Zusammenfassung
- Definition: Das Stiff-Person-Syndrom (SPS) ist eine chronische autoimmunentzündliche Erkrankung des ZNS, charakterisiert durch massive rigide Steigerung des Muskeltonus und schmerzhaft einschießende Spasmen (diagnostische Kernkriterien), welche in Episoden mit Ruhephasen auftreten können, aber zumeist schleichend progredient verlaufen.
- Häufigkeit: Die Prävalenz wird auf 1 bis 2 Personen pro 1 Million geschätzt. Die Inzidenz liegt bei 1 Person pro Million pro Jahr. Frauen sind häufiger betroffen als Männer.
- Symptome: Die Symptome sind eine schleichend progrediente Rigidität und Muskelspasmen, die in der Regel durch Bewegungen, Berührungen, Kälte, Lärm und Emotionen ausgelöst werden können. Die Lokalisation ist beim SPS meistens der Rumpf und rumpfnahe Extremitäten, durch Progredienz der Symptomatik können aber auch andere Bereiche betroffen sein.
- Befunde: Die klinischen Symptome umfassen einen erhöhten Muskeltonus ("brettharte" Muskulatur), der proximal am deutlichsten ausgeprägt ist. Eventuell kommt es zu Versteifung der Extremitäten in Extensionsstellung. Im Krankheitsverlauf können eine Hyperlordose, Ankylosen und/oder ein starres breitbeiniges Gangbild imponieren. Die neurologische Untersuchung ergibt keinen eindeutigen Befund.
- Diagnostik: Die Diagnose erfolgt auf Grundlage des klinischen Erscheinungsbildes, allerdings können im Blut und Liquor nachgewiesene Autoantikörper den Verdacht bestärken. MRT und Blutuntersuchungen sollten zum Ausschluss von Differenzialdiagnosen und assoziierten Begleiterkrankungen erfolgen. Ununterdrückbare anhaltende Muskelaktivitäten in der Elektromyographie können die Diagnose erhärten, sind aber weder obligat noch pathognomisch.
- Therapie: Die Therapie zielt auf die Verbesserung der Symptome und die Vorbeugung von Komplikationen. Diazepam ist bei dieser Diagnose oft wirksam. Bei Unverträglichkeit oder fehlender Wirksamkeit kann eine Immuntherapie eingeleitet werden.
Allgemeine Informationen
Definition
- Der gesamte Abschnitt basiert auf diesen Referenzen.1-3
- historische Bezeichnung: „Stiff-Man-Syndrom“
- Synonym: Moersch-Woltman-Syndrom
- Die Krankheit wurde erstmals 1956 beschrieben.2
- Das Stiff-Person-Syndrom (SPS) ist eine chronische, autoimmun-entzündliche Erkrankung des ZNS.
- Es können motorische, vegetative, neuropsychiatrische,
endokrinologische und sekundär orthopädische Symptome im Zusammenhang mit der Erkrankung auftreten. - Obligate Kernsymptome von SPS sind:
- fluktuierende Rigidität
- schmerzhaft einschießende Spasmen
- häufigste Lokalisation sind Rumpf und Beine
- SMS-Spektrum-Erkrankungen:
- Stiff-Person-Syndrom
- Stiff-Limb-Syndrom (SLS, Minusvariante) mit Beschränkung der Symptomatik auf eine Extremität
- Progressive Enzephalomyelitis mit Rigidität und Myoklonien (PERM, Plusvariante) mit weiteren, manchmal flüchtigen neurologischen Symptomen
- Okulomotorikstörung, epileptische Anfälle, Pyramidenbahnzeichen, Ataxie, Paresen, Sensibilitätsstörungen, Dysautonomie
- Das SPS wird eingeteilt in drei Kategorien:
- Klassisches SPS
- 70-80 % der Patient*innen3
- generalisierte Rigidität
