Rheumatisches Fieber

Rheumatisches Fieber ist eine Autoimmunreaktion des Körpers, die nach einer Halsentzündung mit beta-hämolysierenden Gruppe-A-Streptokokken (GAS) auftreten kann.

Was ist rheumatisches Fieber?

Definition

Rheumatisches Fieber oder Streptokokken-Rheumatismus ist eine Autoimmunreaktion des Körpers, die nach einer Halsentzündung mit beta-hämolysierenden Gruppe-A-Streptokokken (GAS) auftreten kann. Durch eine Kreuzreaktion mit körpereigenem Gewebe kommt es zu diffusen Entzündungen des Herzens, der Gelenke, des zentralen Nervensystems und der Haut.

Ein akutes rheumatisches Fieber (ARF) kann den Gesundheitszustand erheblich beeinträchtigen und sogar zum Tod führen. Die hauptsächliche Belastung für die Betroffenen entsteht jedoch in der Regel durch die langfristigen Schäden an den Herzklappen (Mitralklappeninsuffizienz), die oft erst Jahre nach der eigentlichen Infektion auftreten.

Symptome

Das häufigste Symptom bei rheumatischem Fieber ist eine Arthritis mit mehr als 75 % der Betroffenen. Die Gelenkentzündung tritt etwa 2–3 Wochen nach der Infektion auf und heilt meist nach 4 Wochen vollständig ab. Die Entzündung „wandert“ typischerweise von Gelenk zu Gelenk. Meist sind Knie, Sprunggelenk, Ellbogen und Handgelenk betroffen.

Eine Entzündung am Herzen stellt das schwerwiegendste Problem bei Patient*innen mit rheumatischem Fieber dar. Sie kann sich als Schmerzen in der Brust, Herzrhythmusstörungen und Herzinsuffizienz äußern. Zu einer Herzentzündung kommt es in 50–70 % der Fälle, davon oft zu Herzklappenfehlern.

Chorea minor kann in manchen Fällen die einzige Folge des rheumatischen Fiebers darstellen und betrifft 10–30 % der Patient*innen. Chorea minor tritt häufiger bei Mädchen auf und selten bei Erwachsenen. Es kommt zu schnellen, ziellosen und unwillkürlichen Bewegungen und Muskelschwäche v. a. der Gesichtsmuskulatur und der Arme. Die Symptome werden häufig von emotionalen Störungen begleitet und gehen fast immer innerhalb von 2–3 Monaten von selbst vorbei.

Hautsymptome wie Knötchen in der Unterhaut stellen mit maximal 10 % eine relativ seltene Folge von rheumatischem Fieber dar. Dabei treten feste, schmerzlose, subkutane Knötchen mit einem Durchmesser bis zu 2 cm auf, die insbesondere über den Knochen an den Streckseiten der Extremitäten und entlang der Wirbelsäule tastbar sind. Erythema marginatum ist ein nicht juckender, nicht schmerzhafter Hautausschlag, der zu den Rändern scharf abgegrenzt und in der Mitte etwas heller ist. Der Ausschlag tritt praktisch nie im Gesicht oder an Hand- oder Fußsohlen auf, sondern v. a. am Körperstamm.

Ursachen

Rheumatisches Fieber kann nach einer Entzündung mit beta-hämolysierenden Bakterien der Gruppe-A-Streptokokken in Form von einer Rachenentzündung (Pharyngitis), Mandelentzündung oder Scharlach auftreten. Die Symptome von rheumatischem Fieber zeigen sich in der Regel 2–3 Wochen nach der Halsinfektion. Dabei greifen Zellen des Immunsystems, die eigentlich die Bakterien bekämpfen sollen, als Folge eines Autoimmunprozesses fälschlicherweise Zellen von Herz, Gelenken und zentralem Nervensystem an und führen dort zu Schäden. Langfristig kommt es zu Funktionsverlust und Abbau des betroffenen Gewebes.

Häufigkeit

Da sich der Lebensstandard verbessert hat, sind akutes rheumatisches Fieber und rheumatische Herzerkrankungen in entwickelten Ländern selten geworden. Sie kommen daher heute praktisch nur in Entwicklungsländern vor. Weltweit gibt es Schätzungen zufolge 15–30 Millionen Menschen mit rheumatischem Fieber; jährlich sterben 230.000–350.000 Menschen daran. Die meisten Neuinfektionen treten in den afrikanischen Ländern südlich der Sahara, auf den pazifischen Inseln und in südasiatischen Ländern auf. In Osteuropa, dem Mittleren Osten, Asien und Australien kommt es zu 10–120 Fällen pro 100.000 Einw. pro Jahr. In Westeuropa und Nordamerika liegt diese Zahl bei 0,1–1 Fällen pro 100.000 Einwoh. pro Jahr.

