Pruritus ani

Allgemeine Informationen

Definition

  • Chronischer oder rezidivierender Juckreiz am After1-2
  • Hält dieser länger als 6 Wochen an, spricht man von chronischem Pruritus.

Häufigkeit

  • Häufigstes Symptom in der Proktologie
  • Bis zu 5 % der Bevölkerung sind betroffen.2-3

Diagnostische Überlegungen

  • Bei ca. 20–25 % der Betroffenen ist keine Ursache zu finden.3-5
  • Beschwerdebild mit lokaler Feuchtigkeit; mögliche Ursachen sind lokale Erkrankungen oder gynäkologische Beschwerden.
  • Besonders wichtig ist die Körperhygiene. Wenn Betroffene sich zu häufig waschen, trocknet die Haut aus, weil die schützenden Fette der Haut ausgewaschen werden. Die Austrocknung der Haut kann den Juckreiz in der Analregion verstärken.
  • Umgekehrt fördert aber auch eine schlechte oder nachlässige Körperhygiene entsprechende Beschwerden.
  • Reizstoffe in der Nahrung können vermutlich analen Juckreiz verursachen oder verstärken, möglicherweise nur indirekt über eine veränderte Stuhlkonsistenz. Im Verdacht stehen dabei u. a.:3
    • Kaffee
    • Tee
    • Bier
    • Tomaten
    • Schokolade.
  • Medikamente könnten als Auslöser eines isolierten analen Pruritus möglicherweise eine Rolle spielen, z. B. Zytostatika.3
  • Selbstgenerierend: Juckreiz führt zu erneutem Juckreiz.
  • Häufig rezidivierend

Abwendbar gefährliche Verläufe

ICD-10

  • L29.0 Pruritus ani6

Differenzialdiagnosen

  • Der gesamte Abschnitt basiert auf diesen Referenz.3,7-8
  • Juckreiz kann als unspezifisches Symptom im Rahmen praktisch aller anorektalen Erkrankungen auftreten, z. B die folgenden:

Hämorrhoiden

  • Der Abschnitt basiert auf dieser Referenz.9
  • Siehe Artikel Hämorrhoiden und Analvenenthrombose.
  • Die Ätiopathogenese ist weitgehend ungeklärt.
    • Eine Reihe von früher verdächtigten Faktoren konnten nicht als prädisponierend bestätigt werden.
      • Ein Pfortaderhochdruck z. B. begünstigt zwar die Entstehung rektaler Varizen, nicht aber von Hämorrhoiden.
  • Episoden mit hellrotem Blut im Stuhl, das beim Stuhlgang u. U. in die Toilette spritzt; häufig bereits lang bestehende Krankengeschichte. Die Betroffenen haben meist Knötchen im Analbereich ertastet.
  • Befund mit prolabierenden Hämorrhoiden oder Marisken, Hautfalten, möglicherweise interne Hämorrhoiden bei der Rektoskopie

Analprolaps

  • Siehe Artikel Anal-und Rektumprolaps.
  • Max. 2 cm des Rektums
  • Der Analprolaps, also der Vorfall der Schleimhaut des Analkanals, kann den gesamten Bereich des Analkanals betreffen oder nur partiell sein.
  • Bei der Palpation des Analkanals kann der Prolaps schwer zu tasten sein.
  • Falls der Prolaps reponiert ist, stülpt er sich bei Druck auf den Enddarm wieder aus.

Rektumprolaps

  • Siehe Artikel Anal-und Rektumprolaps.
  • Ein Vorfall aller Schichten des Rektums kann ca. 10–20 cm lang werden.
  • Bei der Palpation des Analkanals wird versucht, den Mastdarm zu reponieren.
  • Bei Druck auf den Enddarm stülpt sich der Prolaps wieder aus.

Analfissur

  • Siehe Artikel Analfissur.
  • Bisweilen bei kleinen Kindern und bei Frauen nach der Geburt zu beobachten.
  • Schmerzhafte Risse der Schleimhaut. Die Betroffenen können das Einreißen u. U. spüren; frisches Blut auf dem Toilettenpapier.
  • Führt zu Sekretion und Feuchtigkeit in der Analregion. Die Fissur tritt fast immer auf 6 Uhr in Steinschnittlage auf. Distal des Ulkus ist eine prägnante Falte zu sehen (bei der chronischen Fissur), proximal ein kleiner Polyp. Häufig kommt es zu einem Analkrampf.

