Angststörungen bei Kindern und Jugendlichen

Zusammenfassung

  • Definition:Zu den Angststörungen bei Kindern und Jugendlichen zählen u. a. Trennungsangst, Störung mit sozialer Ängstlichkeit, phobische Störung des Kindesalters und generalisierte Angststörung.
  • Häufigkeit:Die Prävalenz von Angststörungen liegt insgesamt bei 5–10 % der Bevölkerung.
  • Symptome:Angststörungen treten bei Kindern und Jugendlichen je nach Alter in unterschiedlicher Form in Erscheinung. Häufig sind depressive Symptome vorhanden.
  • Befunde:Als klinische Befunde können soziale Unsicherheit, Vermeidungsverhalten, unrealistische Sorgen, Muskelverspannungen und vegetative Symptome vorliegen.
  • Diagnostik:Die Anwendung standardisierter Fragebögen kann sinnvoll sein.
  • Therapie: Beratung und Psychoedukation. Multimodale störungsspezifische Psychotherapie. Im Einzelfall können bei Kindern ab dem Schulalter und bei Jugendlichen ergänzend Psychopharmaka indiziert sein, meist SSRI.

Allgemeine Informationen

Definition

  • Der Abschnitt basiert auf diesen Referenzen.1-3

Angststörungen des Kindesalters

  • Die für das Kindesalter spezifischen Angststörungen werden nach ICD-10 als emotionale Störungen (F93.-) klassifiziert.3
    • Diese stellen in erster Linie Verstärkungen normaler Entwicklungstrends dar und weniger eigenständige, qualitativ anomale Phänomene.
    • Die Entwicklungsbezogenheit ist das diagnostische Schlüsselmerkmal für die Unterscheidung der emotionalen Störungen mit Beginn in der Kindheit (F93.-) von den neurotischen Störungen (F40–F48).
  • Zu den Angststörungen des Kindesalters zählen:
    • F.93.0 Emotionale Störung mit Trennungsangst 
    • F.93.1 Phobische Störung des Kindesalters
    • F.93.2 Störung mit sozialer Ängstlichkeit.

Angststörungen, alle Altersgruppen

  • Näheres zu diesen Störungen in den Artikeln zu den entsprechenden Störungen sowie zum Symptom Angst
  • Angststörungen, die mit wenigen Ausnahmen (s. Anmerkungen in Klammern) während der gesamten Lebensspanne auftreten können:1

Angst als unspezifisches Symptom

  • Bei Kindern ist die Grenze zwischen normaler Emotionalität und einer Angststörung oft schwer zu definieren.
    • Ein Warnzeichen ist, wenn die Angst eine dem Entwicklungsstand angemessene soziale Anpassung verhindert oder einschränkt.
  • Angst ist ein sehr unspezifisches Symptom, das auch bei einer Reihe anderer Erkrankungen vorhanden sein kann, z. B. nach ICD-10:
    • F43 Reaktionen auf schwere Belastungen und Anpassungsstörungen
    • F94 Störungen sozialer Funktionen mit Beginn in der Kindheit und Jugend.

Häufigkeit

  • Der Abschnitt basiert auf diesen Referenzen.1,4
  • Angststörungen zählen in allen Altersgruppen zu den häufigsten psychischen Störungen.
  • Die Häufigkeit ist je nach Alter leicht unterschiedlich.
  • Mädchen scheinen etwas häufiger betroffen zu sein als Jungen.
  • Die Prävalenz von Angststörungen liegt insgesamt bei 5–10 % der Bevölkerung.
  • Aus verschiedenen Studien ergeben sich die folgenden groben Schätzungen:
    • Angststörungen bei 2- bis 5-Jährigen: 8 %
      • Innerhalb dieser Gruppe sind die Älteren deutlich häufiger betroffen als die Jüngeren.
    • behandlungsbedürftige Angststörung bei Jugendlichen: 8–9 %
    • emotionale Störung mit Trennungsangst: 2–3 % 
    • generalisierte Angststörung: 2–7 %
    • spezifische Phobien: 2–3 %
    • soziale Phobie: 1–2 % (Kinder); 6 % (Jugendliche)
    • Schulphobie: < 1 %
    • Panikstörung: < 1 %.
  • Die häufigsten Angststörungen bei Kindern und Jugendlichen sind die generalisierte Angststörung (GAS), die soziale Phobie sowie Trennungsangst.