Akutes rheumatisches Fieber ist eine seltene Erkrankung bei Kleinkindern. Nur 5 % der Fälle treten bei Kindern unter 5 Jahren auf, bei Kindern unter 2 Jahren ist die Erkrankung praktisch unbekannt. Der Häufigkeitsgipfel liegt im 10. Lebensjahr. Bei Erwachsenen über 35 Jahren ist die Erkrankung selten.

Untersuchungen

  • Die Diagnose erfolgt auf Grundlage des Auftretens von bestimmten Symptomen oder Anzeichen (Jones-Kriterien): Gelenkentzündung, Herzentzündung, Chorea minor, Fieber ≥ 38,5 °C etc.
  • In der körperlichen Untersuchung wird v. a. auf die Gelenkfunktion geachtet und das Herz abgehört.
  • Im Blut zeigen sich erhöhte Entzündungswerte (Blutsenkungsgeschwindigkeit und CRP); durch weitere Laboruntersuchungen kann eine aktuelle oder vor Kurzem aufgetretene Infektion mit Streptokokken der Gruppe A (GAS) nachgewiesen werden.
  • Das EKG kann typische Veränderungen aufweisen, eine Echokardiografie gibt Aufschluss über mögliche Funktionsstörungen des Herzmuskels.

Behandlung

  • Üblicherweise werden Patient*innen mit rheumatischem Fieber mit Penicillin oder einem anderen Antibiotikum behandelt, um die Streptokokken im Hals abzutöten.
  • Zur Therapie der Gelenkbeschwerden und der Entzündung des Herzmuskels kommen Antirheumatika zum Einsatz (NSAR-Präparate), weil sie Schmerzen lindern, Fieber senken und die Entzündungsprozesse eindämmen können.
  • Gegebenenfalls können niedrig dosierte orale Glukokortikoide eingesetzt werden, falls NSAR nicht toleriert werden.
  • Diese Art der Behandlung kann jedoch das Risiko von späteren Herzklappenfehlern vermutlich nicht vermindern.
  • Chorea minor erfordert in der Regel keine Behandlung.
  • Das Risiko, dass erneute Streptokokken-Infektionen zu rheumatischem Fieber führen, ist stark erhöht. Bei wiederholtem Auftreten von rheumatischem Fieber steigt auch das Risiko für schwere Herzerkrankungen. Daher wird für Kinder und Erwachsene mit rheumatischem Fieber mit oder ohne Herzerkrankung eine entsprechende vorbeugende Penicillinbehandlung empfohlen. Wenn Familienangehörige eine Halsinfektion mit GAS erleiden, sollten diese ebenfalls antibiotisch behandelt werden.
  • Da es in Deutschland nur noch sehr wenige der Stämme von GAS gibt, die rheumatisches Fieber mit den entsprechenden Organschäden verursachen können, werden Patient*innen mit Halsinfektionen nicht automatisch mit Antibiotika behandelt. Ausnahmen bestehen bei erhöhtem Risiko für ARF (akutes rheumatisches Fieber).

Prognose

  • Die erste Episode des rheumatischen Fiebers kann Wochen oder Monate dauern. Die Gelenkerkrankung geht fast immer nach 4 Wochen vorbei, Chorea minor in der Regel nach 2–3 Monaten.
  • Die Herzentzündung kann zu dauerhaften Klappenfehlern führen und ist mit einer erhöhten Sterblichkeit sowohl in der akuten Phase (Myokarditis) als auch danach (Klappenfehler) assoziiert.
  • Die unmittelbare Sterblichkeit beträgt 1–2 %.
  • Patient*innen, bei denen die Herzklappen geschädigt wurden, haben später im Leben ein erhöhtes Risiko für schwere Herzkomplikationen.

Weitere Informationen

Autor

  • Markus Plank, MSc BSc, Medizin- und Wissenschaftsjournalist, Wien

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Literatur

Dieser Artikel basiert auf dem Fachartikel Rheumatisches Fieber. Nachfolgend finden Sie die Literaturliste aus diesem Dokument.

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