Analabszess und -fistel

  • Siehe Artikel Analabszess und Analfistel.
  • Ein Analabszess entsteht vorwiegend aus einer akuten Entzündung der Proktodealdrüsen.
  • Analfisteln entstehen beinahe immer aus einem vorhandenen Analabszess.
    • Der genaue Entstehungsmechanismus ist unbekannt.
  • Die Fistel verläuft häufig vom Analkanal zur perianalen Haut.
  • Es kommt immer wieder zu Sekretion, manchmal wird auch Stuhl durch die Fistel abgegeben. Die Betroffenen klagen über ein Feuchtigkeitsgefühl. Ab und zu entwickeln die Betroffenen Ekzeme.
  • Die äußere Öffnung kann sichtbar sein, und möglicherweise lässt sich die innere Öffnung an der Linea dentata in 1–3 cm Tiefe ertasten.

Proktitis, Morbus Crohn, Colitis ulcerosa

Entzündliche Hauterkrankungen

Diarrhö

  • Diarrhö unterschiedlicher Ursache kann zu lokaler Austrocknung und mechanischer Reizung durch Toilettenpapier führen.

Infektionen

Parasiten

  • Helminthen (Würmer)
    • Madenwürmer
      • Ein Befall mit Madenwürmern (Oxyuris vermicularis) tritt am häufigsten bei Kleinkindern auf.
      • Es kommt zu intensivem Afterjucken am Abend und in der Nacht.
      • Der Wurm ist evtl. auf dem Stuhl oder rund um die Enddarmöffnung zu erkennen.
    • Cestoden (Bandwürmer)
  • Milben
  • Protozoen

Pilze

Bakterien

Viren

Gynäkologische Beschwerden

Neoplasien

Analkarzinom

  • Selten
  • Lokale Symptome und Beschwerden
  • Wunden, Blutungen und Auswüchse im und am After
  • Polypös und möglicherweise mit härterer Konsistenz als erwartet
  • Vorläufer: anale intraepitheliale Neoplasie

Andere

Paraneoplastischer Pruritus

  • In aller Regel generalisiert
  • Beispielsweise bei Lymphomen, hämatologischen Neoplasien, Prostatakarzinom und anderen soliden Tumoren

Endokrin-metabolisch/entzündlich

Psychosomatisch

Neuropathisch

  • Beispielsweise bei Kompression lumbosakraler Nervenwurzeln

Anamnese

Symptomerfassung

  • Beginn, Dauer, tageszeitliche Schwankungen?
  • Zeitlicher Zusammenhang mit Exposition gegenüber potenziellen Allergenen?
  • Art der Symptome:
    • Schmerzen?
    • Nässen?
    • perinanale Blutungen?
    • Analsekret?
    • Schleimauflagerungen auf dem Stuhl?
    • Fluor genitalis oder urethralis?
  • Stuhlgang
    • Entleerungsverhalten
    • Stuhlfrequenz
    • Stuhlkonsistenz
    • Kontinenzeinschränkungen?
    • Hygieneverhalten, verwendete Pflegeprodukte
  • Sexualverhalten
    • Rezeptiver Analverkehr?
    • Gleitgel

Prädisponierende Erkrankungen?

Hygiene?

  • Sowohl zu intensive als auch zu nachlässige Körperhygiene können zu Afterjucken führen.

Weitere Erkrankungen?

Klinische Untersuchung

  • Inspektion der Anogenitalregion
  • Digital-rektale Untersuchung (siehe auch TrainAMed Digital-rektale Untersuchung, Universität Freiburg):
    • Palpation des Analkanals
    • Austasten der Rektumampulle in der gesamten Zirkumferenz

Untersuchung auf mögliche Ursachen

Chronizität

  • Lichenifikation des Perianalbereichs, weißlich, mit kleinen Fissuren
  • Bei vielen Patient*innen ist die Haut gleichzeitig empfindlich und ekzematös.
  • Der Perianalbereich kann sehr empfindlich gegen Parfüm, Seife, Kleidung, bestimmte Nahrungsmittel und äußerliche Verletzungen sein.
  • Kratzen schädigt zusätzlich die Barrierefunktion der Haut und begünstigt das Eindringen von Erregern. Das wiederum verstärkt den Juckreiz.3
  • Der Juckreiz kann sich unabhängig von der ursprünglichen Ursache verselbständigen.3

Ergänzende Untersuchungen

In der Hausarztpraxis

  • Ggf. Laboruntersuchungen zum Ausschluss systemischer Erkrankungen, z. B. CRP, BSG, Hb, Test auf Blut im Stuhl

Bei Spezialist*innen

Proktoskopie

  • Zum Beispiel zum Nachweis von Hämorrhoiden oder einer Proktitis

Rektoskopie

Koloskopie

  • Chronisch entzündliche Darmerkrankung?
  • Tumor?
  • Polypen?

