Erregerbedingte Enzephalitis

Zusammenfassung

  • Definition:Durch eine Infektion ausgelöster entzündlicher Prozess im Gehirn, der von neurologischen Symptomen begleitet wird. Virale, bakterielle, parasitäre oder mykotische Ursache.
  • Häufigkeit:Gesamtinzidenz unklar. Virale Enzephalitiden sind häufiger als bakterielle (Meningo-)Enzephalitiden. Noch viel seltener beruhen Enzephalitiden auf einer Infektion mit Parasiten oder Pilzen. Die häufigste sporadische Virusenzephalitis in Mitteleuropa ist die Herpes-simplex-Enzephalitis (Inzidenz: 5/100.000).
  • Symptome:Akute Enzephalitis: Bewusstseinsstörungen, neurologische Herdsymptome, Fieber, evtl. Kopfschmerzen, Übelkeit. Evtl. mehrphasiger Verlauf mit unspezifischen Prodromi. Chronische Enzephalitis: Verlauf in vier Stadien: Wesensänderungen, Myoklonien und Krampfanfällen, Dyskinesien, Dezerebrationsstarre.
  • Befunde:Evtl. typischer Haut- oder Schleimhautbefund als Zeichen der zugrunde liegenden Infektionskrankheit. Evtl. Zeichen einer meningealen Reizung (z. B. Nackensteife). Fokalneurologische Symptome, evtl. Hirnnervenausfälle, Persönlichkeitsveränderungen, kognitive Defizite.
  • Diagnostik:Anamnese und klinischer Befund, Liquoruntersuchung einschließlich mikrobiologischer Diagnostik, Bildgebung, evtl. EEG.
  • Therapie:Frühzeitige empirische Therapie mit Aciclovir intravenös bei allen Fällen schwerer, akuter Enzephalitis. Wenn eine bakterielle Meningitis/Meningoenzephalitis differenzialdiagnostisch nicht ausgeschlossen werden kann, sofortiger Beginn einer Antibiose. Ein frühzeitiger Behandlungsbeginn vermindert das Risiko für lebensbedrohliche Komplikationen und schwere Folgeschäden.

Allgemeine Informationen

Definition

  • Der Abschnitt basiert auf diesen Referenzen.1-5
  • Eine erregerbedingte Enzephalitis ist ein durch eine Infektion ausgelöster entzündlicher Prozess im Gehirn, der von neurologischen Symptomen begleitet wird.
  • Meist als Meningoenzephalitis
  • Bei einigen Infektionskrankheiten, z. B. postinfektiös bei Influenza, auch als Enzephalomyelitis, d. h. mit Rückenmarksbeteiligung
  • Nach Verlauf
    • akute Enzephalitis
    • chronische Enzephalitis
  • Nach Ätiologie
    • erregerbedingte (infektiöse) Enzephalitis
      • virale
      • bakterielle
      • parasitäre
      • mykotische
    • nichtinfektiöse (immunvermittelte) Enzephalitiden
  • Alle ZNS-Regionen können betroffen sein, z. B. Großhirnhemisphären, Zerebellum (Zerebellitis), Hirnstamm.

Häufigkeit

  • Der Abschnitt basiert auf diesen Referenzen.1-5
  • Regional unterschiedliche Inzidenz mit endemischem oder sporadischem Auftreten
  • Variierendes Erregerspektrum
  • Der Altersgipfel akuter erregerbedingter Enzephalitiden liegt zwischen 30 und 55 Jahren.

