Akute Diarrhö

Allgemeine Informationen

Definition

  • Ungleichgewicht zwischen Sekretion und Resorption im Darm und einem der folgenden Kriterien:1
    • ≥ 3 ungeformte Stühle/24 h – oder –
    • Wassergehalt ≥ 75 % – oder –
    • Stuhlgewicht ≥ 250 g
  • Sind Blut- und Schleimbeimengungen enthalten, spricht man von Dysenterie.2
  • Dauer3
    • akuter Durchfall bis zu 2 Wochen
    • persistierender Durchfall 2–4 Wochen
    • chronischer Durchfall mehr als 4 Wochen

Häufigkeit

  • Durchfall ist einer der häufigsten Beratungsanlässe in der deutschen Hausarztpraxis.1
  • Inzidenz4
    • In Deutschland beträgt die Inzidenz gastrointestinaler Infektionen 0,95 Episoden/Personenjahr bei Erwachsenen und 0,5–2 Episoden bei Säuglingen und Kleinkindern.2,5
    • Die Inzidenz der schweren gastrointestinalen Infektionen, die stationär behandelt werden muss, nimmt zu, u. a. durch Clostridioides-difficile-Infektionen.
  • Weltweit führen Diarrhö-Erkrankungen jährlich zu ca. 2,5 Mio. Todesfällen.6
  • In Entwicklungsländern ist die Diarrhö die häufigste Ursache von Sterblichkeit bei Kindern unter 5 Jahren.6

Ätiologie und Pathogenese

Infektiöse Ursachen

  • Die meisten akuten Durchfälle sind infektiös bedingt.
  • Die häufigste Ursache für eine infektiöse Diarrhö sind virale Infektionen, insbesondere durch das Norovirus.4
  • Dicht gefolgt treten bakterielle Infektionen mit Campylobacter und Salmonellen häufig auf.4
  • Die Ansteckung erfolgt entweder durch Aufnahme verunreinigten Wassers, kontaminierter Lebensmittel oder durch direkten Kontakt von Mensch zu Mensch.
  • Besonders prädestiniert für infektiöse Durchfallerkrankungen sind:
    • Reisende (siehe auch Reisediarrhö)
    • Immungeschwächte
    • Kinder in Kindertagesstätten
    • hospitalisierte Patient*innen

Nichtinfektiöse Ursachen

ICPC-2

  • D11 Durchfall

ICD-10

  • A09.0 Sonstige und nicht näher bezeichnete Gastroenteritis und Kolitis infektiösen Ursprungs
  • K52.9 Nicht-infektiöse Gastroenteritis und Kolitis, nicht näher bezeichnet

Diagnostik

Diagnostische Überlegungen

  • In den allermeisten Fällen sind Diarrhöen selbstlimitierend, und es kommt rasch zur voll­kommenen Genesung der Patient*innen. Es gibt jedoch einige Ursachen, die eine schnelle Therapie benötigen.7
  • Eine Erregerdiagnostik ist nur in speziellen Situationen indiziert.

Differenzialdiagnosen

Anamnese

  • Die Anamnese sollte folgende Punkte beinhalten:7
    • diarrhö­bezogene Anamnese
      • Wie lange geht die Symptomatik?
      • Wie häufig ist die Stuhlfrequenz?
      • Kommt es zu Stuhl­gang auch in der Nacht?
      • Gibt es Blut­- und/oder Schleimbeimengungen? Teerstuhl?
    • Begleitsymptome
      • Bestehen Schmerzen?
      • Besteht Fieber?
      • Sind andere Symptome aufgefallen? 
    • Sozial-/Umfeldanamnese
      • Ist noch jemand Bekanntes erkrankt?
      • Welcher Beruf wird ausgeübt (Gemeinschaftseinrichtungen oder lebensmittelverarbeitendes Gewerbe)?
      • Besteht Kontakt zu kleinen Kindern?
    • Auslöser
      • Was und wo wurden in den letzten Tagen gegessen?
      • Wurde vor kurzem eine Antibiotika­therapie durchgeführt?
      • Reiseanamnese?
      • Kontakt mit Tieren?
      • Medikamenteneinnahme, insbesondere Immunsuppression?
      • Sind ähnliche Diarrhöen bereits in der Vergangenheit
        vorgekommen?

