Zusammenfassung
- Definition:Infektion durch unterschiedliche Stämme der Gattung Acanthamoeba, in der Regel in der Hornhaut bei Kontaktlinsenträger*innen.
- Häufigkeit:Sehr selten.
- Symptome:Meist schnell verlaufende Entzündung der Hornhaut.
- Befunde:Klinischer Befund ist eine entzündliche Veränderung der Hornhaut (Keratitis).
- Diagnostik:Augenärztliche Diagnosestellung.
- Therapie:Konservativ mit Augentropfen, möglicherweise Hornhauttransplantation notwendig.
Allgemeine Informationen
- Der Abschnitt basiert, sofern nicht anders gekennzeichnet, auf diesen Referenzen.1-2
Definition
- Amöbenkeratitis: opportunistische Infektion mit Amöben vom Typ Acanthamoeba3
- Die Amöbe kann Infektionen der Haut, der Augen und des Gehirns (granulomatöse Amöbenenzephalitis, GAE) verursachen.
- Immungeschwächte und chronisch kranke Patient*innen sind anfälliger für die Erkrankung, eine Infektion ist aber auch bei immunkompetenten Personen möglich.
- Die korrekte Diagnose fällt oft schwer, sofern sie nicht aktiv als Möglichkeit in Betracht gezogen wird.
Häufigkeit
- Die Prävalenz ist kaum erforscht.
- Die Zahl serologisch positiv gesunder Menschen nimmt mit dem Alter zu (bis ca. 50 %), was auf eine immunologische Auseinandersetzung ohne Krankheitsgeschehen hindeutet.1
- In der freien Natur ist die Amöbe überall in Gewässern und Böden anzutreffen, sie verbreitet sich auch durch die Luft.
- Die Akanthamöbe ist die in der Natur am häufigsten vorkommende Amöbe. Bei Immungeschwächten kann sie opportunistische Infektionen hervorrufen.
Ätiologie und Pathogenese
- Akanthamöben sind Einzeller (Protozoen), deren aktive Form, der Trophozoit (13–23 µm Durchmesser), sich unter ständigem Gestaltwechsel und Ausbildung von Scheinfüßchen auf Oberflächen bewegt.
- Kann sich unter widrigen Lebensumständen in eine sehr widerstandsfähige doppelwandige Überdauerungsform, die Zyste (ca. 15 µm), umwandeln.
- Akanthamöben sind in der Natur weit verbreitete „Opportunisten“, die nur unter bestimmten Bedingungen pathogen sind und werden daher als „freilebende Amöben“ dem obligat parasitären Erreger der Amöbenruhr Entamoeba histolytica gegenübergestellt.
- Die Infektion erfolgt durch Verletzungen in der Haut oder Hornhaut.
- Durch gesunde Haut bzw. unverletzte Hornhaut kann der Erreger nicht eindringen.
- Über die Blutbahn kann der Erreger sich bis ins Gehirn ausbreiten.
- meist indirekt über kontaminierte Kontaktlinsenbehälter und Pflegemittel bzw. infolge kontaminierter Kontaktlinsen
- Die Infektion wird nicht unmittelbar von Mensch zu Mensch übertragen.
- Die Inkubationszeit liegt zwischen wenigen Tagen und mehreren Wochen und hängt u. a. von der Amöbenkonzentration, den Eigenschaften des infizierenden Stammes und der Art der primären Hornhautschädigung ab.
Prädisponierende Faktoren
- Wunden oder Verletzungen der Haut
- Verwendung von Kontaktlinsen
- Geschädigte Hornhaut
- Selten durch direkten Kontakt zu kontaminierter Erde, Schlamm und Gewässerrändern
ICPC-2
- A78 Infektiöse Erkrankung NNB, andere
- F99 Auge/Anhangsgeb. Erkrank., andere
ICD-10
- B60.1 Akanthamöbiasis
- inkl.:
- Keratokonjunktivitis durch Akanthamöben+ (H19.2*)
- Konjunktivitis durch Akanthamöben+ (H13.1*)
- inkl.:
Diagnostik
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Differenzialdiagnosen
- Herpes-simplex-Keratitis
- Keratitiden durch Bakterien (z. B. Pseudomonas aeruginosa)
- Keratitiden durch Pilze
Diagnostische Kriterien
- Der Nachweis des Erregers erfolgt durch Kultur von Biopsiematerial.
