Allgemeine Informationen
Definition
- Unter Hämoptysen versteht man den Auswurf von Blut aus den unteren Luftwegen (Kehlkopf, Trachea, Lunge).1
- Massive Hämoptysen (Hämoptoe) stellen eine potenziell vitale Bedrohung dar.1
Häufigkeit
- Die jährliche Inzidenz beträgt bei ambulanten Patient*innen etwa 0,1 % und bei hospitalisierten Patient*innen ca. 0,2 % pro Jahr.1
- Im Rahmen von chronischen Lungenerkrankungen treten Hämoptysen bei ca. 10 % der Patient*innen auf.
- Bei 6–35 % der Patient*innen mit Lungenkarzinom tritt Hämoptyse als Initialsymptom auf.2
ICPC-2
- R24 Hämoptysis
ICD-10
- R04 Blutungen aus den Atemwegen
- R04.2 Hämoptoe/Bluthusten, Blut im Sputum
Ätiologie und Pathogenese
- Mögliche Wege der Entstehung von Hämoptysen sind:
- Erosionen und Schleimhautulzerationen bei Tracheobronchitis
- nekrotische Parenchymeinschmelzung bei Pneumonie, Lungenabszess/-gangrän/-infarkt, Tumornekrose
- Aneurysma-Arosion bei TB, Aspergillom
- Diapedeseblutung bei TB und anderen Entzündungen
- Lungenstauung bei Linksherzinsuffizienz, Mitralstenose
- spontane Gefäßrupturen bei Pulmonalvenenerweiterung im Rahmen einer pulmonalen Hypertonie
- Fistelbildung bei Morbus Osler
- Anastomosenbildung bei Bronchiektasen, Lungensequestration
- nekrotisierende Vaskulitis bei granulomatöser Polyangiitis, Goodpasture-Syndrom, toxisch-allergischen Erkrankungen
- Gefäßverletzungen im Rahmen von äußeren Ursachen (Lungenkontusion, Thoraxkompression, Rippenfraktur, penetrierende Fremdkörper, iatrogen), innere Ursachen (aspirierte Fremdkörper, Wandern von Geschosssplittern)
- intraparenchymale Blutung bei hämorrhagischer Diathese, Antikoagulanzientherapie, antineoplastischen Therapien, Gerinnungsstörungen
Differenzialdiagnosen
Akute Bronchitis
- Eine akute Bronchitis ist meist virusbedingt und kann im Verlauf einer banalen oberen Atemwegsinfektion oder als Folge einer Influenza auftreten.
- Weitere Symptome:3
- Intensiver Husten, der über eine Woche andauert, erst trocken und irritativ, später produktiver.
- mäßige Halsschmerzen
- Schnupfen
- geringes Fieber
- meist nur leicht reduzierter Allgemeinzustand.
- Eine Schleimhautentzündung kann eine Ruptur der oberflächlichen Blutgefäße verursachen und in Ausnahmefällen zu blutigem Expektorat führen.
Pneumonie
- Die Pneumonie hat in der Regel eine bakterielle Ätiologie und kommt am häufigsten bei Älteren und Personen mit geschwächtem Allgemeinzustand vor.
- Das Krankheitsbild zeigt eine große Bandbreite von leichten Beschwerden bis hin zu einer schweren Erkrankung.
- Typische Symptome sind Husten, Auswurf, Fieber, gelegentlich Dyspnoe und reduzierter Allgemeinzustand.
- Bei der typischen Pneumokokken-Pneumonie können leichte Hämoptysen vorkommen (rostbraunes Sputum).4
Chronisch obstruktive Lungenerkrankung (COPD)
- Die chronisch obstruktive Lungenerkrankung kommt bei früheren oder aktiven Raucher*innen vor.
- Der Zustand ist progredient mit asthmaähnlichen Beschwerden, chronischer Bronchitis, chronisch obstruktiver Bronchitis und Emphysem.
- Exazerbationen treten bei Atemwegsinfektionen auf, chronischer Husten und Auswurf bei chronischer Bronchitis und Dyspnoe bei Emphysem.
- Der Befund ist abhängig von der Phase der Krankheit, üblich ist eine zunehmende Obstruktion mit Tachypnoe, ein verlängertes Exspirium und der Einsatz von akzessorischer Atemmuskulatur.