Klinische Untersuchung

  • Als Erstes ist der Schweregrad der Diarrhö einzuschätzen:1
    • mild (keine körperliche Beeinträchtigung)
    • moderat (Beeinträchtigung der Alltagsaktivitäten)
    • schwer (schwere körperliche Beeinträchtigung)
  • Sind die Diarrhöen kreislaufrelevant?7
    • Blutdruck
    • Puls
    • Zeichen einer Exsikkose, z. B. trockene Schleimhäute und stehende Hautfalten
    • neurologische Auffälligkeiten/Bewusstseinsstörungen bei hypovolämischem Schock
  • Auskultation, Perkussion und Palpation des Abdomens

Ergänzende Untersuchungen

Erregerdiagnostik

  • Die meisten Episoden einer infektiösen Gastroenteritis sind selbstlimitierend, eine Diagnostik mit Sicherung des Erregers hat meist keine therapeutische Konsequenz.2
  • Bei Verdacht auf eine infektiöse Gastroenteritis sollte insbesondere in folgenden Situationen eine Erregerdiagnostik erfolgen:2
    • relevante Komorbiditäten
    • Patient*innen mit Immunsuppression
    • blutige Diarrhö
    • schweres Krankheitsbild (z. B. Fieber, Dehydrierung, SIRS/Sepsis
    • diarrhöbedingte Hospitalisierung
    • Patient*innen, die in Gemeinschaftseinrichtungen oder lebensmittelverarbeitenden Institutionen arbeiten.
    • bei Personen mit stattgehabter Antibiotika-Einnahme innerhalb der letzten 3 Monate
    • Bei Verdacht auf eine Häufung, bei der ein epidemiologischer Zusammenhang vermutet werden kann.
    • nosokomiale Diarrhö
    • vor Einleitung einer antibiotischen Therapie
  • Eine indizierte Stuhldiagnostik sollte sich zunächst auf die relevanten Erreger konzentrieren.4
  • Bei folgenden Risikofaktoren sollte auch auf Clostridioides difficile getestet werden:4
    • aktuelle oder stattgehabte Antibiotikatherapie innerhalb der letzten 3 Monate
    • hohes Lebensalter (> 65 Jahre)
    • Hospitalisierung bzw. stattgehabte Hospitalisierung innerhalb der
      letzten 3 Monate bzw. Unterbringung in Gemeinschaftseinrichtungen des Gesundheitssystems
    • multiple Komorbiditäten
    • stattgehabte C.-difficile-Infektion
  • Bei Verdacht auf eine Parasitose sollten mindestens 3 Proben untersucht werden.2

Labor 

Sonografie oder CT des Abdomens

  • Im Einzelfall sinnvoll, je nach Schwere des Krankheitsbildes2

Endoskopie

  • Nur bei Patient*innen mit einem besonderen Risikoprofil (angeborene oder erworbene Immundefekte, Fernreisende, V. a. M. Whipple oder Patient*innen mit chronischer Diarrhö) von Bedeutung

Indikationen zur Krankenhauseinweisung

Therapie

Allgemeines zur Therapie

  • Die wichtigste Maßnahme in der Therapie der akuten Diarrhö ist der Ausgleich des Flüssigkeits- und Elektrolytverlustes mittels oraler Rehydration.4
  • Allgemein wird bei Kindern und Erwachsenen die „Oral Rehydration Solution“ (ORS) empfohlen, die eine optimale Zusammensetzung aus Natrium, Kalium, Chlorid und Glukose aufweist.4
    • Bei Bedarf kann diese Lösung als Fertigprodukt in Apotheken erworben werden.
    • Alternativ kann eine Trinklösung in häuslicher Umgebung nach folgendem Rezept selbst hergestellt werden:
      • 1⁄2 Liter stilles Mineralwasser (anstelle von Wasser kann auch Kräuter- oder Früchtetee verwendet werden)
      • + 1 Teelöffel Kochsalz
      • + 7–8 Teelöffel Traubenzucker (ersatzweise Haushaltszucker)
    • Koffeinhaltige Getränke, Limonaden oder Fruchtsäfte sollten bei Dehydration nicht zur oralen Rehydration verwendet werden.5
  • Es wird neben der oralen Rehydration eine frühe Realimentation in den ersten 12 h nach Beginn der Rehydration empfohlen.4
    • Hierbei sollte eine altersentsprechende Normalkost verwendet werden.
  • Hygienemaßnahmen einhalten:1
    • Händewaschen/-desinfektion
    • möglichst Toilettentrennung
    • ggf. Isolation