Ätiologie und Pathogenese

  • Die Genese ist multifaktoriell und durch Wechselwirkungen zwischen konstitutionellen Faktoren und den Lebenserfahrungen des Kindes geprägt, einschließlich dem Umfeld, in dem es aufwächst.
  • Vermutlich spielen dabei die folgenden Faktoren eine Rolle:
    • genetische Faktoren
    • Persönlichkeitsfaktoren
    • Verhalten und psychische Störungen der Eltern
    • spezifische Lebenserfahrungen
    • kognitive Bewältigungsstrategien
    • soziale Anpassung und Bewältigungsstrategien der Familie.

Prädisponierende Faktoren

ICPC-2

  • P01 Gefühl, Angst/Unruhe/Spannung
  • P74 Angststörung/Panikattacke
  • P82 Posttraumatische Stressstörung

ICD-10

  • Der Abschnitt basiert auf dieser Referenz.3

Diagnosen, die unabhängig vom Alter verwendet werden können

  • F40.- Phobische Störungen
  • F41.- Andere Angststörungen
    • F41.0 Panikstörung
    • F41.1 Generalisierte Angststörung
    • F41.2 Angst und depressive Störung, gemischt
    • F41.3 Andere gemischte Angststörungen
    • F41.8 Sonstige spezifische Angststörungen (Angsthysterie)
    • F41.9 Angststörung, nicht näher bezeichnet

Diagnosen speziell bei Kindern

  • F93.0 Emotionale Störung mit Trennungsangst des Kindesalters
  • F93.1 Phobische Störung des Kindesalters
  • F93.2 Störung mit sozialer Ängstlichkeit des Kindesalters
  • F93.8 Sonstige emotionale Störungen des Kindesalters (einschließlich Störung mit Überängstlichkeit)

Diagnostik

Leitlinie: Diagnostik von Angststörungen im Kleinkind- und Vorschulalter1

  • Es sollen 4 Angststörungen unterschieden werden:
    1. Trennungsangst
    2. spezifische Phobien
    3. soziale Ängstlichkeit
    4. generalisierte Angststörung.
  • Die Diagnose einer Angststörung soll nicht vor dem Alter von 18 Monaten gestellt werden.
    • Subklinische Angstsymptome können schon vorher nachweisbar sein.
  • Komorbide Störungen sollen erfasst werden.
  • Eine detaillierte und spezifische Diagnostik der Angststörungen soll durchgeführt werden.
  • Falls bei Eltern der Verdacht einer eigenen Angststörung besteht, sollen eine eigene Diagnostik und ggf. Therapie empfohlen werden.

Diagnostische Kriterien

  • Der Abschnitt basiert auf diesen Referenzen.1-3
  • Angststörungen treten bei Kindern und Jugendlichen je nach Alter in unterschiedlicher Form in Erscheinung und gehen häufig mit depressiven Symptomen einher. Es werden die folgenden Hauptgruppen unterschieden:

Trennungsangst

  • Exzessive Angst vor einer Trennung von Bezugspersonen oder der gewohnten Umgebung
  • Angst besteht auch noch in einem Alter, in dem solche Reaktionen nicht mehr als normal einzustufen sind.
  • Eine Störung mit Trennungsangst soll nur dann diagnostiziert werden, wenn die Furcht vor Trennung den Kern der Angst darstellt und wenn eine solche Angst erstmals während der frühen Kindheit auftrat.3
  • Das Kind fürchtet sich auf unrealistische Weise vor der Trennung, z. B. von einer wichtigen Bezugsperson, und versucht, eine solche Trennung zu vermeiden und den Kontakt sofort wiederherzustellen.
  • Weitere Symptome1
    • untröstliches Weinen
    • Selbstverletzung
    • persistierende Sorgen um die Bezugsperson
    • Weigerung, die gewohnte Umgebung zu verlassen (z. B. in den Kindergarten zu gehen).
    • Weigerung, alleine zu bleiben.
    • Anwesenheit von Bezugspersonen beim Einschlafen wird eingefordert.
    • Albträume
    • somatische Beschwerden
    • Vermeidung von Aktivität

