Zusammenfassung
- Definition:Erweiterung der inneren und/oder äußeren Liquorräume aufgrund eines Überschusses an Liquor cerebrospinalis durch Abflussbehinderung, Resorptionsstörung oder übermäßige Produktion. Man unterscheidet angeborene und erworbene Formen.
- Häufigkeit:Die Häufigkeit eines angeborenen Hydrozephalus liegt bei etwa 1 pro 1.000 Geburten. Ein erworbener Hydrozephalus ist die gemeinsame Endstrecke zahlreicher, heterogener ZNS-Erkrankungen unterschiedlicher Häufigkeit.
- Symptome:Bei Säuglingen und Kleinkindern oft vergrößerter Kopfumfang (Makrozephalie) und Entwicklungsverzögerung, teils auch symptomarm. Bei älteren Kindern und Erwachsenen progrediente Hirndrucksymptomatik mit Kopfschmerzen, Übelkeit, Erbrechen und Bewusstseinsstörungen.
- Befunde:Bei Säuglingen erhöhter Kopfumfang und vorgewölbte, gespannte Fontanelle. Bei Kindern ab 2 Jahren und Erwachsenen Zeichen des erhöhten intrakraniellen Drucks (Hirnnervenausfälle, Stauungspapillen).
- Diagnostik:Zerebrale Bildgebung (MRT oder CT) zum Nachweis der erweiterten Liquorräume. Bei Säuglingen ggf. Schädelsonografie an der noch offenen Fontanelle.
- Therapie:In der Regel operativ-interventionelle Therapie zur Liquordrainage mittels temporärer externer Ventrikeldrainage (EVD) oder Liquorshuntanlage. Nach Möglichkeit Behandlung der Grunderkrankung.
Allgemeine Informationen
Definition
- Hydrozephalus bezeichnet eine Erweiterung der inneren und/oder äußeren Liquorräume durch ein erhöhtes Volumen an Liquor cerebrospinalis oder eine Liquorzirkulationsstörung.1-5
- Im Falle einer Liquorzirkulationsstörung führt der Hydrozephalus zu einem erhöhten intrakraniellen Druck.5-6
Klassifikation nach Kompartiment1,3-5
- Hydrocephalus internus
- Erweiterung der inneren Liquorräume (Ventrikel)
- z. B. durch Passagestörung im Bereich des Aquaeductus mesencephali
- Hydrocephalus externus
- Erweiterung der äußeren Liquorräume
- z. B. durch Verklebung der Arachnoidalzotten nach einer Blutung in den Subarachnoidalraum (SAB)
- Hydrocephalus internus et externus
- Erweiterung der inneren und äußeren Liquorräume, auch „Hydrocephalus communicans“ oder kommunizierender Hydrozephalus
Klassifikation nach Ätiopathogenese1,3,5
- Hydrocephalus occlusus (Verschlusshydrozephalus)
- Liquorabflussbehinderung aus dem Ventrikelsystem
- Hydrocephalus malresorptivus
- Liquorrückresorption verzögert bei erhaltenem Abfluss aus den Ventrikeln
- Hydrocephalus communicans
- kommunizierender Hydrozephalus, z. B. Normaldruckhydrozephalus
- Hydrocephalus e vacuo
- reaktive Erweiterung der Liquorräume durch Hirngewebsverlust (Hirnatrophie)
- Hydrocephalus hypersecretorius (selten)
- Liquorproduktion gesteigert
Häufigkeit
- Kongenitaler Hydrozephalus
- Erworbener Hydrozephalus
- Häufigkeit abhängig von der Primärerkrankung
- Subarachnoidalblutung (SAB)8
- Inzidenz 10 pro 100.000 pro Jahr
- davon ca. 10 % mit der Komplikation Hydrozephalus
- Normaldruckhydrozephalus9
- Inzidenz von 1,3 pro 100.000 in Deutschland
Ätiologie und Pathogenese
Anatomie und Physiologie des Liquorraums4-5,10
- Liquor cerebrospinalis
- klares, zellarmes (< 5/μl) Filtrat aus Kapillaren mit vergleichbarer Osmolarität und Natriumkonzentration zu Plasma
- insgesamt 100–160 ml in den Hirnventrikeln und dem Subarachnoidalraum vorhanden
- davon 20 % im Ventrikelsystem
- Funktion
- mechanischer Schutz des Hirngewebes vor Erschütterung
- Erhalt des physiologischen intrazerebralen Milieus (Transport von Elektrolyten, Metaboliten, Neurotransmittern)
- Produktion
- tägliche Produktion ca. 500 ml bei Erwachsenen (ca. 20 ml pro Std.)
