Hirnmetastasen

Zusammenfassung

  • Definition:Fernmetastasen von Primärtumoren im Gehirn, seltener auch im Subarachnoidalraum (Meningeosis neoplastica) oder im Rückenmark.
  • Häufigkeit:ZNS-Metastasen bei etwa 20–40 % der Tumorerkrankungen im Krankheitsverlauf. Die häufigsten Primärtumoren sind Mamma- und Bronchialkarzinome sowie maligne Melanome (kumulativ 67–80 %).
  • Symptome:Symptome sind abhängig von der Größe und Lokalisation der Hirnmetastasen, z. T. auch asymptomatisch. Häufig Kopfschmerzen, epileptische Anfälle, motorische und sensible Defizite, Sehstörungen sowie Sprach- oder Sprechstörungen.
  • Befunde:Klinisch-neurologische Untersuchung mit Nachweis fokaler neurologischer Defizite oder Hirndruckzeichen. Allgemeine körperliche Untersuchung kann Hinweise auf den Primärtumor liefern.
  • Diagnostik:Zentrale Bedeutung hat die zerebrale Bildgebung mittels MRT mit Kontrastmittel. Weitere Diagnostik umfasst histopathologische und molekulargenetische Diagnostik, Labor- und Liquordiagnostik, Primärtumorsuche.
  • Therapie:Individuelle interdisziplinäre und partizipative Therapieentscheidungen sind abhängig von der primären Tumorerkrankung. Die Therapieansätze umfassen operative Resektion, Radiochirurgie, Strahlentherapie und medikamentöse Tumortherapie (Chemotherapie, zielgerichtete Substanzen, Immuntherapie). Weiterhin kommen supportive und häufig palliative Behandlungsansätze zum Einsatz.

Allgemeine Informationen

Definition

  • ZNS-Metastasen entstehen durch hämatogene Streuung (Metastasierung) von Primärtumoren in das Gehirn oder seltener in das Rückenmark (spinale Metastasen) bzw. den Subarachnoidalraum (Meningeosis neoplastica).1-4
  • Historisch vornehmlich als eigene Krankheitsentität betrachtet, erfolgt die Beurteilung heute eher im Rahmen der jeweiligen Primärtumorerkrankung mit individualisiertem Risikoprofil.3

Einteilung nach Anzahl2,4

  • Einzelne Hirnmetastase
    • solitäre Metastase: einzelne Hirnmetastase; keine weiteren Metastasen
    • singuläre Metastase: einzelne Hirnmetastase; weitere Metastasen in anderen Organen
  • Multiple Hirnmetastasen

Häufigkeit

  • Hirnmetastasen
    • Hirnmetastasen in 20–40 % der Fälle bei Malignomen1,3-5
    • Metastasen sind bei Erwachsenen etwa 10-fach häufiger als primäre Hirntumoren.6
    • die häufigsten Primärtumoren (67–80 % der Fälle):3,7
  • Spinale Metastasen
    • Inzidenz von 3–10/100.000 Einw. pro Jahr2
  • Meningeosis neoplastica
    • in 4–15 % der Fälle von soliden Tumoren2
    • begleitende Hirnmetastasen in 30–60 %2

Ätiologie und Pathogenese

Ätiologie

  • Häufigkeit der Primärtumoren bei Hirnmetastasen:2,4,7
  • Risiko für Hirnmetastasen abhängig von Primärtumoren2
  • Lokalisation von Hirnmetastasen3
    • Großhirnhemisphären (80 %)
    • Kleinhirn (15 %)
    • Hirnstamm (< 5 %)
  • Spinale Metastasen4
  • Meningeosis neoplastica4,7
    • Bezeichnet eine diffuse Metastasierung in den Subarachnoidalraum.
    • bei etwa 10 % der malignen Erkrankungen, üblicherweise im fortgeschrittenen Krankheitsverlauf
    • Kann zu einem Hydrocephalus malresorptivus führen.
    • Oft treten weitere Metastasen auf, die mit schlechter/infauster Prognose assoziiert sind.
  • Genetische Variabilität zum Primärtumor und zu den extrakraniellen Metastasen
    • Die Hirnmetastasen zeigten in molekulargenetischen Untersuchungen häufig (53 %) genetische Alterationen, die nicht im Primärtumor nachweisbar waren.3
      • ggf. Suszeptibilität für Immuntherapien (z. B. EGFR oder HER2 Inhibitoren)