Medikamentöse Therapie

Symptomatisch2

  • Eine kurzdauernde symptomatische Therapie mit motilitätshemmenden Substanzen (z. B. Loperamid) kann bei unkompliziertem Krankheitsbild durchgeführt werden.
    • Dosierung gemäß DEGAM: Loperamid 2 mg, max. 6 mg/d1
    • nicht bei blutiger Diarrhö, Fieber oder Megakolon und nicht bei Kleinkindern
      • für Kinder alternativ Racecadotril5
  • Symptomatische analgetische/spasmolytische Therapie kann gemäß des Stufenschemas der WHO mit Paracetamol, Metamizol, Opioiden sowie Butylscopolamin durchgeführt werden.
    • Vermieden werden sollten Acetylsalicylsäure, nichtsteroidale Antiphlogistika und Coxibe.
  • Bei Erbrechen kann eine antiemetische Therapie mit z. B. Domperidon p. o. (max. 3 x 10 mg/d) 8 oder Dimenhydrinat als Supp. (1–2 x tgl. 150 mg)9 erfolgen.
    • Die DEGAM empfiehlt als Antiemetikum MCP 3–4 x 10 mg/d.1
  • Von der Einnahme von Probiotika bei akuter Diarrhö wird vor dem Hintergrund möglicher Nebenwirkungen abgeraten.4

Antibiotika

  • Die DEGAM empfiehlt, ambulant keine Antibiotika ohne Keimnachweis einzusetzen (Gefahr vermehrter Toxinbildung).1
  • Eine empirische antibiotische Therapie wird generell nicht empfohlen, kann aber in bestimmten Fällen notwendig sein:4
    • Immunsuppression
    • Verdacht auf systemische Infektion (Fieber > 38,5 °C)
    • blutige Diarrhö
  • Die initiale empirische antimikrobielle Therapie sollte – nach Durchführung einer Erregerdiagnostik – mit einer der folgenden Substanzen erfolgen:2
    • Azithromycin 500 mg/d p. o. für 3 Tage – oder –
    • Ciprofloxacin (1 g/d p. o. oder 800 mg/d i. v. für 3–5 Tage) – oder –
      • Cave: Fluorchinolone sollten nur nachrangig gegeben werden!4
      • Für Fluorchinolone wurden von der EMA Anwendungsbeschränkungen empfohlen: Besondere Vorsicht bei Älteren und bei Patient*innen mit Nierenfunktionseinschränkung. Keine Kombination mit Kortikosteroiden. Nicht empfohlen als Mittel der 1. Wahl zur Behandlung leichter und mittelschwerer Infektionen.10
    • Ceftriaxon (2 g/d i. v.) für 3–5 Tage

Prävention

  • Vermeiden von:
    • unsauberem Wasser
    • nicht gut durchgekochtem oder durchgebratenem Fleisch und insbesondere aufgetautem Geflügel
    • nicht ausreichend erhitzten Eiern, eihaltigen Speisen (Mayonnaise, Milchspeiseeis etc.)
    • nicht pasteurisierter Milch 
    • rohem Obst und ungeschältem Gemüse
  • Regelmäßiges Händewaschen nach dem Toilettenbesuch und vor der Zubereitung von Mahlzeiten11
  • Impfstoffe

Wiederzulassung zu Gemeinschaftseinrichtungen

  • Gemäß § 34 Infektionsschutzgesetz: Wiederzulassung für an einer infektiösen Gastroenteritis erkrankte/krankheitsverdächtige Kinder, die das 6. Lebensjahr noch nicht vollendet haben, 48 Stunden nach Abklingen der klinischen Symptome möglich12

Verlauf, Komplikationen und Prognose

Verlauf

  • Die durchschnittliche Erkrankungsdauer bei gastrointestinalen Infektionen bei Erwachsenen beträgt 3,7 Tage.2
  • Bei der infektiösen Gastroenteritis bei Kindern dauert das Erbrechen typischerweise 1–3 Tage, während die Durchfälle üblicherweise 5–7 Tage, in manchen Fällen auch bis zu 2 Wochen andauern können.5

