Vestibularis-Schwannom (Akustikusneurinom)

Ein Vestibularis-Schwannom ist ein gutartiger Tumor am Hör- und Gleichgewichtsnerven (Nervus vestibulocochlearis, achter Hirnnerv). Der Tumor wird operativ oder durch eine Strahlentherapie behandelt, kann aber zunächst auch in einigen Fällen beobachtet werden.

Was ist ein Vestibularis-Schwannom?

Ein Vestibularis-Schwannom (früher als Akustikusneurinom bezeichnet) ist ein gutartiger Tumor, der von der Umhüllung des Hör- und Gleichgewichtsnervs (Nervus vestibulocochlearis, achter Hirnnerv) ausgeht. Die Zellen, die die Umhüllung oder Nervenscheide bilden, werden Schwann-Zellen genannt. Ein Tumor, der von diesen Zellen ausgeht, wird als Schwannom bezeichnet. Der Hör- und Gleichgewichtsnerv wird medizinisch auch Nervus vestibulocochlearis genannt. Der Name Vestibularis-Schwannom kommt daher, dass das Schwannom meist vom vestibulären Teil, d. h. dem Gleichgewichtsanteil, des Nervs ausgeht. Der Tumor zeigt meist ein gleichmäßiges und langsames Wachstum. Obwohl er gutartig ist, kann er bei fortschreitendem, verdrängendem Wachstum Druck auf die umgebenden Strukturen ausüben und so zu Symptomen, wie z. B. Hör- oder Gleichgewichtsstörungen, führen.

Pro Jahr erkranken etwa 1 pro 100.000 Personen an einem Vestibularis-Schwannom. Die Häufigkeit nimmt mit steigendem Alter zu. Beide Geschlechter sind gleich häufig betroffen. In weniger als 5 % der Fälle tritt das Vestibularis-Schwannom beidseitig auf.

Die genaue Entstehungsursache ist nicht bekannt. Als äußere Einflussfaktoren nennen Studien ein vermehrtes Auftreten nach Lärmexposition in der Freizeit und ein geringeres Risiko unter Rauchern. Ein gehäuftes Auftreten von Schwannomen wird bei der Neurofibromatose Typ 1 und Typ 2 beobachtet.

Symptome 

Meist treten Symptome erst spät ein und sind langsam fortschreitend. Das häufigste erste Anzeichen der Erkrankung ist eine zunehmende Hörstörung oder Schwerhörigkeit auf einem Ohr. Als weitere Symptome treten ggf. Tinnitus und Schwindel auf. Dies kann zu Gleichgewichtsstörungen und Gangunsicherheiten führen. Auch benachbarte Strukturen können ausgehend vom Druck durch den wachsenden Tumor beeinträchtigt werden. Hierzu zählt z. B. der Gesichtsnerv (Nervus facialis), der die Muskulatur des Gesichts versorgt. Die Beeinträchtigung kann sich darin äußern, dass Mundwinkel an einer Seite herunterhängt, der Lidschluss nur unvollständig und Stirnrunzeln nicht möglich ist. Bei Druck auf den Nerven, der für die Empfindung im Gesicht zuständig ist, kann es zu Gefühlsstörungen und Taubheitsgefühlen kommen. Selten können in späteren Stadien bei Beeinträchtigung des Hirnstamms oder Kleinhirns weitere Beschwerden auftreten. Diese äußern sich z. B. in Koordinationsproblemen, Schluck- oder Sprechstörungen sowie Lähmungen. Auch Kopf- und Ohrenschmerzen sind mögliche Symptome.

Diagnostik

Das ärztliche Personal kann in der Regel bereits durch die Schilderung der Krankheitsgeschichte auf das Vorhandensein eines Vestibularis-Schwannoms rückschließen. Neben einer ausführlichen körperlichen und neurologischen Untersuchung wird das Gehör überprüft. In Abhängigkeit von den Ergebnissen der Untersuchungen kann eine Überweisung an einen Hals-Nasen-Ohren-Spezialisten sinnvoll sein.