- Produktion maßgeblich in den Plexus choroidei der Ventrikel (ca. 80 %)
- übrige Produktion durch Endothel, Hirnkapillare und Ependym der Ventrikelwände
- Liquorpassage
- Liquor gelangt aus den paarigen Seitenventrikeln über das Foramen Monroi (Foramen interventriculare) in den 3. Ventrikel.
- Der 3. Ventrikel ist über das Aquaeductus mesencephali mit dem 4. Ventrikel verbunden.
- Aus dem 4. Ventrikel gelangt Liquor durch die Apertura lateralis (Foramina Luschkae) und Apertura mediana (Foramen Magendi) in den äußeren Liquorraum (Subarachnoidalraum).
- Der innere Liquorraum setzt sich als Zentralkanal entlang des Rückenmarks fort.
- Resorption
- hauptsächlich über die Arachnoidalzotten (Pacchioni-Granulationen) im Subarachnoidalraum in das venöse System
- weitere Resorption über Plexus, Ependym, Endothel und Lymphsystem entlang der Hirn- und Spinalnerven
- Liquordruck
- physiologischer Liquordruck im Liquorsystem von 7–15 cm H2O beim Erwachsenen
- Hydrozephalus mit gesteigertem Druck kann zu Austritt von Liquor durch das Ependym in die weiße Substanz (Liquordiapedese) führen.
- Manifestation als periventrikuläres Ödem in der zerebralen Bildgebung
- Anhaltende Druckerhöhung und Ödembildung kann zu Hirngewebsatrophie führen.
Kongenitaler (intrinsischer) Hydrozephalus1-3,7
- Pathomechanismus: Fehlbildungen des Gehirns, Rückenmarks oder kraniozervikalen Übergangs, die zu einem Passagehindernis (z. B. Aquäduktstenose) oder einer Resorptionsstörung (z. B. Aplasie der Pacchionischen Granulationen) führen.
- Ursachen eines angeborenen Hydrozephalus
- Atresie oder Stenose des Aquädukts
- Arnold-Chiari-Malformation
- Verlagerung des Kleinhirns durch das Foramen magnum in den Zentralkanal
- Dandy-Walker-Malformation
- Hypoplasie des Kleinhirns und Erweiterung des 4. Ventrikels
- Atresie oder Agenesie des Foramen Monroi (Foramen interventriculare)
- Atresie der Apertura mediana (Foramen Magendii) oder der Aperturae laterales (Foramina Luschkae)
- Neuralrohrdefekte (z. B. Spina bifida, Meningomyelozele, Enzephalozele)
- Lissenzephalie
- Arachnoidalzyste
- Aplasie oder Hypoplasie der Pacchionischen Granulationen
- genetische Veränderungen (z. B. L1CAM: Hydrozephalus und Aquäduktstenose)
- knöcherne Fehlbildungen
- Assoziation mit Medikamenten
- bei Einnahme in der Schwangerschaft mit kongenitalem oder infantilem Hydrozephalus assoziiert3
- Isotretinoin
- Misoprostol
- Metronidazol
- bei Einnahme in der Schwangerschaft mit kongenitalem oder infantilem Hydrozephalus assoziiert3
Erworbener (extrinsischer) Hydrozephalus2,5
- Ursachen eines Hydrozephalus occlusus
- Pathomechanismus: gestörter Liquorabfluss durch ein Passagehindernis, z. B. durch Tumoren in der Nähe von Engstellen (Foramen Monroi, Aquädukt oder 4. Ventrikel)
- Blutungen
- Subarachnoidalblutung (SAB)
- intrazerebrale und/oder intraventrikuläre Blutung
- Kontusionsblutung nach Schädel-Hirn-Trauma
- rupturierte Gefäßmalformationen
- Neoplasien
