Zusammenfassung
- Definition:Neurodegenerative Erkrankung mit Schädigung des Plexus myentericus, die zu einer Motilitätsstörung des distalen Ösophagus sowie gestörter Relaxation des unteren Ösophagussphinkters führt.
- Häufigkeit:Prävalenz ca. 10:100.000, Inzidenz ca. 1:100.000 pro Jahr.
- Symptome:Schluckstörung (Dysphagie), Regurgitation von unverdauten Speisen, retrosternale Schmerzen.
- Befunde:Dysphagie mit Regurgitation, Mangelernährung, Gewichtsverlust, Kachexie, Aspirationspneumonie.
- Diagnostik:Ösophagogastroskopie, Ösophagogramm (Röntgen-Breischluck), Ösophagus-Manometrie.
- Therapie:Medikamentöse Therapie ohne suffiziente Langzeitwirkung. Verschiedene interventionelle (endoskopische und operative) Verfahren, z. B. pneumatische Dilatation und laparoskopische bzw. perorale endoskopische Myotomie.
Allgemeine Informationen
Definition
- Neurodegenerative Erkrankung des Plexus myentericus, die zu gestörter Motilität des Ösophagus bis zur funktionellen Obstruktion führt.1-2
- Insbesondere die Motilität des distalen Ösophagus und die Funktion des unteren Ösophagussphinkters sind betroffen.
- Klinische Symptome sind Schluckstörung (Dysphagie), Regurgitation von unverdauten Speisen, retrosternale Schmerzen.
- erhöhtes Risiko für das Auftreten eines Ösophaguskarzinoms
- Die Diagnostik umfasst Endoskopie, Ösophagus-Manometrie und Ösophagus-Breischluckuntersuchung.2
- Therapie medikamentös oder interventionell
- Verschiedene interventionelle Verfahren stehen zur Verfügung (z. B. Ballondilatation).
Häufigkeit
- Insgesamt seltene Erkrankung
- Altersgipfel der Erstmanifestation zwischen 60 und 70 Jahren
- Alter und Geschlecht
- erstmaliges Auftreten am häufigsten bei 60- und 70-Jährigen, aber auch bei Jüngeren, und das geschlechtsunabhängig
- Die Erkrankung kann auch im Kindesalter beginnen, praktisch jedoch nicht vor dem 8. Lebensjahr.
Ätiologie und Pathogenese
- Ätiologie der primären (idiopathische) Achalasie weitgehend unbekannt
- Untergang von Nervenzellen im Plexus myentericus (Auerbach-Plexus)1
- Teil des autonomen enterischen Nervensystems (ENS)
- Die Erkrankung wird häufig zu den neurodegenerativen Erkrankungen gezählt.2
- Der Plexus myentericus steuert die Motilität im Gastrointestinaltrakt.
- Erkrankung betrifft v. a. den unteren Ösophagussphinkter (UÖS).1-2
- Im Ausgangszustand ist der UÖS kontrahiert und verhindert den Reflux von Magensäure.
- im Rahmen des Schluckvorganges Öffnung zur Passage von Nahrung in den Magen
- bei Achalasie dauerhafte Kontraktion und fehlende Erschlaffung des UÖS
- Die Nahrung tritt erst in den Magen über, wenn der Kontraktionsdruck des UÖS überwunden wird.
- Druckerhöhung im Ösophagus und Regurgitation sowie Aspiration von Nahrung führen zu den Komplikationen der Erkrankung.
ICPC-2
- D84 Speiseröhrenerkrankung
ICD-10
- K22.: Sonstige Krankheiten des Ösophagus
- K22.0: Achalasie der Kardia
Diagnostik
Diagnostische Kriterien
- Oft verzögerte Diagnosestellung aufgrund der unspezifischen Beschwerden1-2
- Klinisch progrediente Dysphagie und Regurgitation von unverdauter Nahrung
- Diagnosesicherung durch erweiterte Diagnostik (Endoskopie, Ösophagogramm, Manometrie)
Differenzialdiagnosen
- Gastroösophagealer Reflux
- Ösophaguskarzinom
- Ösophagusspasmen
- Ösophagusdivertikel
- Sklerodermie
- Peptische Striktur
- Schlaganfall mit Dysphagie
- Neurodegenerative Erkrankungen (z. B. Parkinson-Syndrom)
- Chagas-Krankheit
- endemisch in Südamerika, verursacht durch Trypanosoma cruzi
- Kann zur Schädigung des Plexus myentericus führen und somit nur schwer von einer Achalasie zu unterscheiden.