Phobische Störungen

  • Dazu zählen im Kindes- und Jugendalter spezifische Phobien sowie bei älteren Kindern und Jugendlichen die Agoraphobie (z. B. Angst vor Menschenmassen und großen Plätzen).
    • Eine Gruppe von Angststörungen, bei denen Angst nur oder hauptsächlich in bestimmten Situationen oder durch bestimmte Objekte hervorgerufen wird, die in der Regel ungefährlich oder harmlos sind.
    • In der Folge werden diese Situationen vermieden oder sind mit großer Angst verbunden.
    • Für die Patienten können die einzelnen Symptome wie Herzklopfen oder das Gefühl, ohnmächtig zu werden, im Vordergrund stehen. Häufig bestehen auch sekundäre Ängste vor Kontrollverlust oder davor, wahnsinnig zu werden.
    • Allein der Gedanke, sich in eine Situation, die die Phobie auslöst, zu begeben, löst in der Regel Angst (sog. Erwartungsangst) aus.
    • Die Vermeidung der Situation lindert die Angst.
  • Phobische Störungen treten häufig zusammen mit einer Depression auf. Die zeitliche Abfolge bestimmt, ob nur eine Diagnose, „phobische Störung“, oder zwei Diagnosen, „phobische Störung und depressive Episode“, gestellt werden.3
  • Spezifische Phobien
    • exzessive, nicht entwicklungsadäquate, objektbezogene Ängste und Vermeidungshandlungen
    • typische Symptome im Kleinkindalter1
      • Weinen
      • Wutanfälle
      • Klammerverhalten
  • „Schulphobie“ 
    • Ist keine eigene Diagnose und sollte vorzugsweise als Schulverweigerung bezeichnet werden. Sie ist gekennzeichnet durch:
      • einen starken Widerwillen gegen den Besuch der Schule und
      • häufig durch somatische Symptome.
    • Die Ursachen können komplex sein:
      • Abklärung, ob Mobbing oder realistische Gründe für die Angst vor der Schule oder dem Schulweg vorliegen.
      • Trennungsangst (s. o.), vor allem bei kleinen Kindern (7–8 Jahre)
      • Depression, vor allem bei Jugendlichen (frühe Pubertät)

Störung mit sozialer Ängstlichkeit 

  • Ausgeprägte, durchgehende oder wiederkehrende Furcht vor Fremden
  • Soziale Unsicherheit und Vermeidung von sozialen Kontakten
  • Die Symptome führen einerseits zur Vermeidung der gefürchteten Situation und andererseits zu ausgeprägten Einschränkungen.1
  • Furcht und Vermeidungsverhalten können sich hauptsächlich auf Erwachsene, auf Gleichaltrige oder beide beziehen.
  • Weitere Voraussetzungen für die Diagnose
    • Beginn vor dem 6. Lebensjahr
    • Ausschluss generalisierte Angststörung (s. u.) und andere psychische Störungen
    • Die Symptome bestehen seit mindestens 4 Wochen.
  • Typische Symptome im Kleinkindalter1
    • Weinen
    • Panik
    • Wutanfälle
    • Rückzug
    • Erstarrung
  • Weitgehende Überlappung des Symptombilds mit der sozialen Phobie, die im Erwachsenenalter zu den phobischen Störungen (s. o.n) gezählt wird.

Generalisierte Angststörung

  • Exzessive, nicht kontrollierbare Sorgen und Ängste, die die Aktivität der Betroffenen hemmen und ihre Funktionsfähigkeit in verschiedenen Situationen einschränken.
  • Sie wird häufig von somatischen Symptomen wie Kopfschmerzen oder Bauchschmerzen begleitet, und der betroffenen Person fällt es schwer, sich zu entspannen und einzuschlafen.
  • Typisch sind zudem:
    • Sorgen in Bezug auf anstehende Aufgaben/Ereignisse
    • Unruhe, Konzentrationsschwierigkeiten
    • leichte Ermüdbarkeit
    • Anspannung, Gereiztheit, Wutanfälle.
  • Bevor die Diagnose gestellt wird, sollten die Symptome über einen Zeitraum von mindestens 6 Monaten an mindestens der Hälfte der Tage vorgelegen haben.1