- Hirntumoren bei Erwachsenen (z. B. tektale Gliome)
- Hirntumoren bei Kindern (z. B. Medulloblastom, Kraniopharyngeom)
- Zysten (z. B. Arachnoidalzyste, Kolloidzyste)
- Infektionen
- Hirnabszess
- infektiöse Meningitis
- sekundärer Aquäduktverschluss nach intrauteriner Infektion (z. B. Toxoplasmose)
- Ursachen eines Hydrocephalus malresorptivus
- Pathomechanismus: gestörter Resorption, meist durch Verklebung der Arachnoidalzotten, z. B. durch Blut im Liquorraum nach einer Subarachnoidalblutung
- Blutungen
- Subarachnoidalblutung (SAB)
- intrazerebrale und/oder intraventrikuläre Blutung
- Kontusionsblutung nach Schädel-Hirn-Trauma
- Entzündungen
- infektiöse Meningitis
- nichtinfektiöse Meningitis (z. B. Sarkoidose)
- toxische Meningitis (z. B. nach intrathekaler Chemotherapie)
- Neoplasien
- leukämische bzw. karzinomatöse Meningitis (Meningeosis neoplastica)
- Proteingehalt im Liquor erhöht
- selten, z. B. bei spinalen Tumoren
- Ursachen eines Hydrocephalus communicans
- Pathomechanismus: Erweiterungen der inneren Liquorräume ohne kontinuierlich erhöhten intrakraniellen Druck bei erhaltener Verbindung zu den äußeren Liquorräumen
- Normaldruckhydrozephalus9,11
- Trias aus Gangstörung, Demenz und Harninkontinenz in höherem Lebensalter
- Ursachen eines Hydrocephalus hypersecretorius (selten)
- erhöhte Liquorproduktion durch Hyperplasie oder Tumoren des Plexus choroideus
Folgen des Hydrozephalus1-3,5-6
- Bei Kindern
- Ein übermäßiger Kopfumfang oder erhöhter intrakranieller Druck (ICP) sind abhängig davon, ob die Fontanelle verschlossen ist.
- bei Kindern < 2 Jahre: erhöhter Kopfumfang (Makrozephalie) und vorgewölbte Fontanelle
- bei älteren Kindern: progrediente Hirndrucksymptomatik
- Ein übermäßiger Kopfumfang oder erhöhter intrakranieller Druck (ICP) sind abhängig davon, ob die Fontanelle verschlossen ist.
- Bei Erwachsenen
- abhängig von der Dynamik der Ursache
- Bei akutem Hydrozephalus sind ein rasch erhöhter Hirndruck (ICP) und neurologische Folgeschäden häufig.
- Eine andauernde Druckerhöhung mit Liquordiapedese und reaktiver Astrogliose führt zum Untergang von Axonen und Neuronen und somit zur Hirnatrophie.
Prädisponierende Faktoren
- Genetische Prädisposition2-3
- Immunsuppression und Infektanfälligkeit (infektiöse Ursachen)
- Kardiovaskuläre Risikofaktoren (Schlaganfall)
ICPC-2
- A94 Perinatale Erkrankung, andere
- N85 Angeborene Anomalie Nervensystem
- N99 Neurologische Erkrankung, andere
ICD-10
- G91 Hydrozephalus
- G91.0 Hydrocephalus communicans
- G91.1 Hydrocephalus occlusus
- G91.2 Normaldruckhydrozephalus
- G91.3 Posttraumatischer Hydrozephalus, nicht näher bezeichnet
- G91.8 Sonstiger Hydrozephalus
- G91.9 Hydrozephalus, nicht näher bezeichnet
- G94 Sonstige Krankheiten des Gehirns bei anderenorts klassifizierten Krankheiten
- G94.0 Hydrozephalus bei anderenorts klassifizierten infektiösen und parasitären Krankheiten
- G94.1 Hydrozephalus bei Neubildungen