- Steifheit des Stammes
- regelmäßige Muskelspasmen
- Partielles SPS
- 10-15 % der Patient*innen3
- häufigste Form: Stiff-Limb-Syndrom mit Bewegungseinschränkung und Steifheit eines Beines
- andere isolierte Form: schmerzhafte Spasmen der Muskulatur des Abdomens oder der Brust
- Paraneoplastisches SPS
- weniger als 2 % der Patient*innen3
- klinisch nicht vom klassischem SPS zu unterscheiden
- normalerweise keine anti-GAD65 Antikörper, aber ggf. Antikörper gegen Amphiphysin, meist Mamma- oder Bronchialkarzinom4
- DPPX-Antikörper in 7 % mit der Chronisch lymphatischen Leukämie und B-Zell-Lymphomen assoziiert1
- ungefähr 9% der Fälle mit GlyR-Antikörper assoziiert mit Tumoren
- Thymome, seltener Lymphome, Mamma- oder Bronchialkarzinom1
- andere mögliche Tumoren sind: Kolon- und Pharynxkarzinom, Teratom
- Progressive Enzephalomyelitis mit Rigidität und Myoklonien (PERM, Plusvariante)
- in weniger als 0,1 % der Patient*innen
Häufigkeit
- Prävalenz: 1-2 Personen pro Million3
- Inzidenz: 1 Fall pro Million pro Jahr 3
- Geschlecht: 2/3 Frauen1,3
- Erkrankungsalter:
Ätiologie und Pathogenese
- Der gesamte Abschnitt basiert auf diesen Referenzen1,3,5.
- Es liegt wahrscheinlich eine autoimmune Prädisposition vor, v.a. bei Patient*innen mit anti-GAD65 Autoantikörpern
- Die Vererbung bestimmter HLA-Allele kann im Zusammenhang mit einem erhöhten Risiko, an SPS zu erkranken, stehen.3
- Komorbiditäten können bestimmte Autoimmunerkrankungen sein: Typ-1-Diabetes, atrophische Gastritis, perniziöse Anämie, Vitiligo, Thyreoiditis
- Vorkommen neuronaler Antikörper in Serum und/oder Liquor (30 % der Patient*innen zeigen keine Antikörper3):
- anti-GAD Antikörper (ca. 70 % der Patient*innen1,3,5):
- erhöhter Serumspiegel von Antikörpern gegen GAD65
- lokale Produktion von anti-GAD65 Antikörpern im Zentralnervensystem.6
- GAD65 katalysiert die Umwandlung von Glutamat zu GABA im zentralen Nervensystem.7
- Antikörper gegen GAD65 führen zu einer verminderten Bildung von GABA und zu niedrigeren GABA-Spiegeln im Gehirn.8
- pathogenetische Rolle von anti-GAD Antikörpern weiterhin unklar
- keine Korrelation zwischen Antikörpertiter und Krankheitsaktivität
- möglicherweise Auftreten weiterer Antikörper
- Elektrophysiologisch und klinisch fällt eine Übererregbarkeit des Zentralnervensystems auf.
Komorbidität
- Typ-1-Diabetes (DMT1)
- Andere autoimmune Erkrankungen
- Bei einigen Patient*innen entwickeln sich noch zusätzliche Autoimmunerkrankungen wie eine Thyreoiditis, Vitiligo oder perniziöse Anämie.
- Sonstige Erkrankungen
- Etwa 5 % der Patient*innen mit einem paraneoplastischen Stiff-Person-Syndrom leiden an Brustkrebs oder kleinzelligem Lungenkrebs.5
- Selten treten Paraneoplasien bei GAD-Antikörpern auf.1
- 10 % der Patient*innen leiden zusätzlich an einer Epilepsie5
ICPC-2
- L29 Muskuloskel. Sympt./Beschw. andere
ICD-10
- G25.88 Stiff-Person-Syndrom
Diagnose
Diagnostische Kriterien
- Die Anamnese sowie klinische Befunde können Hinweise auf die Erkrankung ergeben.
- Ein Nachweis von neuronalen Antikörpern stärkt die Verdachtsdiagnose, kann diese aber nicht sichern.