Virale (Meningo-)Enzephalitiden2-6

  • Häufiger als bakterielle Meningitiden/Meningoenzephalitiden2
  • Während die – meist blande verlaufende – virale Meningitis die häufigste entzündliche Erkrankung des Zentralnervensystems ist (Inzidenz ca. 10–20/10.000), sind akute erregerbedingte Enzephalitiden insgesamt relativ selten.1
    • Die häufigste sporadische Virusenzephalitis in Mitteleuropa ist die Herpes-simplex-Enzephalitis.1-2
      • Inzidenz: 5/100.000 Einw./Jahr
      • 12–44 % der erregerbedingten Enzephalitiden in europäischen Studien
      • 95 % der Fälle durch HSV-1, 5 % durch HSV-2
      • HSV-2 bei immunkompromittierten Patient*innen und bei Neugeborenen häufiger
    • Varizella-Zoster-Virus (VZV)
      • Komplikationen des Zentralnervensystems insgesamt: 1/1.000 Erkrankungen7
    • Die Frühsommer-Meningoenzephalitis (FSME) zählt ebenfalls zu den häufigeren viralen Enzephalitiden in Deutschland.
      • Im Jahr 2020 wurden 97 FSM-Enzephalitis-Fälle gemeldet (ca. 1,2/1.000.000).8
    • Rötelnvirus-assoziierte Enzephalitis
      • 1/24.000 der Röteln-Erkrankungen2
    • Masern
      • akute postinfektiöse Enzephalitis: ca. 1/1.000 Masernfälle
      • subakute sklerosierende Panenzephalitis (SSPE): 4–11/100.000 Masernfälle9
      • SSPE tritt praktisch nur im Kindes- und Jugendalter auf.
    • Mumps10
      • Enzephalitis in < 1 % der Mumpsfälle
      • eine der schwersten Komplikationen im Zusammenhang mit Infektionskrankheiten im Kindesalter
      • Mortalität bei Mumps-Enzephalitis ca. 1,5 %
    • Rabies (Tollwut)2
      • weltweit 35.000–100.000 Todesfälle
      • enzephalitische Form in 80 % der Erkrankungsfälle
      • In Deutschland wurden dank erfolgreicher Prävention seit über 10 Jahren keine Infektionen von Füchsen oder Haustieren mehr festgestellt.
      • weiterhin Tollwutviren in einheimischen Fledermäusen
      • vereinzelte Fälle bei Fernreisenden, z. B. Indien und Nordafrika
    • Enteroviren
      • in Europa 3‒4 % der erregerbedingten Enzephalitiden
  • Bei Neugeborenen
    • Die meisten neonatalen HSV-Infektionen werden durch eine Herpes-genitalis-Erkrankung der Mutter während der Geburt verursacht.
      • Etwa 30 % der Neugeborenen mit HSV-Infektion entwickeln eine akute erregerbedingte Enzephalitis.
      • Die Viren gelangen entweder über die Blutbahn oder retrograd entlang des N. olfactorius ins Zentralnervensystem.
  • Bei Kindern < 1 Jahr
    • Im Vergleich zu anderen Altersgruppen scheint eine akute erregerbedingte Enzephalitis bei Kindern unter 1 Jahr besonders häufig vorzukommen.
  • Bei Erwachsenen
    • In einer Fallkontrollstudie an 191 erwachsenen Patient*innen, die in den Jahren 2007–2014 wegen einer nichtbakteriellen („aseptischen“) Meningitis und/oder Enzephalitis am Klinikum der TU München behandelt worden waren, wurden in der Subgruppe der Patient*innen mit Enzephalitis oder Meningoenzephalitis folgende Erreger am häufigsten nachgewiesen:6

Bakterielle Meningoenzephalitis

  • Die häufigsten Erreger (Näheres siehe Artikel Bakterielle Meningitis)4
    • im Erwachsenenalter
      • Streptococcus pneumoniae
      • Neisseria meningitidis
      • Listeria monocytogenes (< 5 % der Fälle)
      • Staphylokokken (1–9 % der Fälle)
      • gramnegative Enterobakterien und Pseudomonas aeruginosa (< 10 % der Fälle)
      • Haemophilus influenzae (1–3 %)
    • im Kindesalter
      • Pneumokokken
      • Meningokokken
    • bei Neugeborenen
      • Streptococcus agalactiae (Gruppe-B-Streptokokken)
      • Listeria monocytogenes