Pathophysiologie

  • Direkte Schädigung des umgebenden Hirngewebes
    • durch direkte Infiltration malignen Tumorwachstums
    • Verursacht Ausfälle abhängig von der Lokalisation, z. B. fokale Ausfälle (Paresen, Sensibilitätsstörungen) oder epileptische Anfälle (15‒20 %).
  • Erhöhter intrakranieller Druck
    • Verdrängungseffekte durch Tumorwachstum, durch ein Gewebsödem um den Tumor (perifokales Ödem) oder aufgrund eines obstruktiven Hydrozephalus
    • Symptome u. a. Kopfschmerzen, Übelkeit, Erbrechen, Müdigkeit und Abgeschlagenheit
    • klinische Zeichen: Stauungspapille oder Hirnnervenausfälle

Prädisponierende Faktoren

  • Primäre, maligne Tumorerkrankung
  • Inzidenz von Hirnmetastasen bei Diagnosestellung einer metastasierten Krebserkrankung:3

ICPC-2

  • N74 Bösartige Neubildung Nervensystem

ICD-10

  • C79 Sekundäre bösartige Neubildung an sonstigen und nicht näher bezeichneten Lokalisationen
    • C79.3 Sekundäre bösartige Neubildung des Gehirns und der Hirnhäute

Diagnostik

Diagnostische Kriterien

  • Die Symptomatik variiert je nach Lokalisation und Größe der ZNS-Metastasten, z. T. asymptomatisch.
  • Bildmorphologischer (v. a. MRT) Nachweis einer oder mehrerer Raumforderungen mit oder ohne bekannte maligne Erkrankung
  • Histopathologische Diagnostik zur Klassifikation der Tumorentität

Differenzialdiagnosen

Anamnese

 Beschwerden2-4

  • Die Symptomatik ist abhängig von Größe, Lokalisation und Anzahl der Metastasen.4
    • oft auch asymptomatische Metastasen bei Nachweis im Rahmen der Staging-Untersuchungen von Tumorerkrankungen3
  • Zeitlicher Verlauf
    • progredienter Verlauf, meist über Wochen bis Monate
  • Symptome von Hirnmetastasen3-4
    • Kopfschmerz (50 %)
    • Hemisymptomatik (50 %)
    • neuropsychiatrische Symptome (30 %)
    • epileptische Anfälle (10–25 %)
    • Sprach- und Sprechstörungen (Aphasie, Dysarthrie)
    • Hirndruckzeichen
      • Kopfschmerz, Übelkeit, Erbrechen, Bewusstseinsstörung
    • Hirnnervenparesen
  • Symptome von soliden spinalen Metastasen4
  • Symptome einer Meningeosis neoplastica4
    • Übelkeit und Erbrechen
    • Kopf-, Nacken- und Rückenschmerzen
    • Hirnnervenparesen
    • neurologische Störungen aufgrund spinaler Läsionen
      • radikuläre Schmerzen
      • Sensibilitätsstörungen und Paresen
      • Blasen- und Mastdarmstörungen

Klinische Untersuchung

Allgemeine körperliche Untersuchung

  • Klinische Zeichen des Primärtumors (extrazerebrale Tumormanifestation?)4
  • Beurteilung des Allgemeinzustands

Neurologische Untersuchung

  • Fokale Defizite und Hirnnervenausfälle
    • z. B. Paresen oder Störungen der Okulomotorik
    • Schwindel und Ataxie bei zerebellären Metastasen
  • Zeichen einer Hirndruckerhöhung4
    • Kopfschmerz, Übelkeit, Erbrechen, Bewusstseinsstörung
    • ggf. Augenspiegelung (Ophthalmoskopie)
      • Nachweis einer Stauungspapille (15‒20 %)
  • Neuropsychiatrischer Befund
    • Affekt, Stimmung, Orientiertheit, Merkfähigkeit

Ergänzende Untersuchungen in der Hausarztpraxis

  • Abhängig von der zugrunde liegenden Tumorerkrankung

Diagnostik bei Spezialist*innen

Bildgebende Untersuchungen

  • Magnetresonanztomografie (MRT) des Gehirns mit Kontrastmittel (Gadolinium)1,3-4
    • v. a. T1-gewichtete Sequenz vor und nach Kontrastmittel
    • Untersuchung der Wahl (sensitivstes Untersuchungsverfahren)2-4
    • Anzahl, Größe und Verteilung von ZNS-Läsionen sowie Differenzialdiagnostik
    • CT nur bei Kontraindikationen für die MRT
  • CT4
    • geringere Sensitivität als MRT, untergeordnete Rolle