- Der Nachweis ist ebenfalls durch direkte Mikroskopie möglich.
Anamnese
- Die Inkubationszeit ist nicht genau bekannt, beträgt aber vermutlich mehrere Wochen.
- In der Kornea verläuft die Infektion meist sehr schnell progredient.
- schwere Infektion mit dem Risiko der Zerstörung der Kornea
- Die Amöbe kann zudem Infektionen von Haut, Knochen, Nebenhöhlen und Gehirn hervorrufen.
- Granulomatöse Amöbenenzephalitis
- Nimmt in der Regel einen längeren klinischen Verlauf über Wochen und Monate mit zunehmenden Kopfschmerzen, leichtem Fieber, Sehstörungen, Verhaltensänderungen und fokal-neurologischen Defiziten.3
Klinische Untersuchung
- Keratitis bei Verwendung von Kontaktlinsen
- häufig initial nicht erkannt
- Zunächst unspezifische Symptome
- Fremdkörpergefühl im Auge
- zunehmende Schmerzen
- Tränen der Augen
- krampfartiger Lidschluss (Blepharospasmus)
- verschwommenes Sehen
- gräulich-schmutzig erscheinendes Epithel
- Bei fortschreitender Erkrankung entwickelt sich eine chronisch progressiv ulzerierende Keratitis mit Iritis, Skleritis, Uveitis, erhöhtem Augendruck und einem zunehmenden Visusverlust.
- Die Symptomatik kann interindividuell sehr unterschiedlich sein.
- Es können auch beschwerdefreie Intervalle beobachtet werden.
- Ophthalmologische Befunde
- Limbitis
- Nach einigen Tagen können perineurale Infiltrate, nach einigen Wochen ein weißlich entzündliches Ringinfiltrat auftreten.
- in späteren Stadien: Vorderkammerreiz (Hypopyon), Sekundärglaukom,
Sklerainfiltration
Diagnostik bei Augenärzt*in
- Einsendung von Kornea-Abradat (Abschabung der Augenhornhaut), Kornea-Abstrichen und vor allem von Kontaktlinsen nebst Behälter zur Initialdiagnose
- Histopathologischer oder kultureller Nachweis der Akanthamöben aus Kornea-Biopsien
- Bei Infektionen mit Akanthamöben ist der direkte Erregernachweis anzustreben: lichtmikroskopisch morphologische Untersuchungen nach Kultur auf speziellen Nährmedien.
- In Speziallaboratorien werden gattungsspezifische PCR-Verfahren eingesetzt, die sehr sensitiv sind und die Kultivierung ergänzen.
Weitere Untersuchungen
- CT oder MRT des Gehirns können singuläre oder multiple raumfordernde Läsionen mit Ring-Enhancement zeigen.4
- Bei granulomatöser Amöbenenzephalitis ist eine Biopsie von Hirngewebe erforderlich, um die Diagnose zu erhalten.5
Indikationen zur Überweisung
- Bei Verdacht auf die Erkrankung sollte die ophthalmologische Überweisung erfolgen.
Therapie
- Der Abschnitt basiert, sofern nicht anders gekennzeichnet, auf diesen Referenzen.1-2
Therapieziele
- Visusverlust vermeiden.
- Komplikationen verhindern.
Allgemeines zur Therapie
- Eine frühzeitige Diagnose ermöglicht eine zwar oft langwierige, aber in der Regel erfolgreiche Therapie.