Ätiologie und Pathogenese

  • Der gesamte Abschnitt basiert auf diesen Referenzen.1-5

Ätiologie

Pathogenese der Enzephalitis

  • Erreger gelangen in das Zentralnervensystem.
    • am häufigsten aus dem Blutkreislauf über die (evtl. entzündlich geschädigte) Blut-Hirn-Schranke (Neurotransmission des Erregers)
    • oder entlang 
      • der peripheren Nerven 
      • der Nervenwurzeln
      • des Nervus und Tractus olfactorius
  • Die Erreger breiten sich in den Gehirnzellen (Neuronen und Glia) aus.
    • Je nach Erregertyp und Immunantwort kommt es zu mehr oder weniger ausgeprägter Zellschädigung mit Untergang von Neuronen oder Gliazellen.
  • HSV
    • Kann auf drei Arten ins Zentralnervensystem gelangen:
      1. über den N. olfactorius oder N. trigeminus nach einer Primärinfektion im Oropharynx
      2. durch hämotogene Verbreitung bei einer Virämie nach einer Primärinfektion oder späteren Reaktivierung
      3. durch Reaktivierung eines latenten HSV im ZNS
  • VZV
    • akute erregerbedingte Enzephalitis durch Reaktivierung des latenten Virus in den Nervenganglien, vor allem im N. trigeminus
  • Enteroviren
    • Gelangen vom terminalen Ileum in das Lymphgewebe und anschließend hämatogen in eine Reihe anderer Organe einschließlich ZNS.

Prädisponierende Faktoren

  • Der Abschnitt basiert auf diesen Referenzen.1-5
  • Bei den folgenden Personengruppen oder Risikokonstellationen besteht bei Infektion mit bestimmten Erregern ein erhöhtes Enzephalitis-Risiko:
  • Alter
  • Tierkontakt
    • Katzen, Hunde, Schafe und Ziegen, z. B.:
    • Fledermäuse, z. B.: 
    • Schweine, z. B.:
      • Trichinellose (Verzehr von rohem Fleisch)
    • Vögel, z. B.:
      • aviäre Influenza (Geflügelpest, Vogelgrippe): Einzelfälle von Übertragung vom Tier auf den Menschen wurden berichtet.
    • Schweine, Rinder, z. B.:
      • Bandwurm: Zystizerkose des Zentralnervensystems
    • Wildtiere (u. a. Nager, Damwild), z. B.:
      • Borrelien (Reservoir, Übertragung durch Zecken)
      • FSME (Reservoir, Übertragung durch Zecken)
  • Unter Immunsuppression oder bei immunkompromittierenden Erkrankungen, z. B. bei Infektionen mit:
  • Reisen in Endemiegebiete (s. o.)

ICPC-2

  • N71 Meningitis/Enzephalitis

ICD-10

  • Nach ICD-10-GM Version 202311

G04 Enzephalitis, Myelitis und Enzephalomyelitis

  • G04.0 Akute disseminierte Enzephalitis
  • G04.2 Bakterielle Meningoenzephalitis und Meningomyelitis, anderenorts nicht klassifiziert
  • G04.8 Sonstige Enzephalitis, Myelitis und Enzephalomyelitis
  • G04.9 Enzephalitis, Myelitis und Enzephalomyelitis, nicht näher bezeichnet

G05 Enzephalitis, Myelitis und Enzephalomyelitis bei anderenorts klassifizierten Krankheiten

  • G05.0 Enzephalitis, Myelitis und Enzephalomyelitis bei andernorts klassifizierten bakteriellen Krankheiten
    • Listerien (A32.1)
    • konnatale Syphilis (A50.4)
    • Meningokokken (A39.8)
    • Spätsyphilis (A52.1)
    • tuberkulös (A17.8)
  • G05.1 Enzephalitis, Myelitis und Enzephalomyelitis bei anderenorts klassifizierten Viruskrankheiten
    • Adenoviren (A85.1)
    • Enteroviren (A85.0)
    • Grippe:
      • saisonal, Virus nachgewiesen (J10.8)
      • Virus nicht nachgewiesen (J11.8)
      • zoonotisch oder pandemisch, Virus nachgewiesen (J09)
    • Herpesviren [Herpes simplex] (B00.4)
    • Masern (B05.0)
    • Mumps (B26.2)
    • Röteln (B06.0)
    • Varizellen (B01.1)
    • Zoster (B02.0)
    • Zytomegalieviren (B25.88)