Labordiagnostik

Histopathologische Untersuchungen

  • Histopathologische Klassifikation des Tumors durch stereotaktische Biopsie oder offene Operation4
    • bei unklarem Primärtumor und zur Differenzierung hirneigener Tumoren
    • Je länger die Diagnose eines Primärtumors zurückliegt, desto eher ist eine histologische Sicherung empfehlenswert.4
      • Bei bis zu 10 % der Fälle sind es letztlich keine Metastasen, sondern andere Prozesse (z. B. primäre Hirntumoren oder Entzündung).
    • weniger empfohlen bei multiplen Metastasen und charakteristischer Bildgebung

Fakultative, weiterführende Diagnostik4

  • Tumorsuche bei unbekanntem Primärtumor
  • Staging-Untersuchungen bei Erstdiagnose einer Krebserkrankung
  • CT der Schädelbasis bei V. a. Knocheninfiltration
  • MRT der Wirbelsäule bei V. a. spinale Metastasen
  • Liquoruntersuchung und Druckmessung bei V. a. Meningeosis neoplastica
    • allgemeine Liquordiagnostik (Zellzahl, Zytologie, Albumin, IgG, IgG-Index, Glukose, Laktat)
    • spezifische Liquordiagnostik (Immunzytochemie, Durchflusszytometrie, PCR, FISH)
  • PET-Untersuchung zur Unterscheidung zwischen (Rezidiv-)Metastase und Strahlennekrose nach Radiochirurgie

Indikationen zur Überweisung

  • Bei Verdacht auf Hirnmetastasen

Therapie

Therapieziele

  • Symptome lindern.
  • Progression verzögern.
  • Tumorfreiheit bei kurativem Ansatz

Allgemeines zur Therapie

  • Interdisziplinäre Therapiestrategien nach Möglichkeit an spezialisierten Zentren in Abstimmung mit den behandelnden Hausärzt*innen4
    • oft kein kurativer Therapieansatz bei Diagnosestellung4
  • Wesentliche Therapiemodalitäten
    • operative Resektion
    • Radiochirurgie
    • fraktionierte Strahlentherapie
    • medikamentöse Tumortherapie
    • supportive Therapie
      • symptomatische Steroidbehandlung
      • antikonvulsive Therapie
      • palliative Therapie
  • Die Wahl des Therapieansatzes ist individuell und abhängig von multiplen Faktoren.4
    • Patient*in: Alter, Allgemeinzustand (z. B. Karnofsky-Index)
    • Hirnmetastasen: Größe, Anzahl, Lokalisation, Primärtumor
    • primäre Tumorerkrankung und molekulargenetisches Profil
    • weitere Komorbiditäten
  • Meningeosis neoplastica
    • Behandlung in der überwiegenden Zahl der Fälle palliativ4
    • Abwägung Lebenszeitverlängerung, Linderung neurologischer Symptome und Schmerzen gegen Toxizität
    • wenig studienbasierte Evidenz4

Operative Therapie

Operative Resektion

  • Die operative Resektion ist ein effektives und etabliertes Behandlungsverfahren von soliden Hirnmetastasen.3-4,6,8
    • Voraussetzung ist die Zugänglichkeit für einen neurochirurgischen Eingriff.
    • bei singulären oder solitären Metastasen der alleinigen Ganzhirnbestrahlung bezüglich des Überlebens überlegen1,4
    • meist En-bloc-Resektion in Kombination mit verschiedenen intraoperativen Verfahren3
      • z. B. Neuronavigation/Brain Mapping, laserinduzierte interstitielle Thermotherapie (LITT), fokussierter Ultraschall
    • ggf. mit anschließender Ganzhirnbestrahlung
      • Senkt die Rate für intrakranielle Rezidive.1,4,6,9
      • kein verbessertes Langzeitüberleben nachgewiesen1,6,10
      • Der Einsatz ist umstritten.4,11
    • Die Resektion erlaubt eine histologische Diagnosesicherung.
  • Eine operative Resektion ist empfohlen bei4
    • singulären oder solitären Metastasen
    • gutem Allgemeinzustand
    • geringen neurologischen Defiziten
    • keinen oder stabilen (> 3 Monate) extrakraniellen Tumormanifestationen
    • Metastasen strahlenresistenter Tumoren
    • unbekanntem Primärtumor
    • einer neuroradiologisch nicht sicher als Metastase einzuordnender Läsion
    • operativ gut zugänglichen Läsionen
    • raumfordernder (Durchmesser > 3 cm) oder symptomatischer Metastase, v. a. bei
      • Hirndrucksymptomatik
      • geringem Risiko schwerer neurologischer Defizite durch die Operation
      • infratentoriellen Metastasen mit drohendem Verschlusshydrozephalus oder Hirnstammkompression.
  • Auch bei Patient*innen mit 2 oder 3 Metastasen kann die Operation indiziert sein.4,9
    • alternativ Kombination aus Resektion einer großen Metastase mit Radiochirurgie kleinerer Läsionen
  • Keine Resektion empfohlen bei Metastasen von kleinzelligem Bronchialkarzinome, Germinom oder Lymphom
  • Spinale Metastasen4
    • Insbesondere bei neurologischen Defiziten operative Dekompression zu erwägen.
    • bei Wirbelkörpermetastasierung ggf. Wirbelkörperersatz und Stabilisierungsoperationen