Das HNO-ärztliche Personal führt umfangreiche Untersuchungen des Gehörs, des Gleichgewichts und der Koordinationsfähigkeit durch. Evtl. sind auch speziellere Hörtests angezeigt. Um den Tumor bildlich nachzuweisen, kann im Krankenhaus oder ambulant eine MRT durchgeführt werden. Hier können bereits kleine Tumoren bis zu einem Durchmesser von 1–2 mm sichtbar sein. Optional kann eine CT angeschlossen werden.

Therapie

Es gibt verschiedene Therapiemöglichkeiten: die Beobachtung („Wait and Scan"-Strategie), die operative Entfernung sowie die Entfernung durch eine Strahlentherapie. Das Vorgehen ist immer von der individuellen Situation abhängig. Die Auswahl richtete sich nach Tumorgröße, Zeitverlauf der Erkrankung, möglichen Begleiterkrankungen sowie Ausmaß der Einschränkungen der Betroffenen.

Da die Tumoren, insbesondere kleine, in den meisten Fällen nur langsam wachsen, können sie zunächst beobachtet und in festen Abständen klinisch und mittels MRT kontrolliert werden („Wait and Scan"). Dies ist besonders bei älteren Menschen mit schweren Nebenerkrankungen zu erwägen. Bei ausgeprägtem oder anhaltendem Schwindel kann eine begleitende Physiotherapie sinnvoll sein. Evtl. kann mit der Zeit auf ein anderes Therapieverfahren gewechselt werden.

Bei einer Strahlentherapie des Vestibularis-Schwannoms kommen mehrere Strahlenverfahren in Betracht. Sie bewirkt eine Größenabnahme oder bremst das Tumorwachstum. Bei der sogenannten Radiochirurgie werden Strahlen in einer einzelnen Sitzung hochdosiert auf den Tumor eingestellt (z. B. mittels Gamma-Knife), sodass das umliegende Gewebe möglichst geschont bleibt. Eine Bestrahlung kann aber auch fraktioniert, d. h. in mehreren Sitzungen, durchgeführt werden.

 Vor allem bei großen Tumoren kann eine Operation sinnvoll sein. Der Eingriff wird meist mikrochirurgisch durchgeführt, d. h. unter Einsatz eines Mikroskops über einen kleinen Zugang im Schädel. Bei fast allen Patienten ist die vollständige Entfernung des Tumors möglich. Die Operation hat ein besseres Ergebnis in frühen Tumorstadien.

Als Komplikationen können sowohl bei der Strahlen- als auch bei der operativen Therapie u. a. Hörschäden und Schädigung am benachbarten Gesichtsnerv (Nervus facialis) auftreten, was zu Lähmungen im Gesichtsbereich führen kann. Nach einer Strahlen- oder operativen Therapie werden regelmäßig Kontrolluntersuchungen durchgeführt.

Verlauf, Komplikationen und Prognose

Vestibularis-Schwannome sind gutartige Tumoren mit langsamem Wachstum, die nur sehr selten bösartig werden (entarten). Moderne Diagnostik und Therapieverfahren haben die Prognose für Patienten mit einem Vestibularis-Schwannom deutlich verbessert. Nach einer kompletten Tumorentfernung besteht eine uneingeschränkte Lebenserwartung. Die Lebensqualität ist bei den meisten Patienten gut. Als Folge der Therapie oder durch das Wachstum des Tumors können allerdings das Hörvermögen, das Gleichgewicht oder die Gesichtsbeweglichkeit eingeschränkt sein. Bis zu 40 % der Patienten, bei denen ein Vestibularis-Schwannom diagnostiziert wird, leiden unter Gleichgewichtsstörungen. Es kann auch zu dauerhaftem Tinnitus kommen.

Die Erkrankung kann wieder auftreten, was als Rezidiv bezeichnet wird. Das Rezidivrisiko ist nach eine vollständigen Entfernung sehr gering. Liegt eine Neurofibromatose Typ 2 vor, tritt das Vestibularis-Schwannom häufig beidseitig auf und es besteht ein Risiko für weitere Schwannome.

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  • Marleen Mayer, Ärztin, Mannheim

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Literatur

Dieser Artikel basiert auf dem Fachartikel Vestibularis-Schwannom. Nachfolgend finden Sie die Literaturliste aus diesem Dokument.

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