Differenzialdiagnosen
- Der gesamte Abschnitt basiert auf diesen Referenzen.1,3
- Psychogene/funktionelle Bewegungsstörungen
- fehlende Rigidität
- ausgeprägte Bewegungsanstrengung und-verlangsamung
- Polymorphie von Spasmen und/oder Bewegungsstörungen
- Negierung emotionaler Beinflussbarkeit
- keine Besserung durch geringe Unterstützung
- Primär schmerzbedingter Muskelhartspann
- ausgeprägtes Schmerzvermeidungsverhalten (auch bei SPS möglich)
- keine fremdreflektorische Steigerung des Muskeltonus
- keine Agoraphobie
- keine Spasmen
- intraspinale Tumoren, Durafistel, chronische Myelitis:
- Pyramidenbahnzeichen
- Sensibilitätsstörungen
- motorisch und somatosensibel evozierte Potenziale
- paraneoplastische Myelopathie
- insbesondere bei Mammakarzinom, kleinzelligem Lungenkarzinom (SCLC)
- ggf. Antikörper gegen Hu-, Ma-, Ri-Antigene
- Neuromyelitis optica
- oft sehr schmerzhafte, tonische Spasmen
- Willkürbewegungen
- fehlende Agoraphobie
- geringe emotionale Beinflussbarkeit
- Multiple Sklerose
- siehe Neuromyelitis optica
- Tetanus
- EMG: Verlust der reflektorischen Inhibition
- bei SPS keine Gesichtskrämpfe und/oder Trismus
- Strychnin-Intoxikation
- siehe Tetanus
- Parkinson
- erworbene Hyperekplexie
- obligater Kopfretraktionsreflex
- fehlende Rigidität
- ängstliche Gangstörung
- Neuromyotonie
- Polyneuropathiesyndrom mit innervationsabhängigen Muskelkrämpfen
- EMG: polymorphe pathologische Spontanaktivität
- Labor: Autoantikörper gegen CASPR2
- Spondylitis ankylosans
- axiale Dystonie
- Dystonie v.a. im Stehen
- oft Beteiligung kraniozervikaler Muskulatur mit Torsionsbewegungen
- klinisch und elektrophysiologisch keine Reflexanomalien
- fehlende emotionale Beinflussbarkeit
- fehlende Agoraphobie
Anamnese
- Der gesamte Abschnitt basiert auf diesen Referenzen.1,3,5
- Obligate Kernsymtome sind eine schleichend progrediente Rigidität und regelmäßige Spasmen.
- Rigidität:
- anhaltende Muskelkontraktionen in antagonistischen und agonistischen Muskeln
- Spasmen:
- Streckmuster von Rumpf und Beinen, häufig myoklonischer Beginn
- häufig sehr schmerzhaft
- können Frakturen verursachen
- Lokalisation:
- klassisisches SPS: initial am Rumpf, rumpfnahe Anteile der Extremitäten, meist symmetrisch, gelegentlich Füße, selten Arme, Gesicht und/oder Hände
- SLS: eine Extremität ist betroffen, Rigidität und Spasmen sind auf diese Extremität begrenzt
- Verlauf von Rigidität und Spasmen:
- fluktuierend
- aktionsinduzierte Zunahme
- Beginn häufig mit axialer Muskulatur, dann Progression auf proximale untere Extremitäten
- Auslöser von Rigidität und Spasmen
- exterozeptive Stimulation wie Kälte, Berührung, Wärme, Lärm, plötzliche Bewegung, emotionale Aufregung
- gesteigerte Schreckreaktion (Startle): Auslösen von Myoklonien und Spasmen durch Telefonklingeln, Berührung
- Folgen und Komplikationen im Verlauf:
- Skelettdeformitäten durch anhaltende Kontraktion mit Hyperlordose, möglicherweise Ankylosen, Subluxationen oder Frakturen durch Spasmen
- Gangstörung:
- bizarres, ängstliches, breitbeiniges Gangbild
- Verschlechterung bei erhöhter Anforderung (Treppe, Eile) bis zur vollständigen Gangblockade ("Freezing")
- Verbesserung durch leichte Unterstützung
- Stürze durch myoklonische Spasmen bei erhaltenem Bewusstsein ohne erfolgreiche Abfangreaktion, dadurch erhebliche Verletzungsgefahr
- 44,2 % der Patient*innen mit Angstattacken/Agoraphobie: beim freien Stehen/Laufen, auf offenen Flächen ("task-specific phobia"), häufig Auslöser von Spasmen und erhöhter Rigidität
- progrediente Einschränkung der Mobilität
- ggf. Notwenigkeit von Hilfmitteln
- Aktivitäten des Alltags (aus dem Bett aufstehen, Körperpflege) können stark eingeschränkt werden
- Bettlägerigkeit als Spätfolge möglich
- Entwicklung einer Depression, Suizidgedanken erfragen!