Liquorshunt

  • Im Falle einer Liquorzirkulationsstörung durch den Tumor mit Hydrozephalus operative Anlage einer Liquordrainage (z. B. EVD, ventrikuloperitonealer Shunt)4

Strahlentherapie

Stereotaktische Radiochirurgie

  • Perkutane stereotaktische Applikation einzelner hoher Strahlendosen1,3-4
    • verschiedene Verfahren
      • Linearbeschleuniger
      • Gamma-Knife
      • Cyber-Knife
    • Präzision von < 1 mm, niedrigere Toxizität als Ganzhirnbestrahlung3
    • Wirksamkeit in der Verbesserung des Überlebens4,12-14
      • in Studien Gleichwertigkeit von Radiochirurgie und neurochirurgischer Resektion4,9,12-13
      • lokale Tumorkontrollraten von 73–94 %
    • ggf. mit anschließender Ganzhirnbestrahlung
      • Senkt die Rate für intrakranielle Rezidive.11
      • kein verbessertes Langzeitüberleben nachgewiesen4,10-11,14
      • Risiko für Strahlennekrosen und neurokognitive Defizite1,3,6,11
  • Radiochirurgische Behandlung empfohlen bei:1,4
    • 1–4 Hirnmetastasen
    • keinen oder stabilen (> 3 Monate) extrakraniellen Tumormanifestationen
    • kleiner, tief gelegener Läsion
    • operativ nicht gut zugänglichen Läsionen, z. B. Hirnstamm
    • geringem raumforderndem Effekt der Metastase (Durchmesser < 3 cm)
    • Rezidivmetastasen nach Ganzhirnbestrahlung oder nach Operation

Ganzhirnbestrahlung

  • Primäre, adjuvante oder prophylaktische Strahlentherapie des gesamten Gehirns und der Leptomeningen1,3-4,10-11
    • Primäre Therapieoption, falls Operation oder Radiochirurgie nicht empfohlen sind.1,3
    • Verbesserung des medianen Überlebens von 2 auf 3–6 Monate4,6
    • Verbesserung der neurologischen Symptomatik und der Lebensqualität
    • Bestimmte Primärtumoren sind strahlensensitiver als andere (z. B. MammakarzinomBronchialkarzinom).6
    • nach Cochrane-Review empfohlene Strahlendosis von 30 Gy in 10 Fraktionen3,11
    • Reduktion neurokognitiver Defizite durch Memantine und Aussparung des Hippokampus1
  • Primäre, fraktionierte Strahlentherapie (Ganzhirnbestrahlung) empfohlen bei4
    • multiplen Hirnmetastasen, insbesondere bei weniger Chemotherapie-sensitiven Tumoren
    • 1–4 Hirnmetastasen, nicht für Operation oder Radiochirurgie infrage kommend
    • solitären und singulären Metastasen bei inoperabler Lokalisation oder allgemeiner Inoperabilität oder progredienten extrazerebralen Metastasen, ggf. in Kombination mit der Radiochirurgie
    • Lebenserwartung > 3 Monate.
  • Prophylaktische Ganzhirnbestrahlung bei kleinzelligem Bronchialkarzinom mit kurativem Ansatz4