- G94.2 Hydrozephalus bei sonstigen anderenorts klassifizierten Krankheiten
- G94.8 Sonstige näher bezeichnete Krankheiten des Gehirns bei anderenorts klassifizierten Krankheiten
- Q03 Angeborener Hydrozephalus
- Q03.0 Fehlbildungen des Aquaeductus cerebri
- Q03.1 Atresie der Apertura mediana [Foramen Magendii] oder der Aperturae laterales [Foramina Luschkae] des vierten Ventrikels
- Q03.8 Sonstiger angeborener Hydrozephalus
- Q03.9 Angeborener Hydrozephalus, nicht näher bezeichnet
- Q05 Spina bifida
- Q07 Sonstige angeborene Fehlbildungen des Nervensystems
- Q07.0 Arnold-Chiari-Syndrom
- P91 Sonstige zerebrale Störungen beim Neugeborenen
- P91.7 Erworbener Hydrozephalus beim Neugeborenen
- P37 Sonstige angeborene infektiöse und parasitäre Krankheiten
- P37.1 Angeborene Toxoplasmose
Diagnostik
Diagnostische Kriterien
- Klinische Symptomatik1-5
- asymptomatische Verläufe möglich
- Makrozephalie und Entwicklungsverzögerung bei Säuglingen und Kleinkindern
- Hirndrucksymptomatik und neurologische Ausfälle bei älteren Kindern und Erwachsenen
- Zerebrale Bildgebung1-5
- CT oder MRT des Kopfes
- Erweiterung der Hirnventrikel und/oder äußeren Liquorräume
Differenzialdiagnosen
- Hydrocephalus e vacuo im Rahmen einer generalisierten Hirnatrophie5
- Andere Erkrankungen mit erhöhtem intrakraniellem Druck6
- Schädel-Hirn-Trauma
- Hirntumoren bei Erwachsenen
- Hirntumoren bei Kindern
- Schlaganfall
- intrazerebrale Blutung
- Epiduralhämatom
- Subduralhämatom
- Subarachnoidalblutung (SAB)
- zerebrale Sinus- und Hirnvenenthrombose
- hypoxische Enzephalopathie
- metabolische Störungen und Intoxikationen
- Infantile Zerebralparese
- Intelligenzminderung
- Demenzerkrankungen
Anamnese
- Die klinische Manifestation eines Hydrozephalus ist abhängig von:
- Alter der Betroffenen
- Ursache
- Lokalisation
- Dauer
- Dynamik
- Normaldruckhydrozephalus9
- Manifestation in höherem Lebensalter (> 60 Jahre)
- Trias aus Demenz, Gangstörung und Harninkontinenz (Hakim-Trias)
Säuglinge und Kleinkinder (< 2 Jahre)1-3,5,7
- Fontanelle noch nicht verschlossen bzw. Schädelnähte noch nachgiebig
- erhöhter Kopfumfang (Makrozephalie)
- Aufweitung der Schädelnähte
- Vorwölbung der großen Fontanelle
- Abgeschlagenheit, Trinkschwäche
- Entwicklungsverzögerung
- Reizbarkeit, Unruhe, Geräuschempfindlichkeit
- Übelkeit und Erbrechen
- Epilepsie
Ältere Kinder und Erwachsene2,5-6,12
- Müdigkeit, Leistungsabfall, Irritabilität
- Entwicklungsverzögerung bei Kindern
- Kognitive Defizite (z. B. Störungen der Gedächtnisleistung)
- Symptome eines erhöhten intrakraniellen Drucks (ICP)
- Kopfschmerzen
- Übelkeit und Erbrechen
- oft morgendliche Übelkeit bzw. Nüchternerbrechen im Schwall
- Benommenheit und Bewusstseinsstörungen
- Sehstörungen und Doppelbilder
- Gangunsicherheit und beinbetonte Spastik
- Epilepsie
Klinische Untersuchung
- Allgemeine körperliche und neurologische Untersuchung
Kongenitaler Hydrozephalus2,5,10
- Siehe auch den Artikel Untersuchung des Neugeborenen.