Panikstörung

  • Das wesentliche Kennzeichen sind wiederkehrende schwere Angstattacken (Panik), die sich nicht auf eine spezifische Situation oder besondere Umstände beschränken und deshalb auch nicht vorhersehbar sind.
  • Wie bei anderen Angststörungen zählen zu den Kernsymptomen:
    • plötzlich auftretendes Herzklopfen
    • Brustschmerz
    • Erstickungsgefühle
    • Schwindel
    • Entfremdungsgefühle (Depersonalisation oder Derealisation).
  • Weitere vegetative Begleitsymptome:
  • Häufig besteht sekundär auch die Furcht zu sterben, die Kontrolle zu verlieren oder wahnsinnig zu werden.
  • Bei einer depressiven Störung zum Zeitpunkt der Panikattacken soll die Panikstörung nicht als Hauptdiagnose verwendet werden, da diese wahrscheinlich eine sekundäre Folge der Depression ist.
  • Panikstörungen sind vor der Pubertät selten und treten nie vor dem 6. Lebensjahr auf.

Differenzialdiagnosen

  • Näheres siehe auch Artikel Angst.
  • Organische Angststörung (aufgrund einer Hirnfunktionsstörung, z. B. Hirntumor, neurologische Systemerkrankung, toxische Einwirkung, infolge einer endokrinen Störung)
  • Substanzbedingte Störung, z. B. durch Drogen, Medikamente
  • Depression: häufige Begleiterkrankung von Angststörungen
  • Zwangsstörung: häufige Begleiterkrankung von Angststörungen
  • Reaktionen auf schwere Belastungen und Anpassungsstörungen, z. B. posttraumatische Belastungsstörung
  • Somatoforme Störung
  • Depersonalisationssyndrom (Patient erlebt seine geistige Aktivität, sein Körper oder die Umgebung als unwirklich, wie in weiter Ferne oder automatisiert)3
  • Tief greifende Entwicklungsstörungen, z. B.:
  • Hyperaktivität
  • Störungen des Sozialverhaltens
  • Psychotische Störung, z. B. Schizophrenie

Anamnese

Typische Merkmale

  • Bei den meisten Patienten entwickelt sich die Angststörung nach und nach.
  • Phobien und Panikattacken können plötzlich auftreten.
  • Mögliche Auslöser einer akut einsetzenden Schulverweigerung sind Erkrankungen, Todesfälle in der Familie, Umzüge von Freunden oder Schulwechsel.
  • Somatische Symptome
    • Kopfschmerzen
    • Bauchschmerzen
    • Übelkeit, Erbrechen
    • vegetative Symptome: Tachykardie, Tachypnoe, Schwitzen, Schwindel, Benommenheit, Mundtrockenheit
  • Häufig haben die Patienten Schwierigkeiten beim Einschlafen.
  • Ein sehr wählerisches Essverhalten kann bei kleinen Kindern ein Symptom einer Angststörung oder Depression darstellen.5

Weitere Exploration, ggf. durch Spezialisten2

  • Gründliche Anamnese, vorzugsweise mit mehreren Quellen (das Kind selbst, Eltern, Lehrer)
    • Beginn?
    • Auslösende Faktoren?
    • In welchen Situationen treten die Symptome auf?
    • Häufigkeit und Dauer der Angstattacken?
    • Fokussierte oder frei flottierende Angst?
    • Ist die Angst dem Alter und Entwicklungsstand des Betroffenen angemessen?
    • Vermeidungsverhalten?
    • Auswirkungen auf das tägliche Leben?
  • Screening auf weitere psychische Störungen
    • Wichtig, weil die funktionellen Beeinträchtigungen bei Komorbidität meist größer sind.
    • insbesondere Depression, ADHS, Suchterkrankungen und Störungen des Sozialverhaltens, aber auch tiefgreifende Entwicklungsstörungen (s. auch Differenzialdiagnosen)
  • Somatische Anamnese
  • Familienanamnese
    • Symptome von Angststörungen, Depressionen, Zwangsstörungen oder Suchterkrankungen bei Familienmitgliedern?6
  • Individuelle Untersuchung
    • Gespräch mit dem Kind/Jugendlichen (ist ab einem Alter von etwa 7 Jahren die wichtigste Informationsquelle)
    • Verhaltensbeobachtung (ist bis zu einem Alter von etwa 7 Jahren die wichtigste Informationsquelle)
      • bei Kleinkindern: Fokus auf die Beobachtung der Kind-Eltern-Interaktion1
    • indirekte Anzeichen von Angst (siehe Abschnitt Klinische Untersuchung)
  • Angstfragebögen, z. B.:2
  • Leistungsdiagnostik, besonders bei schulbezogener Angst und Leistungsabfall
  • Abklärung etwaiger somatischer Symptome