Tuberkulose (TB)
- Die Tuberkulose ist die weltweit häufigste Ursache von Hämoptysen.1
- Durch die zunehmende Migration ist es auch hierzulande in den letzten Jahren zu einem Anstieg der TB-Fälle gekommen.
- Resistenzen und Multiresistenzen kommen immer häufiger vor.
- Bei Verdacht auf eine aktive Tuberkulose ist eine Röntgenaufnahme des Thorax notwendig und überwiegend wegweisend.3
- Die Bestätigung der Verdachtsdiagnose wird durch den Nachweis der Erreger mit mikroskopischen, kulturellen oder molekularbiologischen Verfahren sichergestellt, ggf. durch bronchoskopische Lavage.
- Bei der Tuberkulose kann es zu Kavernen, Aspergillomen sowie Bronchiektasen kommen, die häufig die Ursache für eine rezidivierend Hämoptysen oder Hämoptoe darstellen.5
Bronchialkarzinom und Metastasen
- Leitsymptom beim Bronchialkarzinom ist der Husten, mit Auswurf und Hämoptysen.3
- Hämoptysen sind eine häufige Komplikation des Bronchialkarzinoms (20 %), besonders bei zentralen Bronchialkarzinomen.2
- Etwa 3 % der Patient*innen versterben an massiver Hämoptoe.
- Die potenzielle Lebensbedrohlichkeit resultiert aus der Verlegung der zentralen Atemwege durch Blut und/oder Koageln, nicht aus der hämodynamischen Konsequenz der Blutung.
- Blutungsquelle sind zumeist Bronchial- oder Interkostalarterien.
- Blutungsursache sind fragile Gefäße der Neovaskularisation des Tumors, die durch Nekrose, Traumatisierung durch Husten oder nach iatrogener Irritation beschädigt wurden.
Bronchiektasen
- Bronchiektasen sind irreversibel dilatierte Bronchien mit entzündlicher Wandverdickung.
- Die Entwicklung von Bronchiektasen wird durch prädisponierende Erkrankungen (Tuberkulose, Mykobakteriosen, allergische bronchopulmonale Aspergillose, Kartagener-Syndrom, chronisch entzündliche Darmerkrankungen, diffuse Lungenparenchym-Erkrankungen etc.) begünstigt.
- Die Erweiterung kann zylindrisch, varikös oder zystisch sein. Bronchiektasen können auf der Übersichtsaufnahme des Thorax unentdeckt bleiben.
- Sie verursachen meist, aber nicht immer Husten mit voluminösem Auswurf (mindestens 30 ml, entsprechend 2 vollen Esslöffeln in 24 Stunden), oft mukopurulent oder purulent.
- Bronchiektasen sind auch eine häufige Ursache von Hämoptoe.4
Lungenödem
- Meist ist ein Lungenödem kardial bedingt.
- Es entsteht plötzlich und unvermittelt, häufig in Verbindung mit einem akuten Herzinfarkt.
- Symptome
- Ruhedyspnoe
- Tachypnoe
- Verschlimmerung im Liegen
- Husten
- schaumiges Sekret, evtl. mit Blutbeimengungen
- Angst
- evtl. Angina pectoris
- Auskultatorisch grobblasige Rasselgeräusche, evtl. vitientypische Geräusche über dem Herzen
Lungenembolie
- Die häufigsten klinischen Symptome einer akuten Lungenembolie sind Dyspnoe mit plötzlichem Beginn, Brustschmerz, Synkope oder Präsynkope und Hämoptyse.6
- Der physikalische Befund an der Lunge ist typischerweise unauffällig.
- Zur Basisdiagnostik zählen, je nach Schwere der Symptome und der Stärke des Verdachts auf eine Embolie, Vitalparameter, D-Dimer, eine Röntgenthorax-Übersicht in zwei Ebenen, EKG und Blutgasanalyse.
- Jeder Parameter für sich betrachtet bleibt unzureichend. Alle zusammen sind aber geeignet, einen Gesamteindruck von der Situation zu vermitteln.
- Wells- oder Genfer-Score helfen bei der Ermittlung der klinischen Wahrscheinlichkeit einer Lungenembolie (in beide geht die Hämoptyse ein).6
Fremdkörper in den Atemwegen
- Fremdkörper in den Atemwegen kommen bei Kindern oder Menschen mit kognitiven Beeinträchtigungen vor.
- Es zeigen sich plötzlich einsetzender Husten, Dyspnoe und Zyanose.
- Durch verletzung der Schleinhäute in den Atemwegen kann es zu Hämptysen kommen.