- Eine Akanthamöben-Infektion ist oft schwierig zu behandeln und erfordert eine längere Behandlung.
- Die Infektion geht meist mit der Ausbildung widerstandsfähiger Zysten einher, was zum Wiederaufflammen einer scheinbar ausgeheilten Erkrankung führen kann.
Medikamentöse Therapie
- Augentropfen
- Eingangsmedikation lokal mit den Biguaniden Polyhexamethylenbiguanid (PHMB; Polihexanid; 0,02 %) oder Chlorhexidin (0,02 %)
- oft in Kombination mit einem Diamidinderivat wie Propamidin-Isethionat (0,1 %)
- alternativ zu Biguaniden: Diamidine wie Hexamidindiisethionat 0,1 % oder Dibromopropamidinisethionat 0,15 %
- Eine Kombination mit Neomycin als Antibiotikum wird empfohlen.
- In den ersten 48–72 Stunden werden die Tropfen viertelstündlich rund um die Uhr appliziert.
- Es erfolgt dann die Fortsetzung der Therapie mit reduzierter Dosierung i. d. R. für mehr als 6 Monate.
- Bei Therapieresistenz kann zusätzlich Clotrimazol (1–2 %) oder Voriconazol topisch gegeben werden.
- Granulomatöse Amöbenenzephalitis
- Eine optimale Behandlungsstrategie ist nicht bekannt, daher kommen Kombinationstherapien zur Anwendung6 (z. B. eine Kombination aus Miltefosin, Fluconazol und Pentamidin-Isethionat).
Operative Therapie
- Die chirurgischen Optionen bestehen aus:
- Epithel- (Kornea-)Abrasion
- Kryotherapie
- perforierender Keratoplastik
- Amnionmembran-Transplantation.
- Singuläre zerebrale Läsionen sollten nach Möglichkeit reseziert werden.7
Nachbehandlung
- Der Therapieerfolg sollte bis etwa 6 Monate nach dem Abklingen der Symptome regelmäßig kontrolliert werden, da möglicherweise eine einzige im Stroma überlebende Zyste zu einem Wiederaufflammen der Infektion führen kann.
Prävention für Kontaktlinsenträger*innen
- Die Infektion kann in den meisten Fällen durch strikte Kontaktlinsenhygiene vermieden werden.
- Vor dem Hantieren mit Kontaktlinsen sollten grundsätzlich die Hände gut gewaschen werden.
- Die vermutlich wichtigste Infektionsquelle stellen schlecht gepflegte Kontaktlinsenbehälter dar.
- Der Kontaktlinsenbehälter sollte täglich sorgfältig gereinigt und regelmäßig erneuert werden.
- Wichtig ist, den Behälter nach der manuellen Reinigung lufttrocknen zu lassen, denn in feuchtem Milieu vermehren sich sowohl Bakterien als auch Amöben besonders gut.
- Außerdem sollten Kontaktlinsen ausschließlich in frischer Aufbewahrungslösung aufbewahrt werden.
- Leitungswasser oder selbst hergestellte Kochsalzlösungen sind zum Aufbewahren nicht geeignet.
- Kontaktlinsen selbst sollten regelmäßig erneuert werden (je nach Linsenart täglich bis alle 2 Jahre).
- Die Tragezeit sollte nicht überschritten werden.
- Für die Kontaktlinsenpflege sind grundsätzlich Mehrphasensysteme den sog. All-in-One-Systemen vorzuziehen.
- Bei weichen Kontaktlinsen ist die Wahl des Pflegemittels besonders wichtig, da sich erstens Akanthamöben an der hydrophilen Oberfläche weicher Linsen besser anheften können, und da zweitens das Material wesentlich empfindlicher ist.
- Bei harten Kontaktlinsen ist die tägliche manuelle Reinigung mit einer entsprechenden Reinigungslösung unabdingbar.