Diagnostik

Diagnostische Kriterien

  • Der Abschnitt basiert auf diesen Referenzen.2-4
  • Die akute Enzephalitis ist charakterisiert durch:
  • Bei einer akuten Meningoenzephalitis kommen zusätzlich Symptome einer Meningitis hinzu (siehe dort).
  • Bei Kindern
    • akute Enzephalitis fast immer mit Bewusstseinseintrübung
    • Besonders bei jüngeren Kindern, speziell bei Neugeborenen, können
      trotz eines ausgeprägten Befalls des Zentralnervensystems auch im weiteren Krankheitsverlauf unspezifische Symptome dominieren, z. B.:12
      • Trinkschwäche
      • Reizbarkeit
      • veränderter Muskeltonus

Differenzialdiagnosen

  • Eine akute erregerbedingte Enzephalitis kann Symptome verursachen, die denen zahlreicher anderer internistischer und neurologischer Erkrankungen ähneln.

Andere Infektionskrankheiten (Beispiele)

Nicht oder nicht unmittelbar erregerbedingte Enzephalitis2

  • Autoimmunenzephalitiden (10–20 % der bislang ungeklärten meningoenzephalitischen Krankheitsbilder)
    • meist para-/postinfektiös oder postvakzinal
    • Beispiel: akute disseminierte Enzephalomyelitis (ADEM)

Andere Ursachen

Anamnese

  • Der Abschnitt basiert auf diesen Referenzen.2-4
  • Fremdanamnese als wichtige Ergänzung, besonders bei bewusstseinsgetrübten Patient*innen
  • Typische Symptome einer Enzephalitis (siehe Abschnitt Diagnostische Kriterien)?
    • Bei einer akuten Meningoenzephalitis kommen zusätzlich Symptome einer Meningitis hinzu:
      • Kopfschmerzen (meist dumpf, drückend und ohne klar einzugrenzende Lokalisation)
      • Nackenschmerzen
      • Fieber
      • Meningismus
  • Fälle von übertragbaren Viruserkrankungen (z. B. Mumps, Windpocken, Polio) in der Umgebung?
  • Insekten- oder Zeckenstiche? (z. B. FSME, andere Arbovirus-Erkrankungen)
  • Tierkontakt? (s. o.)
  • Frühere parasitäre Erkrankungen?
  • Erhöhtes Risiko für HIV-Infektion oder andere sexuell oder durch Blutkontakt übertragbare Infektionen? z. B.:
  • Krankheitsbedingte oder therapeutische Immunsuppression? (siehe Abschnitt Prädisponierende Faktoren
  • Auslandsaufenthalte? Migration? (siehe Abschnitt Ätiologie)
    • Auch an länger zurückliegende oder latente Infektionen denken, z. B. Malaria!

Klinische Untersuchung

  • Symptome einer Enzephalitis? (siehe Abschnitt Diagnostische Kriterien)
  • Symptome der Infektion mit einem potenziellen Enzephalitiserreger? (z. B. typische Haut- oder Schleimhautläsionen, siehe Abschnitt Ätiologie
  • Neurologische Untersuchung
    • Meningeale Reizung?
      • Horizontale Erschütterungstests (schnelle Nein-Bewegungen) verschlimmern oft den Kopfschmerz.
      • Bei passiver Flexion im Nacken reagieren Patient*innen oft mit Nackenschmerzen und -starre.
      • Das Kernig-Zeichen ist positiv, wenn eine Extension im Knie in Rückenlage zu Nacken-/Rückenschmerzen und einem Widerstand führt.
      • Das Brudzinski-Zeichen ist positiv, wenn eine Flexion im Nacken in Rückenlage zu einer unfreiwilligen Flexion in den Hüften führt.
    • Fokalzeichen? z. B.:
      • Augenbewegungsstörungen, Nystagmus?
      • Sehen, Hören, Riechen, Schmecken beeinträchtigt?
      • Sensible und/oder motorische Ausfälle?
      • Pathologische Reflexe? z. B. Babinski-Zeichen
      • Aphasie?
  • Atmung
  • Durchblutung
  • Temperatur

Ergänzende Untersuchungen im Krankenhaus

Blutuntersuchungen2,4

  • Evtl. Basislabor (bei unklarem Krankheitsbild evtl. noch in der Hausarztpraxis)
  • Alle weiteren Untersuchungen erfolgen stationär.

