Strahlenschäden am Darm

Zusammenfassung

  • Definition:Akute und chronische Schäden im Darm nach einer Bestrahlung
  • Häufigkeit:Kommt gelegentlich als Komplikation bei der Bestrahlung von abdominalen Karzinomen vor.
  • Symptome:Die Symptome in der Akutphase sind Diarrhö, Magenschmerzen, Anorexie und Abgeschlagenheit. Chronische Schmerzen können nach etwa einem Jahr mit Malabsorption, Diarrhö, Magenschmerzen, Blutungen und Abszessbildung vorkommen.
  • Befunde:Der klinische Befund hängt von den aktuellen Komplikationen ab.
  • Diagnose:Die Diagnose wird mit Röntgen und Endoskopie bestätigt.
  • Behandlung:Drei Hauptansätze: Medikamente, Chirurgie, Ernährung

Allgemeine Informationen

Definition

  • Bestrahlung kann akute und chronische Schäden im Darm verursachen.1-2
  • Duodenum, distaler Dünndarm und distales Kolon/Rektum sind am häufigsten betroffen (z. B. Strahlenproktitis).
  • Imperativer Stuhldrang ist ein Kardinalsymptom.
  • Es wird zwischen akuten und chronischen Strahlungsschäden unterschieden.
    • Akute Schäden treten innerhalb von sechs Wochen nach der Bestrahlung auf.
    • Chronische Schäden können später entstehen, meist nach ca. neun bis 14 Monaten, manchmal aber auch nach vielen Jahren.

Häufigkeit

  • Kommt gelegentlich als Komplikation bei der Bestrahlung von abdominalen Karzinomen vor.
  • Man rechnet damit, dass 5–10 % der Patienten mit Bestrahlung des Beckens eine Strahlungsreaktion bekommen.3

Ätiologie und Pathogenese

  • Das Epithel im Gastrointestinaltrakt hat eine hohe Proliferationsrate, wodurch es sehr anfällig für Schädigungen durch Bestrahlung und Chemotherapie ist.
  • Dies kann sich auf unterschiedliche Art äußern:
    • intestinale Pseudoobstruktion (Motilitätsstörung)
    • lokalisierte Darmaffektion
    • akute Komplikationen wie Blutung, Perforation, mechanisches Ileum.
  • Akute Schäden gehen häufig innerhalb von einigen Wochen wieder zurück. Chronische Veränderungen können aber Monate bis Jahre nach der Bestrahlung auftreten.2

Pathogenese

  • Strahlungsschäden, die erst spät auftreten, werden auf eine progressive epitheliale Atrophie und Fibrose zurückgeführt, begleitet von einer obliterierenden Endarteritiis und einer chronischen Ischämie in der Mukosa.4
  • Der Schaden entsteht vor allem in den mukösen Stammzellen. Das führt zu verringerten Zellreserven in den Darmzotten; die Folge sind eine dünnere Schleimhaut, kürzere Zotten und eine verringerte Absorptionsfläche.
  • Die Schäden können sich schon Stunden nach der Bestrahlung zeigen. Den initialen Veränderungen folgen Entzündungen, progressive okkludierende Vaskulitis, Atrophie der Mukosa und zunehmende Fibrose.5
  • Ulzerationen können in der Mukosa auftreten und zu einer Perforation sowie zur Fistel- und Abszessbildung progredieren.
  • Die zunehmende Fibrose verengt das Darmlumen, das führt zur Striktur oder sogar zur Obstruktion – mit dem Risiko einer Blutung und spontanen Perforation.2
  • Die chronischen Veränderungen können zur Malabsorption führen6, zu bakteriellen Wucherungen7 und/oder zur verringerten Resorption der Gallensalze (was eine Diarrhö verursacht).
  • Zu den Symptomen zählen Diarrhö, Verstopfung, Rektalschmerzen oder Stuhldrang sowie seltener fäkale Inkontinenz.