Klinische Untersuchung

  • Bindungsverhalten (Kleinkinder)
  • Soziale Unsicherheit
  • Vermeidungsverhalten, evtl. Schulverweigerung
  • Unrealistische Sorgen
  • Muskelverspannungen
  • Autonome Hyperaktivität, evtl. Angstattacken mit Palpitationen, Schwitzen, Zittern und Erstickungsgefühlen
  • Hyperventilation
  • Evtl. starke Abneigung gegen bestimmte Objekte oder Situationen

Insbesondere bei Jugendlichen

  • Besorgnis in Bezug auf das Aussehen des eigenen Körpers
  • Generalisierte Angst sowie Unsicherheit in Bezug auf die eigene Identität und die eigenen Fähigkeiten
  • Befürchtung, gewöhnliche soziale Situationen nicht bewältigen zu können.
  • Scham in Bezug auf die eigenen Symptome

Somatische Untersuchung

  • Ggf. ergänzende Untersuchungen zur Abklärung primärer somatischer Erkrankungen (s. o.)

Indikationen zur Überweisung

  • Bei Vorliegen starker Beschwerden, die das Kind (und die Familie) in der Schule oder in der Freizeit funktionell einschränken und bei denen eine Beratung nicht zu Veränderungen führt.
  • Bei Notwendigkeit einer störungsspezifischen Therapie
  • Bei großen familiären Problemen, infolge derer negative Wechselwirkungen entstehen.

Therapie

Leitlinie: Therapie von Angststörungen im Kleinkind- und Vorschulalter1

  • Eine Beratung und Psychoedukation soll bei Angststörungen durchgeführt werden.
  • Eltern-Kind-Therapien sollen als Mittel der ersten Wahl bei Kindern unter 3;0 Jahren mit Angststörungen durchgeführt werden.
  • Bei Kindern im Alter von 3;0–5;11 Jahren sollen auch verhaltenstherapeutische und psychodynamische Therapien angeboten werden.
  • Eine Psychopharmakotherapie der Angststörung soll nicht erfolgen.
  • Falls bei Eltern der Verdacht einer eigenen Angststörung besteht, sollen eine eigene Diagnostik und ggf. Therapie empfohlen werden.

Therapieziel

  • Die aktuellen Symptome lindern oder beseitigen.
  • Die Entwicklung einer dauerhaften Angststörung verhindern.
  • Eine normale kindliche Entwicklung in anderen Bereichen fördern, sodass das Kind positive Erfahrungen bei der Bewältigung von Problemen sammelt und die Ängste nicht chronifizieren.

Allgemeines zur Therapie

  • Der Abschnitt basiert auf diesen Referenzen.1-2,7
  • Gewisse vorübergehende Formen der Angst/Furcht sind bei Kindern normal und erfordern in der Regel keine Behandlung.
    • Eltern und Erzieher sollten nicht versuchen, das Kind vor allen potenziell angstauslösenden Situationen zu bewahren, sondern es darin unterstützen, sich seinen Ängsten zu stellen, diese auszuhalten und schließlich zu überwinden.
    • „Nestwärme“ als Voraussetzung für emotionale Selbstregulation in angstbesetzten Situtationen7
  • Das Kind und seine Familie benötigen Hilfe, wenn die Symptome
    • zu starken und anhaltenden Beeinträchtigungen führen.7
    • die normale Entwicklung des Kindes behindern.
    • soziale Funktionen blockieren, z. B. in der Familie.
  • Zur Behandlung von Angststörungen im Kindes- und Jugendalter sind störungsspezifische multimodale psychotherapeutische Interventionen angezeigt.

Indizierte Therapien

  • Umfassende Aufklärung
  • Beratungsgespräche mit den Kindern/Jugendlichen und ihren Eltern
  • Bei Schulverweigerung: schnelle Wiederaufnahme des Schulbesuchs
  • Beratung für Personal im Kindergarten/in der Schule
  • Ggf. kognitions- oder verhaltensmodifizierende Maßnahmen
  • Bei Phobien: Training mit geplanter Exposition gegenüber dem Auslöser