- Vergrößerter Kopfumfang (Makrozephalie)
- meist bereits bei Geburt ersichtlich und im Verlauf noch zunehmend
- Messung und Vergleich mit Perzentilenkurven (> 97. Perzentile)
- Gespannte oder vorgewölbte Fontanelle (beim nicht schreienden Säugling)
- Dünne Kopfschwarte
- Dehiszenz der Schädelnähte
- tympanitischer Klopfschall über der Kalotte
- Verstärkte Venenzeichnung an Stirn und Schläfen
- Bewusstseinsminderung
- Opisthotonus
- Sonnenuntergangsphänomen
- Iris und Pupille teilweise durch Unterlid verdeckt
- Ursache: vertikale Blickparese und vorgewölbte Stirnknochen
- Mögliche klinische Begleitsymptome einer ursächlichen Erkrankung
- prominenter Hinterkopf (Dandy-Walker-Syndrom)
- Chorioretinitis bei kongenitaler Infektion (CMV, Toxoplasmose)
- Flexionsdeformität des Daumens (X-chromosomaler Hydrozephalus, L1CAM)
Erworbener Hydrozephalus2,5
- Klinische Zeichen eines erhöhten Hirndrucks
- Kopfschmerzen, Übelkeit und Erbrechen
- Bewusstseinsminderung bei akutem Verlauf (ggf. Glasgow Coma Scale)
- Sehstörungen und Doppelbilder (z. B. Abduzensparese durch druckbedingte Nervenkompression)
- Kognitive Defizite bei Erwachsenen oder körperliche und geistige Entwicklungsverzögerung bei Kindern
- ggf. Objektivierung anhand neuropsychologischer Testverfahren
Diagnostik bei Spezialist*innen
Bildgebende Diagnostik
- Zerebrale Bildgebung (cMRT oder cCT)2,5,12-13
- Radiologische Kriterien des Hydrozephalus5
- Zunahme der Ventrikelweite
- Vergrößerung der Unterhörner/Temporalhörner der Seitenventrikel (> 2 mm)
- erweiterte Seiten- und III. Ventrikel
- Ausziehung des Bodens und erweiterter Recessus des III. Ventrikels
- periventrikuläre Hypodensitäten
- fehlendes Flow-void-Signal in der MRT
- basale Zisternen und Subarachnoidalraum
- fehlende Abgrenzbarkeit bei Hydocephalus occlusus
- Erweiterung bei Hydocephalus communicans
- Zunahme der Ventrikelweite
- Sonografie2,5
- Untersuchung ohne Strahlenbelastung
- pränatal während der Schwangerschaft
- kongenitaler Hydrozephalus oft bei routinemäßigen Ultraschalluntersuchungen erkennbar
- postnatal bei Neugeborenen und Säuglingen
- kraniale Sonografie über die offene Fontanelle möglich
- Nachweis der Ventrikelerweiterung und oft der Grunderkrankung
Weitere Diagnostik
- Ophthalmoskopie5
- Papillenödem (Stauungspapille) als Zeichen erhöhten Hirndrucks (ICP)
- Ein Fehlen schließt einen erhöhten ICP nicht aus.
- Messung des intrakraniellen Drucks (ICP)5-6
- Messung über Katheter einer Ventrikeldrainage im Seitenventrikel oder intraparenchymatös (selten)
- indiziert bei Bewusstlosigkeit bzw. klinischem Korrelat der Hirndruckerhöhung
- Lumbalpunktion5,9-10
- bei Hydrocephalus occlusus kontraindiziert (Einklemmungsgefahr bei lumbaler Druckentlastung)
- bei Normaldruckhydrozephalus im Rahmen des Liquorablassversuch (Spinal-Tap-Test) Teil der Diagnostik
- Pränatale Diagnostik im Rahmen der Schwangerschaftsvorsorge2
- Ultraschall (Sonografie in der Schwangerschaft)
- pränatale MRT Untersuchung des Fetus ab der 20. SSW
- TORCH-Screening (Toxoplasmose, Röteln, CMV, HSV)
- Amniozentese
Indikationen zur Überweisung/Krankenhauseinweisung
- Vei Verdacht auf chronischen Hydrozephalus: Überweisung an Neurologie
- Bei Verdacht auf einen akuten Hydrozephalus: Klinikeinweisung
Therapie
Therapieziele
- Symptome lindern.
- Hirnschäden durch erhöhten Hirndruck (ICP) vorbeugen.