Liquordiagnostik

  • Wichtigste Untersuchung, erfolgt sofort bei Krankenhaus-Notaufnahme.
  • Kontraindikationen1
    • intrakranielle Drucksteigerung
    • Gerinnungsstörungen
    • Entzündungen/Infektionen der Haut oder Muskulatur im Bereich der Punktion
  • Mikrobiologische Diagnostik
    • Die exakte Identifizierung des Erregers gelingt bei ca. 40 % der Patient*innen mit Enzephalitis-Verdacht.
    • zunehmende Zahl (10–20 %) mit fehlendem Erregernachweis und Zeichen einer autoimmunen Genese (akute disseminierte Enzephalomyelitis)

Bildgebung und EEG

  • Eine kranielle Bildgebung erfolgt bei den meisten Patient*innen vor der Lumbalpunktion zum Ausschluss eines erhöhten intrazerebralen Drucks.
  • Die MRT mit Kontrastmittel ist bei akuter erregerbedingter Enzephalitis sensitiver und spezifischer als die CT.2
  • Ein EEG kann zusätzliche differenzialdiagnostische Hinweise liefern.

Indikationen zur Klinikeinweisung

  • Bei Verdacht auf eine akute erregerbedingte (Meningo-)Enzephalitis die Patient*innen zur sofortigen Behandlung in die nächstgelegene neurologische Akutklinik einweisen.
    • Patient*innen mit akuter Enzephalitis sollten auf der Intensivstation behandelt werden.2

Therapie

  • Der Abschnitt basiert auf diesen Referenzen.1-5

Therapieziele

  • Symptome lindern.
    • Gegen viele Enzephalitiserreger gibt es keine kausale Therapie. Dann ist die Behandlung überwiegend symptomatisch.
    • Die blande Virusmeningitis soll symptomatisch antipyretisch und analgetisch behandelt werden.2
  • Komplikationen und Folgeerkrankungen verhindern.
  • Ggf. Restitution neurologischer Funktionen

Erstmaßnahmen bis zum Eintreffen des Rettungsdienstes

Bei Bewusstlosigkeit

  • Für freie Atemwege sorgen und Aspiration verhindern.
  • Stabile Seitenlage
  • Enge Kleidung rund um den Hals, die Brust und den Bauch lockern.

Weitere Sofortmaßnahmen

  • Bei Ateminsuffizienz Sauerstoff
  • Beine hochlagern, wenn der Blutdruck niedrig ist.
  • Venöser Zugang, bei Hypovolämie Flüssigkeitszufuhr (näheres siehe Artikel Schock)
  • Die betroffene Person sollte nicht essen oder trinken.
  • Bei Verdacht auf Hypoglykämie: Glukose, bei Bewusstlosigkeit i. v.

Bei Verdacht auf akute Meningitis

  • Bei Transportzeiten von mehr als 30 min und in Fällen, in denen eine akute bakterielle Meningitis nicht ausgeschlossen werden kann:
    • Blutkultur abnehmen und ggf. sofort mit der Behandlung beginnen (Dexamethason 10 mg und Antibiotika i. v.; Näheres siehe Artikel Bakterielle Meningitis).4
    • Venöses Blut in einer Spritze wird auf dem Transport für weitere mikrobiologische Untersuchungen mitgeführt.