Medikamentöse (Tumor-)Therapie

  • Einsatz systemischer Tumortherapien, die sich gegen den Primärtumor richten und den etablierten Protokollen folgen.4
    • klassische Chemotherapie oder molekular zielgerichtete Substanzen („Targeted Therapies“)
    • Voraussetzung ist in der Regel die (histologische) Sicherung des Primärtumors.
  • Eine primäre medikamentöse Tumortherapie kann Ansprechraten wie bei anderen Organmetastasen aufweisen.4
    • z. B. bei Brustkrebs (bis zu 50 % Therapieansprechen)

Chemotherapie

  • Klassische systemische Chemotherapie
    • Die Wirksamkeit ist vermutlich limitiert aufgrund der Blut-Liquor-Schrankengängigkeit der Pharmaka.3-4,15
    • eher untergeordnete Rolle in der Therapie von Hirnmetastasen aufgrund begrenzter Wirksamkeit in klinischen Studien3
    • meist in therapierefraktären oder palliativen Therapiesituationen
      • z. B. Carboplatin- oder Cisplatin-basierte Therapie mit lebensverlängernder Intention bei kleinzelligem Lungenkarzinom (Stadium „Extensive Disease“)
  • Intrathekale Chemotherapie bei Meningeosis neoplastica2,4
    • zugelassene Chemotherapeutika: Methotrexat (MTX), Ara-C und Thiotriethylenephosphoramid (Thiotepa)4
      • Methotrexat gilt als Mittel der Wahl.
    • Applikation über intraventrikuläres Reservoir besser als wiederholte Lumbalpunktionen
    • Ziel: Liquorsanierung innerhalb von 2 Wochen (kein Nachweis zuvor nachgewiesener Tumorzellen)

Zielgerichtete Substanzen und Immuntherapie

  • Molekular zielgerichtete Substanzen („Targeted Therapies“)3-4
    • z. T. deutliche Verbesserung des Überlebens in bestimmten Subgruppen, z. B.:3
    • Der Einsatz ist abhängig vom molekulargenetischen Profil des Primärtumors.
      • bei bestimmten Tumorerkrankungen inzwischen Erstlinientherapie
      • insbesondere bei Mammakarzinom, Melanom und nichtkleinzelligem Bronchialkarzinom1,3-4
      • z. B. BRAF-Inhibitoren bei malignem Melanom
  • Immuntherapien1,3-4
    • Therapie mit Immun-Checkpoint-Inhibitoren, z. B. CTLA-4-Inhibitoren oder PD-1-Inhibitoren bei NSCLC mit Expression von PD-1

Supportive Therapie

Kortikosteroide

  • Kortikosteroide sind wirksam in der Reduktion des perifokalen Ödems und in der Senkung des erhöhten intrakraniellen Drucks.1,3-4
    • Besserung von Symptomen durch Druck auf das umliegende Gewebe („Masseneffekt“)7
    • Akuttherapie bei klinischen Hirndruckzeichen meist mit Dexamethason
    • bei mäßigem Hirndruck zunächst in moderater Dosis (so viel wie nötig, so wenig wie möglich)
      • z. B. Prednisolon 25–50 mg/d4
  • Die Behandlung mit Kortikosteroiden kann die Diagnose (Biopsie) eines zerebralen Lymphoms erschweren.

Antiepileptika

  • Therapie von symptomatischen epileptischen Krampfanfällen3-4
    • häufig Behandlung über die komplette Überlebenszeit
    • prophylaktische Behandlung ohne epileptische Anfälle nicht empfohlen
    • bei längerer Anfallsfreiheit und definitiver Therapie ggf. ausschleichendes Absetzen
  • Empfohlene Substanzen4
    • Levetiracetam
    • Lamotrigin
    • Gabapentin

Palliative, symptomatische Behandlung

Verlauf, Komplikationen und Prognose

Verlauf

  • Die Symptome sind in der Regel langsam progredient.
    • Ausnahme: Einblutung einer Metastase

Komplikationen

  • Operation
    • Infektionen
    • Blutungen
    • Parenchymschäden mit neurologischen Funktionseinschränkungen
    • Epilepsie
  • Radiochirurgie
    • Strahlennekrose (Radionekrose)
      • wichtigste Komplikation
      • nach 2 Jahren klinisch symptomatische Strahlennekrose bei bis zu 11 %
  • Ganzhirnbestrahlung13
    • Haarverlust
    • Abgeschlagenheit
    • hypophysäre und hypothalamische Insuffizienz
    • neurokognitiven Spätfolgen (z. B. Gedächtnisstörungen) durch Neurotoxizität (insbesondere Hippokampus)4,11
      • Moderne Bestrahlungstechniken und eine Schonung des Hippokampus zielen darauf ab, die Schädigung zu vermeiden.1