Weitere Untersuchungen

  • Ggf. gynäkologische Untersuchung
  • Ggf. dermatologische/allergologische Untersuchung evtl. Biopsie

Maßnahmen und Empfehlungen

  • Der gesamte Abschnitt basiert auf dieser Referenz.3

Indikationen zur Überweisung/Klinikeinweisung

  • Zur Diagnostik und Therapie einer zugrunde liegenden Hauterkrankung
  • V. a. maligne Erkrankung, chronisch entzündliche Darmerkrankung
  • Zur endoskopischen Diagnostik
  • Zur operativen Sanierung, z. B. von Fisteln
  • Zur diagnostischen Erfassung psychischer Störungen und ggf. psychotherapeutischen Mitbehandlung, etwa bei somatoformem Pruritus

Empfehlungen für Patient*innen

  • Angemessene Hygiene mit regelmäßigem, aber nicht zu häufigem Waschen
    • Nur Wasser verwenden, z. B. Dusche oder Bidet.
    • Detergenzien vermeiden.
    • Sanft abtrocknen.
  • Nicht mit trockenem Papier reiben und rubbeln, viel Toilettenpapier oder Wasser verwenden.
  • Hautpflege in der Analregion
    • allergenfreie Pflegeprodukte zur Wiederherstellung der Hautbarriere und/oder weiche Zinkoxidpaste
  • Maßnahmen zur Verringerung der lokalen Schweißbelastung
    • Unterwäsche aus Baumwolle tragen.
    • Keine eng anliegende Kleidung tragen.
    • Aktivitäten vermeiden, die zu stärkerer Schweißbildung führen.
  • Während der Menstruation Tampons statt Binden verwenden.
  • Nicht zu lange still sitzen, Kunststoffsitze meiden.
  • Nicht kratzen.
  • Absorbierende Baumwollkompressen, die häufig gewechselt werden, können in die Gesäßfalte eingelegt werden, um die lokale Feuchtigkeit zu mindern.
  • Auslöser für Juckreiz vermeiden.
  • Ernährungsgewohnheiten anpassen.
    • Ziel ist ein geformter Stuhl und die Reduktion einer erhöhten Stuhlfrequenz.

Medikamentöse Therapie

  • Ggf. Grunderkrankung behandeln.
  • Langzeitbehandlung vermeiden, stattdessen besser eine intermittierende Therapie mit verschiedenen Präparaten, da sich bei einer dauerhaft gleichen Therapie die Sensibilität des Gewebes verringert.

Zur Linderung des Juckreizes

  • Topische Kortikosteroide
    • Wegen des Nebenwirkungsrisikos (Hautatrophie, Teleangiektasien) langfristige Anwendung vermeiden.
  • Topische Calcineurininhibitoren (Pimecrolimus, Tacrolimus)10
    • zugelassen nur bei therapierefraktärem mittelschwerem bis schwerem atopischem Ekzem (sonst Off-Label-Use)

Sonstige Medikamente mit denkbarer, aber bislang unzureichend belegter Wirksamkeit bei analem Pruritus3

  • Eine Creme mit 0,006 % Capsaicin hat sich in einer randomisierten Crossover-Studie als signifikant wirksamer gegenüber Menthol-Creme erwiesen.11
  • Topisches Palmitoylethanolamid (PEA), ein cannabinoidähnlicher Wirkstoff
  • Ureahaltige Cremes
  • Unterspritzung perianaler Haut mit topischen Kortikoiden12

Psychosomatische Therapie

Leitlinie: Psychsosomatische Therapie bei chronischem Pruritus7

  • Bei Verdacht auf ein automatisiertes Kratzverhalten und Probleme der Pruritusbewältigung wird neben der symptomatischen auch eine psychosomatische Therapie empfohlen.
    • Diese kann als adjuvantes Schulungsprogramm, im Rahmen der psychosomatischen Grundversorgung oder einer Richtlinienpsychotherapie erfolgen.
  • Es wird empfohlen, bei somatoformem Pruritus oder psychischen Komorbiditäten, z. B. einer komorbiden Depression, auch bei chronischem Pruritus entsprechend den vorliegenden Behandlungsleitlinien vorzugehen.