- zusätzliche mögliche Symptome:
- autonome Dysregulation:
- profuses Schwitzen
- Hyperthermie
- Tachykardie
- Mydriasis
- arterielle Hypertonie
- 17 % der Patient*innen mit Dyspnoe in Ruhe und während des Schlafs
- Harnretention/-inkontinenz und/oder basale Hirnnervenausfälle: oft bei GlyR-Autoantikörpern
- gastrointestinale Störungen und/oder Allodynie: bei DPPX-Autoantikörpern
- autonome Dysregulation:
- zusätzlich beim paraneoplastischen SPS:
- Gewichtsabnahme, Fieber, nächtliches Schwitzen (B-Symptomatik)
- PERM mit einem/mehreren der folgenden Symptome:
- Augenbewegungsstörungen (Opsoklonus, Nystagmus)
- Hirnstammausfall
- Hirnnervenausfälle
- epileptische Anfälle
- Myoklonien
- Sensibilitätsstörungen
- autonome Funktionsstörungen
- oberes und/oder unteres Motorneuron-Syndrom
- kognitive Defizite
- zentrale Paresen
- Begleiterkrankungen erfragen!
- Depression/Angst?
Konnatale Hyperekplexie (Stiff-Baby-Syndrom)
- Die klinische Trias sind generalisierte Rigidität, nächtliche Myoklonien und eine gesteigerte Schreckreaktion.9
- Stress und starkes Erschrecken sind häufige Ursachen für Anfälle bei Kindern.
- Häufig treten Hypertonie und tonische Spasmen im Zusammenhang mit auditiven oder taktilen Reizen sowie während des Erwachens auf.9
- Die Gehfähigkeit setzt in der Regel etwas später als bei gesunden Kindern ein.
- Es ist häufiger die distale Muskulatur als beim SPS betroffen.
- Ein Opisthotonus ist möglich.
Klinischer Befund
- Der gesamte Abschnitt basiert auf diesen Referenzen.1,3,5
- Eine ausführliche körperliche Untersuchung ist notwendig und sollte immer im Verlauf durchgeführt werden.
- Progression von SLS zu SPS zu PERM möglich
- Muskelsteifigkeit von Rumpf und v.a. proximalen unteren Extremitäten
- "brettharte" Muskulatur
- kompletter neurologischer Status
- Hirnnervenstatus: Hirnnervenausfälle bei PERM
- Muskeltonus: generell erhöht, proximal stärker ausgeprägt als distal
- Reflexstatus: gesteigerte Eigenreflexe, Verlust der Bauchhautreflexe, lebhafter Kopfretraktionsreflex bei PERM
- Sensibilität: Sensibilitätsstörung bei PERM
- Pyramidenbahnzeichen: bei PERM
- Die klinische neurologische Untersuchung ergibt keinen sicheren und objektiven pathologischen Befund.