Therapie im Krankenhaus

  • Die Behandlung einer akuten Enzephalitis im Krankenhaus basiert häufig auf dem Verdacht einer Infektion des Zentralnervensystems, bei der eine akute bakterielle Meningitis nicht ausgeschlossen werden kann.
  • Viele Patient*innen mit akuter erregerbedingter Enzephalitis erhalten daher zunächst auf Verdacht eine Behandlung wie bei einer akuten bakteriellen Meningitis oder wie bei einer akuten HSV-Enzephalitis (s. u.)
    • Bei entsprechendem Verdacht ist sofort und ohne den Erregernachweis abzuwarten die i. v. Gabe von Antibiotika oder Aciclovir sowie ggf. Dexamethason notwendig.

Leitlinie: Allgemeine Therapieprinzipien2

  • Bei Verdacht auf eine Enzephalitis durch Viren der Herpesgruppe (besonders HSV, VZV), der in der Frühphase bei allen schweren Enzephalitiden gegeben ist, sollte ohne zeitlichen Verzug ein Antiherpetikum (in der Regel Aciclovir) verabreicht werden.
    • Andere Virusenzephalitiden sind nach dem Erregernachweis entsprechend den Empfehlungen spezifisch zu behandeln.
  • Ist eine bakterielle Erkrankung des Zentralnervensystems differenzialdiagnostisch nicht sicher auszuschließen, wird empfohlen, zunächst zusätzlich Antibiotika zu geben (z. B. Cephalosporine der Gruppe 3 plus Ampicillin; cave: Listerien-Meningoenzephalitis!).
  • Die passive Immunisierung mit Hyperimmunseren ist bei der FSME nicht indiziert und wird auf andere ungewöhnliche Erreger beschränkt bleiben (z. B. bei Rabies-Verdacht unmittelbar nach der Exposition oder wenn die Übertragung einer schweren Virusinfektion aus epidemiologischen oder sonstigen Gründen naheliegt).
  • Die empfohlenen allgemeinen Therapiemaßnahmen sind bei allen schwer verlaufenden Enzephalitiden gleich.
    • Hirnödembehandlung
      • Osmotherapeutika
      • Der therapeutische Effekt der Entlastungstrepanation ist bisher nicht gesichert.
    • Glukokortikoide?
      • Wurden analog zu ihrem Einsatz bei der Pneumokokken-Meningitis und der HSVE durch randomisiert kontrollierte Studien geprüft.
      • Als Einzelfallentscheidungen werden bei kritischen Anstiegen des intrakraniellen Drucks höhere Glukokortikoid-Dosen eingesetzt.
    • Antikonvulsive Therapie?
      • bei hirnorganischen/epileptischen Anfällen
      • beim Status epilepticus
    • evtl. Analgetika und Sedativa
      • Cave: Senkung der Krampfschwelle durch Neuroleptika (z. B. Haloperidol, Melperon, Olanzapin)!
    • Thrombose- und Lungenembolie-Prophylaxe
      • niedrig dosiertes subkutanes Heparin bei allen bettlägrigen Patient*innen
    • symptomatische Therapie bei:
      • vegetativen Entgleisungen
      • Temperatur- und Atemstörungen
      • Salzverlustsyndrom
      • Diabetes insipidus.
    • Auf eine ausreichende Ernährung und ein optimales Temperatur-Management ist besonderer Wert zu legen.

Spezielle Therapie

  • HSV-Enzephalitis
    • Aciclovir i. v. 3 x 10 mg/kg KG für mindestens 14 Tage
    • Wenn die HSV-PCR im Liquor negativ ist, der klinische Verdacht fortbesteht und es nicht gelingt, eine andere Krankheitsursache zu finden, soll die Aciclovir-Therapie mindestens 10 Tage lang durchgeführt werden.
  • VZV-Enzephalitis
    • 1. Wahl: Aciclovir i. v. 3 x 10 mg/kg über 10‒14 Tage
  • Enteroviren
    • keine gezielte Behandlung, nur unterstützende Maßnahmen
  • CMV-Enzephalitis
    • 1. Wahl: Ganciclovir 5 mg/kg KG alle 12 h i. v.
      • In den ersten 3 Wochen der Behandlung wird die zusätzliche Gabe von Foscarnet (60 mg/kg alle 8 h oder 90 mg i. v. alle 12 h) empfohlen.
      • anschließend Ganciclovir als Monotherapie, bei immunologisch kompetenten Personen über 3 Wochen und bei immunologisch kompromittierten Patient*innen über 6 Wochen
  • EBV-Enzephalitis
    • keine kausale Therapie verfügbar
    • ggf. individueller Therapieversuch an einem spezialisierten Zentrum
  • Andere Erreger
    • Siehe die Artikel zu den entsprechenden Infektionskrankheiten.