Patienteninformationen

Patienteninformationen in Deximed

Video

Quellen

Leitlinien

  • Deutsche Dermatologische Gesellschaft (DDG). Analer Pruritus. AWMF-Leitlinie Nr. 013-063. S1, Stand 2020. www.awmf.org
  • Deutsche Dermatologische Gesellschaft (DDG). Diagnostik und Therapie des chronischen Pruritus. AWMF-Leitlinie Nr. 013-048. S2k, Stand 2016. www.awmf.org
  • Deutsche Dermatologische Gesellschaft (DDG). Diagnostik und Therapie des Analekzems. AWMF-Leitlinie Nr. 013-007. S1, Stand 2019. www.awmf.org
  • Deutsche Gesellschaft für Koloproktologie. Hämorrhoidalleiden. AWMF-Leitlinie Nr. 081-007. S3, Stand 2019. www.awmf.org

Literatur

  1. Fargo MV, Latimer KM. Evaluation and management of common anorectal conditions. Am Fam Physician 2012; 85: 624-30. www.ncbi.nlm.nih.gov
  2. Lacy BE, Weiser K. Common anorectal disorders: diagnosis and treatment. Curr Gastroenterol Rep 2009; 11: 413-9. PubMed
  3. Deutsche Dermatologische Gesellschaft (DDG). Analer Pruritus. AWMF-Leitlinie Nr. 013-063. S1, Stand 2020. www.awmf.org
  4. Kuehn HG, Gebbensleben O, Hilger Y, Rohde H. Relationship between anal symptoms and anal findings. Int J Med Sci 2009; 6: 77-84. PubMed
  5. Kränke B, Trummer M, Brabek E, Komericki P, Turek TD, Aberer W. Etiologic and causative factors in perianal dermatitis: results of a prospective study in 126 patients. Wien Klin Wochenschr 2006; 118: 90-4. PubMed
  6. Deutsches Institut für Medizinische Dokumentation und Information (DIMDI): ICD-10-GM Version 2021. Stand 18.09.2020; letzter Zugriff 21.10.2020. www.dimdi.de
  7. Deutsche Dermatologische Gesellschaft. Diagnostik und Therapie des chronischen Pruritus. AWMF-Leitlinie Nr. 013-048. S2k, Stand 2016. www.awmf.org
  8. Deutsche Dermatologische Gesellschaft. Diagnostik und Therapie des Analekzems. AWMF-Leitlinie Nr. 013-007, S1, Stand 2019. www.awmf.org
  9. Deutsche Gesellschaft für Koloproktologie. Hämorrhoidalleiden. AWMF-Leitlinie Nr. 081-007, Klasse S3. Stand 2019. www.awmf.org
  10. Ständer S, Schürmeyer-Horst F, Luger TA, Weisshaar E. Treatment of pruritic diseases with topical calcineurin inhibitors. Ther Clin Risk Manag 2006; 2(2): 213-8. PMID: 18360595 PubMed
  11. Lysy J, Sistiery-Ittah M, Israelit Y, et al. Topical capsaicin--a novel and effective treatment for idiopathic intractable pruritus ani: a randomised, placebo controlled, crossover study. Gut2003;52(9):1323-6. doi: 10.1136/gut.52.9.1323 DOI
  12. Tunuguntla A, Sullivan MJ. A new concept for the treatment of intractable pruritus ani. South Med J 2004; 97(7): 710. PMID: 15301134 PubMed

Autor*innen

  • Thomas M. Heim, Dr. med., Wissenschaftsjournalist, Freiburg
  • Die ursprüngliche Version dieses Artikels basiert auf einem entsprechenden Artikel im norwegischen hausärztlichen Online-Handbuch Norsk Elektronisk Legehåndbok (NEL, https://legehandboka.no/).

Links

Autoren

Ehemalige Autoren

Updates

Gallery

Snomed

Click to edit