Anamnese
- Berichtete Beschwerden1,6-8
- Schluckstörung (Dysphagie) als Leitsymptom (ca. 90 %)
- anfangs nur episodisch, im Verlauf chronisch-progredient
- ggf. Verschlechterung durch psychische Belastung
- Sodbrennen
- Aufstoßen oder Erbrechen (Regurgitation)
- retrosternale Schmerzen oder Schmerzen beim Schlucken (Odynophagie)
- Heiserkeit oder Halsschmerzen
- häufiges Verschlucken
- Husten nach dem Essen/Trinken (Aspiration)
- „Steckenbleiben von Speichel/Getränken/Speisen in der Kehle"
- unklare Fieberschübe und/oder Pneumonien (evtl. stumme Aspirationen!)
- verminderte Nahrungs- oder Trinkmengen und unbeabsichtigter Gewichtsverlust
- Schluckstörung (Dysphagie) als Leitsymptom (ca. 90 %)
- Im Verlauf ggf. Abnahme der Schmerzsymptomatik, da die Wandspannung des dilatierten Ösophagus abnimmt.
Klinische Untersuchung
- Allgemeine körperliche Untersuchung
- Zeichen von Mangelernährung und Gewichtsverlust
- Auskultation der Lunge (Aspirationspneumonie)
- Beobachtung des Schluckvorganges
- z. B. 50–100 ml Wasser
- Schmerzen, Regurgitation, Husten, Veränderungen der Stimme nach dem Schlucken?
Diagnostik bei Spezialist*innen
- Ösophagogastroskopie
- Diagnosestellung nur in etwa 1/3 der Fälle endoskopisch möglich2
- Befund abhängig vom Erkrankungsstadium
- Typisch ist ein erhöhter Widerstand am gastroösophagealen Übergang.2
- im fortgeschrittenen Stadium Dilatation des Ösophagus mit Nahrungsresten
- Ausschluss anderer Ursachen (Ösophaguskarzinom, Strikturen)
- Ösophagus-Breischluck (Barium-Ösophagogramm)
- dynamische Röntgenuntersuchung des Schluckvorgangs mit kontrastmittelangereichtertem Nahrungsbolus1-2,9-10
- typische Befunde
- verminderte Peristaltik im distalen Abschnitt
- Dilatation des prästenotischen Ösophagus, spitz zulaufender gastroösophagealer Übergang, fadenförmiger Kontrastmittelübertritt im Kardiabereich („Vogelschnabel" oder „Sektglasform")
- Ösophagusmanometrie
Indikationen zur Überweisung
- Bei Verdacht auf die Erkrankung
Checkliste zur Überweisung
Achalasie
- Zweck der Überweisung
- Bestätigende Diagnostik? Therapie? Sonstiges?
- Anamnese
- Beginn und Dauer? Entwicklung?
- Grad der Schluckbeschwerden? Sonstige Beschwerden? Gewichtsabnahme?
- Andere relevante Krankheiten? Regelmäßige Medikamente?
- Auswirkungen der Beschwerden auf Arbeitsfähigkeit, Lebensqualität?
- Klinische Untersuchung
- Allgemeinzustand
- Ergänzende Untersuchungen
- Evtl. Gastroskopie? Evtl. Röntgen?
Therapie
Therapieziele
- Verbesserung der Schluckfähigkeit und Symptomlinderung
- Verhinderung von Komplikationen (Aspirationspneumonie, Ösophaguskarzinom)
- Insgesamt Verbesserung der Lebensqualität
Allgemeines zur Therapie
- Es existiert keine kurative Therapie.1
- Eine langfristig wirksame medikamentöse Therapie steht nicht zur Verfügung.
- Verschiedene endoskopische und operative Verfahren kommen infrage.
- Gemeinsames Prinzip ist die Reduktion des Widerstandes des unteren Ösophagusshinkters (UÖS).