- nach Perkussion des Muskels
- tonische Kontraktionen mit langen Relaxationszeiten
- Unterbrechung der Tonuserhöhung durch
- Schlaf
- periphere Nervenblockade
- Spinalanästhesie
- Narkose
- Gangbild
- übermäßig starre Haltung ("Zinnsoldaten")
- steifbeinig
- Verbesserung bei geringer Unterstützung
- paroxysmale Stürze
- zerebelläre Ataxie bei PERM
- Skelettdeformitäten:
- fixierte Hyperlordose
- Ankylosen
- evtl. Versteifung der Extremitäten in Extensionsstellung
Ergänzende Untersuchungen in der Hausarztpraxis
- Blutzucker und HbA1c
- Diagnostik oder Ausschluss von Typ-1-Diabetes
- Schilddrüsendiagnostik:
- TSH
- Antikörper gegen Schilddrüsen-Antigene (TPO. TRAK, MAK)
- Vitamin-B12-Spiegel zum Ausschluss eines Vitamin-B12-Mangels
- Muskelenzyme wie CK und Aldolase können leicht erhöht sein
- CRP und großes Blutbild, Retentionsparameter, Leberwerte zum Ausschluss anderer Erkrankungen
Diagnostik bei Spezialist*innen
- Neuronale Autoantikörper1,3,5:
- Untersuchung auf alle der folgenden Autoantikörper sollte erfolgen, da mehrere neuronale Antikörper gleichzeitig vorkommen können1
- 10-15 % GlyR-Antikörper
- ca. 2 % Amphiphysin-Antikörper (CAVE: paraneoplastisches Geschehen)
- < 2 % DPPX und GABAAR -Antikörper
- 70 % der Patient*innen mit SLS/SPS/PERM zeigen GAD65-Antikörper im Serum
- keine Voraussetzung für die Diagnose, nicht spezifisch für SPS
- Elektromyographie (EMG):
- nicht unterdrückbare anhaltende Aktivität von normalen motorischen Einheiten mit niedriger Frequenz, nicht pathognomisch oder obligat1
- simultane Kontraktionen in Agonisten und Antagonisten3
- durch Elektrostimulation:
- Evozierung generalisierter Spasmen mit kurzer Latenz (50-80 ms)
- Evozierung von initial hypersynchroner Aktivität antagonistischer Muskelpaare (myoklonischer Reflexspasmus), welche in eine tonisch-klonische desynchrone Aktivität übergeht (Befund ist charakteristisch)
- verminderte oder aufgehobene Muskelaktivität durch Schlaf, intravenöse Gabe von Diazepam und/oder lokale Anästhesie
- MRT (Kopf und Rücken):
- sinnvoll zum Ausschluss von Differenzialdiagnosen
- Liquor cerebrospinalis:
- Ein erfolgreicher therapeutischer Versuch mit Diazepam kann die Diagnose erhärten. 3
Indikation für Überweisung
- Die Behandlung der Erkrankung sollte durch Neurolog*innen erfolgen.
- Bei Verdacht auf die Erkrankung sollte für die weiterführende Diagnostik und Einleitung von Therapiemaßnahmen eine Überweisung erfolgen.
Therapie
Therapieziel
- Reduktion von Rigidität und Spasmen
- Schmerzreduktion
- Vermeiden der Progression der Symptomatik
- Prävention von Komplikationen
- Steigerung der Mobilität und Lebensqualität
Allgemeines zur Therapie
- Es sollte initial eine symptomatische Therapie erfolgen.3
- Bei Einleitung einer Immuntherapie sollte auf eine symptomatische Therapie verzichtet werden oder eine bereits bestehende symptomatische Therapie nicht verändert werden, um die Wirksamkeit der Immuntherapie prüfen zu können.1
- Bei Besserung der Symptomatik durch eine immunmodulierende Therapie kann die symptomatische Therapie reduziert werden und dem tatsächlichen Bedarf angepasst werden.