Prävention

Allgemeine Maßnahmen

  • Händewaschen und Desinfektion nach Kontakt mit infizierten Patient*innen
  • Bei Patient*innen mit Verdacht auf akute infektiöse Enzephalitis: Isolation und Maßnahmen zum Verhindern einer Kontaktübertragung (Handschuhe, Schutzkleidung, Mundschutz etc.)
  • Vermeidung der Exposition gegenüber bekannten Vektoren wie Mücken, Fliegen, Flöhen, Milben, Zecken etc.
  • Safer Sex (z. B. Kondome)
  • Näheres zur Prävention einer Erregerübertragung siehe die Artikel zu den einzelnen Infektionskrankheiten.

Schutzimpfung

  • Ist der wirksamste Schutz gegen eine Reihe potenzieller Enzephalitis-Erreger.
  • Näheres zu den Impfindikationen und -schemata finden Sie in den Artikeln zu den jeweiligen Infektionskrankheiten.

Postexpositionsprophylaxe mit Immunglobulinen

  • Varizella-Zoster-Immunglobulin (VZIG)
    • konzentriertes Immunglobulin gegen VZV
    • Kann die Krankheit verhindern, wenn es innerhalb von 72 Stunden nach der Exposition verabreicht wird.
  • Tollwut-Immunglobulin
    • Bei einer Exposition wird spezifisches Tollwut-Immunglobulin bei vitaler Indikation gegeben, bis die Impfung wirkt.
      • Als Exposition gelten Bisse, Kratzer oder Ablecken von Schleimhäuten oder verletzter Haut durch ein mutmaßlich tollwütiges Tier bei einer nicht geimpften Person.
  • Masern-Immunglobuline nach Exposition13
    • Säuglinge im Alter von < 6 Monate
    • nichtimmunisierte Schwangere
    • immundefiziente Patient*innen
  • Hepatitis-B-Immunglobulin in Kombination mit Aktivimpfung 
    • nach Exposition bei HBsAg-positiven, anti-HBs-negativen Patient*innen
    • zur Prävention einer perinatalen Übertragung

Medikamentöse Postexpositionsprophylaxe

  • HIV
  • Bei sexuellen Kontakten oder Kontakt mit Blut- oder Blutprodukten mit erhöhtem Infektionsrisiko. Näheres siehe den Artikel HIV-Infektion und AIDS.

Verlauf, Komplikationen und Prognose

  • Der Abschnitt basiert auf diesen Referenzen.1-5

Verlauf 

Akute Enzephalitis

  • Häufig schrittweiser Beginn über mehrere Tage mit Verschlechterung der klinischen Symptome
  • Die zentralnervösen Symptome dominieren häufig, Nackenschmerzen und Nackensteife können fehlen.
  • Ausschlaggebend für den Verlauf sind Lokalisation und Entwicklungstempo des entzündlichen Prozesses.
  • Die rasche Entstehung eines Ödems führt früh zu Bewusstseinsstörungen.
  • Durch den erhöhten Hirndruck kann es zu einem sehr schweren Verlauf
    kommen mit letalem Ausgang.
    • 70 % der unbehandelten HSV-Enzephalitiden verlaufen tödlich.
  • Bei HSV-1-Enzephalitis häufig biphasischer Verlauf
    • grippales Vorstadium
      • Kopfschmerz
      • hohes Fieber
      • danach oft kurzzeitige Besserung
    • dann Stadium mit
      • psychotischen Symptomen
      • Aphasie
      • Hemiparese
      • Krampfanfällen (komplex fokal mit sekundärer Generalisierung)
      • Bewusstseinsstörungen bis hin zum Koma