Psychotherapie

  • Liegen eine familiäre Dysfunktion und Interaktionsprobleme vor, kann eine Familientherapie indiziert sein.
  • Bei psychischen Erkrankungen kann eine Einzeltherapie mit unterschiedlichem Umfang notwendig sein.
  • Bei Jugendlichen ist evtl. eine Gruppentherapie sinnvoll.
  • Einer Metaanalyse (Ia) zufolge kann körperliches Training bei Kindern und Jugendlichen Angst und Depressionen bis zu einem gewissen Grad entgegenwirken; es liegen jedoch noch keine ausreichenden Forschungsergebnisse vor, um eindeutige Schlüsse ziehen zu können.8

Kognitive Verhaltenstherapie (KVT)

  • Die KVT ist bei Kindern mit Angststörung die am besten untersuchte wirksame Therapieform.9
    • Die kognitive Verhaltenstherapie führt bei etwa 2/3 der Kinder und Jugendlichen mit Angstsymptomen zu einer Besserung.10
    • Die Wirkung scheint sich durch die gleichzeitige Anwendung von Antidepressiva noch zu verstärken.10
  • Verglichen mit der Option „keine Behandlung“ hat sich die KVT in mehreren Therapiestudien sowohl kurzfristig als auch langfristig als wirksamer erwiesen.
  • Metaanalysen deuten darauf hin, dass sich durch verschiedene Formen der Einbeziehung der Eltern in die KVT eine bessere Wirkung erzielen lässt.11
  • Es liegen nur wenige Studien vor, in denen die Ergebnisse des KVT-Ansatzes mit z. B. der Familientherapie oder der Individualtherapie verglichen wurden. Beide dieser Therapieformen können auch Elemente der KVT beinhalten.
  • Ansatz der KVT
    • Dem Kind Strategien zur Bewältigung seiner Angst aufzeigen.
    • Psychoedukation
    • Angst und andere Gefühle erkennen.
    • Gedankliche Muster, die in Verbindung zur Angst stehen, erkennen und verändern.
    • Entspannungstechniken zur aktiven Angstlinderung
    • Training dieser Fähigkeiten in Angst auslösenden Situationen (Exposition)

Medikamentöse Therapie

  • Medikamente spielen bei der Therapie von Kindern mit Angststörungen eine Rolle, sollten grundsätzlich jedoch nicht erste Wahl sein.
    • Angststörungen im Säuglings-, Kleinkind- und Vorschulalter sollten nicht medikamentös behandelt werden.1
  • Mögliche Indikationen
    • Schwere Formen der Angst, die zu einem so hohen Grad der funktionellen Einschränkung führen, dass die Teilnahme an einer Psychotherapie nicht möglich ist, oder wenn die Psychotherapie nicht zum Erfolg geführt hat.
    • ausgeprägte antizipierter Angstproblematik
    • Schlafstörungen 
  • Sie sollte von einem Facharzt für Kinder- und Jugendpsychiatrie und -psychotherapie durchgeführt werden.
  • Sie sollte stets in Kombination mit anderen Maßnahmen durchgeführt werden.
  • Die Wirksamkeit ist bei Kindern und Jugendlichen nur unzureichend belegt. Die Anwendung kann in der Regel nur als Off-Label-Use oder im Rahmen von Studien erfolgen.

Wirkstoffgruppen2

  • Antidepressiva 
    • bevorzugt SSRI, z. B. Fluvoxamin
    • oder SNRI, z. B. Venlafaxin
  • Benzodiazepine
    • z. B. Alprazolam, Clonazepam, Chlordiazepoxid
    • Cave: sehr hohes Abhängigkeitspotenzial!
    • nur zur Akutbehandlung über einen sehr kurzen Zeitraum
    • z. B. bei Suizidalität oder sehr hoher Erregung
    • Nie länger als 4 Wochen anwenden.
    • Kleinschrittig ausschleichen.
  • Beta-Rezeptorenblocker
    • z. B. Propranolol, Metoprolol
    • evtl. bei ausgeprägten vegetativen Symptomen

Prävention

Verlauf, Komplikationen und Prognose

Verlauf

  • Über den Spontanverlauf von Angststörungen bei Kindern ist bisher wenig bekannt.
    • Die Beschwerden gehen häufig spontan zurück, können aber leicht reaktiviert werden.
    • Bei manchen Patienten entwickelt sich im Erwachsenenalter eine Panikstörung.
    • Die Inzidenz depressiver Störungen im Erwachsenenalter ist leicht erhöht.