- CAVE: Die symptomatische Therapie sollte nicht abrupt abgesetzt werden, da es zu Entzugssymptomatik mit schwersten vegetativen Entgleisungen, u. U. letal verlaufend, kommen kann.1,5
Medikamentöse Therapie
Der gesamte Abschnitt basiert auf diesen Referenzen.1,3
Symptomatische Therapie
- Antispastische Substanzen (off label):
- Diazepam: 5-50 mg/d1 (20-80 mg/d3), auf 3-4 Dosen/d aufgeteilt, dadurch bessere Kontrolle der Symptome
- Clonazepam: 1-6 mg/d, auf 2-4 Dosen/d aufgeteilt3
- Lorazepam oder Oxazepam als Alternativen3
- Baclofen: 50-100 mg/d, auch als Add-on zu Benzodiazepinen3
- Tizanidin: 20-40 mg/d
- CAVE: einschleichende Dosierung und ausschleichende Beendigung der Therapie
- Nebenwirkungen: Sedierung, Ataxie, Augenbewegungsstörung, Amnesie, Depressionen, Stimmungsschwankungen
- Dosisanpassung nach Wirkung und Nebenwirkung
- Dosissteigerung mit der Möglichkeit der Toleranzentwicklung bei Benzodiazepinen
- süchtiger Fehlgebrauch selten
- Antikonvulsiva:
- Valproat, Gabapentin, Carbamazepin,
Pregabalin
- Valproat, Gabapentin, Carbamazepin,
- Injektionen mit Botulinum-Toxin zur vorübergehenden Entlastung bei drohender Gelenkschädigung
- Status spasmodicus: Empfehlung einer sofortigen intensivmedizinischen Perfusor-Behandlung mit Midazolam (1 mg/min) oder Propofol (10 ug/kg/min)1
- Ultima-Ratio: Intrathekale Baclofen-Applikation über ein implantiertes Pumpensystem (50-1500 ug/d)
- CAVE: bei Unterbrechung der intrathekalen Baclofen-Applikation schwerste Entzugssymptome mit vegetativen Entgleisungen, u.U. letal!
Immuntherapie
- Einleitung einer Immuntherapie bei unzureichender Wirksamkeit oder Unverträglichkeit der symptomatischen Therapie
- intravenöse Immunglobuline:
- Plasmapherese, Immunabsorption, niedrig dosierte Kortikosteroide, wiederholte Kortikosteroid-Hochdosistherapie sowie Rituximab nur in Einzelfällen erfolgreich
Weitere Therapien
- Physiotherapie: kann bei starker Stimulus-Sensitivität zur Verstärkung der Symptome beitragen
- Verhaltenstherapie: zur Krankheitsbewältigung, keine adäquate Therapie der Angstattacken
Verlauf, Komplikationen und Prognose
Verlauf
- Der gesamte Abschnitt basiert auf diesen Referenzen.1,3
- schleichende Progression über Monate
- folgende Stabilität über Jahre/Jahrzehnte möglich
- seltene subakute Krankheitsschübe (v.a. bei PERM)
- im Krankheitsverlauf möglicherweise flüchtige neurologische Symptome
- Progression zur Plusvariante (PERM) mit neuen neurologischen Symptomen möglich
- selten Spontanremission
Komplikationen
- Der gesamte Abschnitt basiert auf diesen Referenzen. 1,3,8
- Status spasmodicus ("spasmodic storm"): über längere Zeit anhaltende oder rasch aufeinanderfolgende generalisierende Spasmusattacken mit Irradiation in Larynx- und Thoraxmuskulatur, schwerer kardiozirkulatorischer Belastung und Gefahr der akuten Dysautonomie, kann letal verlaufen
- Angst und Depression sind die frühzeitigsten und häufigsten Komplikationen.8
- Dysphagien aufgrund von Spasmen der Rachenmuskulatur
- Skelettfrakturen und Muskelrupturen durch Spasmen
- Immobilität und ggf. Bettlägrigkeit
- erhöhte Sturzneigung mit Frakturen
Prognose
- Der gesamte Abschnitt basiert auf diesen Referenzen. 1,3,5,8
- Die Prognose variiert.8
- Die Krankheit kann schleichend und weitestgehend asymptomatisch verlaufen.
- Es können plötzliche Episoden mit zunehmender Rigidität auftreten.
- Bei anderen Patient*innen zeigt sich ein aggressiverer Verlauf mit rascher Progredienz der Symptomatik.