Komplikationen

  • Exsikkose, Hypotonieakutes Nierenversagen
  • Schwere Elektrolytverschiebungen und Störungen des Säure-Basen-Haushalts mit neurologischen (u. a. Vigilanzverlust) oder kardialen Komplikationen1,5
  • Verschlechterung einer Grunderkrankung bei fehlender Wirksamkeit bestehender Medikation1
  • Sepsis bei Durchwanderungsperitonitis1
  • Ausbildung eines HUS bei EHEC-Infektion1
  • Krampfanfälle, bei Kindern meist fieberassoziiert und in Verbindung mit schwerer Hyper- oder Hyponatriämie5

Prognose

  • In der Mehrheit der Fälle handelt es sich um kurze und milde Krankheitsverläufe ohne bleibende Gesundheitsschäden.1
  • Mehr als 1/3 (37,8 %) der Erkrankten begeben sich in eine ambulante ärztliche Betreuung, weniger als 1–3 % der Patient*innen werden hospitalisiert.2
    • Bei Kindern ist die Hospitalisierungsrate deutlich höher mit ca. 100.000 stationären Aufnahmen pro Jahr in Deutschland, wovon ca. 25.000 auf Rotavirus-Infektionen entfallen.5

Patienteninformationen

Patienteninformationen in Deximed

Quellen

Leitlinie

  • Gesellschaft für Pädiatrische Gastroenterologie und Ernährung e. V. (GPGE). Akute infektiöse Gastroenteritis im Säuglings-, Kindes- und Jugendalter. AWMF-Leitlinie Nr. 068-003. S2k, Stand 2019. www.awmf.org

Literatur

  1. Deutsche Gesellschaft für Allgemeinmedizin und Familienmedizin. Akuter Durchfall. AWMF-Leitlinie Nr. 053-030, Stand 2013. www.awmf.org
  2. Deutsche Gesellschaft für Gastroenterologie, Verdauungs- und Stoffwechselkrankheiten. Gastrointestinale Infektionen und Morbus Whipple. AWMF-Leitlinie Nr. 021-024. Stand 2015 (abgelaufen). www.awmf.org
  3. Frize B, Büning C. Diarrhoe und Obstipation. Harrisons Innere Medizin. 19. Auflage 2016 Thieme-Verlag S. 320f.
  4. Manthey CF, Beime J, Schulz-Jürgensen S. Akute Gastroenteritis im Kindes- und Erwachsenenalter. Gastroenterologie up2date 2020; 16(4): 367-85. www.thieme-connect.com
  5. Gesellschaft für Pädiatrische Gastroenterologie und Ernährung e. V. (GPGE). Akute infektiöse Gastroenteritis im Säuglings-, Kindes- und Jugendalter. S2k, AWMF-Leitlinie Nr. 068-003. Stand 2019. register.awmf.org
  6. Kosek M, Bern C, Guerrant RL. The global burden of diarrhoeal disease, as estimated from studies published between 1992 and 2000. Bull World Health Organ. 2003;81(3):197–204. www.ncbi.nlm.nih.gov
  7. Jessen B, Sonnenberg E. Mein erster Dienst Gastroenterologie. Berlin, Heidelberg: Springer, 2022. link.springer.com
  8. Ratiopharm. Fachinformation Domperidon. Stand September 2017. Letzter Zugriff 28.03.2023. www.ratiopharm.de
  9. Klinge. Fachinformation Nomex A Suppositorien. Stand Oktober 2017. Letzter Zugriff 28.03.23. s3.eu-central-1.amazonaws.com
  10. BfArM. Fluorchinolone: Einschränkungen in der Anwendung aufgrund von möglicherweise dauerhaften und die Lebensqualität beeinträchtigenden Nebenwirkungen 16.11.18. www.bfarm.de
  11. Ejemot-Nwadiaro RI, Ehiri JE, Meremikwu MM, Critchley JA. Hand washing for preventing diarrhoea. Cochrane Database of Systematic Reviews 2008, Issue 1. Art. No.: CD004265. DOI: 10.1002/14651858.CD004265.pub2. DOI
  12. RKI. Empfehlungen für die Wiederzulassung zu Gemeinschaftseinrichtungen gemäß § 34 Infektionsschutzgesetz. Stand 09.03.2023. Letzter Zugriff 28.03.23. www.rki.de

Autor*innen

  • Lino Witte, Dr. med., Arzt in Weiterbildung Allgemeinmedizin, Münster
  • Die ursprüngliche Version dieses Artikels basiert auf einem entsprechenden Artikel im norwegischen hausärztlichen Online-Handbuch Norsk Elektronisk Legehåndbok (NEL, https://legehandboka.no/).

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