- Bei Einzelnen kann es nach den Anfangssymptomen ein symptomfreies Intervall geben, das Tage bis Wochen dauern kann.
- Danach kommt es zu einer reaktiven bronchialen Sekretion und Ödembildung, die zu zunehmenden Symptomen einer Atemwegsobstruktion führen.
Diagnostik
Allgemeines zur Diagnostik
- Während leichte Hämoptysen in der Regel ambulant abgeklärt werden können, ist die schwere Hämoptoe ein Notfall und sollte stationär behandelt werden.7
- Pseudohämoptysen sind Blutansammlungen, die aus der Nase, den Nebenhöhlen, dem Rachen oder der Mundhöhle stammen.
- Hämatemesis bezeichnet das Bluterbrechen mit Blutungsquellen im Gastrointestinaltrakt.
- Weltweit häufigste Ursache für Hämoptysen ist die Tuberkulose.1
- In der westlichen Welt sind ca. 50 % der Fälle kryptogen.1
Anamnese
- Die Ersteinschätzung bei Hämoptysen dient dem Erkennen eines abwendbar gefährlichen Verlaufs, also einer vitalen Gefährdung der Patient*innen.1
- Hämoptysen oder Hämoptoe gehören neben Atemnot, Thoraxschmerz, Begleiterkrankungen und hohem Fieber zu den Alarmzeichen bei Husten und sollten Anlass zu einer weiteren Diagnostik geben.4
- Vorerkrankungen (insbes. Malignome, kardiale Erkrankungen, Vaskulitiden, Kollagenosen, Gerinnungsstörungen)
- Medikamentenanamnese (insbes. Antikoagulanzien, orale Antikonzeptiva)
- Reise- und Herkunftsanamnese
- Familien- und Umgebungsanamnese (Kontakt mit Tbc)
- Nikotinkonsum
- Erstereignis? Rezidiv?
- B-Symptomatik (Fieber, Nachtschweiß, Gewichtsverlust)
Klinische Untersuchung
- Vollständiger körperlicher Status
- Abschätzung der Blutungsintensität1
- Beurteilung der Oxygenierung (Dyspnoe, Tachypnoe, erhöhte Atemarbeit, Zyanose)1
- Siehe auch den Untersuchungskurs der Universität Freiburg – Thorax und Lunge.
Ergänzende Untersuchungen
In der Hausarztpraxis
- Laborwerte
- EKG
- Rechtsherzbelastungszeichen, Tachykardie, Myokardischämie etc.
- Sauerstoffsättigung
Bei Spezialist*innen
- Röntgenthorax
- Thorax-CT
- mit Kontrastmittel/CT-Angiografie
- Bronchoskopie
- Abklärung immunologischer oder vaskulitischer Ursachen
Checkliste zur Überweisung
Hämoptyse
- Zweck der Überweisung
- Weitere Diagnostik und Therapie
- Anamnese
- Erstereignis/Rezidiv
- Vorerkrankungen
- Medikamentenanamnese
- Verdachtsdiagnose(n)
- Klinische Untersuchungen
- Allgemeinzustand
- Dyspnoe, Tachypnoe, vermehrte Atemarbeit
- Besonderheiten im körperlichen Status
- Ergänzende Untersuchungen
- Blutbild, Gerinnungsstatus, Entzündungsparameter
Therapie
- Bei schweren Hämoptysen ist es primäres Ziel, die Blutung zu stillen, den Kreislauf zu stabilisieren und eine Aspiration zu verhindern.
- Bei Hämoptoe durch Tuberkulose besteht eine Operationsindikation, anhaltende Hämoptysen können auch interventionell mittels Embolisation von Bronchialarterien behandelt werden.5
- Eine starre Bronchoskopie kann die Atemwege freihalten, durch Spülung mit physiologischer Kochsalzlösung oder verdünnten Katecholaminlösungen kann die Blutungsquelle gestoppt oder zumindest besser lokalisiert werden.
- Eine Okklusion des betroffenen Lungenabschnitts kann durch Tamponaden oder Ballonkatheter erreicht werden.
- Minimalinvasiv kann durch eine Bronchialarterienembolisation (BAE) der systemisch-arterielle Perfusionsdruck in den Bronchialarterien des krankhaft veränderten Areals verringert werden, um hierdurch eine Blutungsstillung zu erreichen.1
- Resektionen (Lob-/Pneumektomien) von betroffenen Lungenabschnitten sind nur in seltenen Fällen notwendig.