- Adäquate Liquorzirkulation wiederherstellen.
- Eine uneingeschränkte körperliche und geistige Entwicklung betroffener Kinder ermöglichen.
Allgemeines zur Therapie
- Die Therapie richtet sich nach Ursache und Dynamik der Erkrankung.5
- Symptomatische Therapie des Hydrozephalus2,5,8,12
- meist invasiv-operative Behandlung (z. B. EVD, Shuntanlage)
- Kausale Therapie der ursächlichen Erkrankung, sofern möglich2,5
- operative Resektion eines Passagehindernis (z. B. Hirntumor)
- Schaffung einer intrathekalen Umgehung (Ventrikulostomie)
- antiinfektive Therapie bei Meningitis
Konservative Therapie
- Eine konservative Therapie ist nur in wenigen Ausnahmesituationen indiziert.5
- Acetazolamid5,14
- Kann die Liquorproduktion um bis zu 50 % senken.
- bei milder Symptomatik und Hydrozephalus nicht okklusiver Ursache
- Erstlinientherapie bei idiopathischer intrakranieller Hypertension (IIH)14
- Acetazolamid (2 x 500 mg, max. 2.000 mg/d) ggf. + Furosemid 20–40 mg/d
- Nebenwirkungen
- Elektrolytstörungen, distale Parästhesien, Nephrokalzinose
- Dopamin-D2-Agonisten (Bromocriptin, Cabergolin)5
- wirksam bei suprasellären Prolaktinomen mit Foramen Monroi-Blockade
- Strahlentherapie (Radiatio ab 10–20 Gy)5
- sehr wirksam Okklusion durch Germinome der Pinealisregion
Operative Therapie
Externe Ventrikeldrainage (EVD)
- Wichtigste Therapie des akuten Hydrozephalus5
- Ventrikelpunktion und Platzierung eines Katheters im Seitenventrikel
- Ableitung nach extrakorporal mit regulierbarer Drainagemenge
- auch zur ventrikulären ICP-Messung geeignet
- Anwendung auf ca. 2–3 Wochen limitiert
- Indikationen
- temporäre Liquorzirkulationsstörungen (z. B. Hirninfarkt oder ICB der hinteren Schädelgrube)
- Akutversorgung vor späterer Liquorshuntversorgung (z. B. Liquorrauminfektion, Subarachnoidalblutung)
- Komplikationen5
- EVD-Ruptur, EVD-Okklusion bei blutigem Liquor, EVD-assoziierte Infektionen in Abhängigkeit von der Liegedauer
Serielle Liquorpunktion
- Therapieoption bei Hydrocephalus comunicans (z. B. Normaldruckhydrozephalus)5
- Wiederholter Ablass von 40–50 ml Liquor
Implantation eines Liquorshunts
- Die operative Anlage eines Shunts zur kontinuierlichen Liquordrainage ist das derzeitige Standardverfahren in den meisten Fällen eines Hydrozephalus.2,5
- Ventrikuloperitonealer (VP) Shunt
- Ableitung vom Seitenventrikel in die Peritonealhöhle
- am häufigsten eingesetztes Verfahren
- komplikationsärmer als andere Ableitungen15
- Ventrikuloatrialer (VA) Shunt
- Ableitung vom Seitenventrikel in den rechten Vorhof
- Selten Ableitung in andere Körperhöhlen, z. B. Pleuraspalt
- Auch bei Normaldruckhydrozephalus oft Indikation zur Shunt-Operation9
Operative Therapie der Grunderkrankung
- Resektion eines Hirntumors oder einer Zyste
- Intrathekale Umgehungen2,5,15-16
- Ventrikulostomie (III. Ventrikel)
- Einsatz auch in der Akuttherapie bei primär nicht-operablen Tumoren und Hydrocephalus occlusus
- endoskopischer Zugang zum III. Ventrikel und Eröffnung einer zusätzlichen Ableitung über die Cisterna basalis
- Ventrikulostomie (III. Ventrikel)
- Koagulation des Plexus2,5
- Verbesserung der Ergebnisse, insbesondere bei sehr jungen Kindern, durch Kauterisation des Plexus choroideus („Choroid Plexus Cauterisation“, CPC)2