Chronische Enzephalitis (früher „Slow-Virus-Enzephalitis“)2

  • Verlauf in vier Stadien
    1. Wesensänderungen
    2. Myoklonien und Krampfanfälle
    3. choreoathetoide Bewegungsstörungen
    4. Dezerebrationsstarre

Komplikationen

Neurologische Komplikationen

  • Können über eine Dauer von wenigen Minuten bis zu Tagen auftreten.
  • Hirnödem und -herniation
  • Neurologische Herdsymptome
    • besonders häufig bei VZV-Enzephalitis
    • Persistieren bei etwa 1/3 aller Erkrankten auch noch nach Entlassung aus dem Krankenhaus.
    • generalisierte Krampfanfälle (einschließlich Status epilepticus) bei 7 %
    • Koma bei 7 % der Patient*innen
  • Hirnnervenausfälle, z. B.:
    • vestibulokochleäre Beteiligung (Hörstörungen, Vestibulopathie)
    • Fazialisparese

Mangelnde Kontrolle der Infektion 

  • Häufig zeitgleich mit Hautmanifestationen, z. B. bei:

Rezidiv

  • Selbst unter einer wirksamen antiviralen Therapie kann es bei HSV- oder VZV-Enzephalitis während der gesamten Behandlungsdauer zu Rezidiven kommen.

Schwere Sepsis und septischer Schock

  • Massive systemische Entzündung mit Vasodilatation, kapillären Lecks und Mikrothrombosen
  • Dysfunktion von Endorganen wie Lunge, Herz, Niere, Leber, Darm und im Gerinnungs- und fibrinolytischen System
  • Die wichtigsten Punkte der Behandlung sind die Sicherstellung einer adäquaten Zirkulation und Beatmung in Kombination mit antimikrobieller Behandlung (z. B. Antibiose, Virostatika).

Zerebrovaskuläre Beteiligung bei Meningitis/Meningoenzephalitis4

  • Arteriell
    • Arteriitis (Stenosen, Kaliberschwankungen)
    • Vasospasmus
    • fokale kortikale Hyperperfusion
    • zerebrale Autoregulationsstörung
  • Septische Sinusthrombosen (überwiegend des Sinus sagittalis superior)
  • Kortikale Venenthrombosen

Prognose

Relevante Faktoren

  • Alter, Bewusstseinszustand, Dauer der klinischen Symptome und verstrichene Zeit bis zur antimikrobiellen Behandlung (z. B. mit Aciclovir oder Antibiotika)
  • Bei akuter Enzephalitis sind eine frühe Diagnose und ein rascher Therapiebeginn ausschlaggebend für die Prognose.

Letalität

  • HSV-Enzephalitis: 11–12 %
  • VZV-Enzephalitis: 12–20 %
  • Akute Enzephalitis ohne Erregernachweis: 9–23 %

Folgeschäden

  • Neurologische Ausfälle nach der Entlassung aus dem Krankenhaus
    • neurologische Folgeschäden: 62 % der Patient*innen 
    • Verhaltensauffälligkeiten: 10 %

Verlaufskontrolle

Patienteninformationen

Patienteninformationen in Deximed

Quellen

Literatur

  1. Hacke W (Hrsg.), Poeck K (Begr.). Neurologie. Berlin, Heidelberg: Springer 2016; 514-524.
  2. Deutsche Gesellschaft für Neurologie. Virale Meningoenzephalitis. AWMF-Leitlinie Nr. 030-100. S1, Stand 2018 (abgelaufen). www.awmf.org
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Autor*innen

  • Thomas M. Heim, Dr. med., Wissenschaftsjournalist, Freiburg
  • Die ursprüngliche Version dieses Artikels basiert auf einem entsprechenden Artikel im norwegischen hausärztlichen Online-Handbuch Norsk Elektronisk Legehåndbok (NEL, https://legehandboka.no/).

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