- Milde oder moderate Hämoptysen können häufig durch alleinige konservative Therapie der zugrunde liegenden Pathologie (z. B. Infektsanierung) behandelt werden.1
- Evtl. kann eine Antifibrinolyse-Therapie mittels Tranexamsäure erfolgreich sein.
Patienteninformationen
Patienteninformationen in Deximed
Video
Illustrationen
Quellen
Leitlinien
- Deutsche Gesellschaft für Allgemeinmedizin und Familienmedizin (DEGAM). Akuter und chronischer Husten. AWMF-Leitlinie Nr. 053-013. S3, Stand 2021. www.awmf.org
- Deutsche Gesellschaft für Pneumologie und Beatmungsmedizin. Diagnostik und Therapie von erwachsenen Patienten mit Husten. AWMF-Leitlinie Nr. 020-003. S2l, Stand 2019. www.awmf.org
- Deutsche Gesellschaft für Angiologie – Gesellschaft für Gefäßmedizin e. V. (DGA). Venenthrombose und Lungenembolie: Diagnostik und Therapie. AWMF-Leitlinie Nr. 065-002. S2k, Stand 2015. www.awmf.org
- Deutsche Gesellschaft für Pneumologie und Beatmungsmedizin, Deutsche Krebsgesellschaft. Prävention, Diagnostik, Therapie und Nachsorge des Lungenkarzinoms. AWMF-Leitlinie Nr. 020-007OL. S3, Stand 2018. www.awmf.org
- Deutsche Gesellschaft für Pneumologie und Beatmungsmedizin (DGP). Tuberkulose im Erwachsenenalter. AWMF-Leitlinie Nr. 020-019. S2k, Stand 2017. www.awmf.org
Literatur
- Ittrich H, Bockhorn M, Klose H et al. Diagnostik und Therapie der Hämoptysen. Deutsches Ärzteblatt 2017. www.aerzteblatt.de
- Deutsche Gesellschaft für Pneumologie und Beatmungsmedizin, Deutsche Krebsgesellschaft. S3-Leitlinie Prävention, Diagnostik, Therapie und Nachsorge des Lungenkarzinoms. AWMF-Leitlinie Nr. 020-007OL, Stand 2018 www.awmf.org
- Deutsche Gesellschaft für Allgemeinmedizin und Familienmedizin (DEGAM). Husten. AWMF-Leitlinie Nr. 053-013. Stand 2021. www.awmf.org
- Deutsche Gesellschaft für Pneumologie und Beatmungsmedizin. Akuter und chronischer Husten, Diagnostik und Therapie von erwachsenen Patienten. AWMF-Leitlinie Nr. 020-003. Stand 2019. www.awmf.org
- Deutsche Gesellschaft für Pneumologie und Beatmungsmedizin (DGP). Tuberkulose im Erwachsenenalter. AWMF-Leitlinie Nr. 020-019. S2k, Stand 2017. www.awmf.org
- Deutsche Gesellschaft für Angiologie - Gesellschaft für Gefäßmedizin e. V. (DGA). Venenthrombose und Lungenembolie: Diagnostik und Therapie. AWMF-Leitlinie Nr. 065-002. Stand 2016. www.awmf.org
- Franzen D, Schneiter D, Pfammatter T et al. Diagnostik und Behandlungskonzept bei Hämoptoe. Praxis 2013. econtent.hogrefe.com
Autor*innen
- Monika Lenz, Fachärztin für Allgemeinmedizin, Neustadt am Rübenberge
- Miriam Spitaler, Dr. med. univ., Ärztin für Allgemeinmedizin, Innsbruck/Österreich
- Die ursprüngliche Version dieses Artikels basiert auf einem entsprechenden Artikel im norwegischen hausärztlichen Online-Handbuch Norsk Elektronisk Legehåndbok (NEL, https://legehandboka.no/).
Links
Relevante Artikel
Leitlinien
- DEGAM-Leitlinie Akuter und chronischer Husten
- AWMF-Leitlinie Diagnostik und Therapie von erwachsenen Patienten mit Husten
- AWMF-Leitlinie Venenthrombose und Lungenembolie: Diagnostik und Therapie
- AWMF-Leitlinie Prävention, Diagnostik, Therapie und Nachsorge des Lungenkarzinoms
- AWMF-Leitlinie Tuberkulose im Erwachsenenalter