Komplikationen

  • Dauerhafte Angststörung oder Depression, die die normale Entwicklung und wichtige soziale Erfahrungen verhindert.

Prognose

  • Etwa 2/3 der Patienten genesen, bei etwa 1/3 entwickeln sich anhaltende Beschwerden.
  • Prognostisch ungünstige Zeichen sind:
    • psychische Störungen einschließlich Suchterkrankungen bei Verwandten, besonders bei den Eltern
    • Störungen der emotionalen Entwicklung
    • lange Zeit vom Einsetzen der Symptome bis zur Therapie.

Patienteninformationen

Patienteninformationen in Deximed

Quellen

Leitlinien

  • Deutsche Gesellschaft für Kinder- und Jugendpsychiatrie, Psychosomatik und Psychotherapie. Psychische Störungen im Säuglings-, Kleinkind und Vorschulalter. AWMF-Leitlinie Nr. 028-041, Leitlinien-Klasse S2k, Stand 2015. www.awmf.org
  • Deutsche Gesellschaft für Kinder- und Jugendpsychiatrie, Psychosomatik und Psychotherapie. Angststörungen. AWMF-Leitlinie Nr. 028-022, Leitlinien-Klasse S1, Stand 2006 (abgelaufen). www.awmf.org

Literatur

  1. Deutsche Gesellschaft für Kinder- und Jugendpsychiatrie, Psychosomatik und Psychotherapie. Psychische Störungen im Säuglings-, Kleinkind und Vorschulalter. AWMF-Leitlinie Nr. 028-041, Leitlinien-Klasse S2k, Stand 2015. www.awmf.org
  2. Deutsche Gesellschaft für Kinder- und Jugendpsychiatrie, Psychosomatik und Psychotherapie. Angststörungen. AWMF-Leitlinie Nr. 028-022, Leitlinien-Klasse S1, Stand 2006 (abgelaufen). www.awmf.org
  3. Deutsches Institut für Medizinische Dokumentation und Information (DIMDI): ICD-10-GM Version 2018. Stand 22.09.2017; letzter Zugriff 19.04.2018. www.dimdi.de
  4. Egger HL and Angold A. Common emotional and behavioral disorders in preschool children. Presentation, nosology and epidemiology. Journal of Child Psychology and Psychiatry 2006; 47: 313-337. onlinelibrary.wiley.com
  5. Zucker N, Copeland W, Franz L, et al. Psychological and Psychosocial Impairment in Preschoolers With Selective Eating. Pediatrics 2015. doi:10.1542/peds.2014-2386 DOI
  6. AACAP Official Action. Practice parameter for the assessment and treatment of children and adolescents with anxiety disorders. J Am Acad Child Adolesc Psychiatry 2007; 46: 267-283. PubMed
  7. Walitza S und Melfsen S. Angststörungen im Kindes- und Jugendalter. Monatsschrift Kinderheilkunde 2016; 164: 278-87. link.springer.com
  8. Larun L, Nordheim LV, Ekeland E, Hagen KB, Heian F. Exercise in prevention and treatment of anxiety and depression among children and young people. Cochrane Database of Systematic Reviews, issue 3, 2006. The Cochrane Library
  9. James AC, James G, Cowdrey FA, et al. Cognitive behavioural therapy for anxiety disorders in children and adolescents. Cochrane Database Syst Rev. 2015 ;2:CD004690. doi: 10.1002/14651858.CD004690.pub4. DOI
  10. Kendall PC, Peterman JS. CBT for Adolescents With Anxiety: Mature Yet Still Developing. Am J Psychiatry. 2015 ;172:519-30. doi: 10.1176/appi.ajp.2015.14081061 DOI
  11. Rapee RM, Scniering CA & Hudson JL. Anxiety disorders during childhood and adolescence: Origins and treatment. Annu Rev Clin Psychol 2009; 5: 335-65. PubMed

Autoren

  • Thomas M. Heim, Dr. med., Wissenschaftsjournalist, Freiburg
  • Marit S. Indredavik, spesialist i barnepsykiatri, overlege, Barne- og ungdomspsykiatrisk klinikk, St.Olavs hospital, Universitetssykehuset i Trondheim, Helse Midt-Norge
  • Tord Ivarsson, docent och överläkare, OCD-/Ångestmottagningen, Drottning Silvias barn- och ungdomssjukhus, Göteborg (Medibas)

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