Verlauf, Komplikationen und Prognose
Verlauf
- Ein kongenitaler Hydrozephalus führt unbehandelt zu einem deutlich vergrößerten Kopfumfang (Makrozephalie) und körperlichen sowie geistiger Entwicklungsverzögerung.2
- Ein akuter Hydrozephalus kann bei erhöhtem intrakraniellem Druck (ICP) lebensbedrohlich sein.5-6
- nach akuter Therapie (meist EVD) nach etwa 1–2 Wochen Evaluation einer notwendigen permanenten Liquorableitung
- Ein chronischer Hydrozephalus kann bei entsprechender Ursache (z. B. Raumforderung im Foramen Monroi) rasch dekompensieren und zu einem akuten Notfall werden.5
Komplikationen
- Komplikationen einer Shunt-Operation (Frühkomplikationen)5,9-10
- Liquorshunts gehören zu den komplikationsreichsten Eingriffen
der Neurochirurgie.5 - Fehllage (ca. 10 %), Infektionen, Blutungen, Gewebe- und Nervenschäden, Epilepsie, Verletzungen der Bauchhöhle (VP-Shunt), Herzrhythmusstörungen (VA-Shunt) und Revisionsbedarf (durchschnittlich 1–2 Revisionen, bei Kindern 2–3)
- Liquorshunts gehören zu den komplikationsreichsten Eingriffen
- Shuntassoziierte Spätkomplikationen2,5
- Shuntunterfunktion (Unterdrainage)
- CT: Hypodensitäten entlang des Ventrikelkatheters
- bei 40 % der Kinder innerhalb von 2 Jahren postoperativ2
- meist durch mechanische Obstruktion (operative Intervention nötig)
- Shuntüberfunktion (Überdrainage)
- Verursacht Kopfschmerzen und Schwindel.
- CT: enge Ventrikel (Schlitzventrikel), subdurale Hygrome oder Hämatome
- Shunt-Infektionen2
- Klinik: Fieber, Wundinfektion und gestörte Shuntfunktion
- bei etwa 5–9 % und meist innerhalb weniger Monate nach Operation
- Shuntepilepsie (selten)
- Shuntunterfunktion (Unterdrainage)
- Psychosoziale Begleiterscheinungen
- häufig im Erwachsenenalter nach Shuntbehandlung2
- Depression (45 %)
- Pflegebedürftigkeit (43 %)
- Arbeitslosigkeit (43 %)
- häufig im Erwachsenenalter nach Shuntbehandlung2
Prognose
- Hängt maßgeblich von der zugrunde liegenden Ursache ab.2,5
- Fehlbildungen, Akutereignisse (Blutungen), Hirntumoren
- Bei angeborenem Hydrozephalus ohne begleitende Fehlbildungen relativ gute Prognose2,10
- uneingeschränkte geistige und körperliche Entwicklung nach Behandlung in 2 von 3 Fällen
-
- z. T. variable Einschränkungen von Intelligenz, Sprachfähigkeit, Exekutivfunktionen, Lernverhalten, Gedächtnis und kognitiven Verarbeitungskapazität
Verlaufskontrolle
- Regelmäßige neurochirurgische Verlaufskontrolle
- regelmäßige klinische Kontrollen von Shuntsystemen und -funktion
- regelmäßige bildgebende Kontrollen
- Bei Kindern Beobachtung der geistigen und körperlichen Entwicklung
- Dokumentation anhand von Perzentilenkurven und ggf. Entwicklungsskalen
Patienteninformationen
Patientenorganisationen
- Arbeitsgemeinschaft Spina Bifida und Hydrocephalus e. V.: www.asbh.de
- Deutsche Syringomyelie und Chiari Malformation DSCM e. V.: www.deutsche-syringomyelie.de
Illustrationen
Quellen
Leitlinien
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Literatur
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Autor*innen
- Jonas Klaus, Arzt in Weiterbildung Neurologie, Hamburg
- Die ursprüngliche Version dieses Artikels basiert auf einem entsprechenden Artikel im norwegischen hausärztlichen Online-Handbuch Norsk Elektronisk Legehåndbok (NEL, https://legehandboka.no/).