Prognose

  • Die Prognose ist variabel in Abhängigkeit des Primärtumors.3-4
  • Hirnmetastasen
    • mediane Überlebenszeit von 3–6 Monaten über alle Entitäten4
    • mediane Überlebenszeit in der günstigsten prognostischen Klasse nach DS-GPA von 47 Monaten3
    • 1-Jahres-Überlebensrate von etwa 10 %
  • Spinale Metastasen
  • Meningeosis neoplastica
    • mediane Überlebenszeit ohne Behandlung nur 4–8 Wochen2,4
  • Die Überlebenszeit kann durch eine Therapie verbessert werden.4
    • unter supportiver Therapie mediane Überlebenszeit von 2 Monaten
    • nach Ganzhirnbestrahlung mediane Überlebenszeit von 3–6 Monaten
    • Überlebenszeitverlängerung um 6–9 Monate durch Operation und Ganzhirnbestrahlung gegenüber alleiniger Ganzhirnbestrahlung

Prognostische Klassifikationen

  • Es existieren verschiedene Klassifikationen zur Abschätzung der Prognose.3
  • GPA-Score („Graded Prognostic Assessment“) mit den Faktoren:
    • Alter
    • Allgemeinzustand (Karnofsky-Index)
    • Zahl der Hirnmetastasen
    • Vorhandensein extrakranieller Metastasen
    • zuletzt Erweiterung des Scores durch Primärtumoren (DS-GPA)
  • Prognostische Faktoren
    • Faktoren, die mit einer besseren Prognose assoziiert sind:4
      • Remission oder Kontrolle der systemischen Tumorerkrankung
      • langes Zeitintervall zwischen Diagnose des Primärtumors und der Hirnmetastasen
      • singuläre Hirnmetastase
      • guter Allgemeinzustand und niedriges Alter
      • bestimmte Primärtumoren: z. B. Keimzelltumor oder Mammakarzinom

Verlaufskontrolle

Empfehlungen zur Nachsorge4

  • Interdisziplinärer Ansatz
    • Definition eines zentralen Ansprechpartners
    • Aufgabenverteilung zwischen den Fachdisziplinen
  • Bildgebende Untersuchungen
    • MRT- oder CT-Untersuchungen individualisiert nach Klinik oder alle 3 Monate
  • Medikamentöse (Dauer-)Therapie
    • Regelmäßig Indikation zur Steroid- und Antikonvulsivabehandlung prüfen.
  • Klinische Verlaufsbeurteilung
  • Prüfung weiteren Bedarfs
    • Rehabilitationsmaßnahmen
      • interdisziplinäre, individuelle, an Einschränkungen angepasste Rehabilitationsmaßnahmen
    • psychoonkologische Betreuung
    • Hilfsmittel (Rollator, Rollstuhl)
    • ggf. Anbindung an palliative Versorgungsstrukturen

Rezidivbehandlung4

  • Vorgehen wird individualisiert und in Abhängigkeit vom Allgemeinzustand und der Primärtherapie geplant.
  • Erneute Resektion, medikamentöse Therapie, Radiochirurgie oder Ganzhirnbestrahlung möglich

Patienteninformationen

Patientenorganisationen

Weitere Informationen

Abbildungen

Gehirn, Übersicht
Gehirn
Hirnmetastase bei Mammakarzinom, Sagittalebene
Hirnmetastase bei Mammakarzinom, Sagittalebene
Hirnmetastase bei Mammakarzinom, Transversalebene
Hirnmetastase bei Mammakarzinom, Transversalebene
Hirnmetastase bei Nierenzellkarzinom, Transversalebene
Hirnmetastase bei Nierenzellkarzinom, Transversalebene

Quellen

Leitlinien

  • American Society of Clinical Oncology (ASCO), American Society for Radiation Oncology (ASTRO), ​Society for Neuro-Oncology (SNO). Guideline on Treatment of Brain Metastases. Stand 2021. www.astro.org

Literatur

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Autor*innen

  • Jonas Klaus, Arzt in Weiterbildung Neurologie, Hamburg
  • Die ursprüngliche Version dieses Artikels basiert auf einem entsprechenden Artikel im norwegischen hausärztlichen Online-Handbuch Norsk Elektronisk Legehåndbok (NEL, https://legehandboka.no/).

 

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