Disponierende Faktoren

  • Strahlenfeld
  • Strahlentyp, Dosis
  • Eine gleichzeitige Chemotherapie erhöht das Risiko für eine Strahlenenteritis.8

ICPC-2

  • A87 Komplikation medizinischer Behandlung

ICD-10

  • K52 Sonstige nichtinfektiöse Gastroenteritis und Kolitis
    • K52.0 Gastroenteritis und Kolitis durch Strahleneinwirkung

Diagnostik

Diagnostische Kriterien

  • Es gibt wenige spezifische Kriterien.
  • Strahlenbehandelter Patient, Klinik mit dem Verdacht auf Erkrankung, evtl. Nachweis von Schäden durch Röntgen und Endoskopie

Ziel der Untersuchung

  • Die Untersuchung richtet sich in erster Linie nach einem evtl. Rezidiv der Grunderkrankung. Eine abdominale MRT/CT ist häufig erforderlich.
  • Ein strahlengeschädigter Darm wird vermutet, wenn Malignität ausgeschlossen ist, kann aber selbstverständlich auch eine bestehende Malignität begleiten.

Differenzialdiagnosen

  • Grunderkrankung

Anamnese

  • Bestrahlung des Patienten
  • Informationen über Strahlenfeld und Strahlentyp geben Aufschluss über die Art des Schadens und sollten eingeholt werden.
  • In der akuten Phase
    • Der Patient leidet an Diarrhö (oft in der dritten Woche der Behandlung), Magenschmerzen, Anorexie und Abgeschlagenheit.
    • Die Symptome lassen nach einer Weile nach und hören meist zwei bis sechs Wochen nach Ende der Bestrahlung auf.9-10
  • Chronische Schmerzen
    • Treten häufig acht bis zwölf Monate nach der Bestrahlung auf.
    • Spätfolgen können Malabsorption, Diarrhö, Magenschmerzen, Blutungen und Abszessbildung sein.11

Intestinale Pseudoobstruktion

  • Kann Teile oder den gesamten Dünndarm treffen.
  • Tritt häufig in Form von wiederholten Anfällen mit Übelkeit und Erbrechen über mehrere Stunden oder Tage auf, unterbrochen von symptomfreien Intervallen.
  • Starke Anfälle unterscheiden sich nicht von Ileus.
  • Patienten haben aufgrund von bakteriellen Wucherungen häufig einen mangelnden Ernährungsstatus, Malabsorption und Maldigestion.

Lokalisierte Darmaffektion

  • Eine lokale Schädigung im Duodenum kann zu einer verringerten Magenentleerung mit frühem Sättigungsgefühl, Übelkeit und Erbrechen in Verbindung mit der Nahrungsaufnahme führen.
  • Ein lokalisierter ilealer Schaden kann von Gallensäure- und Vitamin-B12-Malabsorption mit Diarrhö als wichtigsten klinischen Symptomen begleitet sein.

Akute Komplikationen

  • Blutungen
  • Perforation
  • Mechanischer Ileus

Klinische Untersuchung

  • Ist abhängig von den aktuellen Komplikationen.

Ergänzende Untersuchungen

Andere Untersuchungen

  • Atemtest zum Nachweis von bakteriellen Wucherungen (Xylose/Wasserstoff-Atemtest)
  • Röntgen Dünndarm mit Sonde
    • intestinale Pseudoobstruktion
      • Das Röntgen zeigt dilatierte Dünndarmschlingen, evtl. mit Flüssigkeitsspiegel. Das Kontrastmittel fließt häufig langsam, ohne dass es ein mechanisches Hindernis gibt.
  • Obere und niedere Endoskopie mit Duodenal- und Ileumbiopsie
  • Spezialuntersuchungen wie Magenentleerung, Dünndarmmotilität, Darmflora und Absorption im Dünndarm
  • 5-HIAA und VMS können indiziert sein.

Therapie

Therapieziel

  • Die akuten Komplikationen überleben.
  • Symptome lindern.

Allgemeines zur Therapie

  • Die Vorbeugung ist entscheidend. Wenn dennoch Beschwerden auftreten, sollte die Behandlung so konservativ wie möglich sein.11
  • Drei Hauptansätze:
    • medikamentöse Behandlung
    • operativer Eingriff
    • Ernährung/Substitution.
  • Die wissenschaftliche Dokumentation der Wirkung der unterschiedlichen Ansätze ist unzureichend.

Ernährung/Substitution

  • In Zusammenarbeit mit einem Diätetiker
  • Fettreduzierte Ernährung; kleinere, häufigere Mahlzeiten
  • Ergänzung mit Vitaminen und Spurenelementen
  • Eine elementare Diät kann versucht werden, evtl. Biosorbin, MCT, Gewichtskontrolle.
  • Nahrungsergänzung mit Vitamin D und Kalzium sind besonders wichtig.
  • Evtl. ist die zusätzliche Einnahme von Vitamin B12 notwendig.
  • Enterale Ernährung über Sonde oder Enterostomie
  • Vollständige parenterale Ernährung kann zeitweise notwendig werden. Einzelne Patienten mit strahleninduzierter Enteropathie leiden nach der Operation am Kurzdarmsyndrom.

Medikamentöse Therapie

  • Bei bakteriellen Wucherungen
    • Metronidazol 3 x 200 mg über acht bis zehn Tage, evtl. ergänzt mit Oxytetracyclin 3 x 250 mg
    • Wird bei Bedarf wiederholt.
    • Eine feste Langzeitbehandlung bringt selten dauerhaft gute Ergebnisse.
  • Bei unangenehmer Diarrhö
    • Cholestyramin 4 g 3- bis 4-mal täglich kann versucht werden.
      • Wenn die Malabsorption von Gallensäure eine wichtige Ursache ist, wird die Behandlung zu einer deutlichen Besserung innerhalb von drei bis vier Tagen führen.
    • Loperamid hat bei vielen Patienten eine symptomatische Wirkung bei Diarrhö.
      • Wird nach Bedarf nach klinischer Wirkung dosiert.
      • NB! Bei Patienten mit ausgesprochener Hypomotilität kann sich der Zustand verschlimmern.

Hyperbare Sauerstofftherapie

  • Die Behandlung in der Druckkammer stimuliert die Kollagenproduktion und Angiogenese und führt zu einer Verbesserung der lokalen Mikrozirkulation.3
  • Bei zwei von drei Patienten verbessert sich der Zustand, und ca. die Hälfte der Patienten berichtet von einer deutlichen Besserung der Symptome nach drei Wochen Behandlung.

Operative Therapie

  • Bei einzelnen Patienten können Spezialuntersuchungen lokalisierte Pathologien aufdecken, die sich für eine zielgerichtete Operation eignen.
  • Das Risiko bei einer Operation ist allerdings hoch. Chronische Strahlungsschäden bedeuten eine verringerte Zirkulation im betroffenen Darmsegment. Wenn es die verbleibende Darmlänge erlaubt, sollte eine Resektion der strahlengeschädigten Umgebung vorgenommen werden.
  • Man sollte gesunde Enden bei der Anastomose anstreben.
  • Eine ileozökale Resektion sollte einer Ileumresektion vorgezogen werden.
  • Ein stenotischer Abschnitt distal sollte ausgeschlossen werden.
  • Eine Operation sollte erst erwogen werden, wenn der Patient nach optimaler medikamentöser Behandlung und Ernährungsergänzung/Beratung weiterhin an Gewicht verliert und belastende Symptome hat.
  • Bei einer Krebsoperation im Becken, bei der eine postoperative Bestrahlung notwendig sein kann, sollte man versuchen, den Dünndarm aus dem Becken auszulagern, z. B. indem das Omentum majus heruntergezogen wird.

Prävention

  • Anwendung von Techniken, die die Strahlenbelastung des gesunden Gewebes minimieren.

Verlauf, Komplikationen und Prognose

Verlauf

  • Akute Strahlungsschäden gehen in der Regel vorüber und verschwinden nach ca. zwei bis sechs Monaten von selbst.

Komplikationen

Akute Komplikationen

  • Blutungen
  • Perforation
  • Mechanischer Ileus

Spätere Komplikationen nach der Bestrahlung

  • Schrittweise abnehmende Kreislauffunktion über Jahre, die zu Infektionen, Wundbildung und Atrophie der Schleimhaut führen kann.3
  • Strahlenbedingte Enteritis kann mehrere Jahre nach der Bestrahlung vorkommen mit typisch häufigem und dünnflüssigem Stuhlgang sowie Blutungen aus dem Darm.

Prognose

  • Chronische Veränderungen sind andauernd und häufig progredierend.
  • Die Bestrahlung des Beckens zur Krebsbehandlung bei Kindern bedeutet ein erhöhtes Risiko für ein kolorektales Karzinom im erwachsenen Alter.

Patienteninformationen

Welche schriftlichen Patienteninformationen liegen vor?

Quellen

Leitlinien, Richtlinien (Deutschland)

Literatur

  1. Babb, RR. Radiation proctitis: A review. Am J Gastroenterol 1996; 91: 1309. PubMed
  2. Czito BG, Meyer JJ, Willett CG. Gastrointestinal toxicity of radiation therapy. UpToDate, last updated March 16, 2010. UpToDate
  3. Aanderud L, Thorsen E, Brattebø G, Forland M, Kristensen G. Hyperbar oksygenbehandling ved strålereaksjoner. Tidssk Nor Lægeforen 2000; 120: 1020-2. PubMed
  4. Saclarides TJ. Radiation injuries of the gastrointestinal tract. Surg Clin North Am 1997; 77: 261. PubMed
  5. Hasleton PS, Carr N, Schofield PF. Vascular changes in radiation bowel disease. Histopathology 1985; 9: 517. PubMed
  6. Husebye E, Hauer-Jensen M, Kjørstad K, Skar V. Severe late radiation enteropathy is characterized by impaired motility of proximal small intestine. Dig Dis Sci 1994; 39: 2341. PubMed
  7. Wedlake L, Thomas K, McGough C, Andreyev HJ. Small bowel bacterial overgrowth and lactose intolerance during radical pelvic radiotherapy: An observational study. Eur J Cancer 2008; 44: 2212. PubMed
  8. Gunnlaugsson A, Kjellén E, Nilsson P, Bendahl PO, Willner J, Johnsson A. Dose-volume relationships between enteritis and irradiated bowel volumes during 5-fluorouracil and oxaliplatin based chemoradiotherapy in locally advanced rectal cancer. Acta Oncol 2007; 46: 937. PubMed
  9. Hauer-Jensen M. Late radiation injury of the small intestine. Clinical, pathophysiologic and radiobiologic aspects. A review. Acta Oncol 1990; 29: 401. PubMed
  10. Czito BG, Meyer JJ, Willett CG. Gastrointestinal toxicity of radiation therapy. UpToDate, last updated April 2012 . UpToDate
  11. Roberts I. Diagnosis and management of chronic radiation enteritis. UpToDate, last updated May 14, 2014. UpToDate
  12. Denton A, Forbes A, Andreyev J, Maher EJ. Non surgical interventions for late radiation proctitis in patients who have received radical radiotherapy to the pelvis (Cochrane Review). In: The Cochrane Library, Issue 1, 2002. Oxford: Update Software, The Cochrane Library

Autoren

  • Günter Ollenschläger, Prof. Dr. Dr. med., Internist, Uniklinikum Köln
  • Ingard Løge, spesialist allmennmedisin, redaktør NEL

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