Allgemeine Prävention
- In Mitteleuropa treten etwas 10 % der Fälle bei Nicht-Kontaktlinsenträger*innen auf.
- Diese Fälle betreffen durchweg Personen, bei denen mit Akanthamöben kontaminiertes Wasser in ein verletztes Auge gelangt ist.
- Abkochen des Wassers tötet die Amöbe ab.
- Sie ist jedoch resistent gegen Chlor und gängige Desinfektionsmittel für Kontaktlinsen.
- Vorsicht ist angezeigt, wenn immungeschwächte Personen Kontaktlinsen verwenden; ggf. sind Tageslinsen zu bevorzugen.
- Einen Impfstoff gibt es nicht.
Meldepflicht
- In Deutschland besteht keine krankheits- oder erregerspezifische Meldepflicht gemäß IfSG.
Verlauf, Komplikationen und Prognose
- Der Abschnitt basiert, sofern nicht anders gekennzeichnet, auf diesen Referenzen.1-2
Komplikationen
- Kann zur Zerstörung der Hornhaut und zum Verlust der Sehkraft führen.
- In seltenen Fällen ist eine systemische Infektion beobachtet worden.
- Bei Menschen mit geschwächtem Immunsystem ist eine granulomatöse Amöbenenzephalitis möglich.
Weitere Informationen
- Umgang mit Kontaktpersonen: Hier sind keine Maßnahmen notwendig, da eine Übertragung von Mensch zu Mensch bisher nicht nachgewiesen worden ist.
- Maßnahmen bei Ausbrüchen: Bisher sind keine Ausbrüche bekannt.
- Mit Unterstützung der Sektion Kornea der Deutschen Ophthalmologischen Gesellschaft (DOG) wurde im September 2011 das Deutsche Akanthamöbenkeratitis-Register ins Leben gerufen.
- Die Deutsche Ophthalmologische Gesellschaft fordert alle Augenkliniken in Deutschland auf, retrospektiv und prospektiv alle gesicherten Fälle ihrem Akanthamöbenregister zu melden.
Patienteninformationen
Worüber sollten Sie die Patient*innen informieren?
- Insbesondere Immunsupprimierte: Unbedingt die Hygienevorschriften für das Tragen von Kontaktlinsen befolgen.
Quellen
Literatur
- Robert Koch-Institut. Epidemiologisches Bulletin 32/2015. Abgerufen am 28.06.2022. www.rki.de
- Szentmáry N, Daas L, Shi L, et al. Acanthamoeba keratitis - Clinical signs, differential diagnosis and treatment. J Curr Ophthalmol. 2018 Oct 19;31(1):16-23. www.ncbi.nlm.nih.gov
- Visvesvara GS, Moura H, Schuster FL. Pathogenic and opportunistic free-living amoebae: Acanthamoeba spp., Balamuthia mandrillaris, Naegleria fowleri, and Sappinia diploidea. FEMS Immunol Med Microbiol 2007; 50:1. PubMed
- Khan NA. Acanthamoeba and the blood-brain barrier: the breakthrough. J Med Microbiol 2008; 57:1051. PubMed
- Marciano-Cabral F, Cabral G. Acanthamoeba spp. as agents of disease in humans. Clin Microbiol Rev 2003; 16:273. PubMed
- Mayer PL, Larkin JA, Hennessy JM. Amebic encephalitis. Surg Neurol Int 2011; 2:50. PubMed
- Sheng WH, Hung CC, Huang HH, et al. First case of granulomatous amebic encephalitis caused by Acanthamoeba castellanii in Taiwan. Am J Trop Med Hyg 2009; 81:277. PubMed
Autor*innen
- Moritz Paar, Dr. med., Facharzt für Allgemeinmedizin, Münster
- Die ursprüngliche Version dieses Artikels basiert auf einem entsprechenden Artikel im norwegischen hausärztlichen Online-Handbuch Norsk Elektronisk Legehåndbok (NEL, https://legehandboka.no/).