Narro G, Piano S. An Integrated Review of the Hepatorenal Syndrome. Ann Hepatol. 2021 May-Jun;22:100236. www.sciencedirect.com
  6. Simonetto DA, Gines P, Kamath PS. Hepatorenal syndrome: pathophysiology, diagnosis, and management. BMJ 2020;370:m2687. diposit.ub.edu
  7. McCormick PA, Donnelly C. Management of hepatorenal syndrome. Pharmacology & Therapeutics Elsevier 2008. www.sciencedirect.com
  8. Bundesinstitut für Arzneimittel und Medizinprodukte (BfArM). Rote-Hand-Brief Terlipressin. 01.12.2022. www.bfarm.de
  9. Kepros J. Hepatorenal syndrome. BMJ Best Practice, Last updated: 20 Jun 2023, letzter Zugriff 9.8.23. bestpractice.bmj.com
  10. Ginès P, Guevara M, Arroyo V, Rodés J. Hepatorenal syndrome. The Lancet 2003. www.sciencedirect.com

Autor*innen

  • Franziska Jorda, Dr. med., Fachärztin für Allgemeinmedizin und für Viszeralchirurgie, Kaufbeuren
  • Die ursprüngliche Version dieses Artikels basiert auf einem entsprechenden Artikel im norwegischen hausärztlichen Online-Handbuch Norsk Elektronisk Legehåndbok (NEL, https://legehandboka.no/).

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