- Bei fast allen Patient*innen erfolgt eine klinische Progredienz im Verlauf.3
- Ca. 80 % der Patient*innen werden im Verlauf der Erkrankung gehunfähig, unabhängig von der Initiierung einer medikamentösen symptomatischen Therapie.
- Anti-GAD-Antikörper Titer im Serum und Liquor korrelieren weder mit dem Schweregrad der Erkrankung noch mit der Geschwindigkeit der Progression.3
- Bei dem paraneoplastischem SPS ist eine Spontanremission nach Tumorentfernung möglich.5
- Die Prognose der konnatalen Hyperekplexie ("Stiff-Baby-Syndrom) ist besser
- im Verlauf bis zur vollständigen Entwicklung des Nervensystems selbstlimitierend9
Verlaufskontrolle
- Patient*innen mit dem Stiff-Person-Syndrom und Antikörpern gegen GAD65
- Kontrolle der möglichen Entwicklung eines Typ-1-Diabetes, einer Hyper- oder Hypothyreose, eines Vitamin-B12-Mangels1
- Patient*innen mit Amphiphysin-1-Antikörpern:
- halbjährliches Malignomscreening (insb. Mamma- und Bronchialkarzinom)1
- bei positiven GlyR- oder DPPX-Antikörpern:
- Malignomassoziation in weniger als 10 % (v.a. CLL, B-Zell-Lymphom, M. Hodgkin, kleinzelliges Lungenkarzinom, Mammakarzinom)
- bei SPS mit kurzer Anamnese (< 5 Jahre) und bei Patient*innen mit PERM:
- Malignom-Screening (insb. Mamma- und Bronchialkarzinom) unabhängig vom Antikörperstatus1,5
Patienteninformationen
Patienteninformationen in Deximed
Weitere Informationen
Quellen
Leitlinien
- Deutsche Gesellschaft für Neurologie. Stiff-Man-Syndrom (Stiff-Person-Syndrom). AWMF-Leitlinie Nr. 030-080, S1, Stand 2017.www.awmf.org
Referenzen
- Deutsche Gesellschaft für Neurologie. Stiff-Man-Syndrom (Stiff-Person-Syndrom). AWMF-Leitlinie Nr. 030-080, S1, Stand 2017. www.awmf.org
- Moersch FP, Woltman HW. Progressive fluctuating muscular rigidity and spasm («stiff-man» syndrome): report of a case and some observations in 13 other cases. Mayo Clin Proc 1956; 31: 421-7. PubMed
- Helfgott SM. Stiff-person syndrome. Targoff IN, Shefner JM, ed. UpToDate. Waltham, MA: UpToDate Inc. (letzter Zugang: 13.05.2022) www.uptodate.com
- Vedeler CA, Antoine JC, Giometto B et al. Management of paraneoplastic neurological syndromes: report of an EFNS task force. Eur J Neurol 2006; 13: 682-90. PubMed
- Prüß H, Rauer S. Stiff-Person-Syndrom (SPS). In: Hufschmidt A,Rauer S, Glocker F, Hrsg. Neurologie compact. 9., vollständig überarbeitete Auflage. Stuttgart: Thieme; 2022.
- Peltola J, Kulmala P, Isojarvi J, et al. Autoantibodies to glutamic acid decarboxylase in patients with therapy-resistant epilepsy. Neurology. 2000 Jul 12. 55(1):46-50.
- Vasconcelos OM, Dalakas MC. Stiff-person syndrome. Curr Treat Options Neurol 2003; 5: 79-90. PubMed
- Rodgers-Neame NT. Stiff person syndrome. Medscape, last updated Oct 07, 2015. emedicine.medscape.com
- Jankovic J. Hyperkinetic movement disorders in children. Patterson MC, Firth HV, ed. UpToDate. Waltham, MA: UpToDate Inc. (letzter Zugang: 16.05.2022) www.uptodate.com
Autoren
- Katja Luther, Ärztin in Weiterbildung Allgemeinmedizin, Berlin
- Terje Johannessen, professor i allmennmedisin, Trondheim (tilpasning til NEL)