- Eine Therapieentscheidung sollte individuell erfolgen.
- Patientenalter, Komorbiditäten, Leidensdruck, Komplikationen
- Empfehlungen der amerikanischen Leitlinien (Stand 2013)10gleichwertige interventionelle Primärtherapien
- mehrfache endoskopische pneumatische Dilatation mit zunehmendem Ballondurchmesser („Graded Dilatation")
- laparoskopische Myotomie mit teilweiser Fundoplicatio
Medikamentöse Therapie
Operative Therapie
Endoskopische Verfahren
- Pneumatische Dilatation (PD)
- endoskopische Ballondilatation des UÖS1-2,13
- einmalige Dilatation oder mehrfach mit steigendem Ballondurchmesser („Graded Dilatation")
- Führt zu Beschwerdefreiheit über > 5 Jahre in 40–85 %.2
- Verfahren ist der laparoskopischen OP in einer Beobachtungsstudie nach 2 Jahren gleichwertig.13-14
- jedoch schlechtere Ergebnisse bei jüngeren Patient*innen
- Komplikationen: Perforation (0–10 %), Blutungen (0,4 %)1-2
- Häufig sind wiederholte Behandlungen notwendig (ca. 50 % in 5 Jahren).1-2
- endoskopische Ballondilatation des UÖS1-2,13
- Botulinumtoxin-Injektion in den UÖS
- Stent-Therapie
- Einlage eines Metall-Stent in den UÖS
- bisher wenige Daten zur Langzeiteffektivität
- Komplikationen: Stent-Wanderung (bis zu 27 %)2
Chirurgische Verfahren
- Laparoskopische Myotomie der Kardia und des UÖS (nach Heller)1
- Perorale endoskopische Myotomie (POEM)
- neueres Verfahren mit peroralem, endoskopischem Zugang in Vollnarkose
- selektive Abtragung der zirkulären Muskelschicht des distalen Ösophagus und UÖS1
- Vergleichsstudie zeigt bessere Langzeitergebnisse nach 2 Jahren im Vergleich zur PD.17
- erfolgreiche Behandlung in 92 % der Fälle
- vergleichbare Ergebnisse mit der laparoskopischen OP1
- neueres Verfahren mit peroralem, endoskopischem Zugang in Vollnarkose
- Offene Myotomie der Kardia und des UÖS (modifiziert nach Gottstein und Heller)
- Ösophagektomie
- Therapie der letzten Wahl
- ggf. im Endstadium der Erkrankung notwendig
Verlauf, Komplikationen und Prognose
Verlauf
- Unbehandelt chronisch progrediente Erkrankung
Komplikationen
- Aspiration mit Gefahr der Aspirationspneumonie
- Mangelernährung und Gewichtsverlust
- Dilatation des Ösophagus bis zum Megaösophagus
- Ösophaguskarzinom18
- Ösophagitis
- Perforation nach der Behandlung
Prognose
- Deutliche Besserung der Symptome und objektiver Messkriterien nach Therapie (Ballondilatation oder Operation)11
- Trotz Behandlung häufig Restsymptomatik mit Dysphagie, Brustschmerzen oder Refluxsymptomen.19
Verlaufskontrolle
- Verlaufskontrolle bzgl. klinischer Symptomatik und möglichem Rezidiv
- ggf. erneute Ösophagusmanometrie
- Kontroll-Endoskopie aufgrund des erhöhten Krebsrisikos2
- z. B. alle 2 Jahre zum Ausschluss eines Ösophaguskarzinoms
Patienteninformationen
Patienteninformationen in Deximed
Selbsthilfegruppen
Illustrationen
Quellen
Leitlinien
- Deutsche Gesellschaft für Neurologie. Neurogene Dysphagien. AWMF-Registernummer 030-111. S1, Stand 2020. www.awmf.org
Literatur
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Autor*innen
- Jonas Klaus, Arzt in Weiterbildung, Neurologie, Freiburg
- Die ursprüngliche Version dieses Artikels basiert auf einem entsprechenden Artikel im norwegischen hausärztlichen Online-Handbuch Norsk Elektronisk Legehåndbok (NEL